An das Publikum

[237] O hochverehrtes Publikum,

sag mal: bist du wirklich so dumm,

wie uns das an allen Tagen

alle Unternehmer sagen?

Jeder Direktor mit dickem Popo

spricht: »Das Publikum will es so!«

Jeder Filmfritze sagt: »Was soll ich machen?

Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!«

Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:

»Gute Bücher gehn eben nicht!«

Sag mal, verehrtes Publikum:

bist du wirklich so dumm?


So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,

immer weniger zu lesen steht?

Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;

aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;

aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn

könnten mit Abbestellung drohn?

Aus Bangigkeit, es käme am Ende

einer der zahllosen Reichsverbände

und protestierte und denunzierte

und demonstrierte und prozessierte . . .[237]

Sag mal, verehrtes Publikum:

bist du wirklich so dumm?


Ja, dann . . .

Es lastet auf dieser Zeit

der Fluch der Mittelmäßigkeit.

Hast du so einen schwachen Magen?

Kannst du keine Wahrheit vertragen?

Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?

Ja, dann . . .

Ja, dann verdienst dus nicht besser.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 07.07.1931, Nr. 27, S. 32, wieder in: Lerne Lachen.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 237-238.
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