[66] Lucius tritt auf mit gotischen Hauptleuten. Trommeln.
LUCIUS.
Bewährte Krieger, Freunde, treu erprobt,
Botschaft erhielt ich aus dem großen Rom,
Wie sehr dem Volk der Kaiser jetzt verhaßt,
Und wie's in Sehnsucht unsrer Ankunft harrt.
Drum, edle Herrn, seid, wie ihr Anspruch habt,
Kräftig im Zorn, unduldsam jener Schmach;
Und wie euch damals Rom erniedrigte,
So nehmt euch jetzt dreifältigen Ersatz!
GOTE.
Du tapfrer Zweig von Titus' großem Stamm,
Des Ruhm einst unser Schreck, jetzt unser Trost,
Des hohe Taten und erhabnen Glanz
Herzlos mit Hohn und Undank Rom vergilt, –
Vertrau' auf uns: wir folgen, wo du führst,
Wie Bienen stechend, wenn der Weiser sie
Am heißen Mittag ruft ins Blumenfeld,
Und zücht'gen die verhaßte Tamora.
ALLE.
Und wie er sprach, so spricht das ganze Heer.
LUCIUS.
Ich dank' ihm ehrfurchtsvoll; euch allen Dank! –
Wer naht? geführt von einem rüst'gen Goten?
Ein Gote führt den Aaron, der sein Kind auf dem Arm trägt.
GOTE.
Ruhmvoller Lucius, ich ging ab vom Heer,
Ein wüst verfallnes Kloster zu betrachten;
Und als ich aufmerksam den Blick gewandt
Auf die zerstörten Mauern, – plötzlich, Herr,
Hört' ich ein Kind im Steingewölbe schrein.
Ich ging dem Laute nach, da hört' ich bald[66]
Den schrei'nden Wurm gestillt mit dieser Rede:
»Schweig', brauner Schelm! halb ich, halb deine Mutter!
Wenn nicht die Farbe sprach, wes Brut du seist,
Gab dir Natur nur deiner Mutter Weiß, –
So konnt'st du Schurke wohl ein Kaiser werden.
Allein wo Stier und Kuh milchweiß von Farbe,
Da zeugten sie noch nie ein schwarzes Kalb.
Still, still, du Schelm« (so schalt er jetzt das Kind),
»Zu einem wackern Goten bring' ich dich,
Der, wenn er weiß, du seist der Kais'rin Blut,
Dich wert wird halten deiner Mutter halb. –«
Drauf mit gezücktem Schwert sprang ich heran,
Ergriff ihn augenblicks und schleppt' ihn her,
Daß du mit ihm verfährst, wie dir's bedünkt.
LUCIUS.
O Freund, dies ist der eingefleischte Teufel,
Der Titus seiner tapfern Hand beraubt,
Die Perle, die der Kais'rin Aug' ergötzt;
Dies seiner schnöden Lust verdammte Frucht.
Felsäug'ger Sklav', wem wolltest du vertraun
Dies künft'ge Abbild deiner Mißgestalt?
Wie, sprichst du nicht? Was, taub? Nein, nicht ein Wort;
Ein Strick, Soldaten; hier am Baum geschwind
Hängt ihn mir auf mit seinem Bastardkind!
AARON.
Rührt nicht das Kind! Es ist aus Königsblut!
LUCIUS.
Dem Vater allzu gleich, drum nimmer gut:
Erst hängt den Sohn; er mag ihn zappeln sehn,
So sterb' er hin in Vaterschmerz und Wehn!
Schafft eine Leiter! –
AARON.
Lucius, laß das Kind,
Und send' es an die Kaiserin von mir!
Ich melde Wunderdinge, wenn du's tust,
Die dir zu wissen höchsten Vorteil bringt.
Willst du es nicht, wohlan, mir gilt es gleich,
Ich schweige jetzt, doch Pest und Fluch auf euch! –
LUCIUS.
So sprich denn, und gefällt mir, was du sagst,
So lebt dein Kind, ich lass' es auferziehn.
AARON.
Wenn dir's gefällt? Nein, das beteur' ich, Lucius,
Es wird dein Herz zerreißen, was du hörst.[67]
Ich muß von Totschlag reden, Mord und Raub,
Von nächt'gen Taten und verruchtem Greu'l,
Verrat, fluchwürd'gem Anschlag, Missetat,
Betrübt zu hören, kläglicher erlebt;
Und dies begräbt auf ewig dir mein Tod,
Wenn du nicht schwörst, du rettest mir mein Kind.
LUCIUS.
Sprich, was du weißt, ich sag' dir, es soll leben.
AARON.
Das schwöre mir, und gleich beginn' ich dann.
LUCIUS.
Schwören? Bei wem? Du glaubst ja keinen Gott;
Ist das, wie kannst du glauben einem Eid?
AARON.
Und wenn ich's nie getan? Ich tu's auch nicht!
Doch weil ich weiß, du hältst auf Religion,
Glaubst an das Ding, das man Gewissen nennt,
Und an der Pfaffen Brauch und Observanz,
Die ich dich sorgsam hab' erfüllen sehn, –
Deshalb fordr' ich den Eid von dir. Ich weiß,
Ein Dummkopf hält 'nen Schellenstab für Gott,
Und ehrt den Eid, den er dem Gotte schwur;
Drum fordr' ich ihn. Deshalb gelobe mir
Bei jenem Gott, – gleichviel, was für ein Gott, –
Zu dem du betest und den du verehrst, –
Mein Kind zu schonen und es zu erziehn;
Und weigerst du mir das, entdeck' ich nichts.
LUCIUS.
Bei meinem Gotte schwör' ich dir, ich will's.
AARON.
Erst wiss', ich zeugt' es mit der Kaiserin.
LUCIUS.
O unersättliches, verbuhltes Weib!
AARON.
Pah, Lucius, das war nur ein Liebeswerk,
Mit dem verglichen, was du hören sollst. –
Ihre zwei Söhn' ermordeten Bassianus;
Sie schändeten Lavinien, schnitten ihr
Die Zung' und ihre beiden Hände ab,
Und schmückten sie heraus, wie du's gesehn.
LUCIUS.
Das nennst du schmücken, gift'ger Bösewicht?
AARON.
Gewaschen, zugestutzt und aufgeschmückt,
Ein schmucker Spaß zugleich für alle drei! –
LUCIUS.
O wilde, vieh'sche Buben, wie du selbst![68]
AARON.
Nun ja, ich war der Lehrer zu der Tat.
Die hitz'ge Ader stammt von ihrer Mutter,
So wahr 'ne Karte je den Satz gewann;
Die blut'ge Neigung lernten sie von mir,
So wahr ein Bullenbeißer packt von vorn. –
Nun zeuge meine Tat von meinem Wert:
Ich lockte deine Brüder in die Gruft,
Wo des Bassian erschlagner Körper lag.
Ich schrieb den Brief, den drauf dein Vater fand,
Und barg das Gold, des jener Brief erwähnt,
Im Bund mit Tamora und ihren Söhnen.
Und was ist je geschehn, das dich verletzt,
Wo ich zum Unheil nicht die Hand geboten?
Ich spielte falsch um deines Vaters Hand,
Und als ich ihn betört, trat ich beiseit,
Erstickend fast vor unerhörtem Lachen.
Ich duckte mich an einer Mauer Spalt,
Als er die Hand gab für der Söhne Häupter;
Sah, wie er weint', und lachte dann so herzlich,
Daß mir die Augen tränten so wie ihm;
Und als ich Tamora den Spaß beschrieb,
Erstarb sie fast, so lieb war ihr die Mär,
Und gab mir zwanzig Küsse für die Zeitung.
GOTE.
Das alles sprichst du, und errötest nicht?
AARON.
Ja, wie ein schwarzer Hund, so heißt das Sprichwort.
LUCIUS.
Und reun dich diese Freveltaten nie?
AARON.
Ja, daß ich nicht noch tausend mehr verübt! –
Noch fluch' ich jedem Tag – (und glaube doch,
Nicht viele stehn in dieses Fluchs Bereich),
Wo ich besondre Bosheit nicht beging:
Jemand erschlug, wo nicht, die Anstalt traf;
'ne Dirn' entehrt, wo nicht, den Plan geschmiedet;
Unschuldige verklagt auf falschen Eid;
Todfeindschaft unter Freunden angeschürt;
Den Herden armer Leute brach den Hals;
In Scheun' und Schober Kohlen warf bei Nacht,
Und rief dem Eigner: »Löscht den Brand mit Tränen!«[69]
Oft grub ich tote Körper aus dem Grab
Und stellte sie vor lieber Freunde Tür,
Recht wenn ihr Kummer fast vergessen war;
Und wie auf Baumesrind' in ihre Haut
Ritzt' ich mit meinem Dolch in röm'scher Schrift:
»Eu'r Kummer lebe fort, obgleich ich starb!« –
Gelt, tausend Greuel hab' ich ausgeübt,
So leichten Sinns, als einer Fliegen fängt;
Und nichts, in Wahrheit, geht mir so zu Herzen,
Als daß mir nicht zehntausend noch gelingen.
LUCIUS.
Den Teufel fort! Sein Tod muß sich verlängen,
Zu kurze Qual wär' ihm ein schnelles Hängen.
AARON.
Wenn's Teufel gibt, möcht' ich ein Teufel sein,
In ew'gem Feu'r zu leben und zu brennen,
Hätt' ich dich zur Gesellschaft all die Zeit,
Dich stets zu martern mit der bittern Zunge.
LUCIUS.
Hör' auf mit Lästern, stopft ihm seinen Mund!
Ein Gote tritt auf.
GOTE.
Feldherr, es ist ein Bote hier aus Rom,
Der fragt, ob er vor dir erscheinen dürfe.
LUCIUS.
Führt ihn herein! –
Ämilius wird hereingeführt.
Willkomm', Ämilius! sag, wie steht's in Rom?
ÄMILIUS.
Glorreicher Lucius, und ihr Gotenfürsten,
Der röm'sche Kaiser grüßet euch durch mich;
Und weil er hört, ihr steht in Waffen hier,
Wünscht er Gespräch in eures Vaters Haus;
Und fordert ihr, daß er euch Geiseln stellt,
Dann augenblicklich sendet er sie her.
GOTE.
Was sagt mein Feldherr?
LUCIUS.
Ämilius, Geiseln stelle Saturnin
An meinen Vater wie an meinen Ohm,
So kommen wir. – Zieht weiter!
Alle ab.[70]
Ausgewählte Ausgaben von
Titus Andronicus
|
Buchempfehlung
Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«
270 Seiten, 9.60 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro