Einundzwanzigstes Kapitel

[198] Hatte sich schon in den Nachgeschmack des ersten Rendezvous ein Tropfen Wermut gemischt, der des zweiten war bitterer.

Und wurde nicht versüßt durch Klotildens nächsten Brief.

Sie wolle ihrem geliebten Siegfried keine Vorwürfe machen; eher sich selber, die den Verstand für beide hätte haben voraussehen sollen, wie gefährlich ein Stelldichein an einem so exponierten Orte sei. Nun hätten sie den schwer wieder gut zu machenden Schaden. Stephanie habe ihr ins Gesicht gesagt, wie im höchsten Grade verdächtig ihr ein so merkwürdiges Rencontre vorkomme, wenn die Betreffenden der Gesellschaft auch sonst schon recht unzweideutige Zeichen eines starken gegenseitigen Interesses gegeben hätten; und daß ihr Bräutigam diese Empfindung durchaus teile. Bei ihm und ihr dürfe sie freilich sicher sein, daß sie reinen Mund halten würden. Aber wer stehe für dieselbe Diskretion auch nur bei dem schwatzhaften, völlig taktlosen Künstler? Es bleibe nichts anderes übrig, als zu erklären, daß ihr – Klotildens und des Brautpaars – Zusammentreffen in der Galerie die Folge einer gemeinsamen Verabredung gewesen sei.[198] Aber sie müsse ihr in die Hand versprechen, in Zukunft besser auf ihren guten Ruf achten zu wollen.

Ich habe ihr den Handschlag verweigert, fuhr der Brief fort; denn damit hätte ich ja die Berechtigung des mir gemachten Vorwurfs eingestanden, und das werde ich nun und nimmermehr. Aber Du siehst, in welcher prekären Lage ich bin gegenüber einer Gesellschaft, die tausend Augen hat und keinen Pardon kennt. Dabei will ich von meinem Manne noch gar nicht einmal sprechen, obgleich wir auf einem Kriegsfuße miteinander stehen – bereits seit acht Tagen – wo jede Blöße, die ich mir gebe, verhängnisvoll für mich werden muß.

Wenn Du aber glaubst, daß ich deshalb von Dir lasse, so hast Du keine Ahnung von der Stärke meiner Liebe. Nur muß unsre nächste Zusammenkunft – und ich habe Dir tausend Dinge zu sagen, die ich auch einem poste-restante-Brief nicht anzuvertrauen wage – absolut sicher sein. Ich weiß, daß Deine erfinderische Liebe das Rechte zu treffen nicht verfehlen wird. Also auf Wiedersehen, Einziggeliebter!

Der Brief war für Albrecht unsäglich peinlich. Die geliebte Frau machte ihm keine Vorwürfe; wozu auch, wenn er sich selber nicht verzeihen konnte, daß er sie durch seine Voraussichtslosigkeit in eine so schlimme Lage gebracht! Nein, so ging es länger nicht; aber wie sollte es anders und besser? wie sollte es gut werden?

Doch nur durch eines.

Und das Eine wagte er zu denken als Entgelt für des Schicksals Gnade, die ihm seinen Liebling erhalten hatte, der nun wieder in seinem Bettchen mit der neuen Puppe spielen durfte, und, wenn der Papa in das[199] Zimmer kam, ihm beide Ärmchen entgegenstreckte? für den Heroismus, mit dem die kleine tapfere Frau diese Leidenstage wieder einmal durchgefochten, ohne auch nur für einen Augenblick zu ermüden; ohne daß nur ein leisestes Wort der Klage über ihre bleichen Lippen gekommen wäre?

Dachte die Geliebte an das Eine? Keine Andeutung sprach dafür, es hätte denn die sein müssen, daß es sehr schlecht zwischen ihr und ihrem Gatten stehe, und sie ihm Mitteilungen zu machen habe, die sie einem Briefe nicht anvertrauen könne. Aber war es denn nicht Wahnsinn, zu hoffen, sie werde ihre bevorzugte gesellschaftliche Stellung aufgeben, sein dunkles Los mit ihm zu teilen? Das doch auch in ihren stolzen Augen gewiß kaum ein wenig heller wurde, wenn er das Ziel seines Ehrgeizes wirklich erreichte und es zum Universitäts-Professor brachte!

Vorläufig hatte er noch die Kläglichkeiten seines Lehreramts über sich ergehen zu lassen.

Am Tage nach dem gestörten Rendezvous in der Nationalgalerie ließ ihn sein Direktor rufen und empfing ihn mit einer unfreundlichen Miene:

Er habe bei der Durchsicht der Aufsatz-Hefte seiner Klasse einiges gefunden, das er monieren müsse. Mit der Wahl des letzten Themas sei er nicht einverstanden. Ob die Prinzessin Tasso liebe oder nicht, sei eine Kontroversfrage, mit deren Beantwortung man die leichten Gehirne von Sekundanern nicht beschweren dürfe.

Und wollten Sie einmal – ich nehme an: nach vorhergegangener gründlicher Durchsprechung und Einschränkung auf das sittlich-ästhetische Gebiet – eine solche Aufgabe stellen, so durfte man gewiß annehmen, Sie würden[200] auf die Korrektur die peinlichste Sorgfalt verwenden. Und gerade die habe ich schmerzlich vermißt. Ihre Urteile stimmen mit dem Inhalt der Arbeiten oft so wenig überein, daß ich mich kaum überwinden kann zu glauben, Sie hätten das krause Zeug, welches sich dieser und jener geleistet hat, wirklich gelesen. Es thut mir weh, einem Kollegen, dessen gewissenhaften Fleiß ich bis jetzt nur zu rühmen hatte, dergleichen Vorhaltungen machen zu müssen.

Albrecht murmelte etwas von den Störungen, welche die schwere Erkrankung eines seiner Kinder in den letzten Tagen ihm während seiner Arbeitsstunden gebracht habe.

Das entschuldigt freilich manches, sagte der Direktor. Und dann, lieber Herr Kollege, die gesellschaftlichen Zerstreuungen! So höre ich, daß Sie kürzlich in dem Hause eines hochgestellten Beamten – den Namen hat man mir nicht genannt – er thut auch nichts zur Sache – der maître de plaisir gewesen sind. Dulce est desipere in loco – freilich! Aber derselbe Dichter rühmt auch, wie Sie wissen, die aequa mens, die man nicht bewahren kann, wenn man sich unmäßiger Lust hingiebt.

Es war der erste ernsthafte Vorwurf, den Albrecht sich während seiner ganzen Lehrerlaufbahn zugezogen, und sein Stolz litt darunter um so fürchterlicher, als er sich sagen mußte, daß es ein verdienter sei.

Nicht minder empfindlich traf ihn ein zweiter Schlag, der von einer Seite kam, nach der all diese Zeit hindurch hoffnungsvoll sehnender Blick gerichtet gewesen war.

Wieder am nächsten Tage empfing er einen Brief und ein Paket, beide mit dem Stempel: »Königliche Angelegenheiten« versehen. Das Paket enthielt die Manuskripte[201] der beiden kleinen Stücke, welche er dem Generalintendanten auf dessen ausdrücklichen Wunsch zugeschickt hatte; der Brief war von der Hand eines Intendanturrates und benachrichtigte ihn, daß Seine Excellenz nach genauerer Einsicht in die ihm übersandten, übrigens vielfach trefflichen Arbeiten sich denn doch nicht zu einer Aufführung entschließen könne, von der vorauszusehen sei, daß sie an einer gewissen Stelle und gewissen Kreisen, denen eine königliche Schaubühne immer Rechnung tragen müsse, Anstoß erregen würden.

Das waren Kalamitäten, die er bei einer ruhigeren Stimmung des Gemütes immerhin mit einigem Gleichmut hätte über sich ergehen lassen. In der jetzigen Verstörung seiner Seele sah er rings um sich her Glück auf Glück scheitern und keine Rettung, als in seiner Liebe. Brach auch dieser letzte Anker, so mochten die Wogen über ihm zusammenschlagen und er zum Abgrund sinken.

Hier mußte er Gewißheit haben. Sie mußte ihm sagen, was sie für ihre Liebe zu thun entschlossen sei.

Und Aug' in Auge mußte sie es ihm sagen; aus ihrem Munde mußte er es hören.

Er schrieb ihr, welchen neuen Plan für eine abermalige Zusammenkunft er ersonnen habe. Nach menschlicher Voraussicht seien sie in dem Restaurant, das er entdeckt hatte und ihr nun ausführlich schilderte, absolut sicher. Es komme nur darauf an, daß sie sich für ein paar Abendstunden völlig frei machen könne.

Sie antwortete umgehend: der Plan gefalle ihr nicht in allen Punkten. Aber sie wisse nichts anderes und besseres; und darin habe er sicher recht: aussprechen müßten sie sich. Ein glücklicher Zufall wolle, daß ihr[202] bereits der nächste Sonnabend – es waren noch zwei Tage bis dahin – die gewünschte Freiheit bringe.

Es folgte dann noch die Angabe der Stunde und die Aufstellung einer Reihe von Vorsichtsmaßregeln, deren Notwendigkeit Albrecht anerkennen mußte.

So sollte ihm denn der nächste Sonnabend die Entscheidung bringen, mochte sie nun Sieg lauten oder Tod.[203]

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Zum Zeitvertreib. Leipzig 1897, S. 198-204.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon