Dritte Szene

[944] Vorzimmer der Königin.


Anna Bullen und eine alte Hofdame treten auf.


ANNA.

Auch deshalb nicht: – hier ist der Dorn, der sticht:

Der Herr, der so lang' mit ihr lebte; sie

So gut, daß keine Zunge jemals konnte

Was Schlechtes von ihr sagen, – o nein, wahrlich,[944]

Sie wußte nicht, was Kränken heißt; und nun

So manchen Sonnenumlauf Königin,

In Pomp und Majestät anwachsend, die

Zu lassen tausendmal noch bittrer ist,

Als süß, sie zu erlangen, – nun, nach allem,

So Schmach ihr bieten! Oh, 's ist zum Erbarmen

Und rührt wohl Ungeheu'r.

HOFDAME.

Die härtsten Seelen

Zerschmelzen in Wehklage.

ANNA.

Himmel! besser,

Sie kannte nie den Pomp! Zwar ist er weltlich,

Doch wenn das Glück, die Zänkerin, ihn schneidet

Vom Eigner, ist es Leid, so stechend, wie

Wenn Seel' und Leib sich trennen.

HOFDAME.

Arme Fürstin!

Zur Fremden ward sie wieder! –

ANNA.

Um so mehr

Muß Mitleid auf sie taun. Wahrlich, ich schwöre,

Viel besser ist's, niedrig geboren sein

Und mit geringem Volk zufrieden leben,

Als aufgeputzt im Flitterstaat des Grams

Und goldner Sorgen.

HOFDAME.

Ja, Zufriedenheit

Ist unser bestes Gut.

ANNA.

Auf Treu' und Unschuld,

Ich möchte keine Kön'gin sein!

HOFDAME.

Mein' Seel', ich wohl

Und wagte dran die Unschuld; so auch Ihr,

Trotz Eurer süßgewürzten Heuchelei:

Ihr, die Ihr alle Reize habt des Weibs,

Habt auch ein Weiberherz, das immer noch

Nach Hoheit geizte, Reichtum, Herrschermacht,

Und die, gesteht's, sind Seligkeit; die Gaben

(Wie Ihr auch zimpert) fänden doch wohl Raum

In Eurem saffian-zärtlichen Gewissen,

Wenn Ihr's nur dehnen wolltet! –

ANNA.

Nein, auf Treu'!

HOFDAME.

Treu' hin. Treu' her! – Ihr wär't nicht gerne Fürstin?[945]

ANNA.

Nein, nicht um alle Güter unterm Mond.

HOFDAME.

Kurios! Ei, mich bestäch' ein krummer Dreier,

Kön'gin zu sein, so alt ich bin: doch, bitte,

Was meint Ihr zu 'ner Herzogin? Habt Ihr

Zu solcher Bürde Kraft?

ANNA.

Nein, wahrlich nicht.

HOFDAME.

Dann seid Ihr allzu schwach! Nun, noch eins tiefer:

Ich trät' Euch nicht als junger Graf entgegen

Und mehr als ein Erröten: kann Eu'r Rücken

Die Last nicht tragen, seid Ihr auch zu schwächlich,

Um Kinder zu erzeugen.

ANNA.

Wie Ihr schwatzt!

Ich schwör' noch eins, ich wär' nicht Königin

Um alle Welt.

HOFDAME.

Seht, um das kleine England

Würd' Euch der Mund schon wässern: mir schon für

Carnarvonshire, wenn auch nichts anders sonst

Zur Krone mehr gehörte. Wer kommt da?


Der Lord Kämmerer tritt auf.


LORD KÄMMERER.

Guten Morgen, Fräulein! Wie viel wär's wohl wert,

Zu wissen, welch Geheimnis ihr bespracht?

ANNA.

Kaum Eurer Frage, lieber Lord, verlohnt sich's;

Wir klagten über unsrer Herrin Leid.

LORD KÄMMERER.

Ein löblich Thema, das sich trefflich ziemt

Für solche würd'ge Damen. Noch ist Hoffnung,

Daß alles gut wird.

ANNA.

Amen, geb' es Gott! –

LORD KÄMMERER.

Ihr habt ein freundlich Herz; des Himmels Segen

Folgt Euresgleichen. Daß Ihr seht, Mylady,

Wie wahr ich red' und wie den höchsten Blicken

Von Eurer reichen Tugend Kenntnis ward:

Hochachtungsvoll grüßt Euch des Königs Gnade

Und will Euch mit nicht mindrer Ehre schmücken

Als einer Markgräfin von Pembroke; ferner[946]

Fügt er zu solchem Titel tausend Pfund

Als Jahrgehalt hinzu.

ANNA.

Noch weiß ich kaum

Der treuen Unterwerfung Form zu wählen.

Mehr denn mein alles ist noch nichts; mein Beten

Nicht heilig g'nug, noch meine Wünsche mehr

Als leerer Schall: doch Wünsche und Gebete

Sind, was ich darzubieten hab'. Ich bitt' Euch,

Versucht zu schildern meines Danks Gehorsam,

Als einer tief beschämten Magd, dem König,

Für dessen Heil und Kron' ich bete.

LORD KÄMMERER.

Fräulein,

Ich eil', in seiner günst'gen Meinung noch

Zu stärken meinen Herrn.


Beiseit.


Wohl prüft' ich sie,

Schönheit und Zucht sind so verwebt in ihr,

Daß sie den Herrn umstrickten; und wer weiß,

Ob ihr nicht ein Juwel entsprießen mag,

Dies ganze Land durchstrahlend. – Jetzt zum König,

Ihm melden, daß ich Euch gesehn.

ANNA.

Mein teurer Lord! –


Lord Kämmerer ab.

HOFDAME.

Da haben wir's! Nun seht einmal, nun seht!

Ich habe sechszehn Jahr am Hof gebettelt,

Bin stets noch bettelhaft am Hof, und zwischen

Zu zeitig und zu spät traf ich's noch nie,

Warb ich um ein'ge Pfund. Und Ihr? O Schicksal!

Ihr, noch ein junger Weißfisch (Zeter über

Dies aufgedrängte Glück!), kriegt voll den Mund,

Eh' Ihr die Lippen öffnet!

ANNA.

Seltsam, in Wahrheit!

HOFDAME.

Wie schmeckt's? Ist's bitter? Ich wett' 'nen Taler, nein!

Es war 'mal eine Dam' (erzählt ein Märchen),

Die wollte Königin nicht sein, durchaus nicht,

Um allen Schlamm Ägyptens nicht. – Kennt Ihr's?

ANNA.

Geht, Ihr seid munter!

HOFDAME.

Ich, in Eurer Stelle,

Flög' über Lerchenweg. Markgräfin Pembroke![947]

Eintausend Pfund des Jahrs! Aus bloßer Achtung!

Und von Verpflichtung nichts! Bei meinem Leben,

Mehr Tausende verspricht das. Der Ehre Schlepp'

Ist länger als ihr Vorderkleid. Nun, jetzo

Tragt Ihr wohl auch die Herzogin? Nicht wahr?

Seid Ihr nicht stärker schon?

ANNA.

Mein gutes Fräulein,

Ergetzt Euch selbst mit Euren eignen Grillen

Und laßt mich aus dem Spiel! – Stürb' ich doch lieber,

Wenn dies mein Blut erhitzt; nein, es erschreckt mich,

Zu denken, was mag folgen. –

Die Königin ist trostlos, wir vergeßlich,

Sie so allein zu lassen. Bitt' Euch, sagt nicht,

Was Ihr gehört.

HOFDAME.

Was denkt Ihr nur von mir?


Beide ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 944-948.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Heinrich VIII.
König Heinrich VIII. / King Henry VIII.

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon