›Kulissen‹

[93] Es ist ein Jammer, daß es keinen rechtschaffenen Teufel mehr gibt. Jetzt behilft man sich da mit den Welschen, mit den Juden, mit den Radfahrern, mit dem Vertrag von Versailles . . . aber das Richtige ist das alles nicht. Immerhin muß einer da sein, der schuld ist. Gehts gut, dann haben wir es herrlich weit gebracht – gehts aber schief, dann wirft der Fachmann wilde Blicke um sich und sucht den Teufel.[93]

Das Theater hat den seinen im Film, im Rundfunk und in der Krise gefunden. Vielleicht sehen die Herren auch einmal ein bißchen in ihren Büros nach? Da sitzt nämlich auch ein Teufel.

Wer, so frage ich mich manchmal, wenn ich gar nichts Besseres zu tun habe, bestimmt eigentlich den Spielplan der deutschen Bühnen? Ich weiß schon: die Angst. Denn wenn einer nichts hat: Bedenken hat er.

Wer bestimmt den Spielplan, und nach welchen Gesichtspunkten bestimmt er ihn? Das verstehe wer mag. Die Kerle haben doch keinen Erfolg, höchstens hat mal hier und da einer einen – der Rest pumpert sich so durch. Aber die große Schnauze.

Mir kanns gleich sein; ich bin kein Dramatiker. Ich habe nur einmal mit Walter Hasenclever ein Stück geschrieben, das heißt ›Christoph Kolumbus oder Die Entdeckung Amerikas‹. Doch bin ich so befangen, daß ich ein unaufgeführtes Stück meines Mitarbeiters Hasenclever auf das herzlichste loben muß. Wenn das Publikum auch nur halb so viel lacht, wie ich bei der Lektüre dieser Komödie gelacht habe –: dann wird sehr oft lange nicht weitergespielt werden können.


Das Stück heißt ›Kulissen‹ (im Arcadia-Verlag, Berlin).

Das Stück hat einen Fehler: es nennt die dargestellten Personen mit Namen, und das Personenverzeichnis sieht so aus:

Herr Deutsch

Herr Graetz

Herr Hasenclever

Die Dame

Der Gesandte

Der Intendant

Änne

Sahlmann

Portier

– aber keine Sorge: die Dame ist keine Dame, der Gesandte ist kein Gesandter, nur der Intendant ist ein Intendant, und das ist ihm ganz recht.

Nennte das Stück die Leute nämlich nicht bei vollem Namen, dann könnte es in jeder Stadt fünfzig Aufführungen hintereinanderweg haben, so lustig ist es. Denn so sind die Schauspieler, so ist der Dichter – und selten hat sich einer so graziös, so leicht, so vergnügt über sich selbst lustig gemacht wie hier Herr Hasenclever über Herrn Hasenclever. Diese zwei Akte sind bezaubernd.

Wie sie sich alle beloben und belügen. Wie sie sich die schlechten und die guten Kritiken vorlesen. Wie Deutsch emsig die Frauen ignoriert, Paulchen Graetz mit seiner Rolle befaßt ist, in die er ein Couplet hineingelegt haben will; wie der Dichter alles und alle zu verachten vorgibt,[94] es aber mitnichten tut – das glitzert von Witz, von schneidigen Hieben, von Scherz, Satire und der ganzen Firma.

Haben sie so viel gute Stücke? Siehe, sie haben Bedenken. Dieses Lustspiel, in der richtigen Zeit in Berlin kreiert, hätte gut und gern einen Monat lang jede Nachtvorstellung gefüllt, und ich sage Nachtvorstellung mit gutem Grund. Es ist ein bißchen Atelierscherz darin; das Stück wendet sich an die Welt der Literatur und des Theaters – setzt also ein entsprechendes Publikum voraus. Das haben wir nicht; in eine Nachtvorstellung aber gingen die hinein, für die es geschrieben ist. Und die würden sich, Mann pro Mann, für neun Mark und achtzig amüsieren. Es ist aber auch recht heiter.

Wie der Garderobier die Kerrsche Kritik vorliest, auf daß der Dichter platze – und wie Paule hineingeweht kommt, Herr Graetz persönlich –: das ist eine einzige Kostbarkeit: Denn so etwas ist nicht nur Graetz; das ist Theater.

Graetz: Walter, sieh mich an – auf Pupille: wie fandest du mich denn?

Hasenclever: Großartig, Paul.

Graetz: Was? Wie der alte Graetz das gemacht hat; den Aktschluß bei Mondschein – Knorke. Da bleibt kein Auge trocken. So was von Beifall war noch nicht da.

Hasenclever: Wie fandest du denn Deutsch?

Graetz: Walter, unter uns, aber ganz unter uns – das sage ich nur dir – Walter, versprich mir, reinen Mund zu halten!

Hasenclever: Aber selbstverständlich, Paul.

Graetz: Walter, du bist mein Freund. Ich liebe dich. Und dein Stück, alle Achtung. Aber Deutsch wird alt!

Und so in infinitum.

Nun gibt es doch in jeder Stadt einen Liebhaber; einen Komiker; einen Dichter . . . das ist ja nicht nur in Berlin so, wo natürlich die Namen Deutsch und Graetz und Kerr sofort Assoziationen auslösen. Man ersetze die Namen; man feile sehr vorsichtig an dem Stück – und man hat eine überall gültige, unendlich lustige und leichte Sache.

Haben aber Bedenken, die Herren.

Erstens kann man kein Stück spielen, das nicht frisch aus der Schreibmaschine kommt – wie ja auch der feine Mann keine Bücher, sondern Neuerscheinungen kauft. Zweitens muß man die professionell schlechte Laune aller Kunstkaufleute kennen: »Ich weiß nicht . . . wissen Sie . . . « kurz: zu viel Magensäure. Man ermesse, was herauskommt, wenn. die einen Spielplan machen. Genau so sieht er denn auch aus.

Und dann wäre da vielleicht noch etwas.

Früher bestimmten den Theaterspielplan jene blau rasierten Schmieren-Jockel, die halbe Analphabeten waren – aber von Publikumswirkung verstanden sie etwas. Heute gespenstert durch die Theaterbüros[95] der sanft bebrillte Dramaturg, der sehr gebildet ist. Dafür versteht er wieder vom Publikum einen Schmarren. Und was die Direktoren außer ihren Pachtgeschäften eigentlich treiben, das habe ich nie begriffen.

Jedenfalls hat da ein Satz Max Reinhardts viel, viel Unheil angerichtet:

»Das Theater gehört dem Schauspieler.«

Wirklich? Tut es das? Dann sollten sich die Schauspieler auch ins Parkett setzen und sich selber Beifall klatschen. Natürlich gehört das Theater weder dem Schauspieler, noch dem Autor, noch dem Regisseur – sondern es gehört allen zusammen. Der Schauspieler sei nicht das Megaphon des Autors wie der Text nicht der Vorwand für die Kapriolen des Schauspielers. Was tun nun die Direktoren?

Die nehmen ein Stück nur im Hinblick auf diese Frage an: Was könnte man damit anfangen –? Denn daß man es in keinem Fall so lassen kann, wie es da ist, darüber herrscht kein Zweifel.

Sie drehen es. Sie wenden es. Sie dichten es um. Sie streichen und fügen hinzu. Ludwig Marcuse schrieb neulich, es sei Lernet-Holenia ganz recht geschehn, daß sie ein Stück von ihm gemeuchelt hätten – die Arbeit des Dramatikers sei eben mit der Niederschrift des Textes nicht beendet. Ich bin da andrer Meinung. Ich halte sie für beendet, wenn das Stück beendet ist. Besetzt der Direktor falsch und hat sich der Autor nicht darum gekümmert, so muß er die Folgen tragen. Aber daß die Theater Stücke umdichten, das ist einfach ein Rechtsbruch.

Eine falsche Allgemeinbildung und damit die Verflachung der Bildung haben dazu geführt, daß jeder jedes zu können glaubt. Schreiben –? Schreiben kann jeder. Und so tun denn alle wacker mit. Respekt vor geistigen Leistungen ist kaum noch vorhanden, Respekt vor der künstlerischen Vision, die so und nicht anders ans Licht getreten ist, das gibt es gar nicht. »Da machen wir einfach . . . « Ja, aber das hat doch der Autor nicht so geschrieben! Und selbst – erstarre, Mime! – selbst wenn sein Text weniger wirkungsvoll ist als der deine, den du neu auf der Probe hinzugekleckert hast –: selbst dann ist fast immer der Dramatiker im Recht. Gefällt euch das nicht? Dann schreibt euch eure Stücke allein. Und das tun sie ja denn auch. Mit bekanntem Erfolg.

Sie nennen, was sie da treiben, Kollektivarbeit, aber es ist nur ein Durcheinander. So kann man bei den fettlackierten Revuen arbeiten, die Reinhardt aufführt – da kommts wirklich nicht auf den Text an. Da kommts auf die Farben an. Daß aber leichte Lustigkeit auch und grade auf dem Wort stehn kann –: wer begriffe das in Deutschland! Seltsamerweise hats Reinhardt einmal begriffen: in seinem alten Schall und Rauch nämlich . . . long ago.

Der Autor stört. Der Text ist Vorwand, Und dann beklagen sie sich, daß keine Dramatiker aufwachsen.

[96] Oben an der Decke schwebt eine leichte Seifenblase: das Lustspiel ›Kulissen‹. Leicht wie ein Hauch, bunt, spiegelnd, blitzend vor Lustigkeit . . . du rundes Ding, wer führt dich auf?


  • · Peter Panter
    Die Weltbühne, 14.06.1932, Nr. 24, S. 981.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 93-97.
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