Neuntes Kapitel.

Die Höhle. – Das schwimmende Haus. – Reiche Beute. –

[66] Ich wollte nun noch einmal einen Ort aufsuchen, den ich bei meiner Expedition neulich entdeckt hatte, ungefähr in der Mitte der Insel. So machten wir uns denn auf die Lappen und waren auch bald dort, denn die ganze Insel war ungefähr nur eine Stunde lang und eine halbe breit.

Der Ort, an den ich hin wollte, war ein ziemlich steiles Felsenriff oder Hügel ungefähr vierzig Fuß hoch. Es ward uns schön sauer, hinauf zu klettern, der Abhang war so steil und so viel Büsche drauf. Wir schwitzten und kletterten und betrachteten es von allen Seiten und entdeckten richtig beinahe[66] oben an der Spitze eine ziemlich große Höhle. Sie war so groß, wie wenn man zwei oder drei Zimmer zusammen nimmt und Jim konnte aufrecht drin stehen. Und so schön kühl war's da drinnen! Jim wollte, wir sollten gleich hier Quartier aufschlagen, mir aber leuchtete das ewige Klettern gar nicht ein.

Jim meinte aber, wenn wir unser Boot versteckten und alle unsere Sachen hierher brächten, so könnten wir uns so schön verbergen, wenn einmal irgend jemand käme und ohne Hunde könnte uns dann kein Kuckuck finden. Und sagt' er nochmals eindringlich, die jungen Vögel von vorhin hätten doch Regen angezeigt, ob ich durchaus alles eingeweicht haben wolle?

Das leuchtete mir ein! Wir also zurück und rudern das Boot bis zu dem Platz am Ufer, der unserm Felsen möglichst nahe war, schifften unsre Habseligkeiten aus und verbargen sie in der Höhle. Dann fanden wir unter dichtem Weidengestrüpp ein Versteck für unser Boot, sahen nach der Fischleine, nahmen einige Fische weg, warfen die Leine wieder aus und begannen nun an unser Mittagbrot zu denken.

Die Öffnung der Höhle war ziemlich groß und an einer Seite war der Boden etwas erhöht, wo man bequem ein Feuer anzünden konnte, was wir denn auch gleich thaten und unser Essen kochten.

Die Decken legten wir als Teppiche auf den Boden, lagerten uns drauf und verzehrten unser Mahl. Alle andern Dinge ordneten wir im Hintergrunde der Höhle. Bald danach kamen draußen wirklich graue, dicke Wolken, es donnerte und blitzte; – die jungen Vögel hatten diesmal also wahrhaftig recht gehabt! Dann goß der Regen nur so herunter und so etwas von Wind hab' ich noch nie erlebt. Es war das reinste Aprilgewitter. Das goß und goß; wahre Fluten sausten durch die Luft, daß alles draußen grauschwarz aussah und die nächsten Bäume nur noch wie Spinneweben durchblickten,[67] so, wie toll, schoß das Wasser herunter. Dann – ein Windstoß und die Bäume fahren mit den Kronen nach unten, als wollten sie Purzelbäume machen und zur Abwechslung einmal die Wurzeln an die Luft strecken; alles scheint wie toll und losgelassen. Da – als es gerade noch am schwärzesten ist und am tollsten rast – ritsch – alles hell und klar, wie blankes Gold, daß man weit, weit hinüber die Bäume winken und nicken sieht; – dann im Moment, schwarz wie die Nacht und der Regen gießt, der Sturm heult und der Donner rollt, als ob Fässer abgeladen würden, steile, steile Treppen hinunter, wo sie so recht stoßen und poltern und krachen können.

»Das ist nett, Jim,« sag' ich, »Gott sei Dank, daß wir im Trocknen sind. Reich' mir doch den Fisch nochmals her und ein ordentliches Stück Brot.«

»Alte Jim aber sein Schuld, daß du sein hier, Huck. Ohne alte Jim du wären naß un kalt un halber ertrinkt da drunten im Wald. Ja, ja, Kind, junge Hühner wissen, wann Regen kommt, un junge Vogel auch!«

Der Fluß stieg und stieg, zehn oder zwölf Tage lang, bis er zuletzt über das Ufer austrat. Die Insel war an den niedrigen Stellen drei bis vier Fuß unter Wasser. Am Tag ruderten wir überall drauf umher. Es war herrlich kühl inmitten des Waldesdickichts, während die Sonne draußen stach und brannte. Wir wanden uns zwischen den Bäumen durch, kamen aber oft an solche Massen von wilden Waldreben, die sich von Baum zu Baum schlangen und uns den Weg versperrten, daß wir umwenden und eine andere Richtung suchen mußten. Auf jedem alten, umgestürzten Baumstamm saßen Kaninchen, Eichhörnchen, Schlangen, Schildkröten und andres Getier und als das Wasser einmal zwei, drei Tage da war, wurden sie aus Hunger so zahm, daß man sie greifen konnte, d.h. die Kaninchen und Eichhörnchen, die andern[68] ließen wir laufen, denn wir hatten in unserer Höhle mehr davon, als uns lieb war.

Der ganze Fluß war wieder voller Treibholz. Einmal fischten wir ein tüchtiges Stück von einem Holzfloß heraus, neun dicke tannene Bohlen, fest zusammengezimmert. Es war vielleicht zwölf Fuß breit und ungefähr fünfzehn bis sechszehn lang, ein starkes, solides Ding, das wir sogleich unter den Weiden versteckten, im Gedanken, daß es uns noch einmal vielleicht gute Dienste leisten könnte, was denn auch wirklich später gründlich der Fall war. Eines Nachts – Tags wagten wir uns nicht heraus – gerade ehe es zu dämmern anfing, sahen wir ein Haus, ein wirkliches Haus, aus Holz gezimmert, den Fluß herunter treiben. Wir natürlich drauf los, angelegt und zum untern Fenster hineingekrochen. Sehen konnten wir noch nichts, so machten wir denn unser Boot fest und warteten geduldig, bis es tagen würde.

Wir waren noch nicht an der Insel vorbei, als es hell genug wurde, um alles unterscheiden zu können. Wir sahen also in's Zimmer hinein, sahen ein Bett, einen Tisch, zwei alte Stühle und tausenderlei Dinge überall umhergestreut. In der Ecke lag etwas, das wie ein Mensch aussah, sich aber nicht rührte.

»Hollah, ihr da!« ruft Jim. Er regt sich nicht. Nun schrei' ich. Dann sagt Jim:

»Der nix schlafen, der sein tot. Du bleiben hier, Huck, Jim sehen nach.«

Er geht, beugt sich über ihn, betrachtet ihn und sagt dann:

»Der sein tote Mann! Ja, warrafftig, un Kleider sein auch fort. Sein geschossen in den Rücken. Sein schon lange tot, vier Tag, fünf Tag. Komm' rein, Huck, aber nix hinsehen, sein schauderhaft – puh!«

Ich sah mich also nicht um. Jim warf ein paar alte[69] Lumpen über die Leiche, hätte es aber nicht zu thun brauchen, mich zog's gar nicht danach hin. Alte, schmutzige Karten lagen auf dem Boden herum, alte Schnapsflaschen dazwischen, auch zwei schwarze Tuchmasken und die Wände waren mit dummen, verrückten Sprüchlein und Bildern bemalt, die einer mit Kohle drauf geschmiert hatte. Alte, zerrissene Kleidungsstücke, Männer- und Frauenkleider hingen herum, alte Hüte, eine fette, zerlumpte Kappe, eine zerbrochene Milchflasche für ein Kind, mit dem schmutzigen Lappenstopfen noch drin und sonst viel Schönes und Verlockendes lag und stand über- und untereinander gehäuft. Man sah, die Bewohner hatten nicht Zeit zu einem feierlichen Abschied von ihrem Heim gehabt, als sie es verließen.

Wir schleppten eine Menge Sachen in unser Boot; dachten, mit der Zeit ließe sich alles verwenden. Eine alte Blechlaterne, ein Metzgermesser, ein blitzhagelneues Taschenmesser, das in jedem Laden etwas wert gewesen wäre, eine Masse Talglichter, einen Blechleuchter, eine Geldkatze und eine Blechtasse, eine alte, zerfressene Bettdecke, ditto Pferdeteppich, einen Arbeitsbeutel mit Näh- und Stecknadeln, Garn, Fingerhut, Wachs und Scheere, Hammer und Nägel, eine dicke Fischleine mit festem Haken, eine alte Kuhhaut und ein Hundehalsband, ein Hufeisen, ein paar Medizinflaschen ohne Aufschrift, kurz, alles schleppten wir mit und zu guterletzt fand ich noch einen Kamm mit drei Zinken und Jim einen alten Fiedelbogen ohne Saiten, die mußten auch noch mit und reich beladen stießen wir ab.

Alles in allem hatten wir wahrhaftig eine reiche Beute gemacht und konnten recht zufrieden sein. Inzwischen war's aber heller Tag geworden und wir waren ziemlich weit von der Insel weg. So hieß ich Jim denn im Boot niederliegen und deckte ihn mit der alten Bettdecke zu, denn wenn er aufrecht[70] dagesessen hätte, hätte jedes Kind sehen können, daß er ein Nigger sei und wenn's eine Meile weit weg gewesen wäre. So ruderte ich denn eifrig unserer Insel zu und ohne daß wir etwas oder irgend jemanden sahen, oder gesehen worden wären, kamen wir von unsrem nächtlichen Abenteuer glücklich und ohne Unfall wieder nach Hause.

Quelle:
Twain, Mark: Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn. Stuttgart 1892, S. 66-71.
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