[59] Die Vorigen. Heinecke in zerrissenem Schlafrock, mit großen Filzschuhen an den Füßen, trägt einen Korb Kohlen herein.
HEINECKE dumpf. Guten Morgen.
ROBERT. Guten Morgen, Vater.
HEINECKE stumpfsinnig brütend. Ja, ja.
FRAU HEINECKE. Brumme nich, Vater! Hilf mir Feuer machen!
HEINECKE. Ja, ja! Machen wir also Feuer.
Sie knien vor dem Ofenloch.
ROBERT für sich. Und wenn ich ihn töte? Freilich, das wär Erquickung! Aber die Frage bleibt: Was wird aus diesen hier? Ich fürchte, ich darf mir den Luxus nicht gestatten, so was wie eine Ehre zu haben. Aufschreiend. Ah, bin ich schmutzig!
HEINECKE. Fehlt dir was, mein Sohn?
FRAU HEINECKE leise. Wegen die Alma! Er is jar nicht ins Bette gewesen.
HEINECKE. Ja, ja, die Alma! Dazu ist man in Ehren jrau geworden! Aber ick hab's stets gesagt: Das Vorderhaus wird uns ins Unglück stürzen.
FRAU HEINECKE. Vater, weine nicht.
Sie halten sich umschlungen.
ROBERT für sich. Daß einem das Herz nicht bricht!
HEINECKE. Ah, ick weene nicht! Ick bin der Herr im Hause! Ick weeß, wat ich zu tun habe! – Armer Krüppel hält auch auf Ehre! Mir soll das passieren? Meine Dochter? Die soll wat erleben! Schwingt die Ofenkrücke. Meinen Fluch werd ick ihr jeben. Meinen väterlichen Fluch!
FRAU HEINECKE welche die Betten aufräumt. Na, na!
HEINECKE. Ja du! Du verstehst von Ehre jar nischt. Schlägt sich auf die Brust. Da sitzt nämlich die Ehre. Auf die Straße wer' ick ihr stoßen in Nacht und Nebel hinaus.
ROBERT. Soll sie da ganz verderben, Vater?[59]
FRAU HEINECKE. Laß ihn man reden. Er meint's nich so schlimm.
ROBERT. Willst du nicht nach ihr sehn? Sie fürchtet sich wohl, uns vor die Augen zu treten.
FRAU HEINECKE. Schlafen wird se.
ROBERT. Oh!
FRAU HEINECKE geht an die Kammertür. Alma! Keine Antwort.
ROBERT. Um Gotteswillen! Man hätte sie nicht allein lassen sollen.
FRAU HEINECKE hat die Tür geöffnet. Wie ick dir sagte, sie schläft.
ROBERT. Sie kann schlafen!
FRAU HEINECKE. Wirst du wohl aufstehn, du schlechtes Mädchen?
HEINECKE hinter ihr. Vorwärts, raus, sonst jibt's Wichse!
ROBERT. Vater, Mutter, rasch noch, ehe sie kommt! Nehmt Euch in acht, zu strenge mit ihr zu sein. Das kann sie leicht verstockt machen.
FRAU HEINECKE. Du bist viel klüger, mein Sohn, als deine olle Mutter, aber das versteh ich besser. Wie ins Korrektionshaus werd ich ihr halten, wenn mir das Herz auch bricht. – Schuhe putzen, Kartoffeln schälen, Stuben ausfegen, Treppe scheuern, alles muß sie.
ROBERT. Und wenn sie Euch eines Nachts davonläuft?
HEINECKE. Pah, eingeschlossen wird se! – Schlüssel steck ich in die Tasche! – Wie soll sie da davonloofen?
ROBERT. Bedenkt, sie ist ja halb ein Kind! Und andere tragen mehr Schuld als sie! ... Die eigene Schwester! ... Ah! ... Wenn Ihr strenge sein wollt, so seid es gegen jene Kupplerin ... Ich hoffe, ja, ich kann's von Euch verlangen, daß Ihr Alma ein für allemal dem Einfluß ihrer Schwester entzieht und Augusten, wie ihrem Manne, die Türe weist.
HEINECKE. Sehr richtig! Machen wir reinen Tisch mit die Gesellschaft. Michalski hat mich nu genug geuzt. Da siehst du's, Mutter: Robert muß aus Indien kommen, um[60] es Euch zu sagen. Aber Ihr habt ja kein Herz für mich alten, braven Mann.
ROBERT. Verzeih, Vater! Um dich handelt es sich nicht.
HEINECKE. Janz ejal. – Und Aujuste ist eine Tellerleckerin. Wat sie erraffen kann, sackt se in.
FRAU HEINECKE die Schürze vor den Augen. Aber sie ist auch mein Kind, und ich habe alle meine Kinder jleich lieb!
ROBERT. Auch wenn sie deiner Liebe nicht würdig sind, Mutter?
FRAU HEINECKE. Dann erst recht!
ROBERT. Stille!
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