Gesang der Nonnen

[20] Erhebet euch mit heil'gem Triebe,

Ihr frommen Schwestern, himmelan

Und schwebt auf blühnder Wolkenbahn!

Da leuchtet uns die reinste Sonne,

Da singen wir in Frühlingswonne

Ein Lied von dir, du ew'ge Liebe!


Ob welken alle zarten Blüten

Von dem Genuß der ird'schen Glut:

Du bist ein ewig Jugendblut

Und unsrer Busen stete Fülle,

Die ew'ge Flamme, die wir stille

Am Altar und im Herzen hüten.


Du stiegest nieder, ew'ge Güte,

Du lagst, ein lächelnd Himmelskind,

Im Arm der Jungfrau, süß und lind;

Sie durft aus deinen hellen Augen

Den Glanz der Himmel in sich saugen,

Bis sie die Glorie umglühte.
[20]

Du hast mit göttlichem Erbarmen

Am Kreuz die Arme ausgespannt.

Da ruft der Sturm, da dröhnt das Land:

Kommt her, kommt her von allen Orten!

Ihr Tote, sprengt des Grabes Pforten!

Er nimmt euch auf mit offnen Armen.


O Wunderlieb, o Liebeswonne!

Ist diese Zeit ein Schlummer mir,

So träum ich sehnlich nur von dir;

Und ein Erwachen wird es geben,

Da werd ich ganz in dich verschweben,

Ein Glutstrahl in die große Sonne.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 20-21.
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