Sechstes Kapitel

[61] Die schönen Sommertage waren dahin, und schon erinnerte die frühere Dämmerung und der nebelartige Thau, der sich Abends auf die Fluren senkte, daß der Herbst nahe sei, und die Familie zur Stadt zurück kehren werde.

Albert war indessen um kein Haar breit weiter mit Albertinen gekommen. Sie war sich immer gleich: offen, ehrlich, ohne Kunst; und eben dies war die Ursache, daß es ihm schien, als sei ihr mit Liebe, die gern kleine Schleifwege einschlägt, und in mysteriösen[61] Lauben weilt, gar nicht beizukommen. Ihr Thun und Treiben war so kindlich offen, und doch so klug, daß Albert sich in ihrer Nähe wie durch tiefe Ehrfurcht gebunden fühlte; denn auch er war grad' und bieder; seine Bescheidenheit war wirkliche Bescheidenheit, nicht Linksheit oder Blödigkeit, die jungen Männern ohne Gewandheit und Talent zum geselligen Leben, so oft den Ruf der Bescheidenheit zu Wege bringen.

Albertinens Umgang nicht zu entbehren, hatte er es sich gefallen lassen, ein Mitglied des ridicülen Klubs zu seyn, wobei ihm aber nicht lange gestattet war, eine müßige Rolle zu übernehmen. Ein jeder sollte etwas vorzulesen bringen, und Wassermann bestand mit so stark vorblickendem hämischen Triumph. Albert solle eigne Arbeit produziren, daß dieser sich endlich etwas finster und drohend entschloß, folgendes Mährchen der Gesellschaft zum Besten zu geben:


Prinzessin Gräcula.

[62] Ein Mährchen.


In dem weiten Gebiete der Phantasie lag ein großes, großes Königreich, welches noch kein Reisender entdeckt, kein Geometer ausgemessen und kein Geograph beschrieben hat.

Über dieses herrschte ein König, der im Kleinen sehr groß und im Großen sehr klein war; kurz, ganz so ein moralischer Krüppel, als hätten ihn schon, Jahrtausende hindurch, die Geschichtschreiber unter gehabt. Dieser König hatte eine Gemahlin; und wie es in allen Mährchen der Welt Sitte ist, hatte dieses königliche Paar denn auch keine Kinder. Doch ging der König darin von der alten Sitte ab, daß er sich ganz und gar nichts daraus machte. Unserm Fricando hätte das Mühe gemacht, und die armseligen 24 Stündchen Ruhe, die er sich täglich von seinen Regierungssorgen abstahl, verbittert. Außer vom Gesottenen und Gebratenen, nahm er von wenig Dingen[63] Notiz. Die Natur hatte für ihn nur in so fern Schönheit, als er sie sich wie eine weite, wohl versehene Speisekammer vorstellte. Seine Handbibliothek, woraus sein Hofzwerg ihm vorlas, bestand aus eitlen Verdauungsbüchern, nemlich Vademecums und Parodien, travestirten Trauerspielen und Münchhausiaden. So war unser erzgute Fricando! –

Ganz ein Anderes war's mit seiner Königin, der schönen Sentimentale. Sie nahm von allem, was war und nicht war, Notiz, und lebte und webte in Kunstgenüssen. Mahler, Zeichner und Künstler aller Art wimmelten so chaotisch in ihrem Schlosse, daß sie oft einander den Weg verrannten. Und Musik! ja, Musik tönte aus allen Gemächern; sogar am heimlichen eine Aeolsharfe. Die schöne Sentimentale bekümmerte sich um alles, was in ihrem weiten Reiche vorging; sie ennuyirte sich tödtlich erfuhr sie nicht gleich alles. Dem nun vorzubeugen, war ihr Schloß nach allen Richtungen hin mit Telegraphen umgeben, und[64] ein ganzes Heer Aeronauten stand auf ihren Wink bereit, ihr das Neueste vom Neuen zuzuführen.

Einst erwachte nach einer kurzen, sechsstündigen Sieste unser Fricando sehr heiter. Sentimentale, [die unter andern auch eine Alterthumsforscherin war, und das Alte gern so dicht als möglich an das Neue schob,] war eben in der wichtigen Untersuchung vertieft, ob der Knauel, den Ariadne dem Theseus aus dem Labyrinth zu kommen gab, Seide, Baumwolle oder Zwirn gewesen sei? als sie durch ein unmäßiges Gelächter des theuren Gemahls gestört wurde. »Ha, ha, ha, ha!! –« »Nun?« – »Und noch einmal ha, ha, ha, ha! Das sollten Sie lesen, Madame Königin; es ist verteufelt amüsant!« – »Also wohl ein Kochbuch, weil es Euer Majestät so treflich vorkommt.« – »Nicht so anzüglich, wenn ich bitten darf, schöne Frau Königin! Es heißt – lies doch noch einmal den Titel, Zwerg!« – Der kleine Unhold las: »Der Grobian« eine Zeitschrift.[65]

»Sie haben keine Idee, Madame! was die Kerls sich göttlich herunterreißen. Eine Maliçe, ein Ingrimm, ein Hämischseyn – kein Lazaroni hunzt den andern so aus, wie dieses Geschlecht einander thut. Wessen Grobheit mich am meisten amüsirt, der hat für mich den Sieg errungen.« –

Sentimentale warf das Näschen auf. Den König verdroß, daß sie so wenig in seinen Geschmack einging, und er setzte hinzu: »in Ihrer philosophischen Hexensprache steht's freilich nicht. Aber so sind Sie immer. Was mir schmeckt, davorekelt Ihnen; es muß erst alles vergriecht werden, soll's Ihnen mundrecht seyn. Ihr guten Götter und Feen, was soll ich denn noch anfangen, Sie zufrieden zu stellen? Haben wir nicht die besten Köche? Ist unsre Konditorei nicht im besten Stande? Tönt nicht, bis zum übel werden, Musik um uns her? Haben Sie nicht in jeder Minute Gelegenheit, sich zu Tode zu tanzen?« –

Fricando sank nach dieser langen Rede erschöpft in's weiche Polster zurück; so lange[66] er lebte, hatte er noch nicht so lange haranguirt. – Mit großer Würde antwortete die Königin: »Was das alles für einfältige Reden sind! Schicken Sie erst den garstigen Zwerg fort; dann will ich hören, ob sie capabel sind, Raison anzunehmen.«

Fricando expedirte seinen armen kleinen Lector mit einem Fußtritt, wie so mancher treue Diener expedirt wird, der das Unglück hat, häßlich zu seyn und der Gebieterin seines Herrn zu mißfallen.

Jetzt stand Sentimentale auf und schritt mit königlichem Anstande das Zimmer umher, wobei sie schmerzvoll und höchst pathetisch in die merkwürdigen Worte ausbrach: »Ich ennuyire mich! Ich ennuyire mich! Ich ennuyire mich!«

»Potz Wetter, wie können Sie so dumm reden!« erwiederte nun seiner Seits Fricando, mit nicht minder hohem Anstande. »Haben Sie nicht Hoffräulein, so jung, wie sie von der Mutter kommen! Faseln Ihre Kämmerlinge nicht so schnakisch, wie nur irgend welche unterm Monde? Was soll[67] ich thun, das vertrakte Wort nicht mehr zu hören?«

»Machen Sie, daß es anders ist! Doch ein Wort, wie tausend. Ich thue einen Vorschlag, den Sie gewähren müssen. An der Grenze unsers Königreichs, wo der schöne Strom der Freude die Zuckerbergwerke bespült; in der Gegend, wo Euer Majestät eingemachte Pomeranzen und gebrannte Mandeln wachsen, wohnt in einer Grotte der Marzipangebirge der Genius Frivolo. Er ist Priester eines Orakels; das soll er befragen, warum mir, eben mir die Schmach der Kinderlosigkeit wurde? Denn das ist's, das sollen Sie wissen: Kinder will und muß ich haben; und sollte ich, gleich der königlichen Ananas, nur eine Frucht bringen und dann welken, so will ich die Seufzer meines Volks um einen Erben mir nicht länger durch meine Telegraphen zurufen lassen. Jede Zofe, jedes Hoffräulein bekommt richtig seine Erben, und ich allein soll meinen Dienerinnen zurückstehen? Noch kam, so höre ich, kein einsames Weib vom Frivolo[68] einsam zurück. Dahin, dahin, o mein Geliebter, laß uns ziehn!« fügte sie schmeichelnd hinzu.

Fricando schmunzelte und sagte ganz gutmüthig: »Wie heißt der Kerl? Hat er einen guten Mundkoch?«

Sentimentale hatte nun gewonnen. Dreimal durchküßte sie Etagenweise des Königs dreifaches Kinn und erzählte recht redselig alle die schönen Waaren her, die in jenen Gegenden zu haben wären. – »Nun, so reisen wir!« sagte Fricando gähnend. »Wenn's mir weiter keine Mühe macht und der Weg durch kein Hungerland führt, bin ich von der Parthie.«

Schon wollte die Königin ihre Befehle zur Abreise ertheilen, als dem König noch ein Bedenken aufstieß. »Hören Sie doch, Frau Sentimentale! was soll's denn seyn, wenn der Kerl, der Hexenmeister, wie Sie da sagen, Rath schafft? Ein Prinzchen, oder Prinzeßchen?«

»Einen Erben!« antwortete die Königin, halb verdrießlich.[69]

»Nun, nun, machen Sie mir darum nicht gleich so ein Kirieleisons-Gesicht! Obschon ich an meinem Theile gleich gern bliebe, wie ich bin; denn die Vaterschaft, habe ich all mein Tage gehört, macht nur Plage; so dächte ich doch, die Prinzeßchen wären auch ganz schnurrige Dingerchen, besonders wenn so ein Mäuschen gut kochen lernt.«

»Kochen! – Regieren, wollen Sie sagen!« –

»Meinetwegen auch regieren. Ich habe in einer Druckschrift gelesen, daß die Damen gewiß und wahrhaftig oft recht erschrecklich-prächtig regieren können. Da kam auch drin vor von einer Kaiserin von England und einer Kurfürstin von Rußland« –

Sentimentale wendete sich von ihm und machte ihre Reise-Anstalten. Hundert Wagen wurden mit Bayonner Schinken, Böhmischen Fasanen-Pasteten aus Frankreich und Leckereien aller Art beladen, damit der gute Herr auf der weiten Reise keinen Abgang[70] der Kräfte verspüren sollte. Dann wurden wieder andere hundert Wagen mit Ober- und Unter-Zofen, nebst Toilettbedürfnissen aller Art für die Königin befrachtet; denn Frivolo war ein Elegant, und wußte immer um ein Haar um die neusten Moden.

Auf der Reise war unserm Fricando so wohl, wenn er sein Gefolge übersah, daß ihm oft das Wasser in dem Mund zusammenrann. In solchen Augenblicken umarmte er seine Gemahlin, und versicherte, sie sei ihm so schön, wie der niedlichste Ortolan und so köstlich, wie die beste Hollsteinsche Auster.

Frivolo hatte durch seinen Boten über und unter der Erde Nachricht von der Reise des königlichen Paars erhalten. Der schöne Genius war galant; Frivolo fand in Spalten und Klüften Kollationen, von Geistern bereitet, und Sentimentale überall Spiegel, die ihr ihre graziöse Gestalt, schön verklärt, wieder gaben.

Frivolo hätte sich erschöpfen müssen (wenn[71] bei einem Genius so etwas möglich wäre) ob der überschwenglich guten Aufnahme. Sentimentale sonnte sich Tage hindurch unermüdet an dem Glanz seiner schönen Augen, indeß der gute Fricando Tage lang auf den Knien um das Orakel herumrutschte, etwas zu erhalten, das ihm der Gott der Hahnreischaft schon gewährt hatte.

Da die poetische Periode in der Liebe gewöhnlich die ist, welche der des höchsten Überdrusses vorangeht, und Frivolo jetzt begann, Sentimentalen mit Sonnetten, worin sogar ihre Hüneraugen gefeiert wurden, zu überschwemmen, verspürte sie, daß es nun wohl Zeit sei, abzureisen. Frivolo wünschte von Herzen glückliche Reise, und der ehrliche Fricando versicherte treuherzig, es habe ihm lange nicht so gut geschmeckt, er werde dem wackern Mundkoch seinen Fasanen-Orden ertheilen. Und damit hopp, hopp! knarr, knarr! auf und davon.

Jetzt ging's wieder über Berg und Thal, über Thal und Berg, bis sie in einen dunkeln, dunkeln, schaurigen Wald kamen.[72] Da begab sich's, daß der arme König durchaus zu Bette verlangte; er litt an Indigestion. In dem wilden Walde war nun, wie jedermann sich leicht vorstellt, weder an Bette, noch an Sopha (außer denen von Moos, welche die Dichter sehen) gar nicht zu gedenken. Also war alles in großer Bestürzung, denn Seine Majestät gnarrten unablässig: »ich will zu Bette, ich will zu Bette!« Wie groß war aber auch die Freude, als sie ein Licht durch das Dickicht schimmern sahen. Sogleich wurde darauf los gesteuert. Das Lichtlein schien sich bald zu entfernen, bald ganz verschwunden zu seyn. Endlich und endlich, durch Dornen und Hecken, hatten sie's erreicht, als es eben ganz erlosch. Sie befanden sich vor einer kleinen Hütte, worin dem Anscheine nach kaum der königliche Bauch Raum haben würde. Als nun der königliche Ober-Hof-Anpocher die Thüre der Hütte männiglich mit Faust und Fuß bearbeitet hatte, rief eine heisere weibliche Stimme: »Gleich, gleich! Man kann doch so[73] nicht vor den Leuten erscheinen!« – – Drauf ging's von Neuem: klopp, klopp! daß der Wald wiederhallte; und inwendig auf Pantoffeln: klapp, klapp! daß allen Zeit und Weile lang wurde. Nach langem klopp, klopp, und klapp, klapp, erschien endlich an der geöffneten Thüre eine Alte, wie sie noch keines Menschen Auge je gesehen hatte. Aus hundertjährigen Furchen blitzten Augen, wie Brillanten. Strenge und Milde schienen sich ewig um den Alleinbesitz dieser stark ausgesprochenen Züge gestritten zu haben. Und so ridicül ihr imponirender Ton gegen ihren bettelhaften Aufzug abstach, hatte keiner, sogar die Pagen nicht, den Muth, darüber zu lachen.

Sie zog bei dem dürftigen Schimmer einer erlöschenden Lampe König und Königin ziemlich unmanierlich herein; den übrigen warf sie trotzig die Thüre vor der Nase zu. Vergeblich suchte Fricando's Blick in dem engen Raum einen Sopha; nur ein ledernes hartes Ruhebett, das sein Seculum zurückgelegt hatte, war vorhanden. Er[74] strekte seinen gemarterten Leichnam darauf hin, daß die Stützen der alten Hütte krachten.

Jetzt ging's mit der Alten wieder von Neuem los: klipp, klipp, klapp, klapp; darauf Thür' heraus, Thür' herein. Das Feuer war bald zusammengeschürt, unverständliche Worte über den Kessel gemurmelt und ein herzstärkendes Süppchen für den König, ein niedlich Ragout von Kolibris für die Königin stand auf dem wackelnden runden Tischgen vor ihnen.

»Hm! Hm! vom großen Gecken-König, vom eitlen Frivolo, kommt ihr also zu mir, schöne Dame? Wer mich zuerst gesehen hat, sieht ihn nicht; wer mich zuletzt sieht, sieht mich zu spät. Nun, das Orakel war euch günstig, wie ich vernahm. Möge die Reise euch nicht gereuen!«

»Was wißt ihr von mir?« sagte Sentimentale, die sich eines geheimen Schauers vor dem grausenhaften Weibe nicht erwehrte. »Wer bist du, Weib, das mich kennt, das mein Inneres durchblickt? Hexe oder Kobold? Sag', wer bist du?«[75]

»Ich bin die erstgebohrne Tochter der Zeit: die Erfahrung,« antwortete die Alte ganz ruhig. »Sinnlos taumelt die junge Welt an mir vorüber, ihren Sümpfen zu. Die neue Weisheit, die auf den Dächern predigt, verstößt mich; der Stolz will ohne mich daher schreiten. So entwich ich in meine Einöde, bis ein durch meine geheime Anhänger erleuchtetes Geschlecht mich wieder in meine Rechte einsetzen wird.«

»Nun denn, du Eltermutter aller klugen Weiber, du Erstgeborne der Zeit, sage mir, wenn ich nun einen Erben erhalte« – – –

»Frivolo,« entgegnete die Alte, »Frivolo hat« – –

»Bitte, bitte unterthänig!« schmeichelte Sentimentale, ängstlich auf Fricando blickend. Der schnarchte aber schon, daß es im tiefen Walde wiederhallte. »Bitte um meines Kindes Zukunft!«

»Deine Tochter wird wunderschön, wunderklug seyn. Machst du sie aber nicht[76] auch wundergut, so wirst du das Orakel, das zu deinen Wünschen Ja! sprach, in die Tiefen des Orkus wünschen.«

»Wie fang' ich's an,« fragte die Königin verlegen, »daß sie wundergut wird?«

»Sei es selbst!«

»Gut! Aber schreib mir mein Verhalten vor!«

»Laß sie nicht sich in den Irrgarten der Sophisten verirren! Bewahre ihren Fuß vor den Rosengebüschen der Wollust. Hüte, daß die Perle des schäumenden Bechers ihre Lippen nicht berühre Ich komme zu Gevatter; so wie du mich siehst, kann ich mich gar schmuck herausputzen.«

Indeß schrieb die Königin den Spruch der Alten in ihr Souvenir; nur wenn sie diese um nähere Erklärung bat, war sie stumm, wie das Grab. –

Als nun das Königspaar wieder daheim war, erhob sich im Lande ein Thun und Treiben, als sollte eine Welt geschaffen werden. Dabei gab's gar wunderliche Reden, wie es unter eleganten und uneleganten[77] Damen nun so der Brauch ist; einige der Erstern wußten sogar für gewiß, das Orakel habe der Königin einen leibhaften Affen zum Thronerben gewährt.

Fricando freute sich wie ein Kind auf den schönen Gevatterschmauß. Recht Landesväterlich versprach er dem Jean Hagel eine Cocagna, wie noch kein Feenkönig sie gegeben hatte. Über die Crater der Vulcane, welche Sentimentale um des geisterhebenden Anblicks willen mit in ihre Parks gezogen hatte, wurden, Holz zu ersparen, große Suppen-Kessel und Punsch-Bowlen gemacht, daß das Volk sich vollauf labe, indeß Sentimentale die feinern und geistigern Genüsse für den beau monde besorgte, wobei unter andern ein See von Saffran-Essenz war, woraus große Prahm-Spritzen dem Publikum unaufhörlich diesen beliebten Wohlgeruch altrömischer Nasen zuführte; welches freilich die artigen Transparente der ätherischen Chemise-Trägerinnen nicht gnädig vermerkten, und den Antiquar in[78] die Hölle wünschten, welcher den Nasen diesen Schmauß zubereitete.

Unter solchen Zurüstungen kam Zeit und Stunde herbei; die kleine Infantin stellte sich richtig ein. Der erste Schrei, welchen das Wunderkind in die Welt hinein schrie, setzte das Bonnen- und Ammenheer in Exstase. »Haben Sie's gehört! All' ihr Götter! hörten Sie's? Musik kam aus der kleinen Kehle. So wahr ich lebe, eine Kantilene von Mozart!« rief die Hebamme. Alles kam überein, sie habe in Musik geschrieen. Die Nachricht ging von Mund zu Mund; jeder nannte den Komponisten, den er kannte, bis denn in den Vorstädten eine Arie aus der Donau-Nymphe daraus wurde. Die Königin glaubte das Wunder; denn die Schmeichelei hatte es gehört. Doch gab's in der Stadt auch alte Damen, die darnach späheten, ob der neugeborne Affe auch sehr grimmig sey?

Und jetzt ging's an ein Gevatterbitten! Alle Papierfabrikanten im ganzen weiten[79] Reiche brachten kaum so viel Papier zusammen, als der geplagte Papa zu Gevatterbriefen verbrauchte.

Aber was wahr ist, nie hatte noch zuvor die Sonne einen so festlichen Tag, wie diesen, beschienen. Aus hoher Luft, aus tiefen Klüften kam's auf Tauben, Sperbern, Adlern und Kranichen, mit Mäusen, Ratten und Maulwürfen angeritten und angefahren. Silphen, Genien, Gnomen und Feen prunkten in bunten Schaaren und glänzenden Reihen um unsre Königstochter her, der zierliche Frivolo mitten unter ihnen. Keiner fehlte noch, als die Waldmutter, die denn auch in groteskem Aufzuge erschien.

Als nun die Firmelung vor sich gehen sollte, sah der Bonze sich verlegen nach dem Namengeber um. »Poularde soll sie heißen!« rief Fricando, daß es durch die große Versammlung dreimal wiederhallte; darob eine junge Fee so hell aufquickte, daß schier die ganze Ceremonie in's Komische herüber gespielt worden wäre. »O nein, nein, nicht[80] Poularde!« zwitscherte Sentimentale aus ihren ätherischen Bettumhängen heraus. »Gräcula soll sie heißen; so will ich!« Die junge Fee lachte wieder, aber nicht so laut, und Fricando gab sich, wie er gewöhnlich nach einem solchen Spruch zu thun pflegte.

»Nun, so weihe denn dein Kind schon durch den Namen zur Thorheit des Zeitalters ein; meinetwegen!« sprach die alte Waldmutter. »Jetzt opfert eure Gaben, ihr Andern da; du luftiges Gesindel und ihr wampigten Unholde unter der Erde, ihr Gnomen-Pöbel nahet euch, ich muß von dannen!«


»Einmal her und Einmal hin,

Fort, zur schönen Königin!«


Sie naheten Alle und Gräcula wurde mit allem beschenkt, was die Schönheit glänzend machen und den Verstand erweitern kann; doch keine dachte an der Gaben schönste: an ein schönes, weibliches Herz, an ein Gemüth, das die Schönheit einzig schön macht, das den Verstand einzig zur[81] schönen Gabe erhöht. Gräcula wird tanzen, ehe sie gehen kann. Sentimentale wird die süße Schmeichelei zur Wärterin ihres Kindes machen, wird mich verachten, Gräcula wird in bunten mäandrischen Kreisen den Tanz des Lebens frühe beginnen und über ihre eigene Füße fallen. Und jetzt adieu


Dreimal her und dreimal hin,

Fort von dir, du Königin!

Eil' ich meinem Walde zu,

Fürder stört nicht meine Ruh!


So die Waldfrau und polternd und scheltend fuhr sie von dannen.

»Die alte Närrin!« sagte Frivolo, süß lächelnd. – »Die alte Närrin!« wiederholte das gefällige Echo der Hofleute; »die alte Närrin!« bis es sich leise verhallend bei der äußersten Schildwacht verlor, die ihr noch, den Gewehrkolben trotzig aufstoßend, den Refrain nachschickte. Im Herzen hielt Sentimentale die Waldmutter gar nicht für so eine Närrin, als sie sich jetzt den Schein davon gab; sie beruhigte sich[82] aber leicht, wie das alle Sentimentalen so in der Art haben, und dachte: ich will den Rousseau studiren und den Campe; zum Noth- und Hülfsbüchlein wird mir auch noch die Frau le Prince de Beaumont zur Hand gehen, da soll's ja wohl werden. Überdem wird uns Großen ja alles so leicht in die Hände gespielt; wir werden ja doch mit so geringem Kraftaufwande vortrefliche Wesen, daß es sich keines so großen Aufhebens darüber verlohnt.

Erzogen werden, hieß bei Sentimentalen, erschrecklich viel fremde Begriffe auffassen lassen. Gräcula's Wiege wurde gleich in den ersten Wochen mit Künstlern und Gelehrten aller Art umgeben; denn sie dachte: je früher, je besser! Dem jungen, thierisch stieren Auge wurden Antiken und Gemmen in Menge vorgehalten, daß der Kunstsinn sich frühe bilden solle. Andere declamirten Gedichte über des Püppchen Wiege hin, so daß, wenn die Elegie schwieg, die Pindarische Ode herrasselte. Wieder Andere disputirten über spitzfindige philosophische[83] Sätze, wobei sich die Kleine immer besonders unruhig gebärdete und mit den Füßchen strampelte, woraus die Herren schlossen, daß sie mit dem Zeitalter fortschreiten wolle.

Sentimentale starb vor Ungeduld nach den ersten Sprachlauten des Wunderkindes. An einem schönen Morgen stürzten einige Dutzend Bonnen und deren Gehülfinnen mit der freudigen Nachricht athemlos herein: die Prinzessin habe Worte gesprochen! »Worte? Ihr Närrinnen, was für Worte?« – »Das ist's eben! Ach, ach, gnä – dig – ste – Kö – ni – gin – frei – lich – ist's – das – eben« – – stotterte die Älteste der Bonnen noch außer Athem hervor. Da kam's heraus; es wären fremde Worte, wie Zauberformeln gewesen. »Ich hab's immer gesagt, es wäre nicht gut, sich mit Hexen und Hexenmeistern abzugeben!« meinte die alte Gouvernante. – »Ich will's selbst hören!« sagte die Königin, und erhob sich würdevoll nach der Kinderstube.

Gräcula gestikulirte mit den Händchen,[84] wie ein Professor, und rief Mütterchen lustig entgegen: »Mama – ich – nicht ich« – und nun folgte ein ganzes schwerfälliges Heer der Wörter, worüber zuletzt an ihrer Wiege gestritten war.

Überwältigt vom Entzücken, sank Sentimentale in eine leichte zwölfstündige Ohnmacht. Als sie die Augen wieder aufschlug, war ihr Erstes, daß sie den Sekretär rief: »O Musje Sekretär, sei er so gut, und mache er einen Aufsatz; aber so recht was man einen Aufsatz nennt, und melde er's aller Welt, in aller Welt Avisen, daß meine Prinzessin schon ein Inbegriff der tiefsten Gelehrsamkeit ist. Aber wie gesagt, so recht was man einen Aufsatz nennen möchte. Aber hört er, Musje Sekretär? Keine Schmeichelei, die verbitte ich mir; die Wahrheit ist Wunders genug!«

Und der gescheute Sekretär stieß so kräftig in die Trompete, daß es bald im Lande, wie im Auslande, zu einem allgemeinen Schreiben und Dichten kam. Die Postpferde erlagen unter der Last der Ballen, die[85] sie nach der Residenz schleppten, und die Kinderstube der kleinen Gräcula mußte erweitert werden, alle die Oden und Dedicationen zu fassen, welche von höchst aufrichtigen Bewunderern der einjährigen Beschützerin der Wissenschaften und Freundin der Wahrheit in unterthänigster Devotion vor höchstdero Wiege gelegt wurden. –

Zu der Zeit aber gab es einen erschrecklich gelehrten Professor, der den Leuten das Cranium betastete und dann auf ein Haar wußte, wozu sie sich in der Welt geschickt haben würden, so daß mancher, der bei funfzig Jahren, zu dem Volke gesprochen hatte, bei Gelegenheit der Betastung erfuhr, daß er, seinen Anlagen nach, ein Schneider hätte werden müssen. Anderen, die beim Herrschen ergraut waren, tastete er ein Kutschertalent heraus, und so mehr. Diesen Wundermann berief Sentimentale an ihren Hof, und befahl, daß er das kleine Köpfchen ihrer Tochter befühlen und beschauen müsse; doch wurde ihm leise bedeutet, es werde hoffentlich alles so seyn, daß[86] Ihro Majestät Frau Sentimentale nur Freude und Wonne nebst lieblichem Wesen die Fülle davon haben werde.

Der Professor aber war ein Mann ohne alle Hofsitte, ging gerade mit der Sprache heraus, und sagte seine Resultate so keck dahin, als wäre weder Pension noch Titel zu verlieren gewesen. – »Gräcula,« so sprach er, »hat viel leere Fächer, worin sie allerlei fremde Waare lassen kann. Mit dem Selbstdenken sieht's so, so aus; aber eine richtige Nachbeterin kann sie werden; denn die Gedächtnißkammer ist so räumig und groß, als zu dem Judicio nur eine kleine Lumpen-Spelunke angewiesen ist. Aber nun noch etwas! sie wird sich den Lichtern der Welt darin gleich stellen, daß sie mit dem Kopfe fühlt und alles durch den Verstand abthut. Wegen Herzensangelegenheiten kann man ganz sicher seyn; denn wo andern Mädchen das Herzchen pickert, liegt ein felsenharter Kieselstein.«

Hier rief die ganze Akademie, die bei dem Experimente hatte zugegen seyn müssen:[87]


Hoch und gelehrt,

Sie ist es werth,

Daß sie als eine Säule steh

In nostro docto corpore.


Nach diesem wuchs Gräcula ganz gewaltig an Schönheit und Geist, zur Freude der Mutter, mehr als des Vaters, der es sehr übel nahm, wenn das Töchterchen sich den Kopf zerbrach, zu welcher Kathegorie der Wesen Papa wohl gehöre? und ihm endlich wohl gar im Pflanzenreich seinen Platz anwieß.

Im Vertrauen gesagt, riß auch der Mama ins Geheim oft die Geduld über die widerliche Selbstständigkeit des Mädchens aus, und sie verwieß ihr oft die empörenden Raisonnements, womit sie sich schon über alle kindliche Verhältnisse hinaus zu schwatzen verstand. Und wenn sie die Weisheitsmänner, die den Unterricht der Prinzessin über sich hatten, deshalb zur Rede stellte, bekam sie zur Antwort: »es sei zwar wahr, Gräcula habe eine sehr kecke Ansicht der Dinge; es würde doch aber übel gethan[88] seyn, einer solchen Genialität den Spielraum zu beschränken, u. d. m.«

»Was hat die alte Waldnärrin wohl mit ihrem Sibillinischen Wortkram gewollt?« fragte sich Sentimentale zuweilen. Die Rosen mögen blühen, der Becher mag perlenden Schaum aufsprudeln; ein Wesen, das so wie Gräcula allen Erscheinungen der Sinnenwelt Hohn spricht, ist bewahrt genug. Ein Kiesel, wo das Herz seyn soll« – »Aber sie hat Sinne und sehr rasches Blut!« antwortete eine Stimme, die Sentimentale sogleich für die der Waldmutter erkannte, die in dem Augenblicke vor ihr stand. – »Sentimentale,« sprach sie, »deine Tochter ist jetzt funfzehn Jahre. Sie steht am Scheidewege. Laß dich erbitten, mach' mich zu ihrer Gouvernante! An der Hand der Erfahrung kann sie nicht straucheln!« –

»Was soll mir die alte Krücke?« sagte Gräcula, die eben in's Zimmer trat. »Ich hoffe, Madame! Sie trauen es Ihrer Tochter zu, daß sie durch sich selbst etwas seyn könne.« – Die Alte hob ihr elfenbeinernes[89] Stäbchen, und sagte bedeutend: »Gräcula, die Rosen blühen, der Becher lockt, das Blut ist heiß. Du tanzest am Scheidewege; hüte dich, allein zu stehen!« – »Ich falle gewiß nicht, gute Madame!« sagte die Prinzessin hofmäßig. Und die Alte sagte nun zürnend: »Wehe dir und abermal Wehe, wenn du nach diesem mein Antlitz sehen wirst! Schrecklich wird dir's seyn. – Lebt wohl! Gewarnt seyd ihr!« –

Sentimentalens weiches Gemüth konnte sich über diese Erscheinung lange nicht zufrieden geben. Sie fing an, die Tochter zu hüten. – »Sparen Sie die Mühe!« sagte diese. »Ich kann das Gängeln nicht leiden. Auch der Eltern Marionette mag ich nicht seyn. Ein selbstständiges Wesen muß von allem sich berühren lassen, ohne etwas in sich aufzunehmen. Keiner muß seine Individualität um taube Nüsse aufgeben.« So betete sie ihren Lehrern nach.

An einem Abend, wo bei der Königin ein großer literarischer Cirkel sich einfinden sollte, verirrte sich Gräcula in dem Park,[90] über den kathegorischen Imperativ grübelnd und einen Satz, den sie irgendwo gelesen hatte, auswendig lernend, weil er noch diesen Abend als selbst erfunden vorgeführt werden sollte. Sie hatte sich so weit vom Schlosse entfernt, daß sie nicht die sinkende Sonne die goldnen Zinnen röthen und in die kristallnen Dachfenster glänzen sah; zu ihren Füßen vernahm sie ein leises Rauschen und Zischen. Es kam von einer kleinen, bunten, wunderschönen Schlange, die sich in allerlei künstlichen Schlingungen zu ihren Füßen bewegte, vorwärts glitt, wenn sie ging, und still lag, wenn sie stehen blieb. Gräcula verfolgte dies Spiel so lange Zeit, daß die Dämmerung darüber eintrat. Sie wollte zurück; aber wie seltsam wurde sie überrascht, als die kleine Schlange sich so kräftig um ihren Fuß wand, daß sie ihn nicht von der Stelle zu bewegen vermochte, und rings um sie her sich hohe, blühende Rosenhecken zogen, sie dicht einzuschließen. »Das sind gewiß die Wunder des elfenbeinernen Stäbchens der Alten!« sagte die[91] Prinzessin fest und schritt vorwärts; denn die Schlange schoß von ihrem Fuß ab, einer Rosenlaube zu, wohin Gräcula ihr folgte.

»Folge der Verführerin nicht!« erscholl's aus der Luft; sie betrügt dich. Da die Stimme der Erfahrung leicht zu erkennen war, so antwortete die Prinzessin mit edlem Trotze: »Ich gehe und will siegen!« – »Gefahr meiden, ist sicherer, als sie suchen,« entgegnete die Stimme. – »Nur der Krüppel bedarf der Krücke!« sagte die Prinzessin und ging.

Jetzt trat aus einer Laube, geflochten von Rosen und Mirthen, ein Mädchen, von überirdischer Schönheit. Ihre üppigen Locken hielt ein Kranz von Tuberosen und Granaten. Um den vollen Busen und die entblößten Schultern schwebte ein durchsichtiger Schleier. Ihre Miene war lachend und einladend. Freundlich reichte sie der jungen Philosophin die Hand und sprach; »Komm herein zu mir, schöne Königstochter! Laß uns freundlich kosen! Was vergeudest du die goldene Zeit der Jugend,[92] die nie wiederkehrt, mit alten Perückenstöcken und unverständlichem Geschwätz. Träume, wenn du nicht anders kannst; aber träume froh. Willst du Weisheit? Raisonnement? Sieh hier, hier ist, wie es deinem Alter zusteht; es ist meine Lebensphilosophie.« – Ein Buch lag vor dem Mädchen aufgeschlagen, es hieß: das Paradies der Liebe. »Hier lerne leben und genießen!« –

Gräcula trat spröde zurück, und gab dem Mädchen ihre kälteste philosophische Prunkmiene zum Besten. Das Mädchen lachte und sprach: »Das kenne ich. Du wirst mir nicht entgehen. Deine Stunde ist da. Sei ein Mädchen, schöne Königstochter! Begehe nicht den schwersten Raub an dir selbst! Betrüge dich nicht länger um deine Jugend; gieb den austrocknenden Plunder auf!«

»Noch einmal: wer bist du, wildes, ungezähmtes Mädchen? Deine Gegenwart flößt mir unbekannte Schauer ein. Woher kommt das? Wer bist du?«[93]

»Die Mutter und die Zwillingsschwester des Menschengeschlechts. Die große Natur gehört zur Hälfte mir. Ich gebahr alle; mit jedem Mutterkinde säugte ich den mütterlichen Busen. Mäßig genossen, segne ich meine Verehrer, die Unmäßigen lohne ich wie weiland Circe ihre Liebhaber, und überlasse sie meiner jüngern Schwester, die auch meine Tochter ist.«

»Aber – wer bist du? Wer ist diese seltsame Schwester?«

»Ich bin die Wollust; meine Schwester die Üppigkeit.«

»Nun denn, so hebe dich von mir! Sollten meine intellektuellen Kräfte« – –

»Still, Still! Diese Wörter machen mir Kopfweh. Ziere dich nicht, Püppchen! Komm hier und trink' von meinem Wein! Diesen Becher, der sich immer wieder schäumend füllt, schickt dir Frivolo. Er blieb sein Pathengeschenk dir schuldig.«

Ein kleiner, Bacchus gestalteter Genius reichte Gräcula den vollen Becher hin. Sie nippte, nippte wie eine Braut im Beiseyn[94] des Bräutigams. Voluptas trank und reichte ihr den Becher schäkernd wieder hin. Gräcula trank nun auch, wurde aber nur redselig, nicht fröhlich, und die schwerfälligen Sentenzen lößten sich jetzt wie Marmorblöcke vom Felsen aus ihrem Gehirn los. Voluptas lachte, und sagte: »Ist's mir doch, als wohnte ich einem Magisterschmause bei. Rolle mir deine schweren Sentenzen nicht über'n Hals, sie erdrücken mich. Ich will dir ein Liedchen singen. Höre!« Und die Wollust sang ein Lied, wie die Wollust es nur zu singen weiß. Es regte die geheimsten Triebe der Sinnlichkeit auf. Gräcula erröthete, ward aber immer freier und freier; denn in all dem Plunder, womit sie den Kopf vollgepfropft hatte, fand sie kein Granchen Kraft, den Anregungen ihrer Sinnlichkeit zu widerstreben. Der ganze Maximenkram war kalt an dem Kiesel in ihrer Brust vorüber gestreift.

Auf diese erste Zusammenkunft folgten viele andere; und aus keiner kam sie ungeahndet[95] zurück. Ihre Lehrer, welchen diese Veränderung nicht entgehen konnte, griffen zum Theil in ihren Busen, und sagten seufzend: »Gräcula ist worden, wie unser Einer! Die hohe, hehre Philosophie ist ihr ein Spiel des Witzes, eine bloße Verstandesübung, durch welche sie sich zu jeder ihrer Unordnungen beschönigende Motive anzulügen weiß.«

Endlich wurde Voluptas ihrer immer noch pedantischen Schülerin müde, und überließ sie dem Umgange ihrer jüngern Schwester. Nun sprachen beide dem berauschenden Becher fleißig zu, und die Prinzessin sank, aller weiblichen Würde vergessend, sich groß in der Verachtung der guten Meinung anderer achtend, in die Arme des schönen Tänzers Salto.

Des Zwangs, den ihr Stand ihr auferlegte, müde, beschloß sie, mit ihrem Liebhaber in ein fernes Land zu entfliehen. Ja – – aber ihre Ehre! – – Ha! was ist Ehre? Ein leerer Schall, eine eingebildete Existenz in fremder Meinung; eine konventionelle[96] Übereinkunft pedantischer Menschen. Die Hottentotten, die Feuerländer, die Neuseeländer, alle haben ihre eigene Ehre; – welches ist nun die rechte? Wer darf den schwankenden Begriff fixiren? – Vater und Mutter werden sich grämen? Hui! das ist nun wieder so ein Begriff zum Zerlegen. Nur dem großen Haufen imponirt er. Mein Vater: ist's der König? ist's ein Anderer? Was weiß ich! Die Mutter! Je nun, bei allem Respect glaube ich doch schwerlich, daß sie sich eben mein Individuum dachte, als ich wurde. Ich kam, weil sie es nicht hindern konnte; soll ich's ihr danken? Und ist, was wir kindliche Liebe nennen, etwas anders, als die süße Gewohnheit, neben einander zu existiren? Würde ich nicht eben das für jeden, mit dem ich lebte, fühlen? Aber – die Eltern thaten mir Gutes; sie erzogen mich. Gut, gut; das thun sie ihren Hündchen und Hünerchen auch; und meine Erziehung waren sie ihrer Ehre schuldig. Also, was hielte mich zurück? Fort, fort! – Einen Schritt in's weite Leben[97] hineingewagt; ich will meine Selbstheit dokumentiren; und damit auf und davon! Ohne Reue, ohne wehmüthigen Rückblick, ließ sie den armen Fricando und die gute breiweiche Sentimentale in den Armen des süßesten Schlafes zurück.

Als dem armen Fricando beim Erwachen die Trauernachricht wie ein Säftchen beigebracht wurde, entfiel das bonbon der erstarrenden Lippe, und er erseufzte so schwer, daß die lodernde Flamme im Kamin davon erlosch. Sentimentale überließ sich dem lautesten Jammer, worein alles stimmen sollte. Die Theater wurden geschlossen; die Marionetten still an die Wand gelehnt; die Saffran-Essenz-Sprützen versiegten, und damit alles die Farbe der Melancholie trüge, ließ sie ein Edikt ausgehen, daß Jedermann schwarzen Kaffee trinken sollte. Alle Töne der Freude schwiegen, und nur die durch ihre Seufzer bewegte Aeolsharfe gab ihr sympathetisch das Echo ihrer Klagen zurück.

Indeß irrte ohne bestimmten Zweck das[98] flüchtige Paar über Berg und Thal. Gräcula fühlte zum Erstenmal etwas von der Beklommenheit der schönen Vaestula, als sie mit dem rothköpfigen Unhold in einer Tonne steckte. Salto war am Geiste ein vollständiger Pervonte. In einer schauerlichen Monddämmerung kamen sie durch einen dicken Wald, wo sie weder Weg noch Steg fanden. Salto war höchst mürrisch und plagte seine Schöne mit den bittersten Vorwürfen, daß er sich ihretwegen hier unter den wilden Thieren herumtreiben müsse, da er sanft und süß in seinem Eiderdunenbette sich wiegen könnte. Voll innigen Mißmuths befahl Gräcula vor einer Hütte zu halten, die dem Scheine nach irgend einem treuherzigen Köhler gehörte; allein, die Waldmutter trat heraus. Der Mond bedämmerte so eben nur die schauerliche Gestalt, sie kennbar zu machen.

»Gräcula kommt vermuthlich, sich eine Krücke auf ihrem schlüpfrigen Wege zu bestellen. So werde und sei denn, was du durch dich selbst werden konntest: ein thörichter[99] Affe!« – Sie schwang, indem sie sprach, eine Gerte, daß es durch die Luft pfiff; und krik, krik, krak, krak, bei Gräcula, und krik, krik, krak, krak, bei Salto – so wahr ich lebe! er ein Affe, sie eine Meerkatze!

Ihr schöner, bequemer Reisewagen verschwand, und statt dessen hob sie ein plumper hölzerner Kasten in die Luft, wo er von den Wolken ganz gemächlich über Seen und Felsen daher geschaukelt wurde.

»Mon Dieu! was ist das?« rief Salto. – »Oh Dio!« die Prinzessin. Der Kasten war dunkel; sie fühlten, daß etwas mit ihnen vorgegangen war; doch eigentlich was? erriethen sie nicht; nur an Epigrammen über die Alte fehlte es nicht. Endlich fiel ein Strahl der Morgendämmerung durch eine Öffnung des Kastens. »Grand Dieu!« schrie Salto, voll Entsetzen; »ich weiß gar nicht, Madame! wie Sie mir vorkommen? Man sollte beinahe denken – es will so scheinen, als ob« – »Nun, Affe! was ist's?« rief Gräcula wüthend. Das war[100] das rechte Wort. »Ein Affe; aber auf Ehre, ein recht completter, tüchtiger Affe!«

»Ich rase, ich will zur Furie werden; ich will sie, dich, alle, alle zerreißen!« – »Gemach, Madame, gemach! Was soll ich nun erst nicht alles thun! Sie? Sie sind glücklich, weil Sie als eine Philosophin auch hierüber sich beruhigen werden; aber ich pauvre diable, que je suis!« – »Ach, ich habe den Henker von der Philosophie! Wer ist der Narr, der prätendirt, daß sie in's innere Leben eingreife, wenn sie meiner Schönheit nicht Bewunderer verschafft. Nie habe ich mich ihrer anders bedient,« antwortete Gräcula. »Aber mich verlangt, wie das enden wird?«

Sie waren dem Ende ihrer Reise nahe. Der Kasten ließ sich auf ein schönes grünendes Eiland nieder. Salto sprang leicht, wie immer, zuerst aus dem Futteral, und meinte, er fühle sich ganz wenig verwandelt; ihm sei, wie immer. Gräcula trat langgeschwänzt und melancholisch daher. Ein heller Wasserquell zeigte ihr sogleich[101] ihr scheußliches Bild, worüber sie laut aufkreischte. Aber eine Stimme rief: »Verzweifle nicht! Siehe! Beobachte! Lerne! Jeder Grad von Veredlung und Selbsterkenntniß wird dir zugerechnet.«

Traurig und einsam setzte sich unser Ungeheuerchen auf einen Baum, und betrachtete still die langgeschwänzte possierliche Kameradschaft, die sich nach und nach versammelte, und worunter sich Salto schon ganz einheimisch fühlte. Gräcula hing den Kopf und dachte ganz ernstlich nach; das Resultat war der Entschluß, der bewillkommenden Stimme zu folgen, zu lernen und still zu beobachten. Froh bemerkte sie, daß schon dieser Entschluß ihr frommte; denn aus einer scheußlichen Meerkatze wurde sie ein zierliches Äffchen, niedlich geschmeidig und das artigste Dosen-Gesichtchen. Die Stimme rief: »Wohl dir, Babiole! du siehst, ich halte Wort!« –

Vom heißen Hunger getrieben, sah sich Babiole nach Nahrung um. Ein Mandelbaum bot ihr seine Frucht, und zum Dessert[102] reichte ihr die süße Orange ein anderer. In dem Schatten dieser Bäume barg sich Babiole, ahnungsvoll ihr Schicksal erwartend, als aus einem gegenüber stehenden Baume eine männliche Stimme sang:


Wo tanzt sie nun ein Labyrinth? Wo füllt

Ihr Lied den Hain? welch glückliches Gewässer

Wird schöner durch ihr Bild?


»Ha! wieder ein Wunder! Ein altfränkisches unästhetisches Thier, das noch dem Kleist singt!« sprach sie laut. »Welche Silbertöne umsäuseln mein Ohr! Töne noch einmal, süße Harmonie, daß ich dich finde!« sagte die Stimme, die gesungen hatte. Babiole sprang hervor, und ihr entgegen ein schlanker Elegant vom drolligen Geschlechte.

»Warst du ein Mensch? Sprich: habe ich Unglücksgefährten?« – »Seit ich Sie sehe, Schönste Ihres Geschlechts! fühle ich kein Unglück mehr,« sagte der Fremde, wobei er sich graziös seine Sitzschwülen rieb. »Ob ich ein Mensch war, weiß ich so recht eigentlich nicht; denn die Meinungen[103] waren darüber getheilt, und die Pluralität nannte mich immer einen Affen.«

»Wer warst du als Mensch?«

»Ein Elegant, unterthänigst aufzuwarten. Mein Beruf war, mein Gesicht an allen öffentlichen Orten spatzieren zu führen, die Damen zu lorgniren, sie in Gesellschaft zu unterhalten, den Schooßhündchen Bisquit mitzubringen, das Modejournal immer zuerst in die Gesellschaft einzuführen, alle neuen Broschüren aufzustöbern, die Schauspiel Affichen zu präsentiren, beim Thee mit zu lästern und das Stichblatt zu seyn, woran die Damen ihren Witz übten. Ich vertrug auch en galant homme ihre Grobheiten. Sonst erinnere ich mich nicht, etwas gethan zu haben.«

»Solche Dinger sah ich viel am Hofe meiner Eltern. Sei mein Führer; ich bin hier fremd!«

Unser Papillon ließ sich das nicht zweimal sagen, und trat sein Kammerherrngeschäft sogleich an, indem er betheuerte, mit dem Locale vollkommen bekannt zu seyn.[104]

»Wie kamst du aber zu deiner Verwandlung, Herr Ritter?«

»Ich – ich war so ein kleiner loser Vogel, hatte mich ein wenig sarkastisch über eine kleine, niedliche Hexe von Fee amüsirt, und dafür beschenkte sie meine zierlichen Glieder mit diesem braunen Frack jusqu'à revoir

»Gut! So laß uns denn gehen. Zeige mir die Wunder dieses Orts! Ich will alles sehen.«

»Haben meine Gnädigste Dero Flacon zur Hand, wenn bei dem Anblick, der bevorsteht, die Nerven leiden sollten?« –

»Du siehst, man trägt hier a l'antique keine Taschen; wo sollte das Flaçon herkommen? Doch, sei unbekümmert; Nerven kannte ich nie, war immer fest und kalt, wie Erz.«

Jetzt sprangen sie leicht über eine Dornenhecke, die einen großen Raum, einem Kirchhofe ähnlich, einschloß. Vor ihnen lag ein Verhack von umgestürzten Monumenten, an welchen die Namen großer Männer[105] noch lesbar waren. Hohläugige, bleiche Gestalten, die Kinder der Furien, mit dem Neide erzeugt, vertrieben ihre Zeit damit, daß sie diese Denkmäler mit Schlangen geißelten und den giftigen Geifer ihrer Lippen darüber hinsprudelten. Weiter hin waren Hiänen und Schakals in Menge, welche in die Gräber wühlten und dann die Todten zu verschlingen schienen.

»Was treiben jene da?« fragte Babiole.

»Als Menschen machten sie die Geschichte;« sagte Pappillon. »Hier fahren sie fort, große Menschen klein zu machen; diesem den Kopf, jenem das Herz zu nehmen. Manchen haben sie schon so beputzt und beschnippert, daß er aus einem Riesen, der er seinem Zeitalter war, ein wahrhafter Pygmäe geworden ist.«

»C'est tout, comme chez nous!« sagte Babiole. »Laß uns weiter gehen! Der Modergeruch ekelt mich an; laß uns zu jenem Feuer eilen; mich friert.« – »Ah pour ca! daran werden Sie sich nicht erwärmen,[106] meine Gnädigste! Das sind nur Johanniswürmchen, verwandelte Dichter und Schöngeister. Freilich machen sie einen fürchterlichen Spectakel, und immerfort Anstalt, mit ihren Leuchten alle große Dichter der Nation zu verzehren. Aber endlich müssen sie es doch jenem gelben zähnefletschenden Weibe dort überlassen, die sich, glaube ich, Madame Kritik nennt. Aber die hat auch Zähne, die! Die vorigen Jahrhunderte hat sie schon hintergeschlungen; jetzt macht sie sich an's gegenwärtige. Bon appetit! Madame!« rief er ihr zu, faßte Babiole's Händchen, und huy, von Zweig zu Zweig, nach einem schönen Raum von Orange, Mirthen und Granaten beschattet, wo sie eine große, bunte Versammlung antrafen.

Pappillon wußte alles, kannte alles, lästerte, apologisirte nach Laune, hatte überhaupt nur ganz wenig von seiner Natur eingebüßt. Er sprang unter den Haufen, nannte sie alle bei Namen, küßte Händchen, Pfötchen, Krallchen, was es zu küssen[107] gab, und präsentirte seine neue Bekanntschaft.

Babiole ward bald inne, daß hier Freiheit und Gleichheit war; denn keiner nahm Notiz von ihrem Range. Ihr Sauersehen hielt keinen in Respect. Sie stürmten mit Fragen auf sie ein, ob der neue Musenalmanach schon erschienen wäre? welche Philosophie jetzt die neuste Mode sei? ob der vierte Theil der Donau-Nymphe schon gegeben worden? ob die kurzen Taillen und langen Schleppen noch Mode wären? ob Wallenstein noch nicht travestirt sei? u.s.w. Babiole war ganz betäubt, und wußte nicht Antworten zu finden; überdem war sie auch dadurch zerstreut worden, daß sie unter den Fragenden manche ihrer Hofdamen zu erkennen glaubte.

»Hier sind bekannte Stimmen,« sagte sie; »ich bitte, belehren Sie mich, ob ich sie kenne?« – Eine gravitätische Elster nahte sich, und nach vielen unnützen Worten kam's heraus, daß sie die Ehre gehabt habe, der Prinzessin Gräcula erste Kammerfrau[108] zu seyn. Zwei kleine zierliche Papchens erklärten sich als Hofdamen der Prinzessin. Das übrige war ein buntes Gemisch, wie die Feen, die oft die reizenden Sterblichen beneiden, sie sich aus ihren Zirkeln ausgelesen hatten; doch fand Babiole immer mehr, daß sie sich en pays de connoissançe befände, fing an, ihres Elendes zu vergessen und die neue Situation amüsant zu finden. – Suchen die mehrsten Weiber wohl mehr?

Nach vollendetem Fragen schritt man zu der Tagesordnung, das heißt: zum Lästern; denn dieses war ein Klubb, den sie den sympathetischen nannten. Zuerst wurden die abwesenden Mitglieder der Gesellschaft vorgenommen, ihr Äußeres, ihr Inneres; Voraussetzungen galten für Fakta; kurz, es ging ganz so, daß Babiole sich an ihrer Mutter Hof versetzt wähnte. Nachher kam es an den Menschen, den sie eine ernsthafte Bestie nannten; er betriebe, hieß es, seine Spielereien so feierlich. Endlich war auch dieser Quell der Unterhaltung versiegt,[109] und Papillon brachte in Vorschlag, daß sie als ein Spiel des Witzes, jedes die Geschichte seiner Verwandlung erzählen solle. Einige fanden, daß es amüsiren würde, und stimmten ihm bei. Ein artiges Äffchen hub an zu sagen: die seinige sei sehr kurz. Auf dem letzten Ball habe sie, freilich ein wenig stark, in einer Hopps-Anglaise einem hübschen jungen Offizier zu minaudirt, und habe dabei einen Hopps gemacht, der sie in dieser Gestalt, nach diesem Eilande, unter diese Gesellschaft versetzt habe.« – »Die Götter wissen es, wie bösartig diese Feen sind,« nahm eine alte, dicke Mopshündin das Wort. »Eben als ich meinen 60sten Lenz erlebte, dichtete ich ein Lied an meinen Daphnis, und siehe da! während dem Dichten verkürzten sich meine Finger; kurz, wie Sie mich hier sehen, kam ich, die Feder noch in der Hand, in diese noble Kompagnie, die mich mit dem Namen Amourette begrüßte.« – »Ja, ja!« miaute eine fette, rothe Katze; »traue Einer den Feen! Ich habe blos so ein wenig meinen[110] Scherz mit der Schöngeisterei getrieben. Eigentlich wußte und verstand ich blutwenig; aber ich trieb doch einen ganz einträglichen Schleichhandel mit den Urtheilen und Kritiken Anderer. Ich half manche literarische Maliçe in Kours bringen, und ließ mir's oft bei Wind und Wetter, Nacht und Nebel nicht verdrießen, um einen erhaschten boshaften Einfall auszubringen, oder eine Feindschaft anzuzetteln, von Haus zu Haus, bis in die fernsten Vorstädte zu laufen. Von einem solchen Gange wurde ich in dies rothe Pelzchen, das kaum ein Schanzlooperchen zu nennen ist, gehüllt, nebst meinem Gatten, diesem fetten Kater, der hier neben mir schnarcht, auf einem vertrakten Fuhrwerk durch die Luft hierher spedirt.«

So kettete sich Erzählung an Erzählung, Geschwätz an Geschwätz, bis zuletzt die Gesellschaft einstimmig sagte, es sei nun an Babiole, ihre Verwandlungsgeschichte zu erzählen. Babiole wurde nachdenkend und ernst; plötzlich ermannte sie sich, erzählte[111] ihre Begebenheiten, ohne sich im mindesten zu schonen. Dabei gab sie zu erkennen, sie vermuthe mit Grund aus einigen ihr einst unbekannten Regungen, der Kiesel in ihrer Brust sei mit ihrem Menschseyn verschwunden; sie glaube jetzt wirklich ein wahres, fleischernes, warmes, weiches Herz in sich zu verspüren; denn wenn sie ihrer Eltern gedenke, fühle sie immer ein Wallen, wovon ihr Auge naß würde.

Indem erscholl's: »Es lebe Frivolo und die Frivolität! Es lebe der große Frivolo!« Da sprang, hüpfte, kroch, flog, schwirrte alles im bunten Gewirre durch einander. Er erschien mit graziösen Verneigungen, bemerkte in der Geschwindigkeit alle einzelne Schönheiten der anwesenden Damen, das Porte bras dieser, die sanfte Lippenöffnung jener, die Grazie, womit diese ihren langen Schweif, jene die fatalen Sitzschwülen verbarg. Bei dem allen suchte sein Blick durch die Menge noch Etwas. Babiole war es! Er fand sie, drückte sie zärtlich an sein Herz. »Deine Feindin ist schier versöhnt,[112] theure Gräcula! Dein offnes Geständniß in dieser Gesellschaft ist ihr ein wichtiger Schritt zu deiner Veredlung. Noch eine kurze Prüfung, und du hast überwunden. Ich komme nicht allein. Deine königlichen Eltern sind mit mir. Ihr Gram um dich eignete sie bald, meine Unterthanen auf diesem Eilande zu werden.«

Babiole fiel ihren Eltern zu Füßen und umarmte sie mit einer Fülle des Gefühls, wobei an keinen Kiesel mehr zu denken war. Er war an dem sanften Feuer der gesunden Vernunft, das an die Stelle jener Philosopheme getreten war, zerflossen, und das Herz, weil es ihr jetzt oft ziemlich schwer war, aus dem Kopfe an seine rechte Stelle herabgesunken.

Keuchend sagte der arme Fricando, der auch zu einer Umarmung heranwatschelte: »Da sehen wir's nun, Frau Sentimentale, was bei dem leidigen gelehrten Wesen herauskommt! Affen werden wir, leibhafte Affen. Und das wollte ich mir wohl noch gefallen lassen, wären nur die verwünschten[113] Knackmandeln nicht, die einem Unverdaulichkeit zuziehen. Dies Geschlecht versteht sich verteufelt schlecht auf die Küche!«

Das Königspaar war also nicht verwandelt? Ach! der gute Fricando hatte durch Dickleibigkeit in der That nur noch sehr wenig Menschliches an sich, so daß es kaum lohnte, das wenige noch zu verwandeln. – Und Sentimentale? Je nun, ob die Fee den Schwächen der Mutterliebe eine solche Nachsicht angedeihen ließ, oder ob es alte Freundschaft war; genug: sie war bis jetzt noch Sentimentale geblieben! –

Jetzt erschien die Fee Erfahrung, in einem Aufzuge, der aus den Rüstkammern aller Völker zusammengebracht schien. Als Dekan der löblichen Feenschaft, war das Richteramt ihr geworden. Frivolo's Departement war ein ihr untergeordnetes. »Schädlicher Genius!« sprach die Alte, »verschwinde, herrsche hinfort nur über alte Jungfern und Hagestolze. Durch den Beschluß höherer Geister, ist dir der Vorzug ewiger Jugend genommen. Führe dein geschniegeltes[114] Figürchen unter sterblichen Damen zur Schau umher, und werde so ein eitler, verspotteter, alter Jüngling!« –

Wenigen gab sie menschliche Gestalt zurück; die meisten schob sie tiefer in die Thierheit hinein, weil sie, wie fast in jeder Strafanstalt, nicht gebessert, sondern sich verschlimmert hatten. Zu Fricando sprach sie: »Verlaß den Thron, auf dem es sich zu hart und zu unbequem sitzt, und vertausche ihn mit einem weichen Großvaterstuhl, der schon längst in einem reichen Kloster seine Arme nach dir ausbreitet. Schlummere, vegetire dort als Prior, und erwarte da dein seliges Ende bei Gänseleber- und Karpfenzungen-Pasteten. Der beste Mundkoch ist dir zugegeben.« –

»Sentimentale, die liebliche Gestalt eines Täubchens, wird dir nicht zuwider seyn. Nur eine kurze Zeit, und euer aller Schicksal ist gelößt!« –

»Noch einer Prüfung bist du unterworfen, Prinzessin! unter welcher deine Anlagen sich still und groß entwickeln mögen.[115] Ich versetze dich als Marmorgebilde in den Prunksaal des elterlichen Pallastes. Bei menschlicher Sprachfähigkeit, verdamme ich dich zu beharrlichem Schweigen. Höre! Dulde! Schweige! Ein einziger Laut verwandelt dich in kalten Marmor, der du zu seyn scheinst.« –

Ein Donnerschlag beschloß die Szene. Die darauf repräsentirt hatten, grunzten, grinzten, bellten, miauten von dannen, wohin ihnen ihre Natur ihre Bestimmung anwieß.

Gräcula stand nun gebildet in karrarischem Marmor, schön, wie die Venus von Medici, im großen Saale des elterlichen Pallastes. Sentimentale setzte sich wehmüthig-gurrend auf der Tochter kalten Busen. Ach! ihr war er nie wärmer gewesen!

Schaaren von Kennern und Neugierigen drängten sich um die neue, wundervolle Erscheinung, von der Niemand begriff, woher sie gekommen sey. Nur der Hofmarschall gab schlau zu verstehen, er wisse es wohl; denn er habe sie aus dem Herkulanum[116] für 100,000 Zechinen erhatten, die ihm der Tresorier auch ganz treuherzig wieder erstattete.

In den ersten Tagen der Ausstellung übte sich bloß die Kritik der Kenner am Ebenmaaß, und der Streit war, zu entscheiden, ob das schöne Weib wirklich antik oder untergeschoben sey?

An einem schönen Morgen machte eine Erkerbewohnerin des Schlosses, eine uralte Charteke von Hofschranze die Entdeckung: die schöne Marmorfrau sei der verschollnen Prinzessin auf ein Haar ähnlich. Diese Nachricht trieb eine unerhörte Menge Kenner und Kennerinnen zusammen; und jetzt erst begann die große Prüfungsstunde der Weiblichkeit. Aber es hieß: hören, dulden, schweigen! – Die Prinzessin bestand! –

»Wie!« sagte eine Kennerin; »diese vollendete Schönheit wäre die Unholdin Gräcula? – Diese zierlich gerundeten Arme! Jener reichten ja die Hände bis an der Ferse! Und dieser Mund, hold sich öffnend,[117] wie eine zarte Rosenknospe! Der Prinzessin Mund war wie in Afrika geformt. Ihre ganze Natur war Sauerstoff!« –

»Ja!« – sagte eine Matrone – das ist wahr, unausstehlich war sie! Wohl dem Lande, daß sie den faux pas machte!«

»In der Nasenspitze finde ich doch etwas von ihrer Bosheit; von der albernen Anmaaßung, mit der sie, als ein eminentes Wesen, über alles hinwegtrat!«

»Das war nur für die Welt!« sagte ein Stutzer; »unter vier Augen, ich versichre auf Ehre, war sie nichts weniger, als spröde!«

»Sie soll von Zwillingen entbunden seyn!« sagte eine paußbackigte Räthin.

»Allerliebste Buben! ich versichere. Sie sind bei einer Muhme von der Muhme meiner Kammerfrau in Kost!« antwortete das Weib eines Oberpriesters.

»Wer war an Allem Schuld, als die gelehrte Närrin, ihre Mutter, die durchaus ein kleines Wunder haben wollte! Zu der[118] Zeit ihrer Geburt raunte man sich seltsame Dinge zu!« sagte wieder Einer.

Das Täubchen ächzete leise, und schlug die Flügel einigemal, wie wenn sie die Arme zum Himmel ausbreiten wollte, um Sühne des Vergangenen herabzuflehen.

Die Prinzessin litt unsäglich. Sie hörte sich schmähen, schändlich verleumden, ihre wirklichen und angedichteten Fehler aufs Bitterste herrechnen. Die Operation war schmerzlich, aber sie bewirkte eine gründliche Kur. Sie hörte, duldete und schwieg! –

Jetzt nahte sich ihr eine junge Dame, die sie oft ihren ganzen Übermuth hatte fühlen lassen, weil sie diese schlichte, unverkünstelte Natur für Beschränkung hielt. »Was werd' ich nun hören!« sagte sich die Prinzessin. Ihr Herz schlug fast hörbar unter dem Marmor.

»Gewiß, meine Damen!« sagte Eliante, »Sie tadeln die Prinzessin höchst unbillig. Sie war, wo möglich, schöner noch, als dies Marmorgebilde. Sie war meine Freundin nie, so gern ich die ihrige geworden[119] wäre. Denn hinter jener unglücklichen Verbildung, welche die Folge einer schiefen Ansicht ihrer Mutter war, schlummerten hundert schöne Anlagen. Ich, an meinem Theile, habe sie nimmer gehaßt, so tief sie mich auch kränkte.«

»Sie haben recht, Eliante!« sagte ein stattlicher Herr; »die arme Prinzessin wurde zu viel erzogen. Die schwerfälligste Schmeichelei umgab schon ihre Wiege. Sie hat nie durch die Gelehrsamkeit bis zum Menschen durchdringen können.« –

Das Täubchen bewegte immerfort die Flügel und gurrte. Man fand es auffallend, daß das Sinnbild treuer Liebe auf dem kalten Marmor hause.

So vergingen der Prinzessin Tage und Wochen, und die Fee ließ sich immer noch nicht weder sehen, noch hören. Fast erlag sie unter der Last unerhörter Schmähungen. Was die Großen so selten glauben, hörte sie jetzt mit eignen Ohren: daß dem Publiko keine einzige ihrer noch so geheim gehaltenen Handlungen entgehet; daß ihre Schiefheiten[120] scharf bemerkt, das Gute aber nur entstellt und im verjüngten Maaßstabe erwähnt wird.

Der Strom verlief sich endlich; man fand es gar nicht mehr amüsant, in die Ausstellung zu gehen; denn endlich trafen sich immer dieselben Gesichter wieder. Überdem war in der Stadt ein Hundetheater eröffnet, wohin die schöne Welt ihre, ihr so lästige, Zeit zu tödten ging.

Alle Pfeile der Schmähsucht waren nun auf die arme steinerne Dame verschossen, und sie hatte in edler Selbstüberwindung verharrt, keinen Seufzer gespendet, kein Ach! kein Oh! vernehmen lassen. – Die Fee erschien!

Sophia1, deine Klugheit macht dich fortan dieses Namens, womit ich dich beehre, werth. – Sophia, du hast nun in kurzer Frist ein Leben voll Erfahrung gewonnen. – Gehe hervor, und benutze sie redlich!«[121]

Ein Donner endete die Metamorphose. Sophia ging wie ein stralender Stern hinter einer Wolke, aus ihrer Marmorhülle hervor. Die Duegnen und Zofen quikten vor Schreck, und die Hofdamen lagen reihenweise in Ohnmacht, wobei keine an Attitüde oder Faltenwurf gedacht hatte; denn es kamen wirklich ganz curiose Stellungen zum Vorschein. Die Höflinge waren, sich mechanisch verbeugend, erstarrt mit krummen Rücken stehen geblieben und erwarteten ihr Urtheil.

Sophia war nun ihre Königin, und sagte, statt zu strafen, allen Huld und Gnade zu; nur die Schmeichelei lag unter dem strengsten Bannfluche. Die Lehre, die sie bekommen hatte, wirkte bis auf's Mark bei ihr.

Eliante wurde ihre theuerste Freundin, und der stattliche Herr, der mit Elianten gesprochen hatte, ihr Rathgeber und Führer. Doch blieb die Waldmutter immer die erste Instanz.

Lange noch blieb Sentimentale eine[122] Taube, weil sie sich selbst unter dieser zarten Gestalt gefiel und die ewigen Liebkosungen ihr wohl thaten. Nur nach und nach bequemte sie sich wieder zur menschlichen Gestalt; doch behielt sie am längsten die Flügel. Ihr zu Ehren, trugen nun alle Damen Chemisen à la Sentimentale, von welchen sie sich bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz haben befreien können; sie bedienen sich ihrer, wie man sagt, zum rastlosen Umherflattern. Das soll aber auch das Einzige seyn, was sie von der Tauben-Natur sich angeeignet haben.

Die Waldmutter freute sich nun ihres Werkes, und brachte viel Zeit an diesem Hofe zu, wo sie das Amt eines geheimen Archivarius verwaltete. »Du mußt dich vermählen!« sagte sie einst zu Sophien. – »Ich habe gewählt, Mutter! Er ist es werth!« – Bescheiden erröthend reichte Sophia dem Sohne ihres alten Freundes und Rathgebers, einem Edlen des Landes, die Hand; und so machte sie an der Hand der Erfahrung, der Weisheit und Freundschaft,[123] ihre Staaten zu den glücklichsten, welche je die Sonne beschien. –

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 61-124.
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