15

[130] Unsagbares Elend war über den Heidehof hereingebrochen. In dem Wohnzimmer lag der Vater auf seinem Schmerzenslager und wimmerte und schalt und verfluchte die Stunde seiner Geburt. In weicheren Stunden ergriff er die Hand seines Weibes, bat sie tränenden Auges um Verzeihung, daß er ihr Schicksal an sein verdorbenes Leben gekettet, und versprach, sie in Zukunft reich und glücklich zu machen. Reich vor allem – reich!

Es war zu spät. Seine milden Worte machten keinen Eindruck mehr auf sie, ihr angstgequältes Herz hörte aus ihnen heraus schon die Scheltreden grollen, die ihnen, wie immer, folgen mußten. Mit welken Wangen und erloschenen Augen schlich sie einher, ohne je einen Laut der Klage von sich zu geben, doppelt erbarmenswert in ihrem Schweigen.

Aber mit ihr hatte niemand Erbarmen, selbst Gott und das ewige Schicksal nicht. Sie wurde müder von Tag zu Tag, auf ihrer bleichen, blaugeäderten Stirn schien bereits der Stempel des Todes zu brennen, und das Glück, das lebenslang ersehnte, war ferner denn je.

Der einzige, der imstande gewesen wäre, ihr beizustehen, war Paul, allein der stahl sich wie ein Verbrecher um sie herum, er wagte kaum, ihr zum Morgengruß die Hand zu reichen, und wenn sie ihn ansah, schlug er das Auge nieder. Wäre sie minder stumpf und grambeladen gewesen, so hätte sie aus seinem absonderlichen Gebaren irgendeinen Verdacht schöpfen müssen, aber alles, was sie in ihrem Jammer empfand, war nur, daß sein Trost ihr fehlte.

Einmal in der Dämmerung, als er, wie gewöhnlich zur Feierstunde, in dem Schutt der Brandstelle herumwühlte, ging sie ihm nach, setzte sich neben ihn auf das zerbröckelnde Fundament und versuchte ein Gespräch mit ihm zu beginnen, aber er wich ihr aus, wie er auch sonst getan.[131]

»Paul, sei nicht so hart zu mir,« bat sie da, und ihre Augen füllten sich mit Wasser.

»Ich tu' dir ja nichts, Mutter,« sagte er und biß die Zähne zusammen.

»Paul, du hast etwas gegen mich!«

»Nein, Mutter!«

»Glaubst du, ich sei schuld am Brande?«

Da schrie er laut auf, umklammerte ihre Knie und weinte wie ein Kind, doch als sie sein Haar streicheln wollte, die einzige Liebkosung, die sonst zwischen ihnen gang und gäbe gewesen, da sprang er auf, stieß sie zurück und rief: »Rühr mich nicht an, Mutter – ich bin's nicht wert!«

Darauf wandte er ihr den Rücken und schritt auf die Heide hinaus.

Seit dem Augenblick, da er nach dem Brande zum erstenmal erwacht war, hatte sich eine fixe Idee seiner bemächtigt, die ihn nicht mehr aus ihrem Banne ließ, die fixe Idee: daß er, er allein, an allem die Schuld trüge.

»Hätt' ich mich nicht 'rumgetrieben,« so sagte er sich, »hätt' ich das Haus bewacht, wie's meine Pflicht war, das Unglück hätte nie und nimmer geschehen können.«

All sein geheimes Sehnen erschien ihm nun wie ein Verbrechen, das er am Vaterhause begangen hatte.

Wie Jesus auf Gethsemane, so rang er mit seinem Herzen, Sühne sind Vergebung zu finden. – Aber nirgends ließ die Angst ihm Ruhe. Zu allen Stunden tanzten die Flammen vor seinen Augen, und wenn er sich abends zu Bette legte und beklommen in das Dunkel starrte, dann war's ihm, als sähe er aus allen Ritzen feurige Zungen sich ausstrecken, als hüllten statt der Schatten der Nacht Wolken schwarzen Qualms ihn ein.

Über den Urheber des Brandes hatte er sich noch keine Gedanken machen können; die Sorgen, die aufs neue über ihn hereinbrachen, waren zu groß, als daß er der Rache hätte Raum gönnen dürfen. – Es fehlte am Nötigsten, kaum das Geld für den Apotheker ließ sich noch auftreiben. Er sann und rechnete tags und nachts und entwarf große Feldzugspläne, die notwendigste Barschaft[132] herbeizuschaffen. Auch an die Brüder schrieb er, ob sie ihm vielleicht durch ihren Einfluß gegen mäßige Zinsen ein paar hundert Taler besorgen könnten. Sie antworteten tieftraurig, daß sie selbst so mit Schulden beladen wären, daß sie unmöglich noch auf Kredit rechnen dürften. Gottfried, der Lehrer, hatte sich zwar vor kurzem mit einer wohlhabenden jungen Dame verlobt, und Paul war überzeugt, daß es ihm nicht schwerfallen könnte, ihre Familie zur Darleihung einer mäßigen Summe zu bewegen, aber er hielt dafür, daß die Würde seiner Stellung durch eine solche Bitte leiden würde; er müsse fürchten, meinte er, sich bei seinem Schwiegervater zu kompromittieren, wenn er ihm seine wahren Verhältnisse vorzeitig enthüllte.

Ein Segen war es bei alledem, daß die Rapsernte bereits verkauft und abgeliefert war und daß die Kartoffeln zum größten Teile noch in der Erde steckten. – So ließen sich kleine Barschaften erzielen, die zur Deckung der dringendsten Aufgaben hinreichten. Freilich, wie an einen Wiederaufbau der Scheune zu denken war? –

Inmitten der traurigen Trümmer, von verkohlten Balken und zerfallenden Mauern umgeben, stand hochaufgerichtet mit ihrem rußigen Leibe und ihrem schlanken Halse die »schwarze Suse«, das einzige Stück, das – von ein paar elenden Arbeitswagen abgesehen – aus dem Untergang gerettet worden war.

Die Zwillinge, die in dieser trüben Zeit viel von ihrer Munterkeit verloren hatten und nur in heimlichen Winkeln kosten und kicherten, gingen scheu um sie herum, und als der Vater sich zum erstenmal von seinem Lager aufrichtete und das schwarze Ungetüm durch das Fenster glotzen sah, ballte er die Fäuste und schrie: »Warum hat man das Biest nicht verbrennen lassen?«

Paul aber schloß sie noch inniger in sein Herz. »Jetzt wär's an der Zeit, daß du wieder lebendig würdest,« sagte er, zerrte an dem Rade und guckte in den Kessel hinein; er begann abends aus Lindenholz kleine Modelle zu schnitzeln, und eines Tages schrieb er an Gottfried: »Schicke[133] mir aus Eurer Schulbibliothek ein paar Bücher über die Einrichtung von Dampfmaschinen. Mir ist zumute, als ob für unser Vaterhaus viel davon abhinge.« – Gottfried ließ sich vergeblich bitten; erstens widerstreite es seinen Prinzipien, der Bibliothek Bücher zu entnehmen, die er nicht selber gebrauchte, und zweitens würden sie Paul doch nichts nützen, da er in der theoretischen Physik nicht bewandert sei. – Dann wandte er sich an Max. Der sandte ihm umgehend ein Zehnpfundpaket mit funkelnagelneuen Bänden, denen eine Rechnung von fünfzig Mark beilag. Er beschloß, die Bücher zu behalten und die fünfzig Mark allgemach zusammenzusparen. »Für die ›schwarze Suse‹ ist nichts zu teuer,« meinte er.

Aber neue Unruhe sollte über ihn hereinbrechen.

Eines Vormittags kam ein Wagen auf den Hof gefahren, in dem neben einem Gendarmen zwei fremde Herren saßen, von denen der eine, ein behäbiger Vierziger mit goldener Brille auf der Nase, sich als Untersuchungsrichter vorstellte.

Paul erschrak, denn er fühlte wohl, daß er mancherlei zu verheimlichen hatte.

Der Untersuchungsrichter besah zuerst die Brandstelle, nahm eine Zeichnung des Fundamentes auf und fragte, wo Tore und Fenster sich befunden hatten, dann ließ er die Dienstboten zusammenrufen, die er aufs genaueste befragte, was sie am Tage vorher und bis zu dem Augenblicke des Brandes getrieben hätten.

Paul stand bleich und zitternd daneben, und als der Richter das Gesinde entließ, um ihn selber zu vernehmen, war ihm zumute, als sei der Weltuntergang herangekommen.

»Sind Sie an dem Tage vor dem Brande in der Scheune gewesen?« fragte der Richter.

»Ja.«

»Rauchen Sie?«

»Nein.«

»Besinnen Sie sich, daß Sie in irgendeiner Weise mit Feuer, Streichhölzchen und dergleichen hantierten?«[134]

»O nein – ich bin viel zu vorsichtig dazu.«

»Wann waren Sie zuletzt in der Scheune?«

»Um acht Uhr abends.«

»Was taten Sie dort?«

»Ich hielt meinen allabendlichen Rundgang, bevor ich die Tore verschließe.«

»Verschließen Sie die Tore eigenhändig?«

»Ja – stets.«

»Bemerkten Sie etwas an dem betreffenden Abend?«

»Nein.«

»Haben Sie niemanden in der Umgegend herumschleichen sehen?«

Wie ein Blitzstrahl fuhr es auf ihn nieder. In diesem Augenblick erst entsann er sich des Schattens, den er beim Beginne des Brandes im Walde hatte untertauchen sehen. Aber das war ja nicht in der Umgegend. Und tief aufatmend erwiderte er: »Nein.«

»So, jetzt kommt's!« dachte er – die nächste Frage schon mußte seine nächtliche Wanderung ans Tageslicht ziehen, mußte das Geheimnis verraten, das er bisher im tiefsten Innern verschlossen gehalten hatte.

Aber nein. Der Untersuchungsrichter brach plötzlich ab und sagte nach einer kleinen Pause: »Bis vor kurzem war ein Knecht namens Raudszus in Ihren Diensten?«

»Ja,« erwiderte er und starrte den Richter mit großen Augen an. Also Raudszus war's, auf den der Verdacht sich lenkte.

»Weshalb haben Sie ihn entlassen?«

Er erzählte ausführlich jenen schrecklichen Vorgang, gab aber wohl darauf acht, daß die Szene mit Douglas, die ihm vorangegangen, so viel als möglich im dunkeln blieb. Nun die erste Gefahr abgeschlagen war, hatte er seine Ruhe wiedergefunden.

Der Protokollführer machte sich eifrig Notizen, und der Untersuchungsrichter zog die Brauen in die Höhe, als wär' er bereits völlig im klaren. Als Paul geendet hatte, gab er dem Gendarmen einen Wink, der schweigend kehrtmachte und auf dem Wege nach Helenental von dannen ging.[135]

»Jetzt zu Ihrem Herrn Vater!« sagte der Richter. »Ist er in einem Zustande, um vernommen zu werden?«

»Lassen Sie mich nachsehen,« erwiderte Paul und ging in die Krankenstube.

Er fand den Vater hochaufgerichtet im Bette sitzen, sein Auge blitzte, und auf seinen Zügen lag der Schimmer mühsam unterdrückter Wut.

»Laß sie nur kommen!« rief er Paul entgegen, »es ist zwar alles Firlefanz – an den Wahren wagen sie sich ja doch nicht aber laß sie nur kommen!«

Auch er erzählte dem Untersuchungsrichter die Szene des Kampfes, aber das gerade, was Paul schamhaft verschwiegen hatte, den Streit mit Douglas und das Hetzen des Hundes, das kramte er mit großsprecherischer Geschwätzigkeit vor den Fremden aus. Der Richter kratzte sich bedenklich den Kopf, und sein Schreiber notierte eifrig.

Als Meyhöfer bis zu dem Momente kam, in dem er das Eingreifen seines Sohnes hätte schildern müssen, schwieg er stille. Aus seinem Auge schoß auf ihn ein Strahl, in dem, jäh hervorbrechend, ein Feuer von Trotz und Ingrimm loderte.

»Und was weiter?« fragte der Richter.

»Ich bin ein alter Mann,« murmelte er zwischen den Zähnen, »zwingen Sie mich nicht, meine eigene Schande zu gestehen.«

Der Richter war's zufrieden. Als er den Alten fragte, ob sein Verdacht sich nicht schon vorher auf Michel Raudszus gelenkt hätte, da lachte er gar geheimnisvoll in sich hinein und raunte: »Die Hand, die elende Hand mag er wohl hergegeben haben, aber« – er stockte –

»Aber?«

»Schade, Herr Richter, daß die Gerechtigkeit eine Binde vor den Augen trägt,« antwortete er mit höhnischem Lachen – »ich habe nichts weiter zu sagen.« –

Richter und Protokollführer sahen sich kopfschüttelnd an, dann wurde das Verhör geschlossen.

»Wird Michel Raudszus verhaftet werden?« fragte Paul die Herren, ehe sie den Wagen bestiegen.[136]

»Er ist es hoffentlich bereits,« antwortete der Richter. »Er hat im Rausche allerhand verdächtige Äußerungen getan, und was wir von Ihnen erfahren haben, ist mehr als ausreichend, die Untersuchung gegen ihn einzuleiten. Freilich wird sich noch manches aufzuklären haben.«

Damit fuhren sie von dannen.

Lange starrte Paul dem Wagen nach.

Die letzten Worte des Richters hatten die Angst aufs neue in ihm erweckt, und während die Wochen verflossen und die Voruntersuchung ihre Wege ging, saß er bangend und zitternd daheim, nicht viel anders, als wenn der Richterspruch ihn und ihn allein zerschmettern würde.

Paul samt der Mutter und den Schwestern erhielten eine Vorladung zum Schwurgerichte, nur dem Vater war es freigestellt, daheim zum letztenmal verhört und vereidigt zu werden. Aber er erklärte, daß er lieber im Gerichtssaal tot zusammensinken wolle, als daß er zu Hause säße, während man den Vernichter seiner Habe frei auslaufen ließe. Wen er mit diesen Redensarten meinte, ließ er im unklaren, nur daß es der angeklagte Knecht nicht war, gab er deutlich genug zu erkennen. – – –

Der Tag der Verhandlung kam heran. Paul hatte für den Vater einen Tragestuhl gezimmert, der ihm jeglichen Schritt ersparte. In ihm wurde er auf den Wagen gehoben und weich in dem Heulager gebettet.

Es war eine gar elende Klapperfuhre, die die Familie Meyhöfer nach der Stadt hinführte, denn die besseren Wagen waren samt und sonders verbrannt. Die Leitern hatte Paul fortnehmen lassen und statt ihrer einen hölzernen Kasten hineingebaut; über die Strohbündel, die als Sitze dienten, hatte er alte Pferdedecken gebreitet, die die Jahre zerfetzt und entfärbt hatten. Inmitten dieser Dürftigkeit lag der Herr ächzend und schimpfend am Boden; sein Weib thronte obenauf, bleich und elend und vergrämt, als wäre sie der Genius dieses Verfalles; die ewig blühende Jugend, die selbst auf dem Schutte gedeiht, sie lachte aus zwei schelmischen Augenpaaren zwischendrein, und vornauf, als der Lenker dieses traurigen Vehikels,[137] saß Paul und schaute bekümmert vor sich nieder, denn er schämte sich, daß er den Seinen, die er zum erstenmal all' insgesamt in die Weite hinauskutschierte, keine stolzere Karosse bieten konnte.

Auf der falben Heide lagen die müden Strahlen der Novembersonne, struppig reckten sich die Erikabüschel zwischen gelben, dünnen Gräsern, hie und da schimmerten Lachen von Regenwasser, und von den Krüppelweiden des Weges hingen wie tote Sommervögel vereinzelte Blättlein.

»Weißt du noch, wie wir vor einundzwanzig Jahren denselben Weg fuhren?« sagte Frau Elsbeth zu ihrem Manne und warf einen Blick auf Paul, den sie damals an der Brust gehalten hatte.

Meyhöfer murrte etwas in sich hinein, denn er war kein Freund von Erinnerungen, von solchen Erinnerungen. Frau Elsbeth aber faltete die Hände und dachte allerhand; es mußte nichts Trauriges sein, denn sie lächelte dabei.

Je mehr der Wagen sich dem Ziele näherte, desto beklommener ward es Paul zumute. Er reckte sich auf seinem Sitze, und durch seine Glieder jagte ein Frösteln nach dem andern.

Mit unheimlicher Klarheit stand die wilde Brandnacht vor seinen Augen, und inmitten jener Angst, vor fremden Menschen zu stehen und zu sprechen, überkam es ihn wie ein Gefühl des Glücks, wenn er dessen gedachte, wie er in Qualm und Flammen hoch auf dem steilen Dache aus gehandelt und geherrscht hatte als der einzige, dem alle gehorchten, der einzige, der inmitten der Wirrnis bei klarem Kopfe geblieben war. »Vielleicht kann ich doch meinen Mann stehen, wenn's darauf ankommt!« sagte er sich tröstend, aber um so tiefer versank er darauf im Anschauen seiner trübseligen, gedrückten, kraft- und saftlosen Existenz. – »Es wird nie anders – es kann nur schlimmer werden von Jahr zu Jahr« – sagte er sich, da hörte er hinter sich die Mutter seufzen, und was er soeben gedacht hatte, erschien ihm als schnöde, herzlose Selbstsucht.[138]

»Auf mich kommt's nicht an,« murmelte er – da fuhr der Wagen durch das Stadttor.

Vor dem roten Gerichtsgebäude mit den hohen Steintreppen und den gewölbten Fenstern hielt der Wagen. Nicht fern davon stand eine wohlbekannte Chaise, und der Kutscher auf dem Bock trug an seiner Mütze noch dieselbe Troddel, die Paul einstmals, da er Konfirmand war, so sehr imponiert hatte.

Als der Vater aufgerichtet wurde, fiel sie auch ihm in die Augen. »Na, der Lump ist ja auch da,« rief er, »will doch sehen, ob er meinen Blick wird ertragen können!«

Darauf trug ihn Paul mit Hilfe eines Gerichtsdieners die Stufen hinan bis in das Zeugenzimmer. Die Mutter und die Schwestern gingen hintendrein, und die Leute blieben stehen und besahen sich die trübselige Prozession.

Das Wartezimmer der Zeugen war voll von Menschen, meistens Angehörige von Helenental. In einem Winkel stand ein Häuflein Bettelvolk, ein Weib mit einem aufgedunsenen Gesicht, um den Leib ein rotbuntes Laken gebunden, in dem ein Säugling schlief. An den Falten ihres Rockes hing eine kleine Schar zerlumpter Kinder, die sich die Köpfe kratzten und einander heimliche Rippenstöße gaben. Das war die Familie des Angeklagten, die aussagen wollte, daß der Vater in jener Nacht daheim gewesen sei.

Meyhöfer dehnte und streckte sich in seinem Stuhle und warf herausfordernde Blicke um sich. Er erschien sich heute mehr denn je als ein großer Mann, ein Held und ein Märtyrer zugleich.

Die Tür öffnete sich, und Douglas samt Elsbeth erschienen auf der Schwelle.

Meyhöfer warf ihm einen giftigen Blick zu und lachte dann höhnisch in sich hinein. Douglas achtete nicht auf ihn, sondern setzte sich in die entgegengesetzte Ecke, Elsbeth mit sich ziehend. Sie sah bleich und angegriffen aus und hatte ein schüchternes, ängstliches Wesen, das von der fremden, unbehaglichen Umgebung herrühren mochte.

Sie nickte mit einem flüchtigen Lächeln nach der[139] Mutter und den Schwestern herüber und sah Paul mit einem sinnenden Blicke an, der etwas zu fragen schien.

Er schlug die Augen nieder, denn er konnte den Blick nicht ertragen. – Die Mutter machte eine Bewegung, zu ihr hinüber zu gehen, aber Meyhöfer ergriff sie beim Rocke und sagte, lauter, als es wohl nötig gewesen wäre: »Daß du dich unterstehst!«

Paul war wie gelähmt. Seine Knie bebten, auf seiner Stirn lastete ein dumpfer Druck, der ihm jeglichen Gedanken benahm.

»Du wirst ihr Schande bringen,« murmelte er immerfort vor sich hin, aber ohne zu wissen, was er sagte.

Drinnen im Schwurgerichtssaale begann das Zeugenverhör. Einer nach dem andern wurde aufgerufen.

Zuerst kamen die Tagelöhner an die Reihe, dann der Wirt, in dessen Schenke Raudszus die Äußerungen getan, dann das zerlumpte Häuflein aus dem Winkel. – Das Zimmer fing an, sich zu leeren. – Hierauf wurde der Name des Herrn Douglas genannt. Er murmelte seiner Tochter ein paar Worte ins Ohr, die auf die Meyhöfers Bezug haben mußten, und ging mit seinen breiten Schritten von dannen.

Die Hände auf dem Schoße gefaltet, saß sie nun einsam an der Wand. Eine tiefe Röte der Erregung entflammte ihren Wangen. Gar lieblich und beklommen schaute sie drein, und ihr schlichtes, wahrhaftes Wesen malte sich in jedem ihrer Züge.

Die Mutter ließ keinen Blick von ihr, und bisweilen sah sie zu Paul hinüber und lächelte dabei wie im Traume.

Eine Viertelstunde verrann, dann wurde auch Elsbeths Name gerufen. Sie warf noch einen freundlichen Blick zur Mutter hin, dann verschwand sie in der Tür. Ihr Verhör währte nicht lange. – »Herr Meyhöfer senior,« rief der Diener vom Saale her und sprang herzu, um Paul beim Tragen des Stuhles behilflich zu sein.

Der Alte prustete und blies die Backen, dann wieder lehnte er sich mit mannhaft leisem Ächzen nach hintenüber, innerlich hocherfreut, eine so effektvolle Rolle spielen zu dürfen.[140]

Der weite Schwurgerichtssaal verschwamm vor Pauls Augen in einem rötlichen Nebel, undeutlich sah er dichtgedrängte Gesichter auf sich oder den Vater niederstarren, dann mußte er den Saal aufs neue verlassen.

Die Schwestern, die bis dahin neugierig um sich geschaut hatten, fingen an, sich zu fürchten. Um die Angst zu betäuben, aßen sie die mitgebrachten Butterbrote. Paul sprach ihnen Mut zu und lehnte die Wurst ab, die sie ihm großmütig boten.

Die Mutter hatte sich in einen Winkel zurückgezogen, zitterte leise und meinte von Zeit zu Zeit: »Was mögen sie aber von mir wollen?«

»Herr Meyhöfer junior,« hallte es von der Tür.

Im nächsten Augenblicke stand er in dem hohen, menschengefüllten Raume vor einem erhöhten Tische, an dem etliche Männer mit strengen und ernsten Gesichtern saßen; nur einer, der ein wenig abseits Platz genommen hatte, lächelte immer. Das war der Staatsanwalt, vor dem alle Welt sich fürchtete. Auf der rechten Seite des Saales saß gleichfalls auf erhöhten Plätzen ein Häuflein würdiger Bürger, die sehr gelangweilt dreinschauten und sich mit Federmessern, Papierschnitzel usw. die Zeit zu vertreiben suchten. Das waren die Geschworenen. Auf der linken Seite saß in einer verschlossenen Bank der Angeklagte. Er äugelte mit dem Zuschauerraum und machte ein Gesicht, als ob die Sache jeden andern anginge, nur nicht ihn. So freundlich hatte Paul den finstern Kerl noch nie gesehen.

»Sie heißen Paul Meyhöfer, sind geboren dann und dann, evangelisch,« und so weiter, fragte der mittelste der Richter, ein Mann mit einem ganz kurzgeschorenen Kopfe und einer scharfkantigen Nase, indem er die Daten aus einem großen Hefte ablas. Er tat das in einem gemütlichen Murmeltone, aber plötzlich wurde seine Stimme scharf und schneidig wie ein Messer, und seine Augen schossen Blitze auf Paul hernieder.

»Vor Ihrer Vernehmung, Herr Paul Meyhöfer, mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie Ihre Aussage hernach mit einem Eide beschwören müssen.«[141]

Paul erschauerte. Wie ein Stich war das Wort »Eid« durch seine Seele gefahren. Ihm war zumute, als müßte er niederstürzen und sein Angesicht vor all den Späheraugen verbergen, die auf ihn niederstarrten.

Und dann fühlte er allgemach eine merkwürdige Veränderung in sich vorgehen. Die glotzenden Augen verschwanden – der Saal tauchte sich in Nebel, und je länger des Richters klare, scharfe Stimme auf ihn einsprach, je eindringlicher er sich mit himmlischen und irdischen Strafen bedrohen hörte, desto mehr war ihm zumute, als sei er ganz allein mit jenem Manne in dem weiten Saale, und all sein Sinnen richtete sich darauf, ihm so zu antworten, daß Elsbeth aus dem Spiele blieb. »Jetzt gilt's – jetzt zeig dich als Mann,« rief es in ihm. Es war ein ähnliches Gefühl wie damals, als er oben auf dem Dache gesessen hatte; sein Geist verschärfte sich, und der dumpfe Druck, der allezeit auf ihm lastete, sank von ihm ab, als löste man Ketten, mit denen er gefesselt gewesen.

Er erzählte mit ruhigen, klaren Worten, was er von dem Angeklagten wußte, und schilderte sein Wesen; auch, daß er sich ihm innerlich verwandt gefühlt hatte, gab er an.

Als er das sagte, ging ein Murmeln durch den Saal, die Geschworenen ließen die Papierschnitzel sinken, und zwei oder drei Federmesser klappten geräuschvoll zu.

»Was geschah, als Herr Douglas mit Ihrem Vater zusammengeraten war?« fragte der Präsident.

»Das kann ich nicht sagen,« erwiderte er mit fester Stimme.

»Weshalb nicht?«

»Ich müßte Übles von meinem Vater sprechen!« antwortete er.

»Was heißt das ›Übles‹?« fragte der Präsident. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie fürchten, Ihren Vater einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen?«

»Ja,« erwiderte er leise.

Wiederum ging das Murmeln durch den Saal, und hinter seinem Rücken hörte er knirschend die Stimme seines[142] Vaters: »Der ungeratene Schlingel!« Doch ließ er sich dadurch nicht irre machen.

»Das Gesetz gestattet Ihnen, in solchem Falle die Aussage zu verweigern,« fuhr der Präsident fort. »Wie aber geschah es, daß Ihr Vater sich gegen Raudszus wandte?«

Ohne Stocken erzählte er den Vorgang, nur als er beichten mußte, wie er seinen Vater ins Haus getragen, bebte seine Stimme, und er wandte sich um, als wollte er ihn um Verzeihung anflehen.

Der Alte hatte die Fäuste geballt, und seine Zähne schlugen aufeinander. Er mußte erleben, daß sein eigener Sohn die Glorie des Helden von seinem Haupte riß.

»Und nachdem Sie den Knecht entlassen, sahen und hörten Sie nichts mehr von ihm?« fragte der Präsident.

»Nein ...«

»Als sie in jener Brandnacht erwachten, was sahen Sie da zuerst?«

Langes Schweigen. Paul griff mit beiden Händen nach der Stirn und taumelte zwei Schritte zurück.

Eine Bewegung des Mitleids ging durch den Saal. Man glaubte nicht anders, als daß die Erinnerung an den fürchterlichen Augenblick ihn übermannte.

Das Schweigen dauerte fort.

»So antworten Sie doch.«

»Ich – schlief – nicht.«

»Sie waren also noch wach? ... Befanden Sie sich in Ihrem Schlafzimmer, als Sie den ersten Feuerschein gewahrten?«

»Nein!«

»Wo waren Sie?«

Lange Pause. Man hätte ein Blatt zur Erde fallen hören, so still war es im Saale.

»Sie waren nicht in Ihrem Heimathause?«

»Nein.«

»Also wo?«

»Im – Garten – von – Helenental.«

Ein dumpfes Geräusch erhob sich, das sich zum Tumulte[143] steigerte, als der alte Douglas, der von seinem Sitz aufgesprungen war, mit dröhnender Stimme in den Saal hineinrief: »Was hatten Sie da zu suchen?« Der alte Meyhöfer stieß einen Fluch aus, Elsbeth entfärbte sich und sank mit dem Kopfe schwer gegen die Lehne der Bank.

Der Präsident ergriff die Klingel.

»Ich ersuche den Zeugen um Ruhe,« sprach er, »ich selbst stelle die Fragen. Bei nochmaliger Störung lasse ich Sie aus dem Saale entfernen. – Also, Herr Paul Meyhöfer, was wollten Sie im Garten von Helenental?«

In demselben Augenblick erhob sich im Hintergrunde ein neues Gemurmel, und im Zeugenraume bildete sich eine Gruppe um Elsbeth.

»Was gibt's da?« fragte der Präsident.

Der Staatsanwalt, dessen Auge kein Stäubchen im ganzen Saal entgangen war, neigte sich zu ihm herüber und flüsterte mit vielsagendem Lächeln: »Die Zeugin ist in Ohnmacht gefallen.«

Da lächelte auch der Präsident, und das ganze Richterkollegium lächelte.

Elsbeth verließ, von ihrem Vater unterstützt, den Saal ...

Nun erhob sich ein kleiner Mann mit einem scharfgeschnittenen Gesicht, der vor dem Angeklagten saß und während der ganzen Zeit mit einem Schlüsselbunde gespielt hatte, und sagte: »Ich ersuche den Herrn Präsidenten, die Verhandlung auf fünf Minuten zu vertagen, da die Gegenwart der mitbeteiligten Zeugin von Wichtigkeit ist.«

Paul warf diesem Manne einen scheuen Blick zu. Die Verhandlung wurde vertagt.

Die fünf Minuten waren eine Ewigkeit. Paul durfte sich auf die Zeugenbank niedersetzen. Der Vater sah ihn unverwandt mit wütenden Augen an, aber er gab ihm kein Zeichen, daß er ihn sprechen wolle.

Elsbeth wurde in den Saal geführt, blaß wie eine Leiche, und Paul trat aufs neue vor die Schranken.

»Ich ermahne Sie nochmals«, begann der Präsident,[144] »sich in allen Stücken genau an die Wahrheit zu halten, denn Sie wissen, daß jedes Wort Ihrer Aussage unter den Zeugeneid fällt.«

»Ich weiß es,« sagte Paul.

»Jedoch haben Sie, wie Sie wissen, das Recht, die Aussage zu verweigern, wenn Sie glauben befürchten zu müssen, daß sie Ihnen oder einem Angehörigen eine Strafe zuziehen dürfte. Wollen und können Sie, wie vorhin, auch jetzt von diesem Rechte Gebrauch machen?«

»Nein.«

Er sprach es mit fester, klarer Stimme, denn in ihm war die Gewißheit aufgegangen, daß Elsbeths Ehre rettungslos verfallen war, wenn er jetzt schwieg.

»Aber wenn mein Eid ein Meineid wird?« hallte es hinterher aus seinem Gewissen nach. Es war zu spät.

»Also – was wollten Sie in dem Garten?« fragte der Präsident.

»Ich wollte – gutmachen, was in meinem Vaterhaus an Douglas verschuldet war.«

Ein Murmeln der Enttäuschung und des Unglaubens ging durch den Saal.

»Und dazu schlichen Sie in dem fremden Garten umher?«

»Ich hatte das Verlangen, irgend jemanden zu treffen, dem ich Abbitte hätte leisten können.«

»Und hierzu suchten Sie sich die Nachtzeit aus?«

»Ich konnte nicht schlafen.«

»Und Sie wurden von Ihrer Unruhe dorthin getrieben?«

»Ja.«

»Trafen Sie jemanden in dem Garten?«

»Nein.«

»Waren Sie schon früher einmal zu derselben Stunde dort gewesen?«

Lange Pause; dann ging ein abermaliges »Nein,« doch diesmal leise und zögernd, gleichsam dem Gewissen abgerungen, aus seinem Munde ...

Die Spannung, die auf den Gemütern lastete, begann[145] sich zu lösen, der Präsident blätterte in seinen Akten, und Elsbeth starrte mit großen, glanzlosen Augen zu ihm herüber.

»Wo befanden Sie sich, als Sie den Feuerschein zuerst bemerkten?«

»Etwa zwanzig Schritt von dem Helenentaler Wohnhaus entfernt!«

»Und was taten Sie alsdann?«

»Ich war sehr erschrocken und eilte sofort nach dem Heimathof zurück.«

»Auf welchem Wege verließen Sie den Garten?«

»Über den Gartenzaun.«

»Sie öffneten also nicht die Tür, welche vom Garten nach dem Hofe führt?«

»Nein.«

»Und schritten nicht an dem Giebel vorbei?«

»Nein.«

Eine neue Unruhe machte sich im Saale bemerkbar. Der kleine Mann mit dem Schlüsselbunde erhob sich und sagte: »Ich bitte den Herrn Präsidenten, Fräulein Douglas noch einmal über das zu verhören, was sie in jener Nacht gehört haben will.«

»Fräulein Douglas, ich bitte,« sagte der Präsident.

Mit einem langen Blick auf Paul trat sie vor. Dicht nebeneinander standen sie nun in dem weiten, menschengefüllten Saale, als ob sie zusammengehörten.

»Wohin verliefen sich die Schritte, die Sie hörten, als der Feuerschein Sie weckte?«

»Nach dem Hofe zu,« erwiderte sie leise, kaum vernehmbar.

»Und hörten Sie deutlich die Klinke der Gartentür klappen?«

»Ja.«

»Bedenken Sie wohl, ob Sie sich nicht getäuscht haben können?«

»Ich habe mich nicht getäuscht,« erwiderte sie leise, doch bestimmt.

»Ich danke. Sie können sich setzen.«[146]

Mit unsicheren Schritten ging sie auf ihren Platz zurück. Seit jenem verhängnisvollen »Nein« hing ihr Blick an Paul wie festgebannt. Sie schien alles andere darüber vergessen zu haben.

»Als Sie den Gartenzaun überschritten hatten, welchen Weg schlugen Sie dann ein?« fragte der Präsident weiter, zu Paul gewandt.

»Über die Heide!«

»Berührten Sie den Wald?«

»Nein – ich lief etwa zwei- bis dreihundert Schritt weit davon vorüber.«

»Begegneten Sie auf Ihrem Wege jemandem?«

»Ich sah einen Schatten, der sich dem Walde zu bewegte und bei meinem Kommen plötzlich verschwunden war.«

Eine lang anhaltende Bewegung ging durch den Raum, der Angeklagte verfärbte sich, und sein Auge nahm einen starren, glotzenden Ausdruck an. – Der Staatsanwalt ließ keinen Blick von ihm.

Noch ein paar Nebenfragen, dann durfte Paul sich setzen.

Die Mutter und die Schwestern wurden gerufen, aber was sie auszusagen hatten, war ohne Belang. Die Schwestern schauten neugierig, beinahe keck in die Runde. Die Mutter weinte, als sie den Augenblick des Erwachens erzählen mußte.

Paul fühlte sich stolz und glücklich darüber, daß Elsbeth nicht durch ihn verraten worden. Er schaute lächelnd vor sich nieder und freute sich seines Mutes. Doch als die Zeugen zur Vereidigung vorgerufen wurden und er die Hand erheben sollte, da war es ihm, als hinge eine Zentnerlast daran, als riefe eine leise, traurige Stimme ihm ins Ohr: »Schwöre nicht.«

Und er schwor.

Als er sich auf den Platz gesetzt hatte, sagte die Stimme aufs neue: »Hast du vielleicht gar einen Meineid geschworen?« – Unwillkürlich erhob er das Haupt. Da war's ihm, als huschte ein grauer Schatten an ihm vorüber und streifte mit leisem Hauche seine Stirn.

Trotzig runzelte er die Brauen. »Und wenn ich selbst[147] falsch geschworen, geschah es nicht für sie?« Für einen Augenblick erfüllte eine wilde Freude seine Seele bei diesem Gedanken, aber schon im nächsten legte es sich mit dumpfem Drucke auf seine Brust und preßte ihm die Kehle zu und schnürte ihm Hände und Füße, so daß ihm zumute ward, als könnte er sich fürder nicht mehr bewegen.

Er hörte die eintönige Stimme der Redner, die ihre Plaidoyers begannen, aber er achtete nicht darauf. – Einmal nur fuhr er empor, als der Verteidiger mit seinem Schlüsselbund auf ihn wies und mit seiner dünnen, keifenden Stimme durch den Saal rief: »Und dieser Zeuge da, meine Herren Geschworenen, der sich nachts in höchst geheimnisvoller Weise in fremden Gärten umhertreibt und allerhand psychologisch gekünstelte Ausflüchte sucht, um die zarten Motive seines nächtlichen Abenteuers zu bemänteln, dürfen Sie ihm Glauben schenken, wenn er angibt, er habe plötzlich Schatten auftauchen und verschwinden sehen, – Schatten, die, glimpflich gesprochen, nur seinem überhitzten Hirne entstammen können? – Was wollte er in dem Garten, meine Herren Geschworenen? Ich überlasse es Ihrem Scharfsinn und Ihrer Lebenskenntnis, sich diese Fragen selber zu beantworten, und was den Zeugen anbelangt, so ist es seine Sache, seinen Eid und sein Gewissen zu befreunden.«

Da sank er vollends zusammen ...

Die Geschworenen sprachen ihr »schuldig,« Michel Raudszus wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt.

In demselben Augenblicke, in dem der Präsident den Spruch des Gerichtshofes verkündete, hallte ein höhnisches Gelächter durch den Saal. – Es kam aus dem Munde Meyhöfers. Er hatte sich in seinem Stuhle aufgerichtet und streckte die gekrümmten Hände nach Douglas aus, als wollte er ihm an den Hals.

Als er hinausgetragen wurde, rief er in einem fort: »Die kleinen Brandstifter hängt man, die großen läßt man laufen.«

Unheimlich dröhnte das Gelächter des hilflosen Mannes durch die weiten Korridore. – – –

Quelle:
Hermann Sudermann: Romane und Novellen. Band 1, Stuttgart und Berlin 1923, S. 130-148.
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