Die Schweigende

[119] Erst haben wir davon gesprochen

– du hörtest freundlich zu –,

ob unsre alten Männerknochen

sich niemals in den Hörselberg verkrochen . . .

Und du?


Er sagte: »Ach, ich bin ein böses Luder!

Die Frauen fehlen mir.

Ich fresse jedes Jahr ein halbes Fuder,

wild tobt mein Herz, stäubt nur ihr weißer Puder . . . «

Was klopft denn dir?


Er sagte: »Rausch! Nur Rausch vor allen Dingen!

Vor dem Verstand verblich

schon manche Göttin mit den Strahlenschwingen –

Mich packt es jäh, wenn meine Sinne singen . . . «

Und dich?


Ich sagte: »Rausch ist eine schöne Sache,

deckt er uns zu.

Doch geben Sie mir auch die eine wache

Sekunde nur, in der ich rauschlos lache . . . «

Und du?


Du sprichst kein Wort. Du siehst nur so auf jeden

von uns – und während alles weit verklingt,

und während wir voll Männerweisheit reden:

blitzt auf in einem dunkeln Garten Eden

dein sieghafter Instinkt.


  • [119] · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 03.07.1919, Nr. 28, S. 22, wieder in: Fromme Gesänge.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 119-120.
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