|
[308] Szene aus einer Revue von Alfred Polgar und Theobald Tiger
Er: Wir hätten doch 'n Auto nehmen sollen.
Sie: Ich habs gleich gesagt. Du hast nicht gewollt.
Er: Du hast nicht gewollt.
Sie: Das ist großartig! Wer hat nicht gewollt? Du! Wie wir an der[308] Ecke Geisbergstraße gestanden haben, da kam noch eins – mit dir ins Theater zu gehen, das ist ein Vergnügen.
Er: Es hat doch überhaupt nicht angefangen.
Sie: Natürlich hats längst angefangen! Sieh dir doch die Leute an – die kommen doch nicht alle pünktlich! Wir haben mindestens drei Bilder versäumt. Hast du 'n Zettel?
Er: Nein. Es war keine Zeit mehr –
Sie: Nie kaufste den Zettel. Gib mal das Opernglas her. Was kommt jetzt?
Er: Was Russisches.
Sie: Russisch? Kann ich nicht mehr sehen. Paß auf, sie werden die Köpfe durch eine Dekoration stecken und ›An der Wolga‹ singen . . . das kennt man doch.
Er: Ausgeschlossen!
Sie: Sage mal: haste das Licht im Schlafzimmer ausgedreht?
Er: Nein. Du bist doch zuletzt rausgegangen!
Sie: So! Jetzt haste vergessen, das Licht auszumachen! Nachher wunderst du dich über die Elektrizitätsrechnungen! Ssississ . . . ha!
Er: Na, vielleicht hast du 's doch ausgemacht –?
Sie: Nein, das ist deine Sache, das Licht auszumachen. Regierers sind da.
Er: Wo?
Sie: Da links.
Er: Das sind nicht Regierers.
Sie: Natürlich sind das Regierers. Widersprich nicht immer! Was summst denn die Melodie mit? Du kennst doch die Melodie noch gar nicht!
Er: Na, deshalb kann ich sie doch mitsingen!
Sie: Wenn ich an das Licht denk, könnt ich platzen.
Conférencier (vor dem Vorhang): Wir beginnen mit einem ergreifenden Bild aus dem russischen Volksleben: ›An der Wolga‹.
Sie: Nun, was hab ich gesagt. Aber du mußt immer streiten!
Cabaret-Szene. Durch eine russische Landschaftsdekoration mit aufgemalten Körperchen steckt ein Quartett die Köpfe und singt langsam und getragen, durchaus ernst, eine Strophe von ›An der Wolga‹.
Vorhang
Wendriners in der Loge
Sie: Genau wie im blauen Vogel bei Junitz.
Er: Jushni.
Sie: Was heißt Jushni? Ich mein den Conférencier vom blauen Vogel.
[309] Er: Der heißt Jushni.
Sie: Junitz.
Er: Herrgott, ich weiß es doch!
Sie: Streit nicht immer. Wissen möcht ich, ob das schwer ist, so lange dazustehen und den Kopf hinzuhalten.
Er: Geh hinter die Kulissen.
Sie: Du tust grade so, als ob ich das nicht kann. Wenn ich zu Löwy ein Wort sag, der kennt die Kusine vom Theaterarzt und führt mich hinter die Bühne!
Er: Na, und was würdest du da schon sehen?
Dieselbe Dekoration wie vorhin – aber von hinten gesehen. Auf kleinen Fußbänken stehen die vier Sänger und Sängerinnen und singen ausdrucksvoll noch einmal ›An der Wolga‹. Daneben steht der Direktor im Gespräch mit einem andern Schauspieler; sie trinken Kognak und erzählen sich Witze. Die Vortragenden kratzen sich, einem fällt ein Notizbuch herunter, das er aus der Tasche gezogen hat, der Nebenstehende zieht es mit dem Fuß zu sich heran, es entspinnt sich ein Fußkampf. Der Direktor geht vorbei und klopft einer Sängerin väterlich auf den Popo
.
Vorhang
Wendriners in der Loge: Hast es!
Buchempfehlung
»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro