Zweite Szene

[385] Ebendaselbst.


Es treten auf die Königin, Imogen und Posthumus.


KÖNIGIN.

Nein, Tochter, sei gewiß, nie find'st du mich,

Nach der Stiefmütter allgemeinem Ruf,

Scheeläugig gegen dich: zwar als Gefangne

Bewahr' ich dich; doch gibt dein Wächter selbst

Den Kerkerschlüssel dir. Und, Posthumus,

Sobald ich kann den grimmen König sänft'gen,

Sollt Ihr in mir den Anwalt sehn; doch jetzt

Entflammt ihn noch der Zorn: drum ist es besser,

Ihr neigt Euch seinem Spruch, und so geduldig,

Wie Euch die eigne Weisheit lehrt.

POSTHUMUS.

Ja, Hoheit,

Ich reise heut.

KÖNIGIN.

Wohl kennt ihr die Gefahr –

Nur durch den Garten geh' ich, denn mich jammert[385]

Die Qual gehemmter Lieb'; obwohl der König

Befahl, ihr sollt nicht mit einander sprechen.


Sie geht ab.

IMOGEN.

O heuchlerische Güte! Schmeichelnd kitzelt

Die Schlange, wo sie sticht! – Geliebter Mann,

Wohl fürcht' ich etwas meines Vaters Zorn,

Doch nicht (mein heilig Bündnis ausgenommen),

Was seine Wut mir tun kann. Du mußt fort;

Ich bleibe hier zurück, ein stündlich Ziel

Erzürnten Blicks; nichts tröstet mich im Leben,

Als daß die Welt mein Kleinod noch bewahrt,

Damit ich's wiederseh'.

POSTHUMUS.

O meine Kön'gin,

Herrin, Geliebte, weint nicht mehr; daß mich

Verdacht nicht treffe weichrer Zärtlichkeit,

Als sie dem Manne ziemt! Ich bleib' auf ewig

Der treuste Gatte, der je Treu' gelobte.

In Rom nun wohn' ich, bei Philario dort,

Der meines Vaters Freund war, doch mit mir

Durch Briefe nur verbunden: dorthin schreibe,

Und mit den Augen trink' ich deine Worte,

Ist Galle gleich die Tinte.


Die Königin kommt zurück.


KÖNIGIN.

Eilt, ich bitte!

Denn wenn der König kommt, so fällt auf mich

Wer weiß wie viel von seinem Zorn.

Beiseit.


Doch führ' ich

Ihn dieses Weges; kränk' ich ihn auch stets,

Mein Unrecht kauft er ab, versöhnt zu sein,

Zahlt mein Versünd'gen schwer.


Geht ab.


POSTHUMUS.

Nähmen wir Abschied

So lange Zeit, als wir noch leben sollen,

Der Schmerz der Trennung wüchse stets. Leb wohl!

IMOGEN.

Oh, nicht so rasch:

Ritt'st du nur aus, um frische Luft zu schöpfen,

Zu kurz wär' solch ein Abschied. Sieh, Geliebter,

Der Demant ist von meiner Mutter: nimm ihn;

Bewahr' ihn, bis ein andres Weib du freist,

Ist Imogen gestorben.[386]

POSTHUMUS.

Wie! Ein andres? –

Ihr Götter, laßt mir die nur, die ich habe,

Und wehrt mir die Umarmung einer andern

Mit Todesbanden! – Bleib', o bleibe hier,

Solang' hier Leben wohnt!


Er steckt den Ring an.

Und, Süße, Holde,

Wie ich mein armes Selbst für dich vertauschte,

Zu deinem schlimmsten Nachteil: so gewinn' ich

Sogar bei diesem Tand; dies trag' von mir,

's ist eine Liebesfessel, die ich um

Die holdeste Gefangne lege.


Er legt ihr ein Armband an.


IMOGEN.

Götter!

Ach! Wann sehn wir uns wieder?


Cymbeline tritt auf mit Gefolge.


POSTHUMUS.

Weh! Der König!

CYMBELINE.

Hinweg! Elender du, mir aus den Augen!

Belästigst du den Hof nach diesem Wort

Mit deinem Unwert noch, so stirbst du; fort! –

Gift bist du meinem Blut.

POSTHUMUS.

Die Götter schützen Euch!

Und segnen alle Guten, die hier bleiben!

Ich gehe.


Er geht ab.


IMOGEN.

Keine Marter hat der Tod

So scharf wie diese.

CYMBELINE.

Pflichtvergeßnes Ding,

Du sollt'st die Jugend mir erneun, und häufst

Mir nur der Jahre Last.

IMOGEN.

Ich bitt' Eu'r Hoheit,

Kränkt Euch nicht selbst mit Eurem Gram: ich bin

Gefühllos Eurem Zorn; ein tiefres Leid

Tilgt Furcht und Angst.

CYMBELINE.

So ohne Gnad' und Sitte?

IMOGEN.

Ja, ohne Hoffnung: so weit ohne Gnade.

CYMBELINE.

Den einz'gen Sohn der Kön'gin auszuschlagen!

IMOGEN.

Oh! Wohl mir, daß ich's tat! Den Adler wählt' ich,

Und jagt' den Raben fort.[387]

CYMBELINE.

Den Bettler nahmst du, hättest meinen Thron

Zum Sitz der Niedrigkeit gemacht.

IMOGEN.

O nein;

Ich gab ihm neuen Glanz.

CYMBELINE.

Verworfne!

IMOGEN.

Vater,

Nur Ihr seid schuld, lieb' ich den Posthumus:

Ihr zogt ihn auf als meinen Spielgefährten;

Er ist ein Mann, wert jeder Frau; und der

Fast um den ganzen Preis mich überzahlt.

CYMBELINE.

Was! – bist du toll?

IMOGEN.

Beinah', der Himmel steh' mir bei! – Oh, wär' ich

Doch eines Schäfers Tochter! Mein Leonatus,

Des Nachbarhirten Sohn!


Die Königin tritt auf.


CYMBELINE.

Du töricht Mädchen! –

Beisammen waren wieder sie; Ihr tatet

Nicht, wie wir Euch befahlen. Fort mit ihr,

Und schließt sie ein!

KÖNIGIN.

Ich bitt' Euch, ruhig – still,

Prinzessin Tochter, still! – Geliebter Herr,

Laßt uns allein, und sucht Euch zu erheitern,

Wie Ihr's am besten könnt!

CYMBELINE.

Mag sie verschmachten

Täglich um einen Tropfen Bluts, und alt

An dieser Torheit sterben!


Er geht ab.


Pisanio tritt auf.


KÖNIGIN.

Pfui! – Gebt nach!

Hier ist Eu'r Diener. – Nun, was bringst du Neues?

PISANIO.

Der Prinz, Eu'r Sohn, zog gegen meinen Herrn.

KÖNIGIN.

Kein Leid ist doch geschehn?

PISANIO.

Es konnte treffen,

Nur spielte mehr mein Herr, anstatt zu fechten,

Und war durch Zorn nicht angereizt; es trennten

Sie ein'ge Herren in der Näh'.[388]

KÖNIGIN.

Das freut mich.

IMOGEN.

Ja, meines Vaters Freund ist Euer Sohn;

Er nimmt sich seiner an. –

Auf den Verbannten ziehn! – O tapfrer Held! –

Ich wünschte sie in Afrika beisammen,

Und mich mit Nadeln dort, um den zu stechen,

Der rückwärts geht. – Was ließest du den Herrn?

PISANIO.

Weil er's befahl; zum Hafen ihn zu bringen,

Erlaubt' er nicht; er gab mir dies Verzeichnis

Von Diensten, die ich Euch zu leisten hätte,

Gefiel's Euch, mich zu brauchen.

KÖNIGIN.

Dieser war

Dein treuer Diener stets; mein Wort verpfänd' ich,

Daß er's auch bleiben wird.

PISANIO.

Ich dank' Eu'r Hoheit.

KÖNIGIN.

Komm, zum Spazierengehn!

IMOGEN.

Frag' bei mir an

In einer halben Stunde: – meinen Herrn

Mußt du an Bord noch sehn; – für jetzt verlaß mich!


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 385-389.
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