[965] Wald.
Timon tritt auf.
TIMON.
O Lichtgott, Segen zeugend, zieh' hinauf
Dunstfäulnis; deiner Schwester Luftbahn sei
Vergiftet! Zwillingsbrüder eines Schoßes, –
Deren Erzeugung, Wohnung und Geburt
Fast ungetrennt, – trifft sie verschiednes Glück, –
Der Größre höhnt den Niedern: ja, Natur
(Von Wunden rings bedrängt), sie kann groß Glück
Ertragen nur, wenn sie Natur verachtet.
Heb' diesen Bettler und versag's dem Lord, –
Folgt angeerbte Schmach dem Senatoren,
Dem Bettler eingeborne Ehre.
Besitztum schwellt des Bruders Seiten auf,
Der Mantel zeugt den Abfall. Wer, wer darf
In reiner Mannheit aufrecht stehn und sagen:
»Ein Schmeichler ist der Mensch.« Wenn's einer ist,
So sind es all'; denn jeder höhern Staffel
Des Glücks schmiegt sich die untre: goldnem Dummkopf
Duckt der gelehrte Schädel: schief ist alles;
Nichts grad' in unsrer fluchbeladnen Menschheit,
Als Bosheit ungekrümmt. Drum seid verabscheut,
Gelage all', Gesellschaft, Menschendrang!
Denn Timon haßt die Gleichgeschaffnen, ja sich selbst.
Zernichtung dem Geschlecht der Menschen! – Erde,
Gib Wurzeln mir!
Er gräbt.
Wer Beßres in dir sucht, dem würz' den Gaumen
Mit deinem schärfsten Gift! Was find' ich hier?
Gold? kostbar, flimmernd, rotes Gold? Nein, Götter!
Nicht eitel fleht' ich. Wurzeln, reiner Himmel!
So viel hievon macht schwarz weiß, häßlich schön,
Schlecht gut, alt jung, feig tapfer, niedrig edel.[965]
Ihr Götter! warum dies? warum dies, Götter?
Ha! dies lockt euch den Priester vom Altar,
Reißt Halbgenes'nen weg das Schlummerkissen.
Ja, dieser rote Sklave löst und bindet
Geweihte Bande; segnet den Verfluchten.
Er macht den Aussatz lieblich, ehrt den Dieb
Und gibt ihm Rang, gebeugtes Knie und Einfluß
Im Rat der Senatoren; dieser führt
Der überjähr'gen Witwe Freier zu;
Sie, von Spital und Wunden giftig eiternd,
Mit Ekel fortgeschickt, verjüngt balsamisch
Zu Maienjugend dies. Verdammt Metall,
Gemeine Hure du der Menschen, die
Die Völker tört! Komm, sei das, was du bist!
Man hört von weitem einen Marsch.
Ha! eine Trommel?
Lebendig bist du, doch begrab' ich dich.
Ja, laufen wirst du noch, du starker Dieb,
Wenn dein gichtkranker Wärter nicht kann stehn –
Doch so viel bleib' als Handgeld.
Er behält einiges Gold zurück.
Alcibiades tritt auf mit Trommeln und Pfeifen, auf kriegerische Weise.
Phrynia und Timandra.
ALCIBIADES.
Wer bist du dorten? Sprich!
TIMON.
Ein Vieh wie du. Mög' doch dein Herz verfaulen,
Weil du mir wieder Menschenantlitz zeigst!
ALCIBIADES.
Wie nennst du dich? Ist Mensch dir so verhaßt,
Und bist doch selbst ein Mensch?
TIMON.
Misanthropos bin ich, und hasse Menschheit.
Wärst du doch, besser dran zu sein, ein Hund,
So liebt' ich etwas dich.
ALCIBIADES.
Ich kenne dich;
Doch unbekannt und fremd ist mir dein Schicksal.
TIMON.
Dich kenn' ich auch; mehr wünsch' ich nicht zu wissen,
Als daß du mir bekannt. Folg' deiner Trommel,
Bemal' mit Menschenblut den Grund, rot, rot;[966]
Göttlich Gebot, menschlich Gesetz ist grausam:
Was soll der Krieg denn sein? Hier deine Dirne
Trägt mehr Zerstörung in sich als dein Schwert,
Trotz ihrem Engelsblick.
PHRYNIA.
Daß dir die Lippen faulen!
TIMON.
Nicht küssen will ich dich: so bleibt Verwesung
Dir an den Lippen hangen.
ALCIBIADES.
Wie ward der edle Timon so verwandelt?
TIMON.
So wie der Mond, wenn Licht ihm fehlt zu geben;
Doch konnt' ich nicht mich, wie der Mond, erneuen;
Mir borgte keine Sonne.
ALCIBIADES.
Edler Timon,
Kann ich dir Freundschaft zeigen?
TIMON.
Eine nur,
Bestärke meinen Glauben!
ALCIBIADES.
Welchen, Timon?
TIMON.
Versprich mir Freundschaft, aber halte nichts!
Versprichst du nicht, so strafen dich die Götter,
Denn du bist Mensch! Und hältst du, so vernichten
Die Götter dich, denn du bist Mensch!
ALCIBIADES.
Von deinem Elend hörte ich schon reden.
TIMON.
Du sahst es damals, als das Glück mir lachte.
ALCIBIADES.
Ich seh' es jetzt; damals war Freudenzeit.
TIMON.
Wie deine jetzt: zwei Huren stützen sie.
TIMANDRA.
Ist dies die Zier Athens, von dem die Welt
So schön und rühmlich sprach?
TIMON.
Bist du Timandra?
TIMANDRA.
Ja.
TIMON.
Bleib' Hure stets! Dich liebt nicht, wer dich braucht;
Gib Krankheit dem, der seine Lust dir läßt!
Brauch' deine würz'gen Stunden: deine Sklaven
Verkrüpple für das Bad; zur Hungerkur
Den blüh'nden Jüngling!
TIMANDRA.
An den Galgen, Scheusal!
ALCIBIADES.
Verzeih' ihm, hold Geschöpf, denn sein Verstand
Ertrank und ging in seinem Elend unter. –
Nur wenig Goldbesitz' ich, wackrer Timon,
Und dieser Mangel bringt zum Aufstand täglich[967]
Mein darbend Heer. Mit Leid vernahm ich, wie
Athen verrucht hat deines Werts vergessen
Und deines tapfern Streits, als Nachbarstaaten,
Wenn nicht dein glücklich Schwert war, es bewältigt.
TIMON.
Ich bitte, schlag' die Trommel, mach' dich fort!
ALCIBIADES.
Ich bin dein Freund, beklag' dich, teurer Timon.
TIMON.
Wie kannst du den beklagen, den du plagst?
Ich wäre gern allein.
ALCIBIADES.
Nun, so leb wohl!
Nimm dieses Gold!
TIMON.
Behalt', ich kann's nicht essen.
ALCIBIADES.
Wenn ich Athen, das stolze, umgestürzt –
TIMON.
Bekriegst Athen?
ALCIBIADES.
Ja, Timon, und mit Recht.
TIMON.
Die Götter mögen all' durch dich hinwürgen,
Und dich nachher, wenn du sie all' erwürgt!
ALCIBIADES.
Weshalb mich, Timon?
TIMON.
Weil, die Schurken tötend,
Du wardst erwählt, mein Vaterland zu tilgen.
Nimm hin dein Gold; – geh, hier ist Gold, – geh fort!
Sei wie Planetenpest, wenn Jupiter
In kranker Luft, auf hochverruchte Städte,
Sein Gift ausstreut; dein Schwert verschone keinen:
Nicht um sein Silberhaar den würd'gen Greis,
Ein Wuch'rer ist's; hau' die Matrone nieder,
Sie heuchelt, ihre Kleider nur sind sittsam,
Sie kuppelt frech; laß nicht der Jungfrau Wange
Stumpfen dein schneidend Schwert, denn diese Milchbrust,
Die durch die Fenster kirrt der Männer Augen,
Steh' auf des Mitleids Liste nicht geschrieben,
Nein, zeichne sie als scheußliche Verrät'rin;
Auch nicht des Säuglings schone,
Des Wangengrübchen Narr'n zum Weinen lächelt;
Denk', 's ist ein Bastard, den Orakelspruch
Mit dunklem Wort als deinen Mörder nennt;
Zerstück' ihn mitleidslos: schwör' Tod dem Leben;
Leg' erzne Rüstung dir auf Ohr und Auge,
So hart, daß Schrei von Mutter, Säugling, Jungfrau,[968]
Des Priesters selbst, in heil'gen Kleidern blutend,
Dir nichts sei. Hier ist Gold für deine Krieger:
Sä,' aus Vernichtung; ist dein Grimm erschöpft,
So sei vernichtet selbst! Sprich nichts und geh!
ALCIBIADES.
Hast du noch Gold? So nehm' ich dein Geschenk,
Nicht deinen Rat.
TIMON.
Tu's oder tu' es nicht, vom Himmel sei verflucht!
PHRYNIA UND TIMANDRA.
Gold, guter Timon, gib uns; hast du mehr?
TIMON.
Genug, daß Huren ihren Stand verschwören,
Die Kupplerin nicht Huren feilscht. Weit auf
Die Schürzen, Nickel: – ihr seid nicht eidesfähig –
Obwohl ich weiß, ihr würdet furchtbar schwören,
Daß, hörend euren Schwur, die ew'gen Götter
In Fieberschauern bebten, – spart die Eide,
Ich trau' eurer Natur: bleibt Huren stets,
Und ihm, des frommes Wort euch will bekehren,
Ihm zeigt euch stark, verführt ihn, brennt ihn nieder,
Besiegt mit eurem Feuer seinen Rauch,
Abtrünnig nie! Seid dann sechs Mond' in Mühn,
Dem ganz entgegen: schindelt armes Dach
Euch mit der Leichen Raub: – auch von Gehängten,
Was tut's? – Tragt sie, betrügt mit ihnen, buhlt;
Schminkt, bis ein Pferd euch im Gesicht bleibt stecken:
Schad' was um Runzeln!
PHRYNIA UND TIMANDRA.
Gut, mehr Gold: – was weiter?
Glaub' nur, wir tun für Gold, was du verlangst.
TIMON.
Auszehrung sä't
In hohl Gebein des Manns; lähmt Schenkelknochen,
Des Reiters Kraft zerbrecht; des Anwalts Stimme,
Daß er nie mehr den falschen Spruch vertrete,
Und Unrecht kreische laut. Umschuppt mit Aussatz
Den Priester, der, auf Sinnenschwachheit lästernd,
Sich selbst nicht glaubt: fort mit der Nase, fort,
Glatt weg damit! Vernichtet ganz die Brücke
Ihm, der, sich eigne Jagd erschnüffelnd, nicht
Für alle spürt: krausköpf'ge Raufer, macht sie kahl;
Dem unbenarbten Kriegesprahler gebt
Gehör'ge Qual von euch: verpestet alles,[969]
Und eure Tätigkeit erstick' und dörre
Die Quelle aller Zeugung! – Nehmt mehr Gold! –
Verderbt die andern, und verderb' euch dies,
Und Schlamm begrab' euch alle! –
PHRYNIA UND TIMANDRA.
Mehr Rat mit noch mehr Geld, freigeb'ger Timon!
TIMON.
Mehr Hur', mehr Unheil erst: dies ist nur Handgeld!
ALCIBIADES.
Nun, Trommeln, nach Athen hin! Leb wohl, Timon!
Geht's, wie ich hoffe, seh' ich bald dich wieder.
TIMON.
Geht's, wie ich wünsche, seh' ich nie dich mehr.
ALCIBIADES.
Nichts Böses tat ich dir.
TIMON.
Ja, du sprachst gut von mir.
ALCIBIADES.
Nennst du das böse?
TIMON.
Erfahrung lehrt es täglich.
Geh, mach' dich fort, und deine Meute auch!
ALCIBIADES.
Wir sind ihm nur zur Last. – Schlagt, Trommeln: fort!
Trommeln. Alcibiades, Phrynia und Timandra gehn ab.
TIMON.
Mußt du, Natur, krank in der Menschheit Abfall,
Noch hungern! –
Er gräbt.
Allgemeine Mutter du,
Dein Schoß unmeßbar, deine Brust unendlich,
Gebiert, nährt all'; derselbe Stoff, aus dem
Dein stolzes Kind, der freche Mensch, aufquillt,
Erzeugt die schwarze Kröt' und blaue Natter,
Die goldne Eidechs' und die gift'ge Schlange
Und jeglich Scheusal unterm Himmelsbogen,
Auf das Hyperions Lebensfeuer strahlt;
Gib ihm, der deine Menschenkinder haßt,
Aus deinem güt'gen Schoß nur eine Wurzel!
Vertrockne deine fruchtbar ew'ge Kraft,
Daß ihr kein undankbarer Mensch entspringe!
Gebier nur Tiger, Drachen, Wölf und Bären;
Wirf neue Unhold', die dein obrer Rand
Der hohen Marmorwölbung nie gezeigt! –
Oh, eine Wurzel, – inn'gen Dank dafür!
Vertrockne, Mark des Weinbergs, Fett der Äcker,
Woraus der undankbare Mensch mit süßem Trank[970]
Und Leckerbiß den reinen Sinn verschlemmt,
Daß ab ihm gleitet jegliche Betrachtung.
Apemantus tritt auf.
Ein Mensch schon wieder? Ha, verflucht!
APEMANTUS.
Hieher ward ich gewiesen; man berichtet,
Daß du mein Leben nachahmst und mein Tun.
TIMON.
So ist es nur, weil keinen Hund du hältst,
Dem ich nachahmen möchte: dir die Pest!
APEMANTUS.
Dies ist in dir nur angenommne Weise,
Unmännlich, arme Schwermut, die dem Wechsel
Des Glücks entsprang. Was soll der Platz, der Spaten?
Dies Sklavenkleid und dieser Traueranblick?
Noch liegt dein Schmeichler weich, trinkt Wein, trägt Seide,
Umarmt den kranken Wohlgeruch, vergessend,
Daß je ein Timon war. Schmäh' nicht den Wald,
Daß du den bitter Höhnenden hier spielst!
Sei du ein Schmeichler jetzt, such' zu gedeihn
Durch das, was dich gestürzt hat: beug' dein Knie,
Der Atem schon des, dem dein Auge dient,
Blas' dir die Mütze ab; sein Laster preise
Und nenn' es Tugend: so erging's auch dir.
Du nicktest, wie ein Bierzapf, jedem Grüßer,
Schelmen, und wer es war: nun ist's gerecht,
Daß du ein Schuft wirst; hätt'st du Geld genug,
So gäbst du's Schuften. Nimm nicht an mein Wesen!
TIMON.
Wär' ich dir gleich, so wollt' ich fort mich schleudern.
APEMANTUS.
Du warfst dich weg, da du dir selber glichest;
So lang' ein Toller, nun ein Narr! Wie, denkst du,
Die rauhe Luft, dein stürm'scher Kammerdiener,
Wärmt dir dein Hemd? Folgt altbemooster Baum,
Der Adler überlebt, hier deinen Fersen,
Und springt fort jedem Wink? Reicht kalter Bach
Mit Eisesrand den würz'gen Morgentrunk,
Der Nacht Erschöpfung stärkend? Ruf die Wesen, –
Die nackt und bloß den kalten Sturm ausdauern
Der rauhen Luft; die unbehauste Schöpfung,
Dem Kampf der Elemente hingegeben,[971]
Treu der Natur, – befiehl, daß sie dir schmeicheln,
So find'st du –
TIMON.
Daß ein Narr du bist: hinweg!
APEMANTUS.
Du bist mir lieber jetzt als ehemals.
TIMON.
Verhaßter du!
APEMANTUS.
Weshalb?
TIMON.
Dem Elend schmeichelst du.
APEMANTUS.
Ich schmeichle nicht, ich sag', du bist ein Lump.
TIMON.
Doch weshalb suchst du mich?
APEMANTUS.
Um dich zu quälen.
TIMON.
Stets eines Narren oder Schuftes Amt.
Gefällst du dir drin?
APEMANTUS.
Ja.
TIMON.
Wie! Schurk' auch noch?
APEMANTUS.
Legt'st du dies bittre, kalte Wesen an,
Um deinen Stolz zu zücht'gen, wär' es gut:
Doch nur gezwungen tust du's: würdest Höfling,
Wenn du kein Bettler wärst. Freiwillig Elend
Krönt selbst sich, überlebt unsichre Pracht;
Die füllt sich selber an und wird nie voll;
Doch jenes g'nügt sich selbst: der höchste Stand
Ist, unzufrieden, kläglich und voll Jammer,
Noch schlimmer als der schlimmste, der zufrieden.
Du sollt'st zu sterben wünschen, da du elend.
TIMON.
Nicht, weil du's sagst, der weit elender ist.
Du bist ein Sklav', den nie der Liebesarm
Des Glücks umfing: ein Hund wardst du geboren.
Hätt'st du, gleich uns, vom Säugling her, erstiegen
Die süße Folg', die schnell die Welt dem bietet,
Der frei darf winken jedem Reiz, der ihm
Gehorcht, du hättest dich gestürzt in Schwelgen,
Ganz ohne Maß; die Jugend schmelzen lassen
In manchem Bett der Lust, und nie gehört
Der Mahnung eisig Wort; du jagtest nach
Dem süßen Wild vor dir. Dagegen ich,
Der ich als Lustgelag die Welt besaß:
Mund, Zungen, Augen, Herzen aller Menschen
Im Dienst, mehr als ich Arbeit für sie wußte,[972]
Die zahllos an mir hingen, so wie Blätter
Am Eichbaum, sind durch einen Winterfrost
Vom Zweig gelöset; – offen steh' ich, bar
Für jeden Sturm, der bläst; – ich, dies zu tragen,
Der nur das Beßre kannte, ist fast schwer:
Dein Leben fing mit Leiden an, gehärtet
Hat dich die Zeit. Was sollt'st du Menschen hassen?
Sie schmeichelten dir nie: was gabst du ihnen?
Willst fluchen du, – so fluche deinem Vater,
Dem armen Lump, der, in Verzweiflung, Stoff
Gab irgendeiner Bettlerin, dich formte,
Armseligkeit von Ahnen her. Hinweg! –
Wärst du der Menschheit Wegwurf nicht geboren,
Du würd'st ein Schurke und ein Schmeichler sein.
APEMANTUS.
Bist du noch stolz?
TIMON.
Ja, daß ich du nicht bin.
APEMANTUS.
Ich, weil ich kein Verschwender war.
TIMON.
Und ich,
Weil ich es jetzt noch bin.
Wär' all mein Reichtum in dir eingeschlossen,
So gäb' ich dir Erlaubnis, dich zu hängen.
Fort! –
Wär' alles Leben von Athen in diesem,
So äß' ich's.
Er ißt eine Wurzel.
APEMANTUS.
Hier, ich will dein Mahl verbessern.
Er bietet ihm etwas an.
TIMON.
Erst beßre meinen Umgang, schaff dich fort!
APEMANTUS.
So beßr' ich meinen eignen, wenn du fehlst.
TIMON.
Gebessert wär' er nicht, nein, nur geflickt;
Wo nicht, wollt' ich's.
APEMANTUS.
Was wünschest du Athen?
TIMON.
Dich, durch den Wirbelwind, dahin! Und willst du,
So sage dort, ich habe Gold: sieh hier!
APEMANTUS.
Hier kann kein Gold was nutzen.
TIMON.
Ja, am meisten;
Hier schläft's und läßt zum Unheil sich nicht dingen.
APEMANTUS.
Wo liegst die Nacht du, Timon?[973]
TIMON.
Unter dem,
Was mich bedeckt. Wo fütterst du am Tage?
APEMANTUS. Wo mein Hunger Nahrung findet, oder viel mehr, wo ich sie verzehre.
TIMON. Ich wollte, Gift gehorchte mir, und wüßte meine Meinung.
APEMANTUS. Wohin wolltest du es senden?
TIMON. Dein Mahl zu würzen.
APEMANTUS. Den Mittelweg der Menschheit kanntest du nie, sondern nur die beiden äußersten Enden. Als du in Gold und Wohlgeruch lebtest, wurdest du wegen zu gesuchter Feinheit verspottet; in deinen Lumpen kennst du sie gar nicht mehr, und wirst, um ihres Gegenteils willen, verabscheut. Hier hast du eine Mispel, iß sie!
TIMON. Ich esse nicht, was ich hasse.
APEMANTUS. Hassest du Mispeln?
TIMON. Ja, wenn sie dir auch gleich sehen.
APEMANTUS. Hättest du die diesen Mispeln ähnlichen faulen Zwischenträger früher gehaßt, so würdest du dich jetzt mehr lieben. Kanntest du je einen Verschwender, der noch geliebt ward, wenn seine Mittel dahin waren?
TIMON. Wen, ohne diese Mittel, von denen du sprichst, sahest du je geliebt?
APEMANTUS. Mich selbst.
TIMON. Ich verstehe dich; du hattest einmal so viel, daß du dir einen Hund halten konntest.
APEMANTUS. Was auf der ganzen Welt kannst du am besten mit deinen Schmeichlern vergleichen?
TIMON. Die Frauen; aber die Männer, die Männer sind das Ding selbst. Was würdest du mit der Welt machen, Apemantus, wenn sie dir gehörte?
APEMANTUS. Ich würde sie dem Vieh geben, um der Menschen los zu werden.
TIMON. Wolltest du denn mit den übrigen Menschen zugrunde gehen und ein Vieh unter dem Vieh bleiben?
APEMANTUS. Ja, Timon.
TIMON. Ein viehischer Wunsch, den ich die Götter bitte zu gewähren! Wärest du der Löwe, so würde der Fuchs dich betrügen;[974] wärest du das Lamm, so würde der Fuchs dich fressen; wärest du der Fuchs, so würdest du dem Löwen verdächtig werden, wenn dich der Esel vielleicht verklagte; wärest du der Esel, so würde deine Dummheit dich plagen, und du lebtest doch nur als ein Frühstück für den Wolf; wärest du der Wolf, so würde deine Gefräßigkeit dich quälen, und du müßtest dein Leben oft wegen deines Mittagsessens wagen; wärest du das Einhorn, so würde Stolz und Wut dich zugrunde richten, und du würdest die Beute deines eigenen Grimmes; wärest du der Bär, so tötete dich das Pferd; wärest du das Pferd, so ergriffe dich der Leopard; wärest du der Leopard, so wärest du des Löwen Bruder, und deine eigenen Flecken würden sich gegen dein Leben verschwören; deine ganze Sicherheit wäre, versteckt sein, und deine Verteidigung Abwesenheit. Welch Vieh könntest du sein, das nicht einem andern Vieh unterworfen wäre? und welch ein Vieh bist du schon, daß du nicht einsiehst, wie viel du in der Verwandlung verlörest?
APEMANTUS. Könntest du mir durch Reden gefallen, so hättest du es hiemit getroffen: der Staat von Athen ist ein Wald von Vieh geworden.
TIMON. Wie ist der Esel durch die Mauern gebrochen, daß du außer der Stadt bist?
APEMANTUS. Dort kommt ein Dichter und ein Maler: die Pest der Gesellschaft treffe dich! Aus Furcht, angesteckt zu werden, gehe ich fort. Wenn ich einmal nicht weiß, was ich sonst tun soll, will ich dich wieder besuchen.
TIMON. Wenn es außer dir nichts Lebendiges mehr gibt, sollst du willkommen sein. Ich möchte lieber eines Bettlers Hund als Apemantus sein.
APEMANTUS. Du bist das Haupt der Narr'n der ganzen Welt.
TIMON. Wärst du doch rein genug, dich anzuspein!
APEMANTUS. Verwünscht bist du, zu schlecht, um dir zu fluchen!
TIMON. Mit dir gepaart ist jeder Schuft ein Edler.
APEMANTUS. Nicht andern Aussatz gibt's, als was du sprichst.
TIMON.
Ja, nenn' ich dich. – Ich schlug' dich, doch das würde
Die Hände mir vergiften.
APEMANTUS. Oh, könnte doch mein Mund sie faulen machen![975]
TIMON.
Hinweg! du Sprößling eines räud'gen Hundes!
Die Wut erstickt mich, daß du Leben hast;
Mir schwindelt, seh' ich dich!
APEMANTUS.
Oh, mögst du bersten!
TIMON.
Fort, läst'ger Schuft! Mich dauert's, einen Stein
An dich zu wenden!
Er wirft einen Stein nach ihm.
APEMANTUS.
Tier!
TIMON.
Sklav'!
APEMANTUS.
Kröte!
TIMON.
Schelm!
Apemantus zieht sich zurück, als ob er gehn wollte.
Mir ekelt ob der falschen Welt, und lieben
Will ich von ihr die kahle Notdurft nur.
Drum, Timon, grabe dir alsbald dein Grab,
Lieg', wo der Seeschaum täglich schlagen mag
Den Stein; dein Epitaph schreib' in der Grotte,
Daß Tod in mir des Lebens andrer spotte.
Er betrachtet das Gold.
Du süßer Königsmörder, edle Scheidung
Des Sohns und Vaters! glänzender Besudler
Von Hymens reinstem Lager! tapfrer Mars!
Du ewig blüh'nder, zartgeliebter Freier,
Des roter Schein den heil'gen Schnee zerschmelz'
Auf Dianas reinem Schoß! sichtbare Gottheit,
Die du Unmöglichkeiten eng verbrüderst,
Zum Kuß sie zwingst! du sprichst in jeder Sprache,
Zu jedem Zweck! O du, der Herzen Prüfstein!
Denk', es empört dein Sklave sich, der Mensch;
Vernichte deine Kraft sie all' verwirrend,
Daß Tieren wird die Herrschaft dieser Welt!
APEMANTUS.
O wär' es so! –
Doch wenn ich tot bin. – Daß du Gold hast, sag' ich:
Bald drängt sieh alles zu dir.
TIMON.
Zu mir?
APEMANTUS.
Ja.
TIMON.
Den Rücken zeig'![976]
APEMANTUS.
Dein Elend lieb' und lebe!
TIMON.
So lebe lang' und stirb so! – Wir sind quitt. –
Apemantus geht ab.
Mehr Menschengleiches? – Iß und hasse sie!
Es kommen mehrere Banditen.
ERSTER BANDIT. Woher sollte er Gold haben? So ein armer Rest, ein kleines Korn vom Geretteten; nur der Mangel an Gold und der Abfall seiner Freunde brachten ihn in diese Schwermut.
ZWEITER BANDIT. Das Gerücht geht, er habe einen großen Schatz.
DRITTER BANDIT. Wir wollen uns an ihn machen: wenn er nichts danach fragt, so gibt er es uns gleich; wenn er es aber geizig hütet, wie sollen wir es kriegen?
ZWEITER BANDIT. Ja, denn er trägt es nicht bei sich, es ist vergraben.
ERSTER BANDIT. Ist er das nicht?
DIE ANDEREN BANDITEN. Wo?
ZWEITER BANDIT. Nach der Beschreibung ist er's.
DRITTER BANDIT. Ja, ich kenne ihn.
DIE BANDITEN. Guten Tag, Timon!
TIMON. Was, Diebe?
DIE BANDITEN. Krieger, nicht Diebe.
TIMON. Beides, und von Weibern geboren.
DIE BANDITEN. Wir sind nicht Diebe, Menschen nur im Mangel.
TIMON.
Eu'r größter Mangel ist, euch mangelt Speise.
Weshalb der Mangel? Wurzeln hat die Erde;
In Meilenumfang springen hundert Quellen,
Der Baum trägt Eicheln, Sträuche rote Beeren;
Natur, die güt'ge Hausfrau, breitet aus
Auf jedem Busch ein volles Mahl. Was Mangel?
ERSTER BANDIT.
Wir können nicht von Kräutern, Beeren, Wasser,
Wie wildes Tier, wie Fisch und Vogel leben.
TIMON.
Noch von den Tieren, Fischen, Vögeln selbst;
Auch Menschen müßt ihr zehren. Danken muß ich,
Daß ihr seid offne Dieb' und waltet nicht[977]
In heil'germ Schein; unendlich ist der Raub,
Den jeder Stand mit Ehren treibt. Hier, Schufte,
Nehmt Gold: geht, saugt das zarte Blut der Traube,
Bis siedend heiß das Blut vom Fieber schäumt
Und euch das Hängen spart! Traut keinem Arzt:
Sein Gegengift ist Gift, und er erschlägt,
Schlimmer als ihr: raubt Gold zusamt dem Leben;
Übt Büberei, ihr übt sie im Beruf,
Als zünftig. Alles, hört, treibt Dieberei:
Die Sonn' ist Dieb, beraubt durch zieh'nde Kraft
Die weite See; ein Erzdieb ist der Mond,
Da er wegschnappt sein blasses Licht der Sonne;
Das Meer ist Dieb, des nasse Wogen auflöst
Der Mond in salz'ge Tränen: Erd' ist Dieb,
Sie zehrt und zeugt aus Schlamm nur, weggestohlen
Von allgemeinem Auswurf: Dieb ist alles.
Gesetz, euch Peitsch' und Zaum, stiehlt trotzig selbst
Und ungestraft. Fort, liebt einander nicht,
Beraubt einander selbst! Hier, noch mehr Gold!
Die Kehlen schneidet: was ihr seht, sind Diebe.
Fort, nach Athen, und brecht die Läden auf:
Ihr stehlt nichts, was ihr nicht dem Dieb entreißt;
Stehlt minder nicht, weil ich euch dies geschenkt,
Und Gold verderb' euch jedenfalls! Amen!
Timon zieht sich in seine Höhle zurück.
DRITTER BANDIT. Er hat mich fast von meinem Gewerbe wegbeschworen, indem er mich dazu antrieb.
ERSTER BANDIT. Es ist nur aus Bosheit gegen das menschlich Geschlecht, daß er uns diesen Rat gibt, nicht, damit wir in unserm Beruf glücklich sein sollen.
ZWEITER BANDIT. Ich will ihm, als einem Feinde, glauben, und mein Handwerk aufgeben.
ERSTER BANDIT. Laßt uns erst Athen wieder in Frieden sehen: keine Zeit ist so schlimm, wo man nicht ehrlich sein könnte.
Die Banditen gehn ab.
Flavius tritt auf.[978]
FLAVIUS.
O Götter ihr! Ist jener
Schmachvolle und verfallne Mann mein Herr?
So abgezehrt, in Lumpen? O du Denkmal
Und Wunderwerk von Guttat, schlecht vergolten!
Welch Gegenbild von Ehr' und Pracht hat hier
Verzweiflungsvoller Mangel aufgestellt!
Gibt's Niedrers auf der Welt, als Freunde schändlich,
Die edlen Sinn in Schmach so stürzen endlich?
Oh, wohl ziemt das Gebot für unsre Zeit,
Das auch den Feind zu lieben uns gebeut!
Ihm, der mich haßt, sei Liebe eh'r geschenkt,
Als dem, der Liebe heuchelt, Böses denkt!
Er faßte mich ins Äug' – ich will ihm zeigen
Den tiefen Gram, und ihm, als meinem Herrn,
Solang' ich lebe, dienen. – Teurer Herr!
Timon kommt aus seiner Höhle.
TIMON.
Wer bist du? Fort!
FLAVIUS.
Herr, habt Ihr mich vergessen?
TIMON.
Was fragst du? Ich vergaß die ganze Menschheit;
Und bist du Mensch, so hab' ich dich vergessen.
FLAVIUS.
Ich bin Eu'r redlicher und armer Diener.
TIMON.
So kenn' ich dich nicht, denn ein Redlicher
War nie bei mir; all meine Diener Schurken,
Die Schufte nur bei Tisch bedienten.
FLAVIUS.
Götter,
Bezeugt es, wie nie treuern Gram empfand
Ein Hausverwalter um des Herren Sturz,
Als ich um Euch!
TIMON.
Wie, weinst du? – Komm heran; so lieb' ich dich,
Weil du ein Weib bist und dich los hier sagst
Vom Mannsgeschlecht, des Auge nimmer tropft
Als nur in Lachenslust. Mitleid rührt keinen:
Im Lachen weinen, seltsam! nicht im Weinen!
FLAVIUS.
Ich fleh', mein guter Lord, verkennt mich nicht,
Weist meinen Gram nicht ab, nehmt als Verwalter
Mich an, solang' die kleine Summe währt!
TIMON.
Hatt' ich 'nen Diener, so gerecht, so treu,[979]
Und nun so trostreich? Ha! das bringt zum Rasen
Mein wild Gemüt. Laß mich dein Antlitz sehn! –
Gewiß, vom Weib ist dieser Mann geboren. –
Verzeiht den raschen, allgemeinen Fluch,
Ihr ewig mäß'gen Götter! Ich bekenn' es,
Ein Mensch ist redlich, – hört mich recht! – nur einer;
Nicht mehr, versteht! – und der ist Hausverwalter. –
Wie gern möcht' ich die ganze Menschheit hassen!
Du kaufst dich los; außer dir, trifft alle
Mein wiederholter Fluch.
Doch dünkt mich, bist du redlich mehr als klug;
Denn wenn du mich verrietst und hintergingst,
So hättest du leicht neuen Dienst gefunden;
Denn mancher findet so den zweiten Herrn,
Der auf den ersten tritt. Doch sprich mir wahr
(Ich zweifle noch, bin ich gleich überzeugt),
Ist deine Freundlichkeit nicht Habsucht, List,
Des Wuch'rers Liebe? Wie ein Reicher schenkt,
Und hofft, daß zwanzig er für eins empfange?
FLAVIUS.
Nein, teurer, liebster Herr, in dessen Brust
Argwohn und Zweifel, ach, zu spät nun wohnen:
Hätt'st du im Glück die falsche Zeit erkannt!
Entspringt nur Argwohn, wo das Glück verschwand?
Beim Himmel! was ich zeig', ist lautre Liebe,
Daß meine Treu', Euer edles Herz erkennend,
Für Eure Nahrung sorgen will; und glaubt,
Mein höchst verehrter Herr,
Daß ich das allerhöchste Glück nicht tausche,
Das jetzt mir oder künftig winken könnte, –
Für diesen Wunsch: es ständ' in Eurer Macht,
Durch Euer eignes Glück mich zu belohnen!
TIMON.
Nun sieh, so ist's! – Du einz'ger Redlicher,
Hier, nimm: – aus meinem Elend senden dir
Die Götter diesen Schatz. Sei reich und glücklich!
Doch nur mit dem Beding: zieh' fern von Menschen;
Fluch' allen, keinen laß Erbarmen finden,
Das Fleisch vor Hunger am Gebein verschwinden,
Eh' du dem Bettler hilfst! Gib Hunden, was[980]
Du Menschen weigerst; Kerker schling' sie ein,
Laß Schulden sie zu nichts verschrumpfen,
Verdorren sie, wie Frost die Wälder trifft,
Und zehr' ihr falsches Blut des Fiebers Gift!
Und so: fahr' wohl, sei glücklich!
FLAVIUS.
Laßt mich bleiben,
Zum Trost Euch, liebster Herr!
TIMON.
Liebst du nicht Flüche,
So mach' dich fort: gesegnet, jetzt zu gehn:
Die Menschen flieh', laß dich mich nimmer sehn!
Sie gehn nach verschiednen Seiten ab.[981]
Ausgewählte Ausgaben von
Timon von Athen
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