Zweite Szene

[629] Ebendaselbst.


Der Pförtner kommt; es wird geklopft.


PFÖRTNER. Das ist ein Klopfen! Wahrhaftig, wenn einer Hölenpförtner wäre, da hätte er was zu schließen. Poch, poch, poch: Wer da, in Beelzebubs Namen? Ein Pachter, der sich in Erwartung einer reichen Ernte aufhing. Zur rechten Zeit gekommen; habt Ihr auch Schnupftücher genug bei Euch? denn hier werdet Ihr dafür schwitzen müssen! – Poch, poch: Wer da, in des andern Teufels Namen? Mein' Treu', ein Zweideutler, der in beide Schalen gegen jede Schale schwören konnte, der um Gottes willen Verrätereien genug beging und sich doch nicht zum Himmel hinein zweideuteln konnte. Herein, Zweideutler! – Poch, poch, poch: Wer da? Mein' Treu', ein englischer Schneider, hier angekommen, weil er etwas aus einer französischen Hose gestohlen: herein, Schneider; hier kannst du deine Bügelgans braten. Poch, poch – Keine Ruhe! Wer seid Ihr? Aber hier ist es zu kalt für die Hölle; ich mag nicht länger Teufelspförtner sein. Ich dachte, ich wollte von jedem Gewerbe einige herein lassen,[629] die den breiten Rosenpfad zum ewigen Freudenfeuer wandeln. – Gleich, gleich! Ich bitt' Euch, bedenkt doch, daß der Pförtner auch ein Mensch ist!


Er öffnet das Tor; Macduff und Lenox kommen herein.


MACDUFF. Kamest du so spät zu Bett, Freund, daß du nun so spät aufstehst?

PFÖRTNER. Mein' Seel', Herr, wir zechten, bis der zweite Hahn krähte; und der Trunk ist ein großer Beförderer von drei Dingen.

MACDUFF. Was sind denn das für drei Dinge, die der Trunk vorzüglich befördert?

PFÖRTNER. Ei, Herr, rote Nasen, Schlaf und Urin. Buhlerei befördert und dämpft er zugleich: er befördert das Verlangen und dämpft das Tun. Darum kann man sagen, daß vieles Trinken ein Zweideutler gegen die Buhlerei ist: es schafft sie und vernichtet sie; treibt sie an und hält sie zurück; macht ihr Mut und schreckt sie ab; heißt sie, sich brav halten und nicht brav halten; zweideutelt sie zuletzt in Schlaf, straft sie Lügen und geht davon.

MACDUFF. Ich glaube, der Trunk strafte dich die Nacht Lügen.

PFÖRTNER. Ja, Herr, das tat er, in meinen Hals hinein; aber ich vergalt ihm seine Lügen, und ich denke, ich war ihm doch zu stark; denn obgleich er mir die Beine ein paar Mal unten weg zog, so fand ich doch einen Kniff, ihn hinaus zu schmeißen.

MACDUFF. Ist dein Herr schon aufgestanden?

Geweckt hat unser Klopfen ihn; hier kommt er.


Macbeth tritt auf.


LENOX.

Guten Morgen, edler Herr!

MACBETH.

Guten Morgen, beide!

MACDUFF.

Wacht schon der König, würd'ger Than?

MACBETH.

Noch nicht.

MACDUFF.

Mir gab er den Befehl, ihn früh zu wecken;

Die Zeit versäumt' ich fast.

MACBETH.

Ich führ' Euch hin.

MACDUFF.

Ich weiß, es ist 'ne Müh', die Euch erfreut;

Doch es ist eine Müh'.[630]

MACBETH.

Die Arbeit, die uns freut, wird zum Ergötzen.

Hier ist die Tür.

MACDUFF.

Ich bin so kühn, zu rufen;

Nur dies ward mir befohlen.


Er geht ab.


LENOX.

Reist der König

Heut ab?

MACBETH.

So ist's; er hat es so bestimmt.

LENOX.

Die Nacht war stürmisch; wo wir schliefen, heult' es

Den Schlot herab; und wie man sagt, erscholl

Ein Wimmern in der Luft, ein Todesstöhnen,

Ein Prophezein in fürchterlichem Laut,

Von wildem Brand und gräßlichen Geschichten,

Neu ausgebrütet einer Zeit des Leidens.

Der dunkle Vogel schrie die ganze Nacht durch:

Man sagt, die Erde bebte fieberkrank.

MACBETH.

Es war 'ne rauhe Nacht.

LENOX.

Mein jugendlich Gedächtnis sucht umsonst

Nach ihresgleichen.


Macduff kommt von oben herunter.


MACDUFF.

O Grausen! Grausen! Grausen! Zung' und Herz

Faßt es nicht, nennt es nicht!

MACBETH UND LENOX.

Was ist geschehn?

MACDUFF.

Jetzt hat die Höll' ihr Meisterstück gemacht!

Der kirchenräuberische Mord brach auf

Des Herrn geweihten Tempel und stahl weg

Das Leben aus dem Heiligtum.

MACBETH.

Was sagt Ihr?

Das Leben?

LENOX.

Meint Ihr Seine Majestät?

MACDUFF.

Geht ein zur Kammer und zerstört die Sehkraft

Durch eine neue Gorgo! Verlangt nicht, daß ich spreche;

Seht! und dann redet selbst! Erwacht! Erwacht!


Macbeth und Lenox gehen ab.


Die Sturmglock' angeschlagen! Mord! Verrat!

Banquo und Donalbain! Malcolm! Erwacht!

Werft ab den flaum'gen Schlaf, des Todes Abbild,[631]

Und seht ihn selbst, den Tod! – Auf, auf, und schaut

Des Weltgerichtes Vorspiel! – Malcolm! Banquo!

Steigt wie aus eurem Grab! wie Geister schreitet,

Als Grau'ngefolge diesen Mord zu schaun!

Die Glocken stürmt!


Lady Macbeth triff auf.


LADY MACBETH.

Was ist denn vorgefallen,

Daß solche schreckliche Trompete ruft

Zum Rat die Schläfer dieses Hauses? Sprecht!

MACDUFF.

O zarte Frau,

Ihr dürft nicht hören, was ich sagen könnte.

Vor eines Weibes Ohr es nennen, wäre

Ein Mord, wie Ihr's vernähmt.


Banquo tritt auf.


O Banquo! Banquo!

Der König, unser Herr, ermordet!

LADY MACBETH.

Wehe!

In unserm Haus?

BANQUO.

Zu grausam, wo auch immer! –

Oh, lieber Macduff, widersprich dir selber,

Und sag, es sei nicht so!


Macbeth und Lenox kommen zurück.


MACBETH.

Wär' ich gestorben, eine Stunde nur,

Eh' dies geschah, gesegnet war mein Dasein!

Von jetzt gibt es nichts Ernstes mehr im Leben:

Alles ist Tand, gestorben Ruhm und Gnade!

Der Lebenswein ist ausgeschenkt, nur Hefe

Blieb noch zu prahlendem Gewölbe.


Malcolm und Donalbain treten auf.


DONALBAIN.

Wem

Geschah ein Leid?

MACBETH.

Euch selbst, und wißt es nicht:

Der Born, der Ursprung Eures Blutes ist

Versiegt, die Lebensquelle selbst versiegt.

MACDUFF.

Eu'r königlicher Vater ist ermordet.[632]

MALCOLM.

Ha! von wem?

LENOX.

Die Kämmerlinge, scheint es, sind die Täter;

Denn Händ' und Antlitz trugen blut'ge Zeichen,

Auch ihre Dolche, die unabgewischt

Auf ihren Polstern lagen. Wie im Wahnsinn,

So starrt' ihr Auge, und es war gefährlich,

Nur ihnen nah' zu kommen.

MACBETH.

Oh! jetzt bereu' ich meine Wut, daß ich

Sie niederstieß.

MACDUFF.

Warum habt Ihr's getan?

MACBETH.

Wer ist weis' und entsetzt, gefaßt und wütig,

Pflichttreu und kalt in einem Augenblick?

Kein Mensch. Die Raschheit meiner heft'gen Liebe

Lief schneller als die zögernde Vernunft. –

Duncan lag hier, die Silberhaut verbrämt

Mit seinem goldnen Blut – die offnen Wunden,

Sie waren wie ein Riß in der Natur,

Wo Untergang vernichtend einzieht; dort die Mörder,

Getaucht in ihres Handwerks Farb', die Dolche

Abscheulich von geronn'nem Blute schwarz.

Wer konnte sich da zügeln, der ein Herz

Voll Liebe hatt', und in dem Herzen Mut,

Die Liebe zu beweisen?

LADY MACBETH.

Helft mir fort! –

MACBETH.

Seht nach der Lady.

MALCOLM.

Weshalb schweigen wir,

Da unser Anspruch an dies Weh der nächste?

DONALBAIN.

Was soll'n wir sprechen, hier, wo unser Schicksal

Herstürzen kann aus irgendeinem Winkel,

Uns zu ergreifen? Fort, denn unsre Tränen

Sind noch nicht reif.

MALCOLM.

Noch unser heft'ger Gram

Zum Fliehn geschickt.

BANQUO.

Seht nach der Lady! –


Lady Macbeth wird fortgeführt.


Und haben wir verhüllt der Schwäche Blößen,

Die Fassung jetzt entbehrt, treffen wir uns[633]

Und forschen dieser blut'gen Untat nach,

Den Grund zu sehn. Uns schütteln Furcht und Zweifel;

Ich steh' in Gottes großer Hand, und so

Kämpf' ich der ungesprochnen Anmutung

Bösen Verrats entgegen.

MACBETH.

So auch ich.

ALLE.

Wir alle.

MACBETH.

Laßt, mit Entschlossenheit gerüstet, wieder

Uns in der Halle treffen!

ALLE.

Wohl, so sei's.


Malcolm und Donalbain bleiben; die übrigen gehn ab.


MALCOLM.

Was tust du? Laß uns nicht zu ihnen halten:

Erlognen Schmerz zu zeigen, ist 'ne Kunst,

Die leicht dem Falschen wird. Ich geh' nach England.

DONALBAIN.

Nach Irland ich; unser getrenntes Glück

Verwahrt uns besser. Wo wir sind, drohn Dolche

In jedes Lächeln: um so blutsverwandter,

So mehr verwandt dem Tode.

MALCOLM.

Der mörderische Pfeil ist abgeschossen

Und fliegt noch; Sicherheit ist nur für uns,

Vermeiden wir das Ziel. Drum schnell zu Pferde,

Und zaudern wir nicht, jene noch zu grüßen:

Nein, heimlich fort! Nicht strafbar ist der Dieb,

Der selbst sich stiehlt, wo keine Gnad' ihm blieb.


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 629-634.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Macbeth
Lektürehilfen William Shakespeare
Macbeth
Macbeth: Zweisprachige Ausgabe
Die Tragödie des Macbeth (insel taschenbuch)
Macbeth. Textanalyse und Interpretation mit ausführlicher Inhaltsangabe und Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon