Am Geburtsfeste

Ihro Königlichen Hoheit

der Grossherzogin von Hessen

Welch Dichter-Feuer glüht in meinem Busen!

Wie wogt mein Herz im seligsten Gefühl!

Hold winket mir die freundlichste der Musen,

Und sanft beschwingt ertönt mein Saitenspiel,

Der Rührung stille Thränen thauen nieder,

Und die Empfindung strömt in Freudenlieder!


Von ihr beseelt, von ihr empor getragen,

Erhebt sich der Gesang zum Jubellaut.

Die Nachwelt muss es ihren Enkeln sagen,

Was heut Apoll mir für ein Lied vertraut,

Wiewohl Dich, Fürstin! würdig zu besingen,

Nicht meiner schwachen Muse mag gelingen!
[1]

Doch immer sing' ich Deiner Seele Güte

Und Deines edlen Herzens Harmonie,

Die Göttermilde, die Dein zart Gemüthe

So segensvoll bewegt zur Sympathie,

Wie Geist und Herz sich überall begegnet,

Und Dich das biedre Volk der Katten segnet!


Dich führten schon im leichten Flügel-Kleide

Die Grazien auf ihre holde Spur,

Dir gab ihr ewig sicheres Geleite

Die Wahrheit und die göttliche Natur,

Um unter melodieenreichen Tönen

Zu weihen ihm, dem Guten und dem Schönen!


Dir jauchzet alles ehrfurchtsvoll entgegen,

Ein Wunsch beseelet aller Herzen heut,

Um Deine Pfade wandelt reicher Segen

Und Freude, die Dir Himmelsblüthen streut;

Umschlungen von der Deinen Stralen-Reihen,

Hörst Du gerührt Dir Alles Wünsche weihen!


Die Dämmrung weicht; Aurorens lichte Stralen

Umwallen die Natur mit Purpur-Glut,

Die glanzerfüllten holden Blicke malen

Zerstreute Rosen in die blaue Flut;

Ein Hymnus tönt aus vollen Myrthen-Zweigen,

Die Horen tanzen einen Festtags Reigen!
[2]

Es tauchen sich in Phöbus Gold die Höhen,

Und feierlich umarmet er die Flur,

Der Nord entfleugt und sanftre Lüfte wehen

Aetherisch durch die Kreise der Natur,

Der Freude Jubel schallet in die Ferne

Und steigt empor zur Stralenbahn der Sterne!


Welch Fest wird hier und im Olymp gefeiert,

Und welch ein Glanz umstralt der Götter Thron?

Fragt' ich gerührt; da schwebte sanft umschleiert

Die jüngste Charis von dem Helikon,

Gleich einem himmlischen verklärten Wesen

Zur freudevollen Botschaft auserlesen.


Sie sprach, in ihrer Rechten eine Krone

Von Lorbeern haltend und von Myrthenreis,

Die schling' ich ihr, der Grossen, heut zum Lohne;

Sie sey der edlen Fürstin höchster Preis;

Ihr Wiegenfest beginnt, und deine Leier

Ertönte nicht an dieser hohen Feier?


Ein Lichtstrom wallte durch die weiten Kreise

Von heiligen Altären stieg empor

Ein Opferduft. Die Lyra tönte leise –

Bald störte mich ein ganzer Götter-Chor.

Was ihr erblüht, sprach Ceres, will ich segnen

Ihr, sprach Urania, will ich begegnen!
[3]

Da schwiegen meiner Harfe leise Töne,

Ich floh verschüchtert aus dem Stralenhain.

Ein Lied nur fleht' ich, gütige Kamöne,

Lass mir gelingen, lass mich stolz Ihr weihn!

Doch keine Muse kann da Blumen finden,

Wo die Unsterblichen selbst Kränze winden!


Nichts blieb mir, als die Wonnen zu empfinden,

Die selig heute meine Brust durchglühn,

Dir mögen schönre Kränze Andre winden

– Sie müssen ewig, wo Du wandelst, blühn –

Mag auch ihr Duft bis zum Olympos reichen,

Was die Empfindung singt, darf ihm nicht weichen.

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 1-4.
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