Heilige Verträge

[596] Es ist ein Jahr, da saßen sie im Haag,

Der Fürsten hochwohlweise Abgesandte,

Sie schwätzten jeden gottgegebnen Tag

Und bliesen, was doch sicher keinen brannte.


Sie drehten sich um eines Fürsten Wort,

Dem seine Langeweile ging zu Herzen,[596]

Und der sich plötzlich fühlt' als Friedenshort,

Als Heiland für der Menschheit arge Schmerzen.


Sie schmierten jeden Tag ein Protokoll

Und schrieben feierlich voll milder Tugend,

Daß sich nicht künftig mehr verbluten soll

Für ihre Fürsten ganz Europas Jugend.


Das Schauspiel schloß mit hergebrachtem Pomp,

Musik, Tedeum, Reden, Glockenbimmeln,

Die Herrscher müssen immer mit Aplomb

Sich gegenseitig vor der Welt verhimmeln.


Was aber blieb von dem verbrieften Pakt?

Von allen Eiden, Reden, von der Feier?

Der erste Schuß zerfetzte den Kontrakt

Drei Monat' später. 's ist die alte Leier


Und wird es bleiben, denn die Welt ist dumm,

Sie läßt sich immer wieder gern betrügen,

Sie nimmt als Sakrileg es wirklich krumm,

Zeigt man ihr schonungslos die hohlen Lügen.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 596-597.
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