Zweite Szene

[155] Ein Zimmer in Capulets Hause.


Capulet, Gräfin Capulet, Wärterin, Bediente.


CAPULET.

So viele Gäste lad', als hier geschrieben!


Ein Bedienter ab.


Du, Bursch, geh', miet' mir zwanzig tücht'ge Köche!

BEDIENTER. Ihr sollt gewiß keine schlechten kriegen, gnäd'ger Herr; denn ich will erst zusehn, ob sie sich die Finger ablecken können.

CAPULET. Was soll das für eine Probe sein?

BEDIENTER. Ei, gnädiger Herr, das wäre ein schlechter Koch, der seinen eignen Finger nicht ablecken könnte. Drum, wer das nicht kann, der geht nicht mit mir.

CAPULET.

Geh, mach fort! –


Bedienter ab.


Die Zeit ist kurz, es wird an manchem fehlen. –

Vie ist's? Ging meine Tochter hin zum Pater?

WÄRTERIN.

Ja, wahrhaftig.

CAPULET.

Wohl! Gutes stiftet er vielleicht bei ihr:

Sie ist ein albern, eigensinnig Ding.


Julia tritt auf.


WÄRTERIN.

Seht, wie sie fröhlich aus der Beichte kömmt!

CAPULET.

Nun, Starrkopf? Sag, wo bist herumgeschwärmt?

JULIA.

Wo ich gelernt, die Sünde zu bereun

Hartnäck'gen Ungehorsams gegen Euch

Und Eu'r Gebot, und wo der heil'ge Mann

Mir auferlegt, vor Euch mich hinzuwerfen,

Vergebung zu erflehn. – Vergebt, ich bitt' Euch;

Von nun an will ich stets Euch folgsam sein.

CAPULET.

Schickt nach dem Grafen, geht und sagt ihm dies:

Gleich morgen früh will ich dies Band geknüpft sehn.

JULIA.

Ich traf den jungen Grafen bei Lorenzo,

Und alle Huld und Lieb' erwies ich ihm,

So das Gesetz der Zucht nicht übertritt.[155]

CAPULET.

Nun wohl! das freut mich, das ist gut. – Steh auf!

So ist es recht. – Laßt mich den Grafen sehn!

Potztausend! Geht, sag' ich, und holt ihn her! –

So wahr Gott lebt, der würd'ge fromme Pater,

Von unsrer ganzen Stadt verdient er Dank.

JULIA.

Kommt, Amme! Wollt Ihr mit mir auf mein Zimmer,

Mir helfen Putz erlesen, wie Ihr glaubt,

Daß mir geziemt, ihn morgen anzulegen?

GRÄFIN CAPULET.

Nein, nicht vor Donnerstag; es hat noch Zeit.

CAPULET.

Geh mit ihr, Amme! Morgen geht's zur Kirche.


Julia und die Amme ab.


GRÄFIN CAPULET.

Die Zeit wird kurz zu unsrer Anstalt fallen:

Es ist fast Nacht.

CAPULET.

Blitz! ich will frisch mich rühren,

Und alles soll schon gehn, Frau, dafür steh' ich.

Geh du zu Julien, hilf an ihrem Putz!

Ich gehe nicht zu Bett: laßt mich gewähren,

Ich will die Hausfrau diesmal machen. – Heda! –

Kein Mensch zur Hand? – Gut, ich will selber gehn

Zum Grafen Paris, um ihn anzutreiben

Auf morgen früh: mein Herz ist mächtig leicht,

Seit dies verkehrte Mädchen sich besonnen.


Capulet und die Gräfin ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 155-156.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Romeo und Julia
Romeo and Juliet / Romeo und Julia
Romeo und Julia /Hamlet /Othello
Romeo und Julia: Zweisprachige Ausgabe
Romeo und Julia (insel taschenbuch)
Romeo und Julia: Übersetzt von Erich Fried (Suhrkamp BasisBibliothek)

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon