Fünftes Kapitel

[872] Am folgenden Morgen stand der junge Maler früh auf und durchstreifte die Säle des Schlosses. Er stand vor dem Bilde eines Mannes still, das ihm bekannt schien, der Abgebildete war in Rittertracht und das Gesicht desselben hatte einen anmutigen Ausdruck. Indem er noch sann, kam Rudolph zu ihm, welcher ihn aufsuchte, um auf einige Tage Abschied von ihm zu nehmen, weil er mit seinem dichterischen Vetter eine Reise in das Land tun wollte, um andre, noch entferntere Anverwandte zu besuchen. Franz machte ihn auf das Bild aufmerksam, und glaubte nach längerer Betrachtung jenen Mönch wiederzuerkennen, welcher ihn so angezogen hatte, doch Rudolph eilte nach seiner leichtsinnigen Art über diese scheinbare Entdeckung weg, und zog ihn zum Frühstück, nach welchem er sogleich abreisen wollte.

Franz trennte sich ungern von ihm, weil er sich im weitläuftigen Hause unter so vielen Menschen ohne ihn einsam fühlte. Die Gräfin ließ ihn rufen, um ihr Bild anzufangen. Sie war in einem leichten, reizenden Morgenkleide und kam ihm mit der lieblichsten Freundlichkeit entgegen. »Ich habe Euch darum so früh rufen lassen«, fing sie an, »weil ich wünsche, daß Ihr mein Bild, welches Ihr für mich malen wollt, mit der größten Lust ausführtet; ich habe aber immer geglaubt, daß auf die Kleidung, ihre Form und Farbe vieles ankomme, und darum will ich mit Euch wählen, welche Ihr mir am zuträglichsten haltet. Ihr, als Maler, müßt das am besten verstehn, und die Weiber, welche gefallen wollen, sollten die Künstler öfter zu Rate ziehn.«

Sie ging mit ihm in ein anstoßendes Zimmer, dessen Fenster von außen mit grünen verschränkten Zweigen bekleidet waren, und ein dämmerndes Licht, wie in einer traulichen Kapelle bildeten; hier erschien die Gräfin in ihren leichten und anmutigen Bewegungen noch reizender. Es waren Kleider von verschiedenen Farben ausgebreitet, Franz wählte ein grünes von Sammet dessen Ausschnitte mit Gold reich und prachtvoll geschmückt waren; er entfernte sich wieder in den Saal, und nach wenigen Minuten stand sie vor ihm, das grüne Gewand weit und anmutig um sie fließend, Ärmel, Saum und Busen von Golde glänzend, und auf den schweren niederhängenden Locken ein goldenes Netz, das halb das Haupt von einer Seite nur bedeckte, mit grünem Bande, wie mit Laub durchzogen. Sie nahte ihm lächelnd, und Franz fühlte in diesem Augenblicke, welche wunderbare[872] Macht die Schönheit über das Herz ausüben könne, denn eine plötzliche Entzückung traf ihn wie ein Blitz, und er fühlte sich wie ohnmächtig. Noch bestimmter glaubte er die Unbekannte in diesem Schmucke vor sich zu sehn. Er mußte sich mit ihr vor einen großen Spiegel stellen, und er meinte in ein Zauberreich hineinzuschauen, als ihn im Spiegel die edle Gestalt mit den leuchtenden Augen und frischen Lippen schalkhaft und vertraulich anlächelte. »Nun«, sagte sie, indem sie sich in einen Sessel warf, und den entblößten runden Arm mit seinem weißen Glanze auf seiner Schulter ruhen ließ – »wie findet Ihr mich so?« Sternbald konnte erst keine Antwort auf diese Frage finden, endlich sagte er: »Glaubt mir nur, schönste Frau, daß ich noch nie geschmeichelt habe, aber wie der, der plötzlich zum erstenmal die schönste Musik in seinem Leben hörte, nicht gleich würde sagen können, wie und warum sie ihn entzückte, und welche Töne ihn am meisten hinrissen, so ist es mir bei Eurem Anblick: ich bin zu sehr von diesem Glanz überschüttet und geblendet, um wissen zu können, wann Ihr am schönsten seid.«

Die Gräfin wurde still und nachdenkend, sie ließ den reizenden Arm herunterfallen und sah vor sich hin, so daß die langen finstern Augenwimpern die feinen Wangen beschatteten. »Warum nur«, sagte sie endlich, »immer wieder diese Freude an solchem Worte, und warum erschüttert es fast die Seele, wenn es so ernst und eindringlich gesprochen wird? Ich muß und will Euch glauben, daß Ihr nicht lügt – und doch – auch die Schönheit ist Lüge, Täuschung, Traum; sie flieht wie der Frühling, wie der Gesang, wie die Liebe, und nichts ist beständig, als diese unglückselige Unbeständigkeit.« Mit einem tiefen Seufzer entfernte sie sich, sie sang drinnen einige wehmütige Töne, und kam in einem schwarzen Atlaskleide zurück, indem noch ein Tränchen, wie eine Perle, in den langen Wimpern hing. Goldene Spangen umschlossen den Arm, Perlen glänzten auf dem weißen Halse, und goldene Ketten wiegten sich auf dem Busen. »Ich bin sehr ernst«, sagte sie, »und will nicht Euer Lob und Eure Bewunderung; zeichnet jetzt, bei der ersten Anlage des Bildes kommt es auch nicht so sehr darauf an, wie ich gekleidet bin.« Der Maler machte sich an die Arbeit. Der Ausdruck ihres schönen Angesichtes war jetzt ein sehnsüchtig schwermütiger. Indem er zeichnete, sah sie ihn oft lange stumm und bedeutend an, als wenn sie mit der Seele verlorenen Erinnerungen nachginge. Ihm wurde ängstlich zu Sinne, seine Hand irrte oft, und er war endlich froh, als die Sitzung geendigt war. »Morgen«, sagte die[873] Gräfin, »wollen wir heiterer sein«, indem sie ihm die Hand zum Kusse reichte.

Am andern Morgen fand er die Gräfin auf einem Ruhebette in Tränen aufgelöst, ein dunkler Purpur umhüllte den schönen Leib, die reichen und lockigen Haare schwellten in lieblicher Verwirrung auf Nacken, Brust und Schultern: der junge Maler glaubte sie noch nie so schön gesehn zu haben, er war von dem Anblicke entzückt, aber doch von ihren Schmerzen innigst bewegt. Ein junges Mädchen saß neben ihr, die eine Laute in Händen hatte, worauf sie eben gespielt zu haben schien. Die Gräfin setzte sich aufrecht, strich ihr schweres Haar etwas zurück, und ließ das holdste Lächeln durch die weinenden Mienen scheinen. »Vergebt mir«, sagte sie, »meine Trauer, wodurch ich Eure Arbeit erschweren werde; es ist überhaupt wohl kindisch, daß ich dieses Bild wünsche, um mich daran zu erfreuen, mich sollte gar nichts mehr freuen, denn mein Leben ist verloren, und doch geben wir auch im höchsten Leid unser Herz immer wieder dem törichten Spiel der Lust, dem lügenden Trost, der gaukelnden Hoffnung hin, und vergessen, daß nur in des Schmerzes tiefster Innigkeit für uns die wehmütige Freude, der Himmel der ewigen Tränen wohnt.«

»Wie in Euch das Leid erscheint«, sagte Sternbald, »ist es etwas so Herrliches, daß ich mir wohl vorstellen kann, viele möchten wünschen, Euch diesen Zauber nachspielen zu können, und ich erlebe jetzt, was ich keinem Dichter geglaubt haben würde, daß die Schönheit alles in Schönheit verwandelt, und daß aus Tränen und Weh der Reiz so süß hervorblicken kann, als aus dem schalkhaften Glanze der Augen.«

»Ihr malt!« rief die Gräfin scherzhaft auffahrend, »ich fürchte, meine Gegenwart verdirbt Euch, da Ihr mit jedem Tage schlimmer schmeicheln lernt.« Indem Sternbald arbeitete, sagte sie nach einer Pause: »Singe jetzt, Kind, eins von den Liedern, die du kennst.« »Welches?« fragte das junge Mädchen. »Was dir zuerst einfällt«, sagte die Gräfin, »nur nichts Schweres, etwas Leichtes, Schwebendes, das nur in Tönen lebt.«

Das Mädchen sang mit zarter Stimme:


»Laue Lüfte

Spielen lind,

Blumendüfte

Trägt der Wind,

Rötlich sich die Bäume kräuseln,[874]

Lieblich Wähnen

Zärtlich Sehnen

In den Wipfeln, abwärts durch die Blätter säuseln.


Rufst du mich,

Süßes Klingen?

Ach! geheimnisvolles Singen,

Bist nicht fremd, ich kenne dich!

Wie die Tauben

Zärtlich lachen, girren, kosen,

Also mir im bangen Herzen

Schlagen Fittge Lust und Schmerzen;

Zu den dunkeln Dämmerlauben,

Zu den Blumenbeeten, Rosen

Wandl' ich, ruf ich, schau umher –

Und die ganze Welt ist leer.


In die dichte Einsamkeit

Trag ich meiner Tränen Brand;

Ach! kein Baum tut mir bekannt,

Setz mich an des Bronnens Rand:

Vogel wild die Töne schreit,

Echo hallt,

Hirschlein springt im dunkeln Wald.


Und es braust herauf, herunter,

Waldstrom klingt durch seine Klüfte,

Seine jungen Wellen springen

Auf den Felsenstufen munter,

Adler schwingt sich durch die Lüfte: –

Tränen, Rufen, Klagen, Singen,

Könnt ihn nicht zurück mir zwingen?

Garten, Berge, Wälder weit

Sind mir Grab und Einsamkeit.«


Während des Liedes schien es dem Maler, als wenn eine Verklärung mit süßem Glanz durch alle Adern des Angesichtes sich verbreite und wie ein Licht aus der schönen Stirn hervordringe; alle Züge wurden noch sanfter und sinniger, er fühlte sich von dieser ausströmenden Klarheit wie geblendet. Aber die Töne gaben ihm Ruhe und Heiterkeit, er konnte mit Sicherheit arbeiten, indem die Schöne das Lied noch einigemal wiederholen ließ.[875]

»Nun laßt des Malens für heute genug sein«, rief die Gräfin plötzlich, »es ermüdet nichts so sehr, als dieses starre Vor-sich-Hinblicken, ohne Gedanken und Unterhaltung. Kommt, mein junger Freund, und erzählt mir etwas von Euch, von Eurem Leben, von Euren Reisen, und daß es ja nur recht wichtig und lustig ist.«

Sternbalds Verlegenheit wurde erneuert, er fing an von Dürer, Sebastian und Nürnberg zu sprechen, dann von Florestan und ihrer Reise, und mühte sich ab, so erheiternde Gegenstände aufzufinden, als ihm seine Phantasie nur darbieten wollte. Die Gräfin hörte ihm freundlich zu, und nach einiger Zeit sandte sie die Sängerin mit einem Auftrage fort. »Wenn es Euch gefällt«, sagte sie, »wieder an die Arbeit zu gehen, werdet Ihr mich erfreuen, denn ich bin heut in der Stimmung, recht geduldig zu sitzen.« Franz fing wieder an zu malen, und bald ließen sich vom Garten herauf Waldhörner mit muntern und sehnsüchtigen Melodieen abwechselnd vernehmen. Sie wurde sehr nachdenkend, und verfiel nach einiger Zeit wieder in ihre erste Trauer. »Wie glücklich«, dachte Franz bei sich selbst, »sind doch die Reichen, daß Kunst und edler Genuß sie immerdar umgeben kann, daß ihr Leben sich in ein anmutiges Spiel verwandelt, daß sie das Antlitz der Not und die strenge drohende Miene des Lebens nur von Hörensagen und aus Erzählungen kennen: immer umduftet und umlacht sie ein heiterer Frühling; und das ist es auch wohl, warum die Sterblichen nach Schätzen geizen, und atemlos aber unermüdet der blinden Glücksgöttin nachrennen, um diese irdische Seligkeit zu erschaffen, obgleich die meisten nachher zu vergessen scheinen, weshalb sie ausgegangen waren.« Indem er wieder von der Arbeit aufsah, fand er die schöne Gestalt in Schmerzen aufgelöst; sie winkte ihm, zu endigen, er stand auf und verbeugte sich, aber als er in der Türe war, rief sie ihn zurück: »Kommt morgen um diese Zeit wieder«, sprach sie und reichte ihm freundlich die Hand, »aber das Bild wird nicht gelingen, denn niemals kann ich wieder fröhlich sein, in diesen Tränen und Klagen werdet Ihr mich immer finden.«

Franz hatte geäußert, daß er sie noch einmal in der Jägertracht als Jüngling zu sehen wünsche, und daß diese Kleidung sich vielleicht auf dem Bilde am anmutigsten ausnehmen würde, aber dennoch war er verwundert, sie am folgenden Tage so im Saale stehen zu sehn, den Jagdspieß in der Hand, das goldne Hifthorn um die Schultern geworfen, den Hut mutig in das Auge gedrückt und von der Seite geschoben, unter welchem sich quellend die[876] braunen Locken von allen Seiten hervordrängten. »Gefalle ich Euch denn nun so?« fragte sie ihn mit einem kecken Ausdruck. »So sehr, daß ich die Worte dazu nicht finden kann«, sagte Franz lächelnd; »wer fühlte sich nicht im voraus besiegt, wenn Ihr so kriegerisch auf ihn zuschreitet?«

Das Gemälde des Ritters war aufgestellt, und die Gräfin fuhr fort: »Diesen Mann müßt Ihr neben mich malen, aber so viel als möglich aus Eurer Phantasie und nach meiner Beschreibung, denn dieses Bild rührt von einem wahren Stümper in der edlen Kunst her, der es noch niemals gefühlt hatte, welche Holdseligkeit, welcher Liebreiz und Ausdruck der Seele sich im menschlichen Antlitze abspiegeln kann, aber noch viel weniger diesen Zauber in den Farben nachzuschaffen wußte, drum sieht dieser Kopf freilich jenem Ritter immer noch ähnlicher, als mir oder Euch, aber von des Entfernten Wesen selbst ist auch kein Schatten dargestellt. Könnt Ihr Euch nun vielleicht eine Klarheit des Auges denken, das ebensoviel Treue als Schalkheit auf Euch blitzt, einen Mund, der mit Witz und Scherz und Liebesrede wie eine junge Morgenrose aufblüht, eine ernste Stirn, durch die es wie ein Geist hervorleuchtet, welcher allen gebietet, Wangen und Kinn so unschuldig und klug, so zärtlich und wohlwollend, und wieder wie ein Spielplatz der feinen List und des harmlosen Spottes, die wie junge Liebesgötter in Blumen hüpfen, und sich und andre verhöhnen im lieblichen Kriege? Seht, wie kalt ist dagegen dieses Bild! O freilich darin ihm jetzt ähnlich, denn so kalt, so tot, mir und meiner Liebe abgewandt ist er selbst.«

»Ihr verlangt aber auch etwas Unmögliches vom Maler«, sagte Franz. »O hättet Ihr ihn nur gekannt!« rief sie aus, »dies bewegliche und doch so ruhige Gesicht, das so fein und ausdrucksvoll war, daß jede Gemütsbewegung leuchtend hindurchging, wie ein ferner Blitz durch Wolken fährt. Wenn ich nur den Pinsel führen könnte, so solltet Ihr sehn, welch ein Gebild sich auf der Tafel ausbreiten sollte. Malt ihn an meiner Seite, oder knieend, oder mir zum Abschied die Hand reichend. Ach! welche selige, welche schmerzhafte Erinnerung! Ich glaube, kein Mädchen hat noch so geliebt, wie ich, keine ist noch mit so schnödem Undank betrogen worden. – Aber, nicht wahr, Maler, so ganz darf ich nicht als Jüngling erscheinen, wenn in dem Bilde ein Sinn sein soll? Man muß es doch fühlen und sehn, daß er mein Geliebter ist, darum malt ihn im Walde knieend zu meinen Füßen; auch muß in meiner Tracht einiges geändert werden.«[877]

Mit diesen Worten warf sie den Hut vom Kopfe, und die Fülle der schwarzen Locken ringelte sich auf Brust und Schultern hinab, sie lüftete den feinen Spitzenkragen und das grünseidene Wams, und machte den glänzenden Hals und Busen etwas frei. »Kommt!« rief sie, indem sie sich niedersetzte, »Ihr habt mir noch niemals die Haare geordnet, um zu sehn, welche Art sie zu tragen am besten zu meinem Gesichte paßt, und Ihr als Künstler müßt damit vorzüglich gut Bescheid wissen, ringelt Sie jetzt, wie es Euch gut dünkt, oder steckt sie auf, oder laßt einzelne Locken schweben, bedeckt die Stirn, oder macht sie frei, ganz nach Eurem Gefallen.«

Franz, dem dergleichen Übungen bei seinem Dürer nicht vorgekommen waren, näherte sich schüchtern und verlegen. Die seidenen Haare wogen schwer in seiner Hand, er zitterte, indem er den weißen Nacken berührte, und von hinten stehend, sein Blick in den blendenden Glanz der Busenhügel fiel. Sie hatte einen kleinen Spiegel in der Hand, und da sie sein Zaudern bemerkte, sagte sie: »Nun, warum könnt Ihr Euch nicht entschließen?« Er ließ die langen dunkeln Haare von allen Seiten schweben und stellte sich dann vor sie hin, um sie zu betrachten; dann ringelte er sie in einzelnen Flechten, und endlich hob er das Gelock über die Stirne empor, sie sah ihn freundlich und schalkhaft an und rief: »Nicht wahr, so bin ich ein ganz anderes Wesen?« Die reine Stirn glänzte, die Augen funkelten, sie war bezaubernd schön in dieser Stellung. »Wißt Ihr aber auch«, fuhr sie fort, »daß Ihr, wenn man Euch so nahe ansieht, recht schöne und treuherzige Augen habt?« Sie stand auf, legte ihm die Hand auf die Schulter, betrachtete ihn ganz nahe und sagte: »Wirklich, man muß Euch gut werden, wenn man Euch recht anschaut, ich denke mir, daß ein Mädchen Euch einmal recht muß lieben können.« Mit diesen Worten drückte sie ihm einen Kuß auf die Stirn und entfernte sich.

Franz ging unruhig auf und ab und sagte zu sich: »Wahrlich, ich hätte nie geglaubt, daß das Malen ein so beschwerliches Handwerk sei! Auch habe ich nie etwas von diesen Gefahren vernommen; auf diesem Wege dürfte ich das wenige, was ich von der Kunst gefaßt habe, ganz wieder verlernen.« Die Gräfin kam zurück und hatte ein buntes seidenes Tuch nachlässig umgeschlagen, ein Barett auf das schöne Haupt gesetzt, und sagte, indem sie des Malers Hand nahm: »Kommt, Ihr sollt mich auf einen Spaziergang begleiten, Ihr seid es wert, daß ich Euch meine Geschichte vertraue.« Er folgte ihr, und sie gingen durch den[878] Garten jenem anmutigen Walde zu, wo Sternbald sie zuerst gesehn hatte. Der junge Arnold kam ihnen nach, um sich zu ihnen zu gesellen, aber die Gräfin wies ihn mit einem Winke zurück. Als sie zu dem Hügel gekommen war, wo die Jagd damals um sie versammelt gewesen, ließ sie sich nieder und Sternbald mußte sich neben sie setzen.

»Schon früh«, so fing sie ihre Erzählung an, »verlor ich meine Eltern. Weil mir dadurch eine große Erbschaft und der Besitz schöner Güter zugefallen war, so ward ich aus der Nachbarschaft wie aus der Ferne von vielen Menschen aufgesucht, die mir schmeichelten, und allen meinen schnell wechselnden Launen entgegenkommen wollten. Jung wie ich war, hielt ich mich wirklich bald für eine seltene Erscheinung an Geist und Witz, das übertriebene Lob meiner Bewunderer überredete mich in kurzem, daß meine Schönheit ganz außerordentlich sei. Die jungen wie die älteren Männer bewachten meine Schritte und jeder suchte mich auf seine Art zu gewinnen. Sie hatten mich erst stolz und übermütig gemacht, und nicht dabei überlegt, daß eben dieser Stolz ihre kriechenden aber anmaßenden Bewerbungen, ihre plumpe Heuchelei, ihre Vergötterung meiner Gestalt und Vorzüge, hinter welcher ich nicht nur eine Geringschätzung meiner selbst, sondern des ganzen weiblichen Geschlechtes sah, aus dem Felde schlagen würde. Ich verachtete bald alle diese eigennützigen Wesen ohne Herz und Empfindung, und meine Lust war es, sie diese Verachtung fühlen zu lassen, mein Triumph und Hohn wurde endlich so deutlich, daß sich einer nach dem andern zurückzog, und ich in den Ruf kam, eine Feindin der Männer zu sein. Seitdem näherten sich mir andere und bessere, und ich bemerkte an manchem Reize und Gaben des Geistes, welche mich anzogen, doch konnte ich sie ebenso ruhig abreisen sehen, wie ich sie froh und freundlich aufgenommen hatte. Diese Ruhe meines Herzens war mein größter Stolz, ich meinte, was ich von Liebe gehört, sei nur eine Erfindung begeisterter Dichter. Ja, ich kann es nicht leugnen, ich spielte wohl mit der bessern Empfindung manches Jünglings, und freute mich, ihn von meinen Blicken abhängig zu machen, ohne dann seine Unruhe, seine Heftigkeit und Trauer zu bemerken oder zu erwidern. Aber schon nahte derjenige, den das Schicksal zu meiner Bestrafung abgesant: hatte. Ein junger Ritter kam hieher, der, wie er sagte, aus Franken gebürtig war. Ich hatte noch nie die Würde und die Liebenswürdigkeit des Mannes gesehn: sein stiller, ernster und feuriger Blick, sein holdseliges Lächeln, seine tönende Sprache, und die[879] Wahl seiner Worte, sein Gang, die Stellung, die Art sich zu kleiden, alles, alles an ihm versetzte mich außer mir selbst; meine Unruhe, wenn er nicht zugegen, meine süße Angst, meine peinigende Wonne, wenn er mir gegenüber stand und saß, waren unbeschreiblich, meine ganze Seele gehörte ihm schon, noch ehe ich darauf fiel, diese Empfindung, die alle meine Kräfte abwechselnd erhöhte und vernichtete, Liebe zu nennen.

Ich erschrak und zitterte doch vor Freude, als ich mir dieses Wort der Wunder und des Zaubers in meinem Herzen ausgesprochen hatte.

Wie man an heißen Tagen, schmachtend und ermüdet auf weitem Gefilde, sich des Haines liebliche Kühlung und seine rauschenden Schatten wünscht, um sich tief in der dunkeln Grüne zu ergehn und immer weiter in das dicht verflochtne Labyrinth zu dringen, wie im Durst wir die Felsenquelle ersehnen, und uns den Born lieblich springend und tönend vorstellen, und meinen, nicht voll genug könnten wir das Labsal schöpfen: so war es meiner heißen Seele, die sich bei ihm in die liebliche Kühle seines Innern, in den Reichtum seiner himmlischen Gedanken und Gefühle tief hineinzuretten suchte, um aus dem Born des frischesten Herzens den Durst zu stillen, der mich bis dahin in leerer Welt gequält hatte, ohne gewußt zu haben, daß ich an dieser Sehnsucht erstarb. Wie holde Lauben mit Vogelgesang und Blumenranken, wie Felsentäler mit klingenden Wasserfällen, wie die Wunder ferner Welt, die oft meine Phantasie geahndet hatte, wie die reine Entzückung, die uns aus Liedern, von Gemälden herabstrahlend umspielt: so allgenügend, so vielfach, so ganz erfüllend war mir seine Gegenwart. ›Habe ich denn bisher nicht gelebt?‹ sprach ich zu mir selber. War es denn nicht dieselbe Sigismunde, die dachte und träumte und sang? Ich habe ja doch nun erst meine Seele, mich selbst gefunden, und hinter mir liegt mein voriges Leben wie eine wüste Steppe, oder verbrannte Heide, und jetzt erst hat mich der holdseligste Garten mit Blumen, Bäumen, rauschenden Brunnen, Frühlingsschein und Stern- und Mondglanz in Empfang genommen. O wie süß war mein Traumspiel, das jetzt mein Leben geworden war! die ganze Welt war in rührende Zärtlichkeit aufgelöst.

Welch Entzücken durchströmte meine Seele, als ich es fühlte, wie unsre Sehnsucht sich begegnete, als er mir in einsamer Stunde seine Liebe gestand, als er beschämt erzählte, wie sehr er gestrebt habe mir auszuweichen und sich mir zu entfremden, weil er arm und ohne Güter sei: welch seliges Gefühl, mich und alles[880] was ich besaß vor ihn als sein Eigentum hinzuwerfen! Aber wie gefährlich ist das Wort der Lippe, wie unverstanden und rätselhaft der Ton ›Liebe‹, und wie seltsam zauberisch in seinen Wirkungen, daß es schien, als rinne der Quell der Wonne schwächer in uns, seit wir jenen Laut gesprochen, als falle ein langsamer Tod auf alle Blüten unsers reichen Innern. Ich sah es, wie er sich verzehrte, eine trostlose Bangigkeit wühlte in meinem Herzen. Oft blitzte noch wieder die alte Sehnsucht, der Götterrausch auf, aber nur dunkler schien nachher der Kerker des Innern. Wir sprachen Worte, die wir nicht verstanden, wir waren uns fern in der nächsten Nähe: der Engel, der uns wie girrende junge Täubchen unter seine Flügel genommen hatte, war wieder hinweggeflogen, und wir fühlten die kalte Trübsal der Welt, die tote Einsamkeit selbst in Blick und Händedruck. Hier an dieser Stelle sah ich ihn zum letztenmal, hier schien noch einmal sein kindliches, holdseliges Lächeln mich an; einen Freund wollte er besuchen, so sprach sein Mund, und ich habe ihn nicht wiedergesehn.

O ihr neidischen Mächte! seitdem war er mir zurückgegeben. Die Kluft meiner Seele fiel zu, die Ströme der Liebe brachen den starren Fels, und Wunderblumen schauten wieder in die klaren Wellen, ganz, ganz war er wieder mein, der volle Frühling wieder hereingewachsen, aber zugleich schritt nun der herbe Schmerz und die Verzweiflung auf mich zu, daß er mir verloren sei, daß ich ihn vertrieben, daß er wohl mir, ich aber nicht ihm gehöre, weil sein innres Licht vielleicht noch von jener finstern Decke verhüllt werde, die unsre Liebe zum Gespenst gemacht hatte. Nun rief ich dem Echo, den Felsen und Wasserquellen; die ziehenden Vögel und Wolken und meine schnelleren Liebesgedanken sandte ich ihm nach. Ach! in seltnen lieben Augenblicken war es, als kehrten seine Wünsche aus der Ferne gastlich bei mir ein, dann ist eine Seligkeit in meinen fließenden Tränen, wie ich sie eben jetzt empfinde.«

Sternbald war hingerissen, erstaunt und gerührt, er suchte die einschmeichelndsten, lindesten Worte, und sie wie Blumen um das Herz der schönen Traurigkeit zu legen, und erzählte von jenem verkleideten Mönche, den er neulich diesem Gebiete ganz nahe gesehen habe, und der dem Ritter des Bildes so auffallend ähnlich sehe. »Er muß es sein«, so schloß er; »und was anders sollte ihn wohl hiehergetrieben haben, als die nämliche Sehnsucht, die neue Kraft der Liebe, die auch in ihm durch die Schrecken der Ferne wieder aufgegangen ist? Ja, jenes Lied hat Euch prophetisch geantwortet:
[881]

Treulieb ist nimmer weit,

Ihr Gang durch Einsamkeit

Ist dir, nur dir geweiht.«


»Es sei, ich glaube daran«, rief sie aus, »ich nehme das liebe Kind Hoffnung von neuem in meine Arme. O welchen Trost habt Ihr mir aus der Ferne herübergebracht! So sandte der Himmel frommen Einsiedlern Brot in die Wüste durch das Geflügel der Luft. Ja, wie ein Engel seid Ihr mit dieser Friedensbotschaft in mein verwaistes Haus getreten. O Waldrevier! O grüner Rasenplatz! O Felsenbach! hört ihr es wohl? Er ist wieder in eurer Nähe! Singt nun, Nachtigallen, mit doppler Macht, schlage du Herz nun freudiger fort!«

Sie lehnte sich, in sich hineinlächelnd, an den Baumstamm, und sang dann mit lauter Stimme:


»Was halt ich hier in meinem Arm?

Was lächelt mich an so hold und warm?

Es ist der Knabe, die Liebe!

Ich wieg ihn und schaukl' ihn auf Knie und Schoß,

Wie hat er die Augen so hell und groß!

O himmlische, himmlische Liebe!


Der Junge hat schön krausgoldenes Haar,

Den Mund wie Rosen hell und klar,

Wie Blumen die liebliche Wange;

Sein Blick ist Wonne und Himmel sein Kuß,

Red und Gelach Paradiesesfluß,

Wie Engel die Stimm im Gesange.


Und liebst du mich denn? – Da küßt er ein Ja!

Und wie ich ihm tief in die Augen nun sah,

Da schlägt er mir grimmige Schmerzen;

O böses Kind! ei wie tückisch du!

Wo ist deine Milde, die liebliche Ruh?

Wo deine Sanftmut, dein Scherzen?


Da geht ein süß Lächeln ihm übers Gesicht:

Ich liebe dich nicht! ich liebe dich nicht!

Da setz ich ihn nieder zu Füßen.

O weh mir! so ruft nun und weinet das Kind,

Du Böse, o nimm mich auf geschwind,

Ich will, ich muß dich küssen.
[882]

Ich heb ihn empor, er schreiet nur fort,

Er hört auf kein liebkosendes Wort,

Er spreitelt mit Beinen und Händen:

Mich ängstiget und betäubt sein Geschrei,

Mich rühren die rollenden Tränen dabei,

Er will die Unart nicht enden.


Und größer die Angst, und größer die Not,

Ich wünsche mir selbst und dem Kleinen den Tod,

Ich nehm ihn und wieg ihn zum Schlafe:

Und wie er nur schweigt, und wie er nur still,

Vergaß ich, daß ich ihn züchtigen will,

Meine Lieb seine ganze Strafe.


Da schlummert er süß, es hebt sich die Brust

Vom lieben Atem, ich sättge die Lust

Und kann genug nicht schauen:

Wie ist er so still? Wie ist er so stumm?

Er schlägt nicht, und wirft sich nicht wild herum,

Er tobt nicht! es befällt mich ein Grauen.


O könnte der Schlaf nicht Tod auch sein?

Ich weck ihn mit Küssen; nun hör ich ihn schrein,

Nun schlägt er, nun kost er, meine Wonne, mein Sorgen,

Dann drückt er mich an die liebliche Brust,

Nun bin ich sein Feind, dann Freund ihm und Lust: –

So geht's bis zum Abend vom Morgen.«


Der Ausdruck war unbeschreiblich, mit welchem sie diese Verse sang, die sie im Augenblicke zu erfinden schien. Franz war in ihrem Anblick verloren. Sie stand auf und lehnte sich ermüdet an ihn, er mußte sie durch die Baumgänge bis nach dem Garten des Schlosses zurückführen. »Noch einmal dank ich Euch für die tröstliche Nachricht«, sagte sie mit einem Händedrucke, verließ ihn und ging hüpfend in das Haus. Franz sah ihr lange nach, dann setzte er sich in einer abgelegenen Laube nieder, und dachte über die wundersamen Gefühle, die ihm ihr wechselndes Betragen, ihr Liebreiz und ihre Erzählung erregt hatten. Der junge Arnold gesellte sich zu ihm, und da dieser ihn so tiefsinnig sah, sagte er: »Wie nun, mein junger Maler, wie steht es um Euch? Fühlt Ihr auch schon die zauberischen Netze, die sich um Euch her ziehen, und denen Ihr bald nicht mehr werdet entrinnen[883] können, wenn Ihr nicht kühn sie früh genug zerreißt? Ich sah Euch heut mit einem Gefühl von Eifersucht und Mitleid nach; gesteht es nur, daß Ihr Euch an einem gefährlichen Abhange befindet.«

Franz erzählte ihm treuherzig, was vorgefallen war, und verschwieg ihm den Eindruck nicht, den die Schönheit und die reizende Beweglichkeit der Gräfin auf ihn gemacht hatten. »Ja«, rief Arnold aus, »es ist etwas Furchtbares in dieser Schönheit, wenn sie ohne Schonung so grausam mit ihrer Macht spielen will. Ich bin seit meiner frühen Jugend in diesem Hause, und sah dieses sonderbare und reizende Wesen sich bilden. Sie ist die Freundlichkeit und Liebe selbst, mit Wohlwollen, ja Zärtlichkeit kommt sie jedem entgegen, sie weiß Vertrauen zu erregen, und bald meint der Getäuschte, daß er ihr unentbehrlich sei. Doch wie ihm das lose Spiel sich in Ernst verwandelt, wie sie es fühlt, daß jener sie sucht und wünscht, daß das leichte Verhältnis sich fest und fester knüpfen soll, so zieht sie sich zurück, doch ohne den Faden zu zerschneiden, an welchem der Gefangene flattert. So hatten sich ihr viele Männer mancherlei Gemütes aus der Nachbarschaft und Ferne genähert, und alle waren in diese seltsame Jagd befangen worden. So gewöhnt, aus dem Leben, der Liebe, der Rührung und dem süßen Wechsel zarter Empfindungen ein Spiel zu machen, und jeden neuen Gegenstand als Spiegel zu gebrauchen, in welchem sie sich selbst nur mit Wohlgefallen betrachtete, erschien ihr endlich jener Ritter aus Franken, von dem sie Euch erzählt hat. Er war ein feingebildeter, ja schöner Mann, weich und poetisch wie sie selbst, ebenso in Träumen lebend und süßen Gefühlen schwelgend. Sie wurden sich bald unentbehrlich, einer schien des andern nur bedurft zu haben, um den ganzen Reichtum seines innern Lebens zu erkennen und zu genießen. Endlich war gefunden, was sie umsonst bisher gesucht hatte, und sie erklärten laut ihre bevorstehende Verbindung.

Das ernste Wort war ausgesprochen, welches den Liebenden seines unwandelbaren Glückes versichert, beide aber schienen vor diesem Ernst des Lebens zurückzuzittern, der alle ihre Träume und ihr buntes Spielwerk zu zerbrechen drohte. Und gewiß, hat die Leidenschaft nicht so alle Kräfte ergriffen, die tiefste Sehnsucht das ganze Herz so durchdrungen, daß beide sich wie zum Tode gern und willig opfern, und keine Jugend mehr leben, und keine neuen Wünsche und Rührungen mehr finden wollen, so darf die Seele, die in den Wogen des Wohllauts schwimmt und mit Träumen der Entzückungen gaukelt, davor erzittern, daß[884] nun das Höchste, das letzte Ziel errungen werden soll, hinter welchem Wahrheit, Ruhe, stille Befriedigung, wie ebenso viele graue Gespenster hervorzudrohen scheinen. So denke ich mir ihren Zustand, um mir einigermaßen zu erklären, was geschah. Er mochte in sich, noch mehr aber im Gegenstande seiner Liebe fühlen, wie das Herz noch etwas anderes als dieser Liebe bedürfe, wie sie nicht ihn selbst, sondern nur die Schimmer der Phantasie vergötterte, die aus ihr zu ihm hinüberleuchteten, und darum erweckte er sich freiwillig aus seinem Traume, und entfloh.

Sie war tief gekränkt, gestört, aber wie ich sie kenne, nicht wahrhaft unglücklich. Die Trauer und der Schmerz waren noch nie in ihre Seele gekommen, nun konnte sie sich an diesen üben, und sie zu ihren Spielgefährten machen. Sie schmückte sie auch so reizend auf, sie machte sie so schön, daß man zugeben mußte, daß sich neue wundersame Gaben und Bezauberungen an diesem verführerischen Weibe durch sie enthüllten, und ich machte die Erfahrung, daß ich sie anbetete, indem ich ihr zu zürnen glaubte, daß alle jene Mängel, die ich zu kennen wähnte und in stolzer Sicherheit schalt, sich plötzlich gegen mich selbst umwandten, und mir so holde Engelsangesichter zeigten, daß ich verehrend, geblendet niederfiel, und freudig meinem Verderben entgegeneilte.

Jetzt wurde ich ihr Vertrauter und tröstender Freund. Entfliehe der Mann doch diesen Klagen und Tränen eines schönen Weibes, diese Flut der geschmolzenen Perlen nimmt ihn unwiderstehlich mit, er tritt in die Vorhalle zum Herzen seiner Freundin und will bald selbst der Gegenstand ihrer Trauer und Tränen werden. Sie mochte sich nicht an dem gewöhnlichen Trost, an Musik, an Zerstreuung begnügen, ihr Leben selbst wollte sie zu einem Gedichte erhöhen, und ich war derjenige, der ihr zum Dichter und Maler ihrer Szenen dienen mußte. Sie liest die herrlichen Liebesgedichte unsrer Vorfahren, sie kennt sie alle und ich trug sie ihr von neuem vor, und jeder rührende Vers, jede Schilderung, in der sie Beziehung entdeckte, ward wiederholt, hergesagt, auswendig gelernt und gesungen. Aber sie befriedigt sich damit nicht, ich muß ihr eigne neue Lieder dichten, die wir abwechselnd singen, wie Ihr denn neulich eins dergleichen bei Eurer Ankunft gehört habt, diese müssen einfach in wenigen Akzenten das Gefühl gleichsam mehr anklingen, als aussprechen. So schweifen wir durch die Wälder, jagen, singen, und erfreuen uns der Natur und der Einsamkeit, die Waldhörner[885] müssen den Schmerz mit ihren Tönen verherrlichen, sie selbst ist schön geschmückt in vielen abwechselnden Trachten, bald als Frau, bald als Jäger und Jüngling, als Amazone oder als Fürstin. Zuweilen fällt es ihr ein, als Isalde, Sigune oder Enite aufzutreten, von denen sie in ihren Büchern liest, in phantastischer Kleidung schweift sie dann mit ihrer Gesellschaft durch die Täler und Haine, und mir Unglücklichen fällt es dann anheim, den sehnlich erwarteten Tristan oder Iwein darzustellen, sie täuscht sich dann selbst mit ihrer Zärtlichkeit und ist glücklich, aber mir Armen, ihr so nahe, vor ihr knieend, ihre Hände und Arme fassend, in ihren schönen Locken tändelnd, leuchtet dann ein Paradies entgegen, und blitzend davor der Engel mit dem Feuerschwerte.

Nicht ist die Gefahr für die schuldlose Jungfrau so groß, wenn sie auf solche Weise mit dem Feuer scherzt, das die Welt durchglüht und erhellt, denn nur Wohlwollen, Vertrauen, Freundschaft, höchstens Zärtlichkeit erregen sich in ihrem Gemüte, und nur diese verlangt sie von dem Manne, mit dem sie den Tanz zwischen den bloßen Schwertern übt. Aber wehe dem Manne! Erst entzündet sich ein süßes Wohlgefallen, eine klare Heiterkeit in seiner Seele, er schwebt leicht durch die glänzenden Stunden, wie der Schmetterling durch den Frühlingsschein, dann faßt ihn der stärkere Strom, und im frischeren Leben fühlt er sich gebadet und erquickt, er triumphiert und jauchzt auf den Wogen, die ihn heben und tragen, den blühenden Ufern, den Traubenhügeln vorüber. Bald aber genügt ihm nicht diese Ruhe, an sich und in sich will er reißen, was ihn aus der Ferne entzückt, die Freude an der Schönheit wird im innigsten Verständnis Anbetung, Aufopferung seiner selbst: nun blitzt das Erkennen in der tiefsten Seele auf, nicht mehr daß dieses Wesen schön und liebreizend sei, sondern nur daß es dieses einzelne bestimmte, in Ewigkeiten nicht zum zweitenmal erscheinende Wesen ist, und die flammende Liebe erwacht mit den heiligen Glutaugen, und sieht und fühlt und denkt und weiß nichts anders als sie, nur sie. O Verzweiflung! sie wendet sich ab, und will nur Schönheit und Lockung, nicht diese Einzige sein: da mischt die Anbetung und Heiligkeit des Himmels sich mit den Greueln der Hölle, die liebliche Lockung wird heiße Begier, im Genuß möchte der Unglückliche die Verehrte entweihen und vernichten, da sie ihm Liebe, Unschuld und Himmel versagt, und wieder kämpft mit diesen schwefelgelben Gewittern das sanfte Licht der Kindereinfalt, die ehemalige Heiterkeit, der Blumenfriede der glücklichen[886] Tage, die man aber doch selbst um diese Qualen nicht zurückkaufen möchte. Ihr seht mich staunend an, indem ich Euch diese Abgründe male, ich fühle, Ihr versteht mich nicht; und wohl Euch in diesem Seelenfrieden!«

Er verließ ungestüm den sinnenden Jüngling, der ihm lange nachsah, und die sonderbaren Erscheinungen, die an diesem Tage in ihm aufgestiegen waren, nicht genug mit Verwundern betrachten konnte, die ihm in ihrer Seltsamkeit bekannt, und doch in ihrer Nähe so fremd und fern erschienen.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 872-887.
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