Dritte Szene

[469] Ein anderer Teil des Schlachtfeldes.


Posthumus tritt auf und ein britischer Lord.


LORD.

Kommst du von dort, wo stand sie hielten?

POSTHUMUS.

Ja.

LORD.

Doch Ihr, so scheint's, kommt von den Flücht'gen.

LORD.

Ja.

POSTHUMUS.

Kein Tadel drum, denn alles war verloren:

Nur Hoffnung auf den Himmel. Der König selbst

Fern von den Flügeln, ganz sein Heer durchbrochen,

Und nur der Briten Rücken sichtbar, alle

In Flucht durch engen Paß; der Feind voll Siegslust,

Nach Blut die Zunge lechzend, mehr zur Schlachtung

In Vorrat, als er Messer hatte, fällte

Die tödlich wund, die leicht berührt, die stürzend

Aus bloßem Schreck; so ward der Paß gedämmt

Mit Toten, wund im Rücken, Feigen, lebend,

Um mit verlängter Schmach zu sterben.

LORD.

Wo

War dieser enge Paß?

POSTHUMUS.

Beim Schlachtfeld dicht, im aufgeworfnen Rasen,

Was sich zu Nutz ein alter Krieger machte, –

Ein Ehrenmann, das schwör' ich – wohl verdient

Er langes Leben und sein Silberhaar

Durch diese Tat fürs Vaterland – im Paß,

Er mit zwei Knaben (Kindern, mehr geeignet

Zu munterm Tanze als zu solchem Morden;[469]

Mit Angesichtern wie für Larven, schöner

Als die verhüllt Scham oder Reiz bewahren),

Schützt' nun den Weg und rief den Flücht'gen zu:

»Der brit'sche Hirsch stirbt auf der Flucht, kein Krieger:

Zur Hölle rennt, ihr rückwärts Flieh'nden! Steht,

Sonst macht ihr uns zu Römern, und wir schlachten

Wie Vieh euch, die ihr viehisch lauft; euch rettet

Ein zornig Rückwärtsschauen; steht, o steht!« –

Die drei, dreitausend durch Vertraun, und wahrlich,

Nicht minder waren sie's durch Kraft und Tat

(Drei Helden sind das Heer, wenn alle andern

Ein Nichts sind), mit dem Worte: »Steht, o steht!«,

Begünstigt durch den Platz, doch mehr noch zaubernd

Durch eignen Adel (der wohl wandeln konnte

Zum Speer die Kunkel), entflammten matte Blicke,

Halb Scham, halb muterneut; und manche, feige

Durchs Beispiel nur (oh, eine Sünd' im Kriege,

Verdammt im ersten Sünder!), wandten um

Auf ihrem Weg, und schäumten, Löwen gleich,

Dem Jägerspieß entgegen. Da entstand

Ein Anhalt der Verfolgung, Rückzug; schnell

Verwirrung, Niederlage: – die als Adler

Daher gestürmt, entfliehn als Tauben; Sklaven,

Wo sie als Sieger prangten; unsre Memmen

(Wie Brocken auf bedrängter Seefahrt) wurden

Nun Lebensrettung in der Not; die Hintertür

Der unbewachten Herzen offen findend,

O Himmel, wie nun hieben sie! Auf schon

Erschlagne, Sterbende, auf Freunde, die

Die vor'ge Woge überwälzte: zehn,

Die einer jagte; jeder ist nun jetzt

Von zwanzigen der Schlächter: die eh'r sterben

Als kämpfen wollten, sind des Felds Entsetzen.

LORD.

Wie sonderbar:

Ein enger Paß! Zwei Knaben und ein Greis!

POSTHUMUS.

Nicht wundert Euch! Ihr staunt wohl lieber, hört Ihr

Von Taten, als Ihr selber welche tut.[470]

Wollt Ihr's im Reim, als Spottgedicht? So klingt's:

Zwei Knaben und ein Greis, zweimal so alt als beide,

Ein Paß, ward uns zum Hort, dem Feind zum Leide.

LORD.

Nun, seid nicht böse!

POSTHUMUS.

So war's nicht gemeint.

Wer vor dem Feind nicht steht, dem bin ich Freund:

Denn, tut er seiner Art nach, sicherlich

Läßt er auch meine Freundschaft bald im Stich.

Ich komm' ins Reimen schon.

LORD.

Geht, Ihr seid böse.


Geht ab.


POSTHUMUS.

Doch gehn? Das heißt ein Lord! O Adelsheld!

Fragt in der Schlacht, wie's um die Schlacht bestellt!

Wie mancher heut gab seine Ehre preis,

Den Leichnam nur zu retten! Lief davon,

Und starb doch! Ich, durch Schmerzen fest gemacht,

Fand nicht den Tod, wo ich ihn ächzen hörte;

Fühlt' ihn nicht, wo er schlug; ein Untier, scheußlich

Seltsam, verbirgt er sich im lust'gen Becher,

Im sanften Bett und süßen Wort; hat mehr

Bedient' als wir, die seine Klingen zücken.

Sei's, dennoch find' ich ihn:

Denn, wie ich jetzt den Briten beigestanden,

Bin ich nicht Brite mehr und nehme wieder

Das Kleid, in dem ich kam.


Er wechselt die Kleider.


Nicht fecht' ich mehr,

Ich gebe mich dem schlechtsten Bauer, der

Mich nur berührt. Groß ist der Mord, den hier

Der Römer angestellt; schwer muß sich rächen

Der Brite. Ich – mein Lösegeld sei Sterben,

Um Tod wollt' ich auf beiden Seiten werben;

Denn länger soll er mir nicht widerstehn,

Und so vollend' ich's denn für Imogen.


Es kommen zwei britische Hauptleute und Soldaten.


ERSTER HAUPTMANN.

Dank allen Göttern! Lucius ist gefangen:

Man hält die Knaben und den Greis für Engel.

ZWEITER HAUPTMANN.

Ein vierter Mann war noch, im schlechten Rock,

Der auch den Feind zurücktrieb.[471]

ERSTER HAUPTMANN.

So erzählt man;

Doch alle sind verschwunden. – Halt! Wer bist du?

POSTHUMUS.

Ein Römer,

Der nicht hier um sich triebe, hätten andre

Wie er getan.

ZWEITER HAUPTMANN.

Legt Hand an ihn; ein Hund!

Es soll kein Bein zurück nach Rom und sagen,

Wie hier die Kräh'n sie hackten. Er stolziert,

Als wär' er Großes; bringt ihn hin zum König!


Cymbeline tritt auf mit Gefolge; Bellarius, Guiderius, Arviragus und römische Gefangne. Die Hauptleute führen Posthumus vor Cymbeline, welcher ihn einem Kerkermeister übergibt; darauf gehn alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 469-472.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Cymbeline
Cymbeline by Shakespeare, William ( Author ) ON Mar-10-2005, Paperback
CYMBELINE
Cymbeline. Das Wintermärchen. Der Sturm.
Shakespeares dramatische Werke: Elfter Band: König Lear, Troilus und Cressida, Ende gut, alles gut, Zwölfter Band: Othello, Cymbeline, Macbeth

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon