Am Telefon

[291] Neulich hat der französische Ministerpräsident den deutschen Reichskanzler antelefoniert, um ihm mitzuteilen, daß er wegen einer Unpäßlichkeit Briands nicht zum ursprünglich vorgesehenen Datum nach Berlin kommen könne. Warum telefonieren eigentlich die europäischen Staatsmänner nicht viel häufiger miteinander –?

Da liegen nun die Hauptstädte Europas, eine von der andern immer nur ein paar Flugstunden entfernt. Und wie verständigen sich die Direktoren der Staatsverbände, die ja trotz allen Geschreis nur einen großen Klub bilden? Sie verständigen sich untereinander in einer Art, gegen die die Trommelpost der Neger eine höchst moderne und hervorragende Sache ist.

Welches Brimborium und welche Feierlichkeit, wenn sie einander etwas zu sagen haben! Da werden Botschafter in Bewegung gesetzt, diese Briefträger der Umständlichkeit, da gibt es Verbalnoten und schriftliche Noten und Konferenzen und ein Getue, das die braven Zeitungen, schmatzend und diese scheinbaren Neuigkeiten mit Wonne schlürfend, berichten. Und man stelle sich vor, die großen Konzerne, die ja an Wichtigtuerei auch nicht grade Schlechtes leisten, gestatteten sich diese Zeitverschwendung!

Das ginge zwischen den Staaten nicht anders? Diese höchstwichtigen und schrecklich geheimen Gespräche zwischen Brüning und MacDonald, zwischen MacDonald und Laval könnten abgehört werden? Aber die Trusts, deren Macht in Europa weit größer ist als die Macht dieser lächerlichen Staaten, telefonieren ja auch, und Gott weiß, daß auch dort der Verrat in allen Bürozimmern blüht. Und es geht doch. Natürlich wird kein verständiger Mensch erwarten, daß sich die europäischen Staatsmänner am Telefon alles mitteilten, obgleich zum Beispiel eine telefonische Kriegserklärung (»Hallo, Sie! – Von morgen ab ist Krieg«) höchst reizvoll wäre. Warum telefonieren sie nicht?

Weil sie sich viel zu feierlich nehmen. Weil sie noch immer glauben; England, das sei eine schier religiöse Sache, und Deutschland, das sei ein Heiligtum, und Frankreich, das sei eine Kultstätte. Macht euch doch nicht in die Hosen! Es ginge uns allen viel besser, wenn die Staaten ihre wahre Rolle erkennen wollten. Noch aber leben sie, während einer Epoche, die die Gesättigten gern Frieden zu nennen belieben, in einem latenten Kriegszustand. Welches Theater, wenn einer den andern besucht! Darunter liegen dann Streichholz- und Petroleumgeschäfte[291] sowie die allen gemeinsame Angst, der Arbeiter könne sich eines Tages mit Gewalt seinen Lohn nehmen, den sie ihm heute vorenthalten. Große Oper spielen die Staaten, mit Helden, denen die Strumpfbänder rutschen. Leider eine Oper mit tragischem Ausgang.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 22.09.1931, Nr. 38, S. 418.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 291-292.
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