[172] Pomfret. Das Gefängnis in der Burg.
König Richard tritt auf.
KÖNIG RICHARD.
Ich habe nachgedacht, wie ich der Welt
Den Kerker, wo ich lebe, mag vergleichen;
Und, sintemal die Welt so volkreich ist,
Und hier ist keine Kreatur als ich,
So kann ich's nicht, – doch grübl' ich es heraus.
Mein Hirn soll meines Geistes Weibchen sein,
Mein Geist der Vater; diese zwei erzeugen
Dann ein Geschlecht stets brütender Gedanken,
Und die bevölkern diese kleine Welt
Voll Launen, wie die Leute dieser Welt:
Denn keiner ist zufrieden. Die beßre Art,
Als geistliche Gedanken, sind vermengt
Mit Zweifeln, und sie setzen selbst die Schrift
Der Schrift entgegen.
Als: »Laßt die Kindlein kommen«; und dann wieder:
»In Gottes Reich zu kommen, ist so schwer,
Als ein Kamel geht durch ein Nadelöhr.«
Die, so auf Ehrgeiz zielen, sinnen aus
Unglaubliches: mit diesen schwachen Nägeln
Sich Bahn zu brechen durch die Kieselrippen
Der harten Welt hier, dieser Kerkerwände;
Und weil's unmöglich, härmt ihr Stolz sie tot.
Die auf Gemütsruh' zielen, schmeicheln sich,
Daß sie des Glückes erste Sklaven nicht,
Noch auch die letzten sind; wie arme Toren,
Die, in den Stock gelegt, der Schmach entgehn,
Weil vielen das geschah und noch geschehn wird.
In dem Gedanken finden sie dann Trost,
Ihr eignes Unglück tragend auf dem Rücken
Von andern, die zuvor das Gleiche traf.
So spiel' ich viel Personen ganz allein,
Zufrieden keine: manchmal bin ich König,
Dann macht Verrat mich wünschen, ich wär' Bettler;[172]
Dann werd' ich's, dann beredet Dürftigkeit
Mich drückend, daß mir besser war als König.
Dann werd' ich wieder König, aber bald
Denk' ich, daß Bolingbroke mich hat entthront,
Und bin stracks wieder nichts: doch wer ich sei,
So mir als jedem sonst, der Mensch nur ist,
Kann nichts genügen, bis er kommt zur Ruh',
Indem er nichts wird. –
Musik.
Hör' ich da Musik?
Ha, haltet Zeitmaß! – Wie so sauer wird
Musik, so süß sonst, wenn die Zeit verletzt
Und das Verhältnis nicht geachtet wird!
So ist's mit der Musik des Menschenlebens.
Hier tadl' ich nun mit zärtlichem Gehör
Verletzte Zeit an einer irren Saite,
Doch für die Eintracht meiner Würd' und Zeit
Hatt' ich kein Ohr, verletztes Maß zu hören.
Die Zeit verdarb ich, nun verderbt sie mich,
Denn ihre Uhr hat sie aus mir gemacht;
Gedanken sind Minuten, und sie picken
Mit Seufzern ihre Zahlen an das Zifferblatt
Der Augen, wo mein Finger wie ein Zeiger
Stets hinweist, sie von Tränen reinigend.
Der Ton nun, der die Stunde melden soll,
Ist lautes Stöhnen, schlagend auf die Glocke,
Mein Herz; so zeigen Seufzer, Tränen, Stöhnen
Minute, Stund' und Zeit; – doch meine Zeit
Jagt zu im stolzen Jubel Bolingbrokes.
Und ich steh' faselnd hier, sein Glockenhans. –
Wenn die Musik doch schwieg', sie macht mich toll!
Denn hat sie Tollen schon zum Witz geholfen,
In mir, so scheint's, macht sie den Weisen toll.
Und doch, gesegnet sei, wer mir sie bringt!
Denn sie beweist ja Lieb', und die für Richard
Ist fremder Schmuck in dieser Hasser-Welt.
Ein Stallknecht tritt auf.
STALLKNECHT.
Heil, königlicher Fürst![173]
KÖNIG RICHARD.
Heil, edler Pair!
Wer überteuert nun den andern mehr?
Wer bist du? und wie bist hiehergekommen,
Wo niemand hinkommt, als der finstre Hund,
Der Speise bringt, das Mißgeschick zu fristen?
STALLKNECHT.
Ich war ein armer Knecht vom Marstall, König,
Als du noch König warst; nach York nun wandernd,
Erlangt' ich's mit genauer Not, zu schaun
Das Antlitz meines weiland gnäd'gen Herrn.
Oh, wie das Herz mir weh tat, anzusehn
In Londons Straßen jenen Krönungstag,
Als Bolingbroke den Barberschimmel ritt!
Das Pferd, das du so oft geritten hast!
Das Pferd, das ich so sorgsamlich gepflegt!
KÖNIG RICHARD.
Ritt er den Barber? Sag mir, lieber Freund,
Wie ging er unter ihm?
STALLKNECHT.
So stolz, als wär' die Erd' ihm zu gering.
KÖNIG RICHARD.
So stolz, daß Bolingbroke sein Reiter war!
Die Mähr' aß Brot aus königlicher Hand,
Die Hand hier machte sie mit Klatschen stolz.
Und strauchelt' er denn nicht? Fiel er nicht nieder
(Stolz kommt ja vor dem Fall) und brach den Hals
Des stolzen Manns, der seinen Rücken einnahm?
Verzeihung, Pferd! Was schelt' ich doch auf dich,
Da du, dem Menschen untertan, geboren
Zum Tragen bist? Ich, nicht als Pferd erschaffen,
Trag' eines Esels Bürde doch, gejagt
Und wund gespornt vom wilden Bolingbroke.
Gefangenwärter kommt mit einer Schüssel.
GEFANGENWÄRTER zu dem Stallknechte.
Mach' Platz, Gesell! Du darfst nicht länger weilen.
KÖNIG RICHARD.
Wenn du mich liebst, mußt du hinweg nun eilen.
STALLKNECHT.
Was nicht mein Mund sagt, soll mein Herz doch teilen.
Ab.
GEFANGENWÄRTER.
Herr, ist's gefällig, zuzugreifen?[174]
KÖNIG RICHARD.
So koste erst, wie du gewöhnlich tust!
GEFANGENWÄRTER.
Ich darf nicht, Herr: Sir Pierce von Exton, der
Kürzlich vom König kam, befiehlt das Gegenteil.
KÖNIG RICHARD.
Der Teufel hole Heinrich Lancaster und dich!
Geduld ist schal, und ich hab's nun genug.
Er schlägt den Gefangenwärter.
GEFANGENWÄRTER.
Hülfe! Hülfe! Hülfe!
Exton und Bediente kommen bewaffnet.
KÖNIG RICHARD.
Ha!
Was will der Tod mit diesem Überfall?
Schelm, deine Hand beut deines Todes Werkzeug.
Er reißt einem das Gewehr weg und erlegt ihn.
Geh du, füll' einen Platz noch in der Hölle!
Er erlegt noch einen, dann stößt ihn Exton nieder.
Die Hand soll nie verlöschend Feuerfoltern,
Die so mich stürzet. Deine freche Hand
Befleckt mit Königs Blut des Königs Land.
Auf, auf, mein Geist, den hohen Sitz zu erben,
Indes mein Fleisch hier niedersinkt, zu sterben.
Er stirbt.
EXTON.
Voll Mut so wie voll königlichem Blut:
Beides vergoß ich: wär' die Tat nur gut!
Nun flüstert mir der Teufel, der's geraten,
Sie steh' verzeichnet bei der Hölle Taten.
Den toten König bring' ich, König, dir;
Tragt fort die andern und begrabt sie hier!
Ab.
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard II.
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