Im Hafen

[119] Dir, edle Herrin, will ich bringen

Des treuen Dichters Scheidegruß,

Ich weiß nicht, was ich werde singen,

Wohl aber, daß ich singen muß.


Des Ankers Kralle weicht vom Grunde

Und vom Valetschuß kracht die See;

Es ist die allerletzte Stunde,

Doch nicht das allerletzte Weh.


Der Wimpel weht mit frohen Grüßen

Verständlich von des Mastes Knauf;

Noch einmal sink' ich Dir zu Füßen,

Noch einmal seh' ich zu Dir auf.


Ich hab' es lang' genug ertragen,

Die Stunde fliegt mit Schwalbenflug,

Ich muß Dir alles, alles sagen,

Was ich für Dich im Herzen trug.


Ich weiß nicht, ob Du mich verstanden,

Ich weiß nicht, ob Du mich erhört,

Ob meiner Lieder wildes Branden

Dich hat gerührt, Dich hat empört.


Ich weiß es nicht, in welche Fernen

Mich bald von Dir die Woge rollt;

Das aber möcht' ich wissen lernen,

Ob Du mir jemals wohl gewollt,


Ob Dich ein einzig Wort erschüttert,

Ob Dich ein einz'ger Blick durchdrang,

Ob Dich von mir ein Traum umzittert,

Ob Dir ein Lied zum Herzen klang.
[119]

Das eine, Herrin, laß mich wissen,

Ob Dir mein Werben nicht verhaßt;

Laß mich die grüne Flagge hissen,

Die Hoffnungsflagge, auf den Mast!


Und wie der Kämpfer speerdurchstochen

Sich in die Fahne hüllt hinein,

So soll, wenn einst dies Herz gebrochen,

Mein Bahrtuch diese Flagge sein.

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 119-120.
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