a.

[267] Das alte Westersteder »Kaspelleed« sagt von Westerstede:


In Westerstede steiht de hoge Torn,

Dar sgall dat gansse Kaspel bi versorn.


Das soll wohl auf die großen Kosten hinweisen, welche das ganze Kirchspiel für den Bau des Turmes zu Westerstede aufbringen mußte. Dafür ist aber auch der Turm der ansehnlichste im ganzen Ammerlande geworden, und selbst die Ostfriesen beneideten die Westersteder um ihren Turm, den sie seiner Höhe wegen, die vordem noch beträchtlicher war als jetzt, den Kiek-int-Land nannten. In ihrer Mißgunst machten die Ostfriesen einst einen Anschlag, wie sie den Turm zerstören könnten, und zogen einmal in der Nacht mit so viel Ochsen, als sie auftreiben konnten, und einem langen dicken Tau nach Westerstede. Heimlich banden sie das Tau an die Spitze des Turmes und ließen nun die Ochsen, ein Gespann hinter dem andern, mit aller Macht an dem Tau ziehen. Aber als die ersten Paare so stark zogen, baumelten hinten, ehe die Treiber sich dessen versahen, die Ochsen an dem straff gezogenen Seile ihnen über den Köpfen, und je strammer die vordersten Ochsen zogen, desto höher gingen die hintersten in die Luft, und die Treiber vorne merkten zuerst nichts davon, denn so lang war der Zug, daß sie das Geschrei der letzten Treiber nicht hören konnten. Erst als das Tau immer straffer und straffer wurde und immer weiter nach vorne ein Gespann nach dem andern in die Höhe ging, kamen sie dahinter. Sie ließen nun ab von ihrem Unternehmen und machten sich schleunigst davon, ehe die Westersteder wach würden, habens auch nachher nicht wieder versucht. Leute, welche sich eines guten Augenmaßes[267] rühmen, wollen indessen behaupten, die Spitze des Turmes sei seit jener Zeit etwas geneigt. Einige schreiben übrigens das verfehlte Unternehmen nicht den Ostfriesen, sondern den Apern zu.


Westersteder Kaspelleed

(Oldenb. Volksbote, 1843.)


1.

Ik weet wol, ik weet wol, wo god wahnen is,

To Hollwege, to Hollwege, wenn't Sommer is.

Chor: To Hollwege, to Hollwege, wenn't Sommer is.1


2.

De Halstruppers de hewwt de fetten Swien,

De Moorborgers driewt se henin.2

Chor: De Moorborgers usw.


3.

De Halsbecker hewwt de hogen Schauh,

De Eggeloger snören se to.

Chor: De Eggeloger usw.3


4.

To Jühren steit dat hoge Holt,

To Linswege sünd de Derens stolt.

Chor: To Linswege usw.


5.

Dat Garnholt ist ja ook nich groot,

Doch ett et so gern Stutenbrod.4

Chor: Doch ett et usw.


6.

To Hülstee sünd de Straten deep,

To Westerstee sünd de Maikens leep.

Chor: To Westerstee usw.5


7.

De Fikensolter hewwt de snippern Schauh,

Darmit treet se när Westersteer Karken to.6

Chor: Darmit treet usw.[268]


8.

To Mansie gaht de Stakenhauers ut,

To Ocholt staht de Sögen Hus.7

Chor: To Ocholt staht usw.


9.

De Tossholter flickt de Stavelken-Schauh,

Det weert de Howikers selten froh.8

Chor: Det weert usw.


10.

De Seggeners hewwt enen hollen Boom,

Darin hangt se ähren Sadel un Toom.9

Chor: Darin hangt se usw.


11.

To Westerloy sünd de Grawen terbraken,

To Lindern sünd de Dooren geschlaten.10

Chor: To Lindern usw.


12.

To Borgforde dar staht de hogen Poppeln,

Dar geiht dat ganze Kaspel by in Koppeln.11

Chor: Dar geiht usw.


13.

To Westerstee dar steiht de hoge Thoren,

Dar schall dat ganze Kaspel by versoren.12

Chor: Dar schall usw.

1

Hollwege hat eine anmutige Lage, die Wege waren früher abscheulich, im Winter fast unbrauchbar, daher leitet man den Namen des Dorfes.

2

Halstrup hatte früher schöne Holzung und Schweinemast. Die Moorburger trieben die Schweine, die in ihren Bezirk kamen, in den Schüttstall.

3

Hohe Schuhe Zeichen des Wohlstandes. Das Zuschnüren deutet vielleicht minder Wohlstand, Abhängigkeit oder dergl. an.

4

Essen von Stutenbrot weist auf Wohlstand hin, möglicherweise lebten sie auch über ihre Kräfte.

5

Gegenseitiger Vorwurf der beiden Gemeinschaften infolge alter Grenzstreitigkeiten.

6

Die Junker von Fiksenolt trugen Schuhe mit Schnippen und Schnäbeln. Sie brüsteten sich damit, daß ihre Vorfahren für die Westersteder Kirche viel getan hätten.

7

Wer junges Holz verkauft, bevor es ausgewachsen, erhält den Spottnamen Stakenhauer. Söge = Sau. Ocholt wird Sögenhus genannt wegen der alten Sage, daß die benachbarten Dörfer Howiek und Ocholt, ersteres von dem Geschrei der Ferkel, das andere vom Klageton der Sau ihren Namen erhalten hätten. Vermutlich stand früher für Hus Hud = Wache, d.h. zu Ocholt stehen die Schweine Wache.

8

Stavelken-Schauh = Stiefel-Holzschuhe, Holzschuhe mit ledernen Schäften. Der 2. Vers hat früher wahrscheinlich geheißen: Dat weet de Howiker Holt-Dings-Frohn = das weiß der Howiker Holzgerichts-Frohn, soll heißen: Der Holzaufseher weiß, wie sehr die Holzungen von den Stiefelholzschuhen zu leiden haben.

9

Die Junker von Seggern waren nachlässige Leute und hängten Sattel und Zaum statt an den gehörigen Ort, in einem hohlen Baum auf.

10

Im Jahre 1456 fielen die Friesen über Westerloy in das Kirchspiel Westerstede ein; ein Teil wurde von den Westerstedern niedergemacht, der übrige in den Pässen von Mansie und Lindern, wo die Westersteder ihnen durch Verhaue die Wege oder Tore verschlossen hatten, erschlagen oder gefangen genommen.

11

Deutet hin auf alte Gerichts- oder Volksversammlungen unter den Pappeln. Vgl. auch S. 274.

12

Bezieht sich wohl auf den teuren Unterhalt des Turmes. Siehe das vorhin Gesagte.

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 267-269.
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