Besetzt! Bitte, später rufen –!

[150] Die weißen, weiten Gletscherfelder, wo die Luft

kühl anhaucht und das Eis grünlich schimmert –

Wem gehören die?


Der helle kilometerlange Strand, die halbfeuchte Strecke zwischen dem

Wasser und dem trocknen Seesand, Muscheln liegen da vergraben,

Möwen hüpfen auf und ab, reingefegt vom Wind sind die Dünen –

Wem gehören die?


Die zitternde Blumenwiese mit den hohen saftigen Stengeln,

die Käfer, die summsen, die Berge, die herüberdämmern,

an der Waldlichtung mäht ein Mäher, die Felder liegen satt –

Wem gehören die?


Die Erde über tausend Meter

ist reserviert.

Das Meer, die frische Luft, der Äther

sind reserviert.[150]


Den andern mahnen: Voll Geduld sein!

Und noch an allem Elend schuld sein

und alles Beste für sich nehmen,

den Armen, weil er riecht, verfemen,

ihn schuften lassen, bis er sanft krepiert –:

Dir, Proletarier, ist der Himmel reserviert.

Das Himmelreich bleibt dir zuletzt . . .

Die schöne Erde –?

Leider schon besetzt.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 23.06.1925, Nr. 25, S. 918.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 150-151.
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