Frühlingsahnung

[513] Herrgott, ich rieche Frühlingsluft!

Es liegt so was wie Veilchenduft

Um alle grünen Sträuche.

Jetzt kommen vor die Ladentür

Die Krämersleute all herfür

Und wärmen sich die Bäuche.


Nun hat die Sonne wieder Kraft.

Das ist die Zeit der Leidenschaft,

Wo alle Böcklein springen.

Will mir ein Mädchen gnädig sein,

Dann könnt es auch dem Dichterlein,

Dem Dichterlein gelingen.
[513]

Der Teufel weiß, woran das liegt,

Daß uns die Lust am Zipfel kriegt

In diesen Frühlingszeiten.

Ja selbst ein sanfter Mensch wird keck,

Mich könnte jetzt ein lieber Schneck

Zum dümmsten Streich verleiten.


Doch wenn es so geschehen müßt,

Daß mich kein ledig Mädchen küßt,

Dann ist das allerbeste:

Ich hüpf um eines andern Frau

Und lebe wie der Kuckuck schlau

Vergnügt im fremden Neste.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 513-514.
Lizenz:
Kategorien: