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[326] Du fauler Bote! Sag' an Deine Post. Deine Zunge ist lahm, wie
Dein Gaul. – Herr! ich reite auch kein Freudenpferd.
Alt. Schauspiel.
Die merkwürdige Sitzung des Conciliums, in welcher die Väter desselben, um die Hyder, die die Christenheit umschlungen hielt, mit einem Streiche zu vertilgen, die Absetzung der drei Päpste beschlossen, und Papst Johann – zu ohnmächtig und zu staatsklug, um der Übermacht zu widerstreben – in eigner Person die Absetzungsformel verlesen hatte, war vorüber, und die Zuhörer, wie die Beisitzer, staunend über das bisher Unerhörte, begaben sich in zahlreichen gedrängten Scharen nach ihren Häusern. Dagobert in seiner geistlichen Tracht war mitten darunter, und schlenderte unbefangen, dem Vesperbrode entgegenharrend, durch die Straßen, als plötzlich unter dem Schwarme der Vorübereilenden, eine derbe Faust seine Rechte ergriff und herzlich drückte: »Hoch lebe das Concilium, alle drei heilige Väter und vorab der gefällige und nachgiebige Johannes!« jauchzte der ungestüme Freund, der Gerhard in Lebensgröße war. – »Willkommen! alter Kumpan!« entgegnete ihm der froh überraschte Dagobert: »Bist Du wieder zu Tage gekrochen, wilder Jäger? Haben sie Dich aus der Eulen Nest gelassen? Und rede, wie kömmt's, daß Du frei und frank vor mir stehst?« – »Für's Erste,« antwortete der Hülshofner, »neigt[327] Euch in Demuth vor meinen Tugenden, die Ihr nie geahnt habt. Drei völlig und gut gezählte Wochen saß ich im Schatten, wo es nicht hinregnet noch schneit, wo nicht Thau noch Sonnenstrahl zu sehen, und während dieser Frist, die, reimweis zu reden, keine geringe ist, habe ich kein Einzigmal geplaudert, denn sonst stolzirtet Ihr wohl nicht so junkerlich und freiherrlich hier herum. Der Syndikns, ein wahrer Pestilenzer, hat mir zugesetzt gleichwie mit glühenden Zangen, und dennoch, und dennoch ... dennoch nichts verrathen. Kreuz und Dorn und Stein! 's hat schier Funken gegeben. Die Pfaffen gaben verdammte Zeugschaft, die leichtfertigen Jägerinnen, deren Geschwätz mich in die klägliche Geschichte hinein gebracht hatte, meinten, sie müßten mir an den Hals zur Strafe, daß ich der Kaiser nicht gewesen, während das Klostergesindel mich braten wollte, weil's mir eingefallen, zur Unzeit kaiserliche Majestät zu seyn. Von Euch erfuhr ich nichts; meine Herren von Frankfurt hatten mich aufgegeben; ich saß in der Brühe, und ärgerte mich nur darüber, daß ich nicht einmal wußte, in welcher. Bald sollte ich einen Ketzer befreit, bald ein ganzes Kloster an den Rand des Grabes gebracht haben, und was des tollen Zeugs mehr ist. Ich spielte jedoch den Klugen, schwieg fein und säuberlich, und leugnete wie ein Heide. Zum Glück hatte ich vor der abscheulichen Verhaftung den wilden Jäger in Eure Obhut gebracht, und konnte mich herzhaft auf den langen Christoph berufen. Das drang denn endlich allgemach durch; ich bekannte mich selbst nicht schuldig, leugnete daher auch alle Mitschuldigen,[328] und heute bin ich denn auf Befehl des Kaisers, der den heutigen Tag als einen großen zu feiern gedenkt, nebst einer Menge von Leuten, die entweder einem Fastnachtsstreich oder einem minniglichen Abenteuer oder auch einem harten Gläubiger ihre Haft verdankten, in Freiheit gesetzt worden. Mein gutes Glück ließ mich alsobald auf Euch stoßen, von dem ich wenigstens als billige Entschädigung einen Imbis erwarte, wie er lange meinen Gaumen nicht gekitzelt.« – »Was meint Ihr zu gefalznen Hechten mit Peterlein, und einem Römer Weins aus der Marggrafschaft?« »Sollst haben, was Dein Herz begehrt,« versicherte ihm der Jüngling freundlich: »Du bist der bravste Edelknecht in deutschen Landen, wie der verschwiegenste. Freilich trug auch die magre Kost im Gewahrsam viel zu dieser letztern Tugend bei; indessen.« ... – »Indessen ist's doch immer lobenswerth;« unterbrach ihn Gerhard fast grob: »Wie viele Leute gibt's, die selbst beim Wasserkrug das Maul nicht halten können? Wunderbarer ist's, daß der alte Schneider Velsner, der die Larven hergeliehen, meine Verschwiegenheit theilte.« – »Das ging sehr natürlich zu, mein guter Altgeselle;« erwiederte Dagobert halb scherzend, halb ernst: »der Tod tanzte mit ihm den Kehraus in der Dienstagsnacht.« – »Das haben sie beide brav gemacht;« sprach Gerhard, andächtig ein Kreuz schlagend: »der weiße Tänzer, daß er kam, und der graue Schneider, daß er sich nicht sperrte, wie eine blöde Dirne. Ich wünsche dem wackern Meister die beste Kundschaft dort oben, obgleich ich ihn wieder[329] bedauern muß, daß er gerade in Aschermittwochs Hungertuch gefallen ist.« – »Ei du armer Schelm!« lächelte Dagobert: »siehst Du doch selbst aus, als ob Du dem Hungertuche gerade entschlüpft wärest. Zum Glück stehen wir, just vor der Herberge. Komm herein; laß Dir's schmecken; aus Dankbarkeit will ich Dein Küchenmeister und Mundschenk seyn. He da! Wirth und Wirthin herbei! Ihr Mägde und Kellerbuben spitzt das Ohr, denn der wackerste Kämpfer am Rheinstrome will tafeln, wie sich's gebührt, und Eure sparsame Fastenküche es erlaubt.« – Gerhard nahm mit wichtiger Feierlichleit an dem Tische Platz, und Leuchter, Wein und Becher standen flugs vor ihm aufgepflanzt. – Dagobert machte sich ein Fest daraus, dem ausgehungerten Schlemmer selbst den würzigen Trunk von Badens Rebhügeln zu kredenzen. – Die Wirthin schleppte Teller und Pfannen herbei. – »So, mein alter Kämpe;« scherzte Dagobert, während er ihm das Tellertuch um den Hals befestigte: »da sitzest Du wie der Kaiser am Krönungsbankett. Dein Bart könnte zwar saubrer geschoren, Dein Wamms reinlicher seyn, allein Dein guter Wille, der sich in der Art und Weise offenbart, wie Du nach dem Eßgeräthe langst, hilft allen übrigen Mängeln ab. Du wirst zwar den gewünschten Hecht vermissen, aber dieser nerrige Stockfisch mit Öl und süßen Rosinen ist auch nicht zu verachten, und solltest Du es für nöthig erachten, Deinen Durst erst zu reizen, so versehen jene gerösteten Picklinge, gewürzt vom scharfen Leipziger Senf, vollkommen den Dienst. So, mein Junge. Frisch in's[330] Handgemenge! ich will Dich kräftig unterstützen.« – Gerhard nahm sich des Verfechteramts eifrig an, und arbeitete bald mit vollen Backen, bald mit dem klingenden Messer, bald mit dem schäumenden Becher, auf dessen Grunde er dreimal ein Goldstück mit dem Gepräge des Freistaats Benegia fand. Dankbar drückte er dem Geber und Gastfreund die Hand und sprach: Solchen Bodensatz im Wein zu finden, lasse ich mir gefallen. Zu viel aber ist's der Freigebigkeit, da ich weiß, daß durch Eure Zwistigkeit mit dem wälschen Ohm Euer Geldseckel in Abnahme gerathen ist. – »Der Herzog Friedrich hat mir erlaubt, dann und wann aus seinem Beutel zu schöpfen, wenn ichs bedarf;« antwortete Dagobert: »Bei seiner milden Hand magst Du Dich demnach für dieß Geschenk bedanken.« –
»Ei, vor dem Herzog alle erdenkliche Ehrfurcht!« sprach Gerhard mit einem Sonnenblicke der Behaglichkeit: »Es gab zwar eine Zeit, wo wir Beide nicht auf dem besten Fuße zusammen standen, allein diese Zeit ist nicht mehr. Was konnte ich in der That auch dafür, daß der wackre Herr damals in ein Reiterwamms zu kriechen beliebt hatte? Am Kragen kennt man den Mann, lautet ein wahres und liebes Sprichwort. Wenn unser Vater Adam nicht die Kleider erfunden hätte, wären die vornehmen Herren übel daran, und nebenbei auch die gemeinen Leute, die am Ende nicht wissen würden, ob sie einem Andern oder sich selbst den Reverenz zu machen haben. Dem sey nun indessen, wie ihm wolle; ich bin mit dem Herzog versöhnt, und empfange um so[331] lieber die Goldpfenninge, die mir aus seinem Schatze durch Eure Freigebigkeit zufließen.«
»Versöhnt?« lachte Dagobert: »Altes Sieb, wie kömmst Du mit dem Habsburger zusammen, der Dich, – gerade heraus gesagt – ungefähr so leiden kann, wie der Rüde den Dachs?«
»Leiden konnte, Fröschlein, leiden konnte;« versetzte Gerhard in seiner ungestörten Friedlichkeit, indem er die letzten Reste der Piklinge versorgte: »Seine herzogl. Gnaden sind aber jetzo mindestens nicht ungnädig auf mich. Im Gegentheil. Der versöhnliche Fürst hat mich durch den Herrn Schöffen von Braunfels auffordern lassen, das Turnier, das er am Zwanzigsten dieses Mondes März zu geben gesonnen, durch meine Tapferkeit und zierlichen Fechterkünste zu verherrlichen; indem – wie er sich huldreichst auszudrücken geruhte – Keiner von allen anwesenden Kämpen im Bügel- und Ringelrennen, im Kolbenschlag und Fußkampf meines Gleichen sey.«
»Beneidenswerther!« rief Dagobert, ihm den vollen Becher zubringend: »Die Gewaltigen der Erde werden aufmerksam auf Deine Verdienste, und es kann Dir gar nicht fehlen, bleibt Deine Rechte nur gesund, und Dein Leib wohl genährt.«
Das Letztere sey auch mein Hauptaugenmerk bis zum Tag, wo es gilt. Laßt sehen, Junker; wie weit haben wir noch zum Zwanzigsten? – »Fünf Tage, mein Gesell;« berichtete ihn Dagobert: »Bis dahin fey mein Gast. Du sollst einen dankbaren Schuldner an mir finden. Was das Concilium an eßbaren Stockfischen aufweisen kann, soll Dein seyn. Der[332] beste Rebensaft werde Dir kredenzt. Verlangst Du Tafelmusik, sie soll Dir nicht fehlen? Siehst Du reizende Aufwärterinnen gerne an Deinem Tische? Ich schaffe sie Dir, anmuthiger als die plumpen Thurgauer Dirnen, die so eben die leeren Schüsseln wegtragen, sittsamer als die leichtfertigen Jägerinnen in Frau Waldina's Gefolge. Kennst Du das Mährlein vom Tischlein deck dich? Meine Dankbarkeit soll es an Dir verwirklichen, und Dich in jene harmlose Zeit versetzen, wo Du noch, ein langknochiger Bube, die trägen Füße unter Deines Vaters Tisch stecktest, und ohne Sorgen verzehrtest, was sich gerade vorfand, unbekümmert, ob es die Vöglein vom Himmel, oder Dein Vater von der Heerstraße gebracht.« – Der unverzagte Esser ließ den Becher sinken bei diesen Worten, schlug die verglasten Augen auf gen Himmel, und eine Mischung von Wehmuth und lächelnder Erinnerung breitete sich über sein Antlitz. Er reichte dem Nachbar die fleischige Hand und sprach mit weicher Stimme: »Ach, lieb Fröschlein! Da habt Ihr's getroffen, wo meine Halsberge nicht zum Besten schließt. Mein rechtschaffner Vater .... Gott erhalte ihn bei der Seligkeit! ... er starb wie ein wackrer Edelmann. Thut mir die Liebe, werthes Fröschlein, und thut mir Bescheid auf den Becher, den ich Euch feierlich zutrinke, als das Gedächtniß an einem ehrenwerthen Mann!« – »Von Herzen gern!« antwortete Dagobert, seinen Wunsch erfüllend: »Auf das Wohl eines Biedermannes trinke ich stets, säße er auch schon im Fegefeuer. Und auf Dein Wohl nicht minder, alte deutsche Haut, weil[333] Du Deines Vaters Angedenken dergestalt in Ehren hältst. Das hätte ich nicht hinter Deinem groben Fell gesucht; und wahrlich, ich werde hinter Deiner Tugend nicht zu rück bleiben, wenn's einst Gott gefallen sollte, meinen Alten zu sich zu rufen.« –
Da riß mit einem Male der Hülshofner die von wehmüthiger Weinlaune feuchtgewordnen Augen auf, sah den jungen Tischgenossen mit einem ganz besondern Ausdruck von Bedauern an, rieb sich die Stirne, wie einer dem etwas entfallen war, und der sich, jetzt fast zu spät, dessen verdrüßlich erinnert, und seufzte: Guter Junker! wenn ein Sprichwort die Wahrheit sagt, so ist es dasjenige, welches lautet: »Im Wein ist Wahrheit; Ihr habt die Ahnung, ich die Erinnerung wieder im Becher gefunden. Vergessen hatte ich schändlich, was Ihr doch wissen müßt. Faßt Euch, lieber freigebiger, theilnehmender Frosch; und glaubt, daß ich Eure Bekümmerniß theilen werde, wie ein Bruder. Ja, ja; schaut mich nur an, wie den Bischof die verwunderte Katze. Euer Lächeln wird sich verkehren in Trübsal. Euer Vater hat den Schöffenstuhl zu Frankfurt mit dem himmlischen vertauscht. Er ruhe in Frieden!« –
Mit offnem Munde und gespannten Zügen saß Dagobert dem Hiobsboten gegenüber, dessen Weichmuth in eine Thränenfluth überging, die einige schnell geleerte Becher kaum auftrocknen konnten. »Sage mir doch,« fing Dagobert endlich kleinlaut an: »ist denn noch Fasching, oder heißt man am nächsten Sonntag: Lätare? Unglücksrabe! spricht der Rausch aus Dir, oder ist sie Wahrheit, die Botschaft, die Du mir, –[334] dem Freien – ans Deinem Gefängniß bringst?« – »Wahrheit, lieb Junkerchen;« versicherte Gerhard ganz treuherzig: »die Sache ist die folgende. Mein erster Weg aus dem Gewahrsam ging zu meinen Herren von Frankfurt, den Schöffen, die hier im Hause wohnen. Der alte Herr Holzhausen nahm sich heraus, mir einen Text zu lesen, wie er sich in keinem Evangelienbuche findet, mich einen Wüstling und Händelsucher zu nennen, und was dergleichen mehr ist, welches auch gerade nicht hieher gehört. Der Herr von Braunfels nahm sich meiner an, und die Beiden sagten sich derbe Worte ....«
»Um Gottes willen!« fiel Dagobert ein: »laß die Umschweife, vollende!«
»Ich bin's eben im Begriff,« versicherte Gerhard: »denn ich setze mit Sporn und Gebiß über den Streit der wohlweisen Herren weg, bis zu der Thüre, durch welche gerade und just der Stadtschreiber Heinrich eintrat, der seit geraumer Zeit weniger für die Stadt schreibt, als Boten reitet, und gerade wieder, mit Schriften beladen wie ein Maulthier, von Frankfurt daher getrabt kam.« Der Gruß von ihm war kurz, und er warf sich gleich mitten in das Gesprächsel. »Wißt ihr etwas Neues, ihr Herrn?« rief er: »Am Abend des verwichnen Tages der heil. Felicitas ist zu Frankfurt unfern vom Hirschgraben der wackre Schöff und Altbürger Diether Frosch ermordet worden!« – »Ermordet?« rief Dagobert, entsetzt vom Tisch aufspringend: »Verdammt sey Deine Zunge, die solche Schreckensbotschaft mir so lange verhehlen konnte!« – »Hat sich wohl!« brummte[335] Gerhard unwillig: »Wo der Kopf vergißt, schweigt auch die Zunge ohne bösen Willen. Erfahrt Ihr's doch jetzo zeitig genug. Sollt' ich Euch das Vespermahl vergällen? Wo wollt Ihr aber hin?« – »Zu den Herren von Frankfurt!« erwiederte Dagobert, und suchte sich ängstlich von dem Zurückhaltenden los zu machen. – »Nehmt doch Vernunft an!« sprach Gerhard entgegen: »die Schöffen sind nicht daheim. Die Abgeordneten der Reichsstädte haben heut ein groß Convivium im goldnen Brunnen.« – »So will ich dorthin!« rief Dagobert: »Laß mich!« – »Bleibt doch!« erwiederte Gerhard: »Ihr schlagt um Euch wie ein rasendes Füllen, aber ich leide es doch nicht, daß Ihr dort Euren Schmerz zur Schau tragt.« – Dagobert besann sich, »Du hast Recht;« sprach er: »ein schiefes Wort, ein schiefer Blick nur in dieser Stimmung von einem Fremden, der, wie begreiflich, mein Leid nicht fühlt, könnte mich zum Mord bewegen. Aber rede doch Du: sieh! ich will mich zu Dir setzen, ganz ein Mann seyn, trotz Einem, aber sage mir, wie ging das Entsetzliche zu? Ich werde mich zwingen, mein Gebreste in meiner Seele zu verschließen, und nur dann weinen, wann Du es erlaubst; sage mir aber, wie ward das Gräßliche vollbracht? wie ward mein Vater ... o, mein Gott! ... wie wurde er erschlagen?« – »Junker!« antwortete Gerhard, verlegen ob der nicht geahnten Heftigkeit des jungen Mannes: »Ihr fragt mich da nach Dingen, die ich eben so wenig weiß, als Ihr. Vielleicht aber« – hier nestelte er den weiten Ärmel seines Kollers auf ... »vielleicht belehrt Euch dieß[336] Schreiben eines Bessern. Der Stadtschreiber brachte es von Frankfurt mit, und Euch es zu übergeben, vertraute mir's der Herr von Braunfels. Bis auf diesen Augenblick hatt' ich's vergessen, doch kommt's auch jetzo nicht zu spät.« – »Da!« fuhr er fort, indem er das wohlversiegelte Schreiben aus dem Ärmel fischte, und dem gierig darnach greifenden Dagobert langsam reichte: »Da ist der Brief, Euer Vater schreibt Euch darin die ganze Begebenheit selbst.« – »Er selbst?« fragte verwundert der Jüngling, das Schreiben staunend in den Händen haltend, und einen Blick auf die Aufschrift werfend: »Wahrhaftig, er selbst! fuhr er fort mit steigender Hitze: Einfältiger Weinschlauch! und Du konntest mich beinahe zum Tode erschrecken? Danke es dem Himmel, daß keine Waffe an meiner Hüfte hängt! Dieser Augenblick wäre Dein letzter!« – »Fröschlein! Ihr redet irre!« erwiederte Gerhard, der sich scheu in die Ecke schmiegte: »Was ficht Euch an? Ist das der Dank für meine gutmüthige Theilnahme?« – »Ich möchte lachen, wäre mir nicht so fürchterlich ernst zu Sinne;« begann Dagobert auf's Neue: »lachen ob Deiner beklagenswerthen Einfalt. Mensch! siehst Du denn nicht weiter als ein Maulwurf? Du entsetzest mich durch die Botschaft von meines Vaters Tode? kann aber der todt seyn, der mir von diesem Mord geschrieben?« – »Ich dummer Hans!« murmelte Gerhard durch die Zähne, und schlug sich mit der geballten Faust vor die Stirne: »Dümmer als ein Gänserich. Es ist auch wahr. Vergebt, Fröschlein; gestorben wird er nun wohl[337] nicht seyn, aber Ihr werdet aus dem Briefe sehen, daß gewiß etwas Schreckliches vorgefallen.« – Dagobert wollte so eben, seinem Zweifel zu entgehen, die Wachsplatte von dem wohlverwahrten Schreiben lösen, als er noch einen Blick der Aufschrift schenkte. »Nein!« rief er alsdann: »bei unsrer lieben Frau vom Berge! Da hätte ich etwas Hübsches angerichtet. Das Schreiben gehört meinem würdigen Ohm, dem Prälaten. Der eifrige Mann würde mich in Bann thun, käme es verletzt in seine Hände. Vergib indessen meiner begreiflichen Neugier, wenn ich Dich jetzo allein lasse, zur Stunde, wo der Becher Dir am besten mundet. Ich denke das Versäumte nächstens einzuholen. Für jetzt aber eile ich, den Ohm, so leid mir's thut, aus seiner abendlichen Bequemlichkeit zu stören, denn bis morgen die Ungewißheit zu ertragen, vermag mein Gemüth nicht. Gute Nacht!« – »Gute Nacht, Junker,« entgegnete Gerhard: »Ihr hegt doch keinen Groll gegen mich?« – »Sorge nicht;« beruhigte ihn Dagobert: »Was kann der Mund, dafür, daß er einem ungeschickten Kopfe gehorcht? Iß und trink! die freie Tafel bis zum Tage des Turniers soll darum nicht wegfallen!« –
Der Prälat staunte nicht wenig, die Stille seines Hauses durch ein ungebührliches Pochen und Lärmen gestört zu sehen, und traute kaum dem Bericht des zur Pforte gesandten Dieners, der die Ankunft des Neffen verkündete, welcher Haus und Hof wie mit Sturm eingenommen habe. Der furchtsame Geistliche, der sehr geneigt war, an eine beabsichtigte[338] Gewaltthätigkeit seines Wildfangs von Anverwandten zu glauben, rief Fiorillen herbei, die ihn nur mit Mühe von dem Vorhaben abhielt, seine ganze Dienerschaft zu seinem Schutze um sich her zu versammeln.
»Entschuldigt meinen seltnen, späten und überlästigen Besuch!« rief Dagobert beim Eintreten: »Mein Geschäft bei Euch ist kurz, aber um so dringender!« – Der Prälat lief einige Schritte zurück, da Dagobert's Hand rasch nach dem Gürtel fuhr, um den Brief herauszuziehen, und die Versicherung Fiorillens, es sey wirklich nur ein harmloses Papier und keine Mordwaffe, welches der Vetter bei sich trage, konnte Monsignore kaum beruhigen. Dagobert war genöthigt, ihm wie einem widerstrebenden Kinde die Finger zu öffnen, und den Brief hineinzulegen, mit der Bitte, doch ja alsobald den Inhalt desselben ihm mitzutheilen.
Nun begann der Muth des Prälaten wiederum zu wachsen. »Per Dio e la santissima vergine!« rief er mit aufgeblasenen Backen, da er den Ungrund seiner Besorgniß einsah: »heißt das nicht die Roheit eines deutschen Lümmels auf die höchste Spitze steigern? Wie nanntest Du Dich vorhin? Einen seltnen, späten, überlästigen Gast? Ja wohl; eine Lüge sagtest Du mindestens nicht in diesen Worten. Ist das eine seine Zucht und Sitte? Überfällt bei Nacht und Nebel, einem Buschklepper gleich, seinen Ohm, einen Prälaten, der noch obendrein aufgebracht gegen ihn ist, und mit Recht ungehalten auf seinen Lebenswandel. Und warum dieser stürmische Überfall, der[339] manchem weniger Beherzten den blassen Tod hätte zufügen können? weshalb dieser Gräul? Um einen Brief zu überbringen, der morgen eben so gut gelesen werden könnte, denn heute.« –
»Mag seyn, Ohm;« erwiederte Dagobert: »ich kann Euch aber darum doch nicht helfen. Meine Besorgniß ist zu groß. Meinem Vater ist ein Unfall zugestoßen, dessen nähern Verlauf ich heute noch wissen muß.« – »Höre doch einmal zu, Fiorilla!« seufzte der Prälat, trostlos die Hände faltend: »Höre doch, wie der Gelbschnabel zu mir spricht. Wie ein Guardian zu einem Novizen. Was geht mich denn seine Besorgniß an? Warum muß ich denn gerade heute noch das Schreiben lesen?« – »Weil es meinen Vater betrifft;« versetzte Dagobert heftig, der freilich nur Euer Bruder ist, und weil ich – kurz und gut – nicht eher aus dem Hause gehe, als bis ich weiß, was den Meinen zugestoßen. – »Du wirst sehen,« raunte der Prälat Fiorillen in's Ohr – Du wirst sehen, er setzt uns noch auf die Gasse, und macht sich breit in meinen vier Pfählen. Sieh nur, er glüht im Gesichte wie ein Kobold. Ob er betrunken ist, oder ob er am Veitstanz laborirt, oder – was den deutschen Bären öfters zu begegnen pflegt – gerade von einer verderblichen Lust zu morden und zu wüthen befallen ist – wer weiß das? – »Thut ihm deshalb den Gefallen, den er verlangt;« ermahnte Fiorilla: »Sohnesliebe spricht aus ihm.« – »Nun, wenn Du meinst;« versetzte der Prälat: »so sey es drum. Gib mir die Brille, und zünde mir im Nebengemach die Lampe an. Du weißt wohl,[340] setzte er leiser hinzu, daß ich an dem verdammten krausen Geschrifft lange studiren muß mit meinen blöden Augen, und ich kanns nicht leiden, daß der wilde Laffe davon Zeuge sey. Unterhalte ihn indessen, wenn Du Dich vor ihm nicht fürchtest; und suche ihn zu begütigen, damit der Teufel Ruhe halte, der in ihm rumort.« – Fiorilla versprach ihm, ihr Möglichstes zu thun, und der Prälat schlich zum Nebengemach, sich an die beschwerliche Arbeit zu machen. Dagobert hatte sich in einen Sessel geworfen, und starrte erwartungsvoll zur Decke empor. Fiorilla machte sich allerlei in der Stube zu schaffen, näherte sich dem Schweigenden, entfernte sich wieder von ihm, hustete, sprach mit dem Sittich, und da alle die kleinen Mittel nicht verfingen, die sonst wohl der Männer Aufmerksamkeit rege machen, trat sie auf's Neue zu dem Jüngling und klopfte ihm leise auf die Schulter. Dagobert tauchte aus der Fluth seiner Gedanken auf, und sah verwundert in das Auge des lieblichen Mädchens, in welchem sich weder Leichtfertigkeit, noch stille Sehnsucht, wohl aber die freundlichste Theilnahme aussprach. »Warum so verloren?« redete Fiorilla sanft und wohlthuend den Vetter an: »Was kann Euch so sehr betrüben und kränken? Euer Vater ist ja nicht gestorben, da er selber Urkund von sich gibt, und andrer Schmerz belastet Euch nicht!« – »Ihr habt Recht, Mühmchen;« entgegnete Dagobert leicht: »für heute ist Ungewißheit mein Einziger.« – »Wir Frauen möchten so gerne jede Plage von der Brust des Mannes nehmen,« fuhr Fiorilla fort: »Wie lohnt ihr mir, wenn ich[341] diese Frauenpflicht an Euch übe? wenn ich vielleicht einen Augenblick Eures Lebens in die Farbe der Rosen tauche?« – »Versucht's!« sprach Dagobert: »Wählt gleich den jetzigen Augenblick, in dem ich der Erheiterung bedarf.« – »So entrunzelt Eure Stirne! Dem Manne, der liebt, und sich der heftigsten Gegenliebe erfreut, ziemt der düstre Unmuth nicht.« – »Gutes Mühmchen! Ihr wißt um meine seltsame Liebschaft; es ist wahr. Was soll diese aber hier? Ihr Gedächtniß könnte meinen Unmuth mehren.« – »Nicht so finster!« äußerte Fiorilla, neckend drohend: »Der Liebende hört ja doch sonst mit voller Seele den Werth seines Liebchens von fremden Zungen preisen. Machtet Ihr hier eine Ausnahme? Ich glaube nicht. So wißt denn, daß ich Euch belobe ob der Wahl, die Ihr getroffen.« – »Ihr?« fragte Dagobert befremdet: »Wie könnt ihr wissen?« – »Erinnert Ihr Euch noch jener Nacht, in der Ihr, des Bedürfnisses voll, eine Vertraute Eurer kleinen Geheimnisse zu haben, unter mein Fenster kamt, und mir mit überströmender Freude erzähltet, Euer Lieb von Frankfurt befinde sich zu Costnitz, ... Ihr hättet sie gesehen ... gesprochen? ...« – »Recht wohl entsinne ich mich des Abends, von dem Ihr sprecht; denn kaum der Wochen dreie sind seitdem verstrichen; wie aber jene Kunde sich mit dem Beginn Eurer Rede reimt .....« – »Das begreift ihr nicht? Kurzsichtiger! Ihr kennt die Wißbegier der Frauen nicht. Diejenige zu schauen, deren Reize Euch unempfindlich gemacht hatten gegen meine Freundlichkeit, ließ ich mich die Mühe nicht verdrießen, das holde Judenkind[342] aufzusuchen. Bald entdeckte ich dessen Aufenthalt. Der Vorwand, italienisch Geld gegen deutsche Münze umzutauschen, führte mich beim Vater ein; meine Jugend und Schmeichelei machte mich der Tochter angenehm, – das Vorgeben: ich sey noch, was ich einst war, – ihre Glaubensverwandte – machte dem Vater meinen öftern Besuch bei der einsamen Tochter wünschenswerth; und mein offnes Bekenntniß von meinem Übertritt und meinen ziemlich nahen Beziehungen zu Euch, gewann mir das unumschränkte Vertrauen Esthers!« – »Ists möglich?« rief Dagobert: »und ich ahnte nicht? ....« –
»Warum kamt Ihr nicht mehr in Ben Davids Haus?« fragte Fiorilla: »Oft schlich ich mich von hier weg, um Euch an Esthers Seite zu erwarten. Oft harrte ich auf einen abermaligen Abendbesuch unter meinem Kammerfenster, um Euch von dem Gesagten in Kenntniß zu setzen. Esther und ich, wir harrten umsonst. Grausamer! wer wollte kalt an solchem Schatze vorübergehen, und seiner nicht begehren, nicht um ihn sich bewerben? Welch eine Fülle von Reizen, die ich neidisch bewundre, aber auch welch ein Reichthum von Tugenden, liegt in diesem Wundermädchen verborgen! Ihr kennt die Blüthe nicht, nach welcher Euer Auge lüstern sah, von welcher sich jedoch die Hand scheu entfernte. Das Vorurtheil ist in Euer Herz eingewachsen, wie sich der stumpfe Splitter öfters in der Wunde vernarbt. Ihr liebt in dem reizenden Geschöpfe sein Geschlecht; Ihr haßt in ihm sein Volk. Welch unendliche Liebe fühlt Esther für Euch! wie lohnt Ihr dieselbe durch[343] schroffes Verschmähen! Ich habe des Mädchens Leidenschaft durchschaut; ich bewundere schaudernd den Abgrund dieser stammenden Neigung, wie sie nur die glühende Sonne des Mittags erzeugt. Esther gleicht dem lodernden Brande; Ihr der abreisenden Eisklippe. Esther könnte Jahrelang für Euch sterben ... Ihr wagt es nicht nur einen Augenblick für sie zu leben!« –
Erschüttert schwieg Dagobert, als Fiorilla geendet hatte. »Eure Gleichnisse sind übel gewählt;« begann er kurz darauf, mit so viel Gleichmuth, als ihm zu Gebote stand: »Und dennoch – ein seltner Fall – treffend in ihrer übeln Auswahl. Sie sprechen das richtigste Urtheil. Brand und Eis sollen nimmer sich verbinden. Der Augenblick, der sie vereint, ist zugleich der Augenblick des Todes für Beide. Müht Euch darum nicht, gutes Mühmchen. Und wäre auch endlich – was ich behaupte – die sittsame, züchtige Esther nicht die Flamme aus der Nachbarschaft der Wüste, und ich, Dagobert Frosch, nicht der eiskalte Sumpfbewohner, den mein Name verkündet, sondern wir beide ganz gewöhnliche Menschen von gemäßigter und gegenseitiger Leidenschaft; – dennoch würde nichts aus Eurer Ehestiftung. Mich fordert der Altar, wie ihr wohl wißt, holde Freundin.« –
»Müßt Ihr denn, einem blinden Wahne gehorchend, zwei Herzen brechen?« eiferte Fiorilla: »Gibt es nicht Lande, wo man vom thörichten Gelübde Eurer Mutter nichts weiß? Flieht dorthin. Esther, ich schwör's Euch zu, wird nach kurzem Widerstande[344] folgen, ohne Kampf die Lehre lassen, die ihr Herz nicht liebt; zu dem Glauben sich bekennen, der ihr jetzt schon theuer, weil es der Eurige ist. Eure Wissenschaft, und adlich Gewerbe sichert den Wohlstand Eurer Hütte. Wagt es glücklich zu seyn, entflieht der Welt, um ihre Freuden ungestört zu genießen. Bedürft ihr des Beistands, des Raths? wählt mich. Durch Überredung, That und Anschlag fördre ich Euern Zweck. Esther wird glücklich, Euer Herz versteinert nicht unter dem Scapulier, und ein blühend Geschlecht wird Euren Freisinn, Euren Muth segnen und verehren.«
»Und rechnet Ihr für Nichts die Verwünschungen eines glaubenseifrigen, betrognen Vaters, mit welchen belastet Esther fliehen würde? für Nichts den Fluch des Meinigen? Das Urtheil der Welt, den Bann der Kirche, unser eignes streng richtendes Gewissen, und endlich den entsetzlichen Augenblick des Wiedersehens dort oben, wenn meine Mutter mir entgegenkommen und mich fragen wird: Sohn! wie hast Du mein Gelübde geheiligt? Es ist nicht gelöset, und doch nicht erfüllt worden! – Ich danke Euch, Fiorilla, für Eure angebotne Hülfe, allein, Gott sey Dank; der Helfer ist in meiner eignen Brust. Laßt die Sache beruhen, und uns lieber geduldigen Gemüths vernehmen, was der Ohm, den ich kommen höre, mir zu verkündigen haben wird.«
Wirklich trat auch der Prälat gewichtigen Schritts aus dem Seitengemach, Lampe und Brief in der Hand. Sein Antlitz zeugte von einer gerade nicht unbedeutenden Bewegung, und auch der Gang war[345] nicht so sicher, wie wohl sonst. – »Redet, um der ewigen Barmherzigkeit willen!« – rief ihm Dagobert entgegen, der alsobald über die Besorgniß für den Vater das so eben abgehandelte Gespräch vergessen hatte: »Martert mich nicht. Was ist geschehen?« – »Der Herr hat es noch wohl gemacht;« erwiederte Hieronymus, kläglich auf die Ruhebank sinkend: »der Bruder lebt, und wird bald vollends genesen seyn, aber ein Unfall hat ihn betroffen, wie er sich nur in den verwahrlosten deutschen Landen begeben kann. In der Dämmerung sich nach Hause wendend, begegnete ihm ein Freihart in Pudelmütze und Wolfspelz, und schaut ihm mit blutroth gefärbtem Angesichte keck und unverschämt unter das herabgekrampte Piret. Dein Vater fährt zurück.« Der Wütherich, dem die leere Straße Muth zulegt, fragt ihn höhnisch: »Kauf mir ein Menschenleben ab, Schöff!« – Und da nun der Bruder ihn zurückstößt, und den Mund öffnet, um nach Hülfe zu schreien, so fühlt er bereits das Messer des Wehrwolfs unter seinen Rippen sitzen, und sinkt dahin. »Gute Nacht, alter Frosch!« ruft ihm noch der häßliche Mörder in's Ohr: »Dein Fröschlein kommt nach!« und packt den Verwundeten an, um ihn an den Rand des Grabens zu schleifen, und wahrscheinlich kopfüber in der Hirsche Revier hinabzustürzen. Da nahen aber glücklicherweise Leute; um seines Werks wenigstens sicher zu seyn, führt der Verfluchte noch einen Stoß gegen die Brust des armen Diether's. Der Stahl prallt jedoch zum Heil von der Halskette desselben ab, und der Bluthund entflieht. Die Wunde wurde, von wenig[346] Bedeutung zu seyn, erkannt, und wie gesagt, Dein Vater ist auf dem Wege zur vollen Besserung.
»Abscheuliches Verbrechen!« riefen Dagobert und Fiorilla entsetzt aus.
»Nun ist aber dennoch auf sothanem Schmerzenlager« – fuhr der Prälat fort – »der Gedanke in dem Bruder erwacht: es möchte denn doch vielleicht der Herr einst schnell über ihn gebieten, und da es löblich ist, in solchem Alter und solcher Befürchtung noch einmal sein Geschlecht um sich zu versammeln, und sich mit denjenigen zu versöhnen, mit denen ein unbilliger Haß uns entzweit hat, so verlangt der wackre Diether, ich solle mich in Deiner und Wallradens Gesellschaft zu ihm begeben, um das Fest seiner Heilung in seinem Hause feierlich zu begehen. Wallrade soll bei dieser Gelegenheit wieder in alle Kindesrechte und den Arm des Vaters aufgenommen werden.«
»Daran thut mein allzuguter Vater gerecht und wohl;« erwiederte Dagobert: »obschon die Schwester diese Liebe nicht verdient, und auch nicht zu würdigen vermag. Was beschließt Ihr aber hierauf, mein hochwürdiger Ohm und Herr?«
»Hm!« sprach Monsignore nach zweifelhaftem Kopfschütteln: »Ich meine, daß es vollkommen hinreichen wird, wenn ich hier zu Costnitz in meiner stillen Kammer dem Herrn für das meinem Bruder wiederfahrne Heil danke, und zu Ehren unsrer lieben Frauen, die durch ihre Fürbitte des Mörders Stoß fehl gehen ließ, einige Messen lese. Wallraden werde ich jedoch zu der Aussöhnung bewegen, und[347] überlassen es Dir gerne, die Schwester nach dem Vaterhause zu geleiten, und wohlbehalten wieder anher zu führen.«
»Mit nichten;« äußerte Dagobert aufstehend und kalt: »Wallrade bedarf meines Geleits nicht. Einer ihrer zahlreichen Freier wird dieser süßen Pflicht sich leicht unterziehen, wenn nicht kaiserliche Majestät selbst ihren Reisestallmeister machen will. Euch überlasse ich es, Ohm, die Liebenswürdige vorzubereiten. Unstreitig wißt Ihr ihren jetzigen Aufenthalt besser denn ich, der nur dann und wann von müßigen Stadtzungen Gerüchte und Vermuthungen hört, die gar nicht zur Ehre unsers Stammes gereichen. Gerne werde ich auch Wallraden den Vorzug im Vaterhause einräumen, und daher einzurichten suchen, daß ich an dem Tage ankomme, an welchem sie geht. Schließlich danke ich Euch demüthigst für Eure gehabte Mühe, und werde dieselbe gegen meinen Vater zu rühmen wissen, da es Euch ohnedies widerstrebt tiefer in das verhaßte deutsche Geburtsland vorzudringen. Gute Nacht, würdiger Herr!«
Der Prälat sah betroffen, beschämt und staunend dem Neffen nach, der – wie er endlich zu begreifen begann, – unter dem Schimmer jugendlichen Leichtsinns einen stechenden Ernst barg, welcher einem verweichlichten Gemüthe um so empfindlicher wehe that. Fiorilla leuchtete dem Scheidenden bis zu des Hauses Pforte. Daselbst ergriff sie seine Hand, sah ihn mit weinenden Augen an, und sagte: »Ihr habt heute durch Eure feste Redlichkeit vermocht, daß ich vor mir selbst erröthete. Könnt Ihr mir vergeben,[348] wozu ich Euch verleiten wollte?« – »Von ganzem Herzen!« erwiederte Dagobert, denn Ihr wart weit entfernt, mich zu beleidigen. Euch reißt die Leidenschaft dahin, und zwingt Euch zum Tribut. Ich aber bin einer ihrer schlimmsten Zahler, und mein Trachten geht darauf aus, die ungestüme Mahnerin ganz aus meinem Hause zu werfen. Schätzt Euch darum nicht geringer, mich nicht höher als von nöthen. Ihr seyd noch lange nicht der lodernde Brand, den Euch die wilde Empfindung vorspiegelt, ich noch lange keine Eisscholle. Esther ist aber viel zu gut, und zu edel, als daß ich ihr für kurze Wonne eine ewige Reue verkaufen möchte. Gute Nacht!
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Der Jude
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