[166] Ich mußte gleich zum Strand.
In meinem Blute scholl
Schon Meer. O schon den ganzen Tag. Und jetzt die Fahrt
im gelbumwitterten Vorfrühlingsabend. Rastlos schwoll
Es auf und reckte sich in einer jähen frevelhaften Süße,
wie im Spiel
Sich Geigen nach den süßen Himmelswiesen recken.
Dunkel lag der Kai. Nachtwinde wehten. Regen fiel ...
Die Böschung abwärts ... durch den Sand ... zu dir,
du Flut und Wollust schwemmende Musik,
Du treibend Glück, du Orgellied, bräutlicher Chor!
Zu meinen Füßen
Knirschen die Muscheln ... weicher Sand ...
wie Seidenmatten weich ... ich will dich grüßen,
Du lang Entbehrtes! O der Salzgeschmack,
wenn ich die Hände, die der Schaum bespritzte,
an die Lippen hebe ...
Viel Dunkles fällt. Es springen Riegel. Bilder steigen.
Um mich wird es rein. Ich schwebe
Durch Felder tiefer Bläue.
Viele Tag' und Nächte bauen
Sich vor mich hin wie Träume. Fern Verschollnes.
Fahrten übers Meer, durch Sternennächte.
Durch die Nebel. Morgengrauen
Bei Dover ... blaues Geisterlicht um Burg
und Shakespeare's Cliff, die sich der Nacht entraffen,[167]
Und blaß gekerbte Kreidefelsen, die wie Kiefer
eines toten Ungeheuers klaffen.
Sternhelle Nacht weit draußen auf der Landungsbrücke,
wo die Wellen
Wie vom Herzfeuer ihrer Sehnsucht angezündet,
Funken schleudernd, an den braunen Bohlen
sich zerschellen.
Und blauer Sommer: Sand und Kinder. Bunte Wimpel.
Sonne überm Meer,
das blüht und grünt wie eine Frühlingsau.
Und Wanderungen, fern an Englands Strand,
mit der geliebten Frau.
Und Mitternacht im Hafen von Southampton:
schwer verhängte Nacht,
darin wie Blut das Feuer der Kamine loht,
Und auf dem Schiff der Vater ...
langsam bricht es in das Schwarz, nach Frankreich zu ...
und wenig Monde später war er tot ...
Und immer diese endlos hingestreckten Horizonte.
Immer dies Getön:
frohlockender und kämpfender Choral –
Du jedem Traum verschwistert!
Du in jeder Lust und jeder Qual!
Du Tröstendes! Du Sehnsucht Zeugendes!
In dir verklärt
Sich jeder Wunsch, der in die Himmel
meiner Schicksalsfernen fährt,[168]
Und jedes Herzensheimweh nach der Frau,
die jetzt im hingewühlten Bette liegt
Und leidet, und zu der mein Blut wie eine Möwe,
heftige Flügel schlagend, fliegt.
Du Hingesenktes, Schlummertiefes!
Horch, dein Atem sänftigt meines Herzens Schlag!
Du Sturm, du Schrei,
aufreißend Hornsignal zum Kampf,
du trägst auf weißen Rossen mich zu Tat und Tag!
Du Rastendes!
Du feierlich Bewegtes, Nacktes, Ewiges!
Du hältst die Hut
Über mein Leben, das im Schachte
deines Mutterschoßes eingebettet ruht.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Aufbruch
|
Buchempfehlung
Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.
98 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro