Trübsal

1810.


Lied.


Trüb und immer trüber ziehet

Wolk' auf Wolke schwer empor,

Bleicher Abendschimmer fliehet

Und kein Sternlein blickt hervor.

Auf des Lebens Ocean

Schwanket einsam hin mein Kahn,

Sorge sitzt am Steu'r, im Wider-

Winde rauscht das Segel nieder.


Hoch und immer höher thürmen

Sich die Wogen, tiefer klafft

Meeresschlund, in wilden Stürmen

Aufgelös't sinkt meine Kraft! – – – –

Zucke, Schmetternder, herab,

Flamm' und Abgrund sei mein Grab,

Unter Blitz und Donner-Krachen

Auf! zerschelle du, mein Nachen!
[248]

Fern die Schmach! des Menschen Würde

Trotzet siegreich dem Geschick,

Schleudert ab die Trübsalsbürde,

Schaut mit Hohn hinab auf's Glück;

Unsers welken Fittigs Band

Löset nur die eigne Hand,

Nur im innern Herzensspiegel

Pranget unsrer Hoheit Siegel. – – – –


Gräuel, Schauder! schone, schone,

Blick in's nackte Menschenherz!

Ach, alsbald vom Dünkelthrone

Stürzt er uns in Schaam und Schmerz!

Trotzig und verzagt bist du,

Herz, des Menschen! Trost und Ruh'

Kann, des Jammers Sturm zu stillen,

Nicht aus deinem Schlamme quillen!


Rettung! wo? – – – Erreicht wohl Klage

Jenes hohen Weltgeists Ohr,

Der, so lehrt der Schule Sage,

Kreiset in der Sphären Chor,

Sprüht im Funken, grünt im Baum,

Wiegt sich in der Welle Schaum? – – –

Nein! Es beut des Uralls Oede

Meinem Anker keine Rhede! – – – –
[249]

Heil mir! Wohl an wen ich glaube

Weiß ich, Truggestalten weicht!

Kenn' Ihn, den, wenn ich im Staube

Flehe, mein Gebet erreicht,

Ihn, der Liebe Urquell, Ihn,

Vater ist sein Nam', o Ihn,

Der im Vaterherzen heget,

Was im Schöpfungsraum sich reget!


Allbarmherzig Er, es blühe

Ros' und Myrt' auf meinem Pfad,

Oder ach in Trübsals Mühe

Schleich' er durch die Distelsaat.

Wohl ein selig Loos mir fiel

Führt es sich'rer mich zum Ziel,

Schweb' ich aus dem Läut'rungstiegel

Leichter hin zum Grabes Hügel!

Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Band 2, Hamburg 1820, S. 243-244,248-250.
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