Sturmnacht

[144] Im Hinterhaus, im Fliesensaal

Über Urgroßmutters Tisch' und Bänke,

Über die alten Schatullen und Schränke

Wandelt der zitternde Mondenstrahl.

Vom Wald kommt der Wind

Und fährt an die Scheiben;

Und geschwind, geschwind

Schwatzt er ein Wort,

Und dann wieder fort

Zum Wald über Föhren und Eiben.


Da wird auch das alte verzauberte Holz

Da drinnen lebendig;

Wie sonst im Walde will es stolz

Die Kronen schütteln unbändig,[144]

Mit den Ästen greifen hinaus in die Nacht,

Mit dem Sturm sich schaukeln in brausender Jagd,

Mit den Blättern in Übermut rauschen,

Beim Tanz im Flug

Durch Wolkenzug

Mit dem Mondlicht silberne Blicke tauschen.


Da müht sich der Lehnstuhl, die Arme zu recken,

Den Rokokofuß will das Kanapee strecken,

In der Kommode die Schubfächer drängen

Und wollen die rostigen Schlösser sprengen;

Der Eichschrank unter dem kleinen Troß

Steht da, ein finsterer Koloß.

Traumhaft regt er die Klauen an,

Ihm zuckt's in der verlornen Krone;

Doch bricht er nicht den schweren Bann. –

Und draußen pfeift ihm der Wind zum Hohne

Und fährt an die Läden und rüttelt mit Macht,

Bläst durch die Ritzen, grunzt und lacht,

Schmeißt die Fledermäuse, die kleinen Gespenster,

Klitschend gegen die rasselnden Fenster.

Die glupen dumm neugierig hinein –

Da drinn' steht voll der Mondenschein.


Aber droben im Haus

Im behaglichen Zimmer

Beim Sturmgebraus

Saßen und schwatzten die Alten noch immer,

Nicht hörend, wie drunten die Saaltür sprang,

Wie ein Klang war erwacht

Aus der einsamen Nacht,

Der schollernd drang

Über Trepp' und Gang,

Daß drin in der Kammer die Kinder mit Schrecken

Auffuhren und schlüpften unter die Decken.
[145]

Quelle:
Theodor Storm: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 41978, S. 144-146.
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