Tango

[574] Die alte Zeit, ihr guten Leute

Die ist nun leider auch vorbei.

Da laßt uns fragen, ob es heute

In irgend etwas besser sei.


Nein, nein, und nein, das muß ich sagen,

Das ist mir ohne Zweifel klar,

Daß es in unsren jungen Tagen

In puncto puncti besser war.


Ich meine nicht, daß unsre Triebe

Nicht mehr so stürmisch – nu – hem – hem,

Nein, allgemein, das Weib – die Liebe,

Die waren netter ehedem,


Ein Mädchen damals konnte allen

Nur wenn es wirklich was besaß,

Nur durch reellen Wert gefallen.

Wir hatten noch ein Augenmaß!


Wir Kenner prüften noch die Büste

Und schätzten noch ein festes Bein,

Und rückwärts durft', daß ich nicht wüßte,

Auch keine glatte Fläche sein.


Wir sprachen damals von Potenzen,

Was so ein Mädchen uns gezeigt,

Und überschritt es auch die Grenzen,

Wir waren ihm doch zugeneigt.


Jetzt aber – ach du große Güte! –

Das Weibervolk ist bloß mehr schlank,[574]

Ist nicht mehr Saft und Kraft und Blüte,

Bloß Bügelbrett und Hobelbank.


Die Rundung fehlt, und in der Länge

Liegt heute aller Anmut Sinn,

Und strafft das Kleid sich am Gestänge,

So ist's erreicht, und man ist hin.


Ja, Weiber, die es früher hatten,

Entfernen ihrer Fülle Reiz

Ganz ohne Rücksicht auf den Gatten

Und aller Wünsche seinerseits.


Dies neue Wesen, ich vermute,

Daß es auch Amor recht verdrießt,

Und ich bin froh, daß dieser Gute

Auf mich nicht mehr so häufig schießt.


Und wollte man auch kunstbeflissen

Versuchen, was die neue Zeit

Uns gibt. Man ist hinausgeschmissen

Aus jeglicher Gelegenheit.


Denn Eva will nur Tango tanzen,

Und der Schlawiner, der es kann,

Ist heute – ja, das paßt zum Ganzen –

Allein der int'ressante Mann.


Kreuz Teufel, wenn man beispielsweise

An gute, alte Zeiten denkt!

Wie hat fidel ein Bursch im Kreise

Sein Mädel hin und her geschwenkt!


Bald ließ man sich zusammenpressen

In einem fröhlichen Gewühl;

Man fand und suchte selbstvergessen

Die Anhaltspunkte fürs Gefühl.


Bald legte man im Walzerschleifen

Den Sinn für schönen Rhythmus dar,[575]

Dann konnte sie es ganz begreifen,

Wie daß man stark und zärtlich war.


Was wir gewollt, was wir empfunden,

Vor allem: es war innerlich.

Ob schüchtern oder ungebunden,

Man war noch eine Welt für sich.


Man war nur mit sich selbst beschäftigt

Und fühlte sich dem Ziele nah,

Wenn ein Versprechen es bekräftigt.

Wie war man froh, wenn's niemand sah!


Und heute? Heute sitzt die Runde

Von Modeaffen da und gafft,

Und ein Schlawiner zeigt 'ne Stunde

Die Tanzschlawinermeisterschaft.


Der Biedermann braucht nicht mehr stehlen.

Die Tangokunst, die ihn empfahl

Bei den mondänen Weiberseelen,

Trägt mehr, als was er früher stahl.


Am Arme eines Taschendiebes

Zeigt uns ein Klärchen als Gespann,

Wie es die Kunst des Kniegeschiebes

Nach vorwärts und nach rückwärts kann.


Und Sara will gleich einer Ente

Den Pürzel hin und wider drehn.

Sie wünscht nur eins: mit dem Talente

Bemerkt zu werden und geseh'n.


Das ist das Glück: gesehen werden,

Und jede hofft und jede denkt,

Daß mit erotischen Gebärden

Sie aller Blicke auf sich lenkt.


Nichts mehr von Leidenschaft und Liebe,

Von sich vergessen und Natur.[576]

Hier ist von keinem heißen Triebe

Auch nur die Ahnung und die Spur.


Man setzt den Hintern nur in Szene,

Auch möglichst viel von seinem Bein,

Und zwar – so will es die Mondäne –

Soll es für alle Schauspiel sein.


Nicht Herz und Sinne zu bewegen

Und froh zu sein in heitrem Spiel,

Nein, eine Menge aufzuregen

Ist heute das erstrebte Ziel.


Natürlich kam die schöne Mode,

Wie jede noch, von auswärts her.

Wir Deutschen hetzen sie zu Tode

Und überwinden sie nicht mehr.


Auch München mit den netten Mädeln,

Das doch einmal so fröhlich war,

Muß nach dem Muster sich veredeln

Und zeigt sich heute wandelbar.


Wenn sie wo eine Dummheit haben,

So ist Gesetz: Wir kriegen sie,

Und die natürlichste der Gaben

War drum für uns der Tangotea.


Das trippelt nun auf Stöckelschuhen

Im engen Tangoröckchen her,

Das ist ein Lernen und Bemühen,

Und fiele es auch noch so schwer.


Wo heute zwei zusammenkommen,

Da frägt die eine: »Kannst du ihn?«

»Ich hab' fünf Stunden erst genommen

Und gehe jetzt noch viermal hin.«


Die Damenwelt voll Fleiß und Eifer

Kennt nur die eine hohe Pflicht[577]

Der Stunde bei dem Tangoschleifer,

Und keine andre kennt sie nicht.


Sie machen ihre Hausaufgaben

Und kennen keine Ruh und Rast,

Bis daß sie es heraußen haben

Entweder ganz, entweder fast.


Und Tochter, Braut und Frau und Schwester,

Sie alle üben Tangoschritt,

Sogar die älteren Semester

Sind angesteckt und üben mit.


Die Kellnerin hüpft beim Servieren,

Die Ladnerin ist auch so frei,

Damit sie keine Zeit verlieren

Und ihre Übung ständig sei.


Die alte Freude am Vergnügen,

Der Leichtsinn und die Fröhlichkeit,

Sie liegen in den letzten Zügen;

Der Tango will bloß Emsigkeit.


Drum ist es Zeit, ein Wort zu sprechen,

Es ist nicht mehr zu früh gewarnt.

Mit dieser Mode soll man brechen,

Die unsre Weiblichkeit umgarnt.


Wenn das so fortgeht, muß verschwinden

Der eigentliche Zweck beim Tanz,

Daß erstens sich zusammenfinden

Sich jede Grete, jeder Hans.


Daß zweitens durch die Wärmestrahlen

In beiden ein Gefühl sich regt,

Das dann bei wiederholten Malen

Sich etwas steigernd fortbewegt,


Bis es dann drittens durch der Triebe

Natur- und sachgemäße Kraft[578]

Sich fortentwickelt bis zur Liebe

Und wunscherfüllten Leidenschaft.


Auch viertens das im Wirbel Drehen

War vom Erfinder klug erdacht.

Die Denkpartie, wie wir verstehen,

Ward so aus ihrer Bahn gebracht,


Wodurch sich fünftens mehr verstärkte

Der Heirats- und Verbindungsdrang,

Der schließlich, wie ich schon bemerkte,

Die beiden zur Vereinung zwang.


Und alles dies wird künftig fehlen,

Ihr Mädchen, wenn ihr Tango treibt;

Ihr dürft euch keineswegs verhehlen,

Daß ihr dann einfach sitzenbleibt.


Wenn eine als dressierte Puppe

Nur stets mit dem Schlawiner schleift,

Bleibt sie den braven Männern schnuppe.

Ich hoffe, daß ihr dies begreift.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 574-579.
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