[136] Entweicht von meiner Seele Spiegel,
Ihr Nebel, die ihr ihn umzogt,
Es ist der Liebe Schwanenflügel,
Der über meinem Haupte wogt.
Und sieh: Du kommst dahergefahren,
Frau Minne, durch des Äthers See;
Doch anders bist Du als vor Jahren,
Und strahlender, allmächt'ge Fee!
Du träuftest sonst mir als Armide
Den Zauberschlaf ins beste Mark,
Nun kommt Dein Kuß, wie Gottesfriede,
Und macht mich freudig, fromm und stark.
Und kamst Du sonst geschäumt, geschossen,
Ein Strom, der vom Gebirge rollt,
So liegst Du jetzo mild ergossen,
Ein See im keuschen Sonnengold.
Du bist kein Feuer farbenflüchtig,
Das prächt'ge Funkengarben sät,
Nein, eine Flamme alldurchsichtig
Und loderst still in Majestät.
Du bist kein ungestümes Regen,
Das heiße Herzen blutig gräbt,
Du bist der reiche Gottessegen,
Der über meinem Liede schwebt.
Es war mein Geist ein sehnsuchtskranker
Nach reiner Liebe, frischem Blut;
Des Sanges Schiff lag matt vor Anker,
Es schliefen Segel, Lust und Flut.
Da kommt Dein Sturm und schwellt die Linnen,
Der Purpurwimpel fliegt zur Höh',
Der Segler jagt mit Klang von hinnen,
Und vor dem Kiele jauchzt die See.
[137]
Und immer tiefer werd' ich's inne,
Was vor Dir war, ist Farbendunst,
Du bist die wahre, höchste Minne,
Du bist des Himmels beste Gunst!
Heil jedem Munde, der Dich feiert,
Aus dem Dein Blütenodem geht;
Wem Du Dich einmal ganz entschleiert,
Der ist wahrhaftig ein Poet.
Es zieht die Nacht den heil'gen Bogen,
Und Liebe wogt ob Land und Meer;
Es trägt auf lauen Zitterwogen
Die linde Luft dies Lied daher,
Und zürnst Du mir in keuschem Sinne,
O Herrin, wenn es trifft Dein Ohr,
So denk': Es ist die reinste Minne!
Und schlafe furchtlos, wie zuvor.
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