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[15] Als in Deutschland die ersten französischen Kriegskarikaturen bekannt wurden, die den deutschen Soldaten mit der seit 1870 traditionellen pendule darstellten, tobte ein Entrüstungssturm durch das Land. »Frechheit! Übertreibung! Der deutsche Soldat, der deutsche Offizier stiehlt nicht!«
Wollen sehen.
Es scheint mir ein unbestrittenes Soldatenrecht zu sein, alles zu nehmen, was der kämpfende Mann und die kämpfende Truppe für die Kriegführung und für des Leibes Notdurft gebrauchen. Es ist also nichts dagegen zu sagen, daß durchmarschierende Soldaten Lebensmittel und Seife, Decken und Wagen, Pferde und Verbandsstoffe requirieren. Die Wegnahme wird durch den Requisitionszettel nicht versüßt, aber es bleibt doch wenigstens der Schein eines Rechts übrig.
Bei den erfolgten deutschen Requisitionen ist sorgfältig zu unterscheiden zwischen den raschen Wegnahmen auf dem Marsch und den wohlüberlegten Eigentumsentziehungen während der Besetzung.
Was auf den Vormärschen geschehen ist, entzieht sich meist der strengen Beurteilung, und ich glaube, daß besonders in Belgien die deutschen Soldaten nicht mehr und nicht weniger gehaust haben, als andre Völkerschaften das in früheren Jahrhunderten taten. Die kindischen Versuche des berüchtigten Kriegspresseamts, die Armee von aller Schuld reinzuwaschen, gehören in das Kapitel ›Vaterländischer Unterricht‹: die deutsche Klasse hat vollendet aufgemerkt, und ihre Leistungen waren – leider Gottes! – zufriedenstellend. Man hätte den Lehrer früher vom Katheder herunterschlagen sollen.
Ob es auf dem Vormarsch im Westen wirklich gar so bunt hergegangen ist, wie die Franzosen darstellen, weiß ich nicht. Ein alter Generalstabsoffizier bat den Privatsekretär einer französischen Baronin um Einzelheiten; der Mann, ein Holländer, gab sie ihm. Der Sekretär erzählte später nicht ohne Bewegung, wie der Offizier geweint habe. Und ich weiß, wie nach einem Vortrag vor Soldaten, der sich gegen gar zu haarsträubende Tendenzberichte des französischen Imperialismus lichtete, ein Zahlmeister dem Redner auf die Schulter klopfte und sagte: »Das war ja sehr nett, was Sie da gesagt haben. Aber Sie hätten mal dabei sein sollen, wie wir in Belgien gewirtschaftet haben!« Und dann erzählte er einige Einzelheiten, die wir uns lieber sparen wollen.
[15] Ich kann aber, selbst wenn die Deutschen auf ihren Vormärschen mit Requisitionen weit über das Ziel hinausgegangen sind, nicht gar so viel davon hermachen. Der Krieg ist eine üble Angelegenheit, und es wird nicht leicht fallen, dem Soldaten klar zu machen, Mord sei erlaubt, ja Pflicht, und das viel geringere Delikt des Diebstahls sei Verbrechen.
Verbrecherisch aber waren die Requisitionen, die die Verwaltungsoffiziere auf eigene Faust in allen besetzten Gebieten unternahmen. Wir kommen hier wieder an eine Art deutscher Korruption, die wegen ihres schleichenden Charakters weit gefährlicher ist als jede offene. Sie ist praktisch niemals nachzuweisen, bewegt sich meist in den anständigsten Formen und hat uns maßlos verhaßt gemacht. Denn das ist Mentalität: gut scheinen wollen und schlecht tun.
Aus dem Bericht eines deutschen Verwaltungsbeamten in Rumänien:
»Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es vor allem die Art und Weise der Durchführung der Requisitions-Maßnahmen ist, durch die Verbitterung und Haß in der Bevölkerung entfacht worden sind. Immer wieder hört man von rumänischer Seite den Ausspruch: ›Wie kommen die Deutschen dazu, sich besser und mehr zu dünken als wir? Es ist bei ihnen ganz genau wie bei uns: Wer die Macht hat, stiehlt und bedrückt und füllt seine Taschen !‹ Der Soldat, der in ein Haus kommt, um nach beschlagnahmten Lebensmitteln zu suchen, bekundet ein lebhaftes Interesse auch für alles andre, was zwar nicht der Beschlagnahme unterliegt, was er aber für sich auch gut brauchen kann. Um sich besser verständigen zu können, bringen solche Kommandos vielfach ihren Dolmetscher mit, der meistens der Bestechung recht zugänglich ist. Hierdurch kommt es, daß die Durchführung von Beschlagnahmen in vielen Fällen höchst ungleichmäßig und ungerecht ist. Der davon Betroffene hat kein Mittel, sich zu schützen. Wenn auch jeder weiß, daß mal wieder ›Schiebung‹ am Werke war, so wagen die Leute doch nicht, auf dem Beschwerdewege dagegen vorzugehen, denn damit hat schon mancher recht schlechte Erfahrungen gemacht! Sie stecken also das Unrecht ein und sind wieder in ihrer Ansicht über die Deutschen bestärkt: ›Sunt ca si noi!‹ (Sie sind wie wir!)«
Der überall gefürchtete Kommandanturlandwirt war eine Zentrale aller Schieber, wie ja jeder, der mit Lebensmitteln beim Militär zu tun hatte, mehr oder weniger anrüchig war. Was diese Verwaltungsstellen an Einrichtungen, an Vieh, an Stoffen und Dingen requirierten, die gar nichts mehr mit der Kriegführung zu schaffen hatten: das geht weit über Menschliches hinaus. Der Kernpunkt in der Verderbnis war der, daß jede Abrechnung zugleich Disziplinsache war; außerdem steckten Unterchargen und die höhern Offiziere meist unter derselben schmutzigen Decke. Hier braucht man gar keine Akten aufzumachen:[16] keinem, der die deutsche Etappe kennt, sind dies unbewiesene Behauptungen.
Einmal beschuldigte ein anonymer Brief alle Angehörigen einer Viehsammelstelle der Unterschlagung und des Mißbrauchs der Dienstgewalt unter sehr genauen Angaben. Die Beschuldigten selbst – darunter mehrere Offiziere und ein Feldwebel, von dem die ganze Gegend wußte, er habe sich während des Krieges zum reichen Mann gemacht – wurden vernommen, bestritten natürlich alles und – und? Der anonyme Briefschreiber wurde gesucht, damit man ihm den Prozeß machen könnte.
In Riga war ein Requisitionsoffizier, der brach die leerstehenden Wohnungen auf und nahm die Möbel weg; es blieb unberücksichtigt, ob das geflohene Deutsche oder Russen, russophile oder germanophile Letten waren: er brach auf und nahm weg. Er selber bewohnte eine herrlich eingerichtete Wohnung in Riga, die requirierten Möbel wurden aus Riga fortgeschafft, die bestohlenen Familien bekamen niemals Ersatz.
In Rumänien wurde in der ersten Zeit, besonders in Bukarest und besonders durch Organe der Politischen Polizei, unsagbar gestohlen. Einer der Chefs reiste mit einer großen Zahl von vollgepackten Lederkoffern ab, auch die Koffer waren, wie der terminus lautet, ›gekauft‹.
Offiziere stahlen auf dem Balkan dem Hauswirt die Badewäsche. Er wandte sich an mich, und ich vermittelte. Dabei sagte ich: »Vielleicht bekommen Sie die Wäsche wieder! Und schließlich: es ist Krieg! Denken Sie, wie die Rumänen handeln würden, wenn sie in einem feindlichen Lande wären!« – »Ja«, erwiderte mir der Mann, »die Rumänen! Das dürfen Sie nicht sagen! Sie sind keine Rumänen, Sie sind doch Deutsche!« Ach ja.
Was hier wie überall so deprimierte, war der völlige Mangel an Bedenken. Der deutsche Offizier – und er besonders, weil er ja an den maßgebendsten Plätzen saß – stahl ohne Bedenken, allerdings fast nur im großen Stil. Es fing mit ›Erinnerungen‹ an (manche Offiziersfrauen tragen diese Souvenirs noch heute), und es hörte mit Waggonladungen auf. Der gemeine Mann, ein getreuer Diener seines Herrn, hätte es anstandslos ebenso gemacht, wenn er nur gekonnt hätte. Angewidert wurde man durch die große Geste der Reinheit, die der deutsche Nachrichtendienst bei den Engländern gerne ›cant‹ nannte: kühl, herausfordernd unliebenswürdig, pochend auf Reinheit – und dann doch korrumpiert. Als die Russen aus Warschau abgerückt waren, schwebte ein kleiner jüdischer Apotheker in tausend Ängsten. Er verließ seine Familie, als die Deutschen kamen, um Fühlung zu nehmen. Und kam nach einer halben Stunde wieder, triumphierend, auf beiden Beinen hüpfend und heiter bewegt. Und rief: »Sie nemmen! Sie nemmen!« Sie haben überall genommen.
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