Incipit vita nova

[197] Der funkelnden Säle goldig flimmernden Schächte

und Pfeiler und Wände mit rieselnden Steinen behängt

ward ich nun müde. Und der fiebernden Nächte

in klingenden Grotten von lauen Lichten getränkt.


Zu lange lauscht ich in den smaragdenen Grüften

schwebenden Schatten sickernder Tropfen Fall –

Zu lange lag ich umschwankt von betörenden Düften

lüstern gewiegt von schläfernder Geigen Schwall.


Vom Söller den die eisernen Zinnen hüten

sah ich hinab aus dämmringem Traum erwacht:

Glitzernd brannten die Wiesen die Wasser glühten

silbern durch die schwellende Sommernacht.


Süßer als aus Rubin und Demant die Hallen

wiegt mich der funkelnde Himmel das dampfende Ried –

Durch die taumelnden Tannen will ich wallen

weinend lauschen der kleinen Amseln Lied.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 2, Hamburg o.J. [1954], S. 197-198.
Lizenz:
Kategorien: