[962] Feld.
Timon tritt auf.
TIMON.
Laß mich noch einmal auf dich schaun, du Mauer.
Die diese Wölf umschließt! Tauch' in die Erde,
Schütz' nicht Athen! Frau'n, werdet zügellos!
Trotzt euren Eltern, Kinder! Sklaven, Narren,
Reißt von dem Sitz die würd'gen Senatoren,
Und haltet Rat statt ihrer! Jungfrau'nreinheit
Verkehre plötzlich sich zu frecher Schande,
In Gegenwart der Eltern! Bankrutierer,
Halt' fest, gib nichts zurück; heraus das Messer,
Für deines Gläub'gers Hals! Stehlt, ihr Leibeignen!
Langhänd'ge Räuber sind ja eure Herrn
Und plündern durch Gesetz. Magd, in deines Herren Bett!
Die Frau ist im Bordell. Sohn, sechzehn alt,
Die Krücke reiß' dem lahmen Vater weg,
Und schlag' ihm aus das Hirn! Furcht, Frömmigkeit,
Scheu vor den Göttern, Friede, Recht und Wahrheit,
Zucht, Häuslichkeit, Nachtruh' und Nachbartreue,
Belehrung, Sitte, Religion, Gewerbe,
Achtung und Brauch, Gesetz und Recht der Stände,
Stürzt euch vernichtend in eu'r Gegenteil,
Bis zur Vernichtung lebt! – Pest, Menschenwürger,
Häuf deine mächt'gen, gifterfüllten Fieber
All' auf Athen, zum Falle reif! Du Hüftweh,
Die Senatoren krümm', daß ihre Glieder
Lahm gleich den Sitten werden! Lust und Frechheit,
Schleich' in das Mark und das Gemüt der Jugend,[962]
Daß sie, dem Tugendstrom entgegen schwimmend,
In Wüstheit sich ertränkt! Mit Schwür' und Beulen
Sei ganz Athen besät' und ew'ger Aussatz
Die Ernte! Atem stecke Atem an,
Daß ihre Näh' gleich ihrer Freundschaft sei:
Gift durch und durch! Nichts nehm' ich von dir mit,
Als Nacktheit, du, des Abscheus würd'ge Stadt!
Nimm auch noch das, mit hundertfachen Flüchen!
Timon geht nun zum Wald; das wildste Tier
Zeigt Lieb' ihm mehr, als je die Menschen hier.
Auf ganz Athen, hört, Götter insgesamt,
Auf Stadt und Land zugleich die Blitze flammt!
Daß Timons Haß mit den Jahren wachs', ersuch' ich,
Und alle Menschen, niedrig, hoch, verfluch' ich!
Amen!
Geht ab.
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Timon von Athen
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