Vierte Szene

[47] Zelt des Königs von Frankreich.


König Philipp, Louis, Pandulpho und Gefolge treten auf.


KÖNIG PHILIPP.

So wird durchtobend Wetter auf der Flut

Ein ganz Geschwader von verstörten Segeln

Zerstreut und die Genossenschaft getrennt.

PANDULPHO.

Habt Mut und Trost! Es geht noch alles gut.

KÖNIG PHILIPP.

Was kann noch gut gehn nach so schlimmem Fall?

Ist nicht das Heer geschlagen, Angers fort?

Arthur gefangen? werte Freunde tot?

Und England blutig heimgekehrt nach England,

Frankreich zum Trotz durch alle Dämme brechend?

LOUIS.

Was er erobert, hat er auch befestigt.

So rasche Eil', so mit Bedacht gelenkt,

So weise Ordnung bei so kühnem Lauf

Ist ohne Beispiel. – Wer vernahm und las

Von irgendeiner Schlacht, die dieser glich?

KÖNIG PHILIPP.

Ich könnte England diesen Ruhm wohl gönnen,

Wüßt' ich für unsre Schmach ein Vorbild nur.


Constanze tritt auf.


Seht, wer da kommt? Ein Grab für eine Seele,

Das wider Willen hält den ew'gen Geist[47]

Im schnöden Kerker des bedrängten Odems.

Ich bitte, Fürstin, kommt hinweg mit mir!

CONSTANZE.

Da seht nun, seht den Ausgang Eures Friedens!

KÖNIG PHILIPP.

Geduld, Constanze! Mutig, werte Fürstin!

CONSTANZE.

Nein, allen Trost verschmäh' ich, alle Hülfe,

Bis auf den letzten Trost, die wahre Hülfe,

Tod! Tod! – O liebenswürd'ger, holder Tod!

Balsamischer Gestank! Gesunde Fäulnis!

Steig' auf aus deinem Lager ew'ger Nacht,

Du Haß und Schrecken der Zufriedenheit,

So will ich küssen dein verhaßt Gebein.

In deiner Augen Höhlung meine stecken,

Um meine Finger deine Würmer ringeln,

Mit eklem Staub dies Tor des Odems stopfen

Und will ein grauser Leichnam sein, wie du.

Komm, grins' mich an! Ich denke dann, du lächelst,

Und herze dich als Weib. Des Elends Buhle,

O komm zu mir!

KÖNIG PHILIPP.

O holde Trübsal, still!

CONSTANZE.

Nein, nein, ich will nicht, weil ich Odem habe.

O wäre meine Zung' im Mund des Donners!

Erschüttern wollt' ich dann die Welt mit Weh

Und aus dem Schlafe rütteln das Geripp',

Das eines Weibes matten Laut nicht hört

Und eine schwache Anrufung verschmäht.

PANDULPHO.

Fürstin, Ihr redet Tollheit und nicht Gram.

CONSTANZE.

Du bist nicht fromm, daß du mich so belügst.

Ich bin nicht toll: dies Haar, das ich zerrauf', ist mein;

Constanze heiß' ich; ich war Gottfrieds Weib;

Mein Sohn ist Arthur, und er ist dahin.

Ich bin nicht toll, – o wollte Gott, ich wär's!

Denn ich vergäße dann vielleicht mich selbst,

Und könnt' ich's, welchen Gram vergäß' ich nicht! –

Ja, pred'ge Weisheit, um mich toll zu machen,

Und du sollst Heil'ger werden, Kardinal.

Da ich nicht toll bin, und für Gram empfindlich,

Gibt mein vernünftig Teil mir Mittel an,

Wie ich von diesem Leid mich kann befrein,[48]

Und lehrt mich, mich ermorden oder hängen.

Ja, wär' ich toll, vergäß' ich meinen Sohn,

Säh' ihn wohl gar in einer Lumpenpuppe.

Ich bin nicht toll: zu wohl, zu wohl nur fühl' ich

Von jedem Unglück die verschiedne Qual.

KÖNIG PHILIPP.

Bind't diese Flechten auf! – O welche Liebe

Seh' ich in ihres Haares schöner Fülle!

Wo nur etwa ein Silbertropfe fällt,

Da hängen tausend freundschaftliche Fäden

Sich an den Tropfen in gesell'gem Gram,

Wie treue, unzertrennliche Gemüter,

Die fest im Mißgeschick zusammenhalten.

CONSTANZE.

Nach England, wenn Ihr wollt!

KÖNIG PHILIPP.

Bind't Euer Haar auf!

CONSTANZE.

Das will ich, ja: und warum will ich's tun?

Ich riß sie aus den Banden und rief laut:

»O lösten diese Hände meinen Sohn,

Wie sie in Freiheit dieses Haar gesetzt!«

Doch nun beneid' ich ihre Freiheit ihnen

Und will sie wieder in die Banden schlagen:

Mein armes Kind ist ein Gefangner ja. –

Ich hört' Euch sagen, Vater Kardinal,

Wir sehn und kennen unsre Freund' im Himmel;

Ist das, so seh' ich meinen Knaben wieder;

Denn seit des Erstgebornen Kain Zeit,

Bis auf das Kind, das erst seit gestern atmet,

Kam kein so liebliches Geschöpf zur Welt.

Nun aber nagt der Sorgen Wurm mein Knöspchen

Und scheucht den frischen Reiz von seinen Wangen,

Daß er so hohl wird aussehn wie ein Geist,

So bleich und mager wie ein Fieberschauer,

Und wird so sterben; und so auferstanden,

Wenn ich ihn treffe in des Himmels Saal,

Erkenn' ich ihn nicht mehr: drum werd' ich nie,

Nie meinen zarten Arthur wiedersehn.

PANDULPHO.

Ihr übertreibt des Grames Bitterkeit.

CONSTANZE.

Der spricht zu mir, der keinen Sohn je hatte.

KÖNIG PHILIPP.

Ihr liebt den Gram so sehr als Euer Kind.[49]

CONSTANZE.

Gram füllt die Stelle des entfernten Kindes,

Legt in sein Bett sich, geht mit mir umher,

Nimmt seine allerliebsten Blicke an,

Spricht seine Worte nach, erinnert mich

An alle seine holden Gaben, füllt

Die leeren Kleider aus mit seiner Bildung;

Drum hab' ich Ursach', meinen Gram zu lieben.

Gehabt Euch wohl! Wär' Euch geschehn, was mir,

Ich wollt' Euch besser trösten als Ihr mich.


Sie reißt ihren Kopfputz ab.


Ich will die Zier nicht auf dem Haupt behalten,

Da mein Gemüt so wild zerrüttet ist.

O Gott, mein Kind! Mein holder Sohn! Mein Arthur!

Mein Leben! Meine Lust! Mein alles du!

Mein Witwentrost und meines Kummers Heil!


Ab.


KÖNIG PHILIPP.

Ich fürcht' ein Äußerstes und will ihr folgen.


Ab.


LOUIS.

Es gibt nichts in der Welt, was mich kann freun;

Das Leben ist so schal wie 'n altes Märchen,

Dem Schläfrigen ins dumpfe Ohr geleiert;

Und Schmach verdarb des süßen Worts Geschmack,

Daß es nur Schmach und Bitterkeit gewährt.

PANDULPHO.

Vor der Genesung einer heft'gen Krankheit,

Im Augenblick der Kraft und Bess'rung, ist

Am heftigsten der Anfall; jedes Übel,

Das Abschied nimmt, erscheint am übelsten.

Was büßt Ihr ein durch dieses Tags Verlust?

LOUIS.

Des Ruhmes, Heils und Glücks gesamte Tage.

PANDULPHO.

Gewißlich, wenn Ihr ihn gewonnen hättet.

Nein, wenn das Glück den Menschen wohltun will,

So blickt es sie mit droh'nden Augen an.

Unglaublich ist's, wie viel Johann verliert

Durch das, was er für rein gewonnen achtet.

Grämt dich's, daß Arthur sein Gefangner ist?

LOUIS.

So herzlich, wie er froh ist, ihn zu haben.

PANDULPHO.

Eu'r Sinn ist jugendlich wie Euer Blut.

Nun hört mich reden mit prophet'schem Geist;

Denn selbst der Hauch des, was ich sprechen will,[50]

Wird jeden Staub und Halm, den kleinsten Anstoß

Wegblasen aus dem Pfad, der deinen Fuß

Zu Englands Thron soll führen: drum gib acht!

Johann hat Arthurn jetzt in der Gewalt,

Und, weil noch warmes Leben in den Adern

Des Kindes spielt, kann, seinem Platze fremd,

Johann unmöglich eine Stunde, ja

Nur einen Odemzug der Ruh' genießen.

Ein Szepter, mit verwegner Hand ergriffen,

Wird ungestüm behauptet wie erlangt;

Und wer auf einer glatten Stelle steht,

Verschmäht den schnöd'sten Halt zur Stütze nicht.

Auf daß Johann mag stehn, muß Arthur fallen:

So sei es, denn es kann nicht anders sein.

LOUIS.

Doch was werd' ich durch Arthurs Fall gewinnen?

PANDULPHO.

Ihr, kraft des Rechtes Eurer Gattin Bianca,

Habt jeden Anspruch dann, den Arthur machte.

LOUIS.

Und büße alles ein, wie's Arthur machte.

PANDULPHO.

Wie neu Ihr seid in dieser alten Welt!

Johann macht Bahn, die Zeit begünstigt Euch;

Denn wer sein Heil in echtes Blut getaucht,

Der findet nur ein blutig, unecht Heil.

Der Frevel wird die Herzen seines Volks

Erkälten und den Eifer frieren machen;

Daß, wenn sich nur der kleinste Vorteil regt,

Sein Reich zu stürzen, sie ihn gern ergreifen:

Am Himmel kein natürlich Dunstgebild,

Kein Spielwerk der Natur, kein trüber Tag,

Kein leichter Windstoß, kein gewohnter Vorfall,

Die sie nicht ihrem wahren Grund entreißen

Und nennen werden Meteore, Wunder,

Vorzeichen, Mißgeburten, Himmelsstimmen,

Die den Johann mit Rache laut bedrohn.

LOUIS.

Vielleicht berührt er Arthurs Leben nicht

Und hält durch sein Gefängnis sich gesichert.

PANDULPHO.

O Herr, wenn er von Eurer Ankunft hört,

Ist dann der junge Arthur noch nicht hin,

So stirbt er auf die Nachricht; und alsdann[51]

Wird all sein Volk die Herzen von ihm wenden,

Des unbekannten Wechsels Lippen küssen

Und Antrieb aus den blut'gen Fingerspitzen

Johanns zur Wut und zur Empörung ziehn.

Mich dünkt, ich seh' den Wirrwarr schon im Gang,

Und oh, was brüten noch für beßre Dinge,

Als ich genannt! – Der Bastard Faulconbridge

Ist jetzt in England, plündert Kirchen aus

Und höhnt die Frömmigkeit: wär' nur ein Dutzend

Von Euren Landesleuten dort in Waffen,

Sie wären wie Lockvögel, die zehntausend

Engländer zu sich über würden ziehn;

Oder wie wenig Schnee, umhergewälzt,

Sogleich zum Berge wird. O edler Dauphin,

Kommt mit zum König! Es ist wundervoll,

Was sich aus ihrem Unmut schaffen läßt.

Nun da der Haß in ihren Seelen gärt,

Nach England auf! Ich will den König treiben.

LOUIS.

Ja, starke Gründe machen seltsam wagen:

Kommt! Sagt Ihr Ja, er wird nicht Nein Euch sagen.


Beide ab.[52]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 47-53.
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