Siebentes Kapitel

[124] Wir haben diese Kleinigkeit, die Albert der Kritik des Klubbs zum Besten gab, in einer unabgebrochenen Folge hergesetzt; Er selbst las sie in drei Abenden.

Onkel Dämmrig amüsirte es trefflich; er rieb oft während des Lesens die Hände und rief: »Köstlich! Deliziös! Da habt ihr's!« – Die Damen hingegen sahen oft betroffen und etwas einfältig aus. Aber Wassermann warf sich mit Wuth darüber her und kunstrichterte ohne Schonung. Weil nun dieser Kleinigkeit gar kein Werth beigelegt wird, wiederholen wir hier nicht Wassermanns Kritik, da sie ohnehin ihren Richtern, sammt den Wassermännern und Vadiussen nicht entgehen wird. Vadius, der Allgefällige, wußte freilich nicht so recht, nach welchem Winde er den Mantel drehen[124] müsse; indeß ließ Albert sie machen, und antwortete bloß der Tante Elisa, als sie ihn freundlich fragte: »Aber, mein Herr von Ulmenhorst, es scheint in der That, als wären Sie der weiblichen höhern Kultur sehr abhold?« – »Der unzweckmäßigen und verschrobenen von ganzem Herzen; denn nie geschah der ächten Bildung so viel Abbruch, als durch diese. Überhaupt gebe ich für die ganze weibliche Verstandesbildung keine Priese Tabak, wenn sie ein Spiel der Eitelkeit ist und nicht Karakterbildung wird.« –

Laurette maulte. Albertine sah unbefangen drein, und bemerkte es auch nicht, daß Albert ihr bei seiner letzten Äußerung einen wohlgefälligen Blick zugeschickt hatte.

Albertine war eines häuslichen Geschäfts wegen abgerufen worden; die Unterredung hatte indeß eine andere Richtung genommen. Es war viel wahres und halb wahres über den schönen Trieb der Menschheit, die Freundschaft, gesagt worden. Albert bewies aus seinen eignen Erfahrungen das[125] Daseyn dieses schönsten Zuges und Beweises menschlichen Tugendsinnes, und sprach über seine früheren Verhältnisse zu einem Freunde, den er leider nun in dem Kriege verloren habe. »Lindenhain,« sagte er, »war das Muster junger Männer.« – Albertine trat eben bei diesen Worten wieder herein; sie hörte den Namen, schlich leise näher und lauschte. – »Durch seltsames Zusammentreffen von Umständen wurden wir getrennt, hörten lange nichts von einander; doch – wenn ich nach meinem Herzen sprechen soll, ohne uns deshalb einander minder werth geworden zu seyn. Ich reisete aus, ihn aufzusuchen, und wenn auch nur als Volontair an seiner Seite zu fechten, als mir schon die unglückliche Nachricht entgegen kam, er sei bei Bitsch geblieben.« – Albertine sank mit einem dumpfen Schrei hinter Albert ohnmächtig zur Erde. Sie hatte so eben aus seinem Munde die Bestätigung vernommen: ihr Louis, der von Lindenhain hieß, sei nicht mehr! –

Albert war bestürzt, obschon er nicht[126] ahnete, daß er den Zufall veranlaßt habe. Der höchste theilnehmende Schmerz ergriff ihn aber, als Laurette ihm mit der größten Ruhe sagte: »Sie werden sich schlecht bei meiner Cousine empfohlen haben, Herr von Ulmenhorst! Der Lindenhain, dessen Tod Sie bestätigen, ist ihr Gemahl!« –

Von diesen Worten wurde Albert wie von einem Schlage getroffen. Er blieb mit starren, auf Lauretten gerichteten Augen wie angewurzelt stehen, sprach keine Silbe, stürzte dann den Frauenzimmern nach, die Albertinen in ihr Zimmer brachten, kehrte an der Schwelle plötzlich um, schlug sich vor die Stirn, und eilte ohne Hut durch eine unwegsame Straße, in der Dunkelheit eines Herbstabends, nach seinem Gute zurück, wo er erst lange nach Mitternacht verstört ankam und sich in den Kleidern auf's Bette warf.

Seinem vertrautesten Freunde hat er nachher gestanden, daß selbst in dem Moment der höchsten Überraschung und Bestürzung, die Hoffnung einen Strahl in sein[127] Herz geworfen und ihm Albertinens Besitz tief im Hintergrunde seiner Ahnung hingezaubert habe, ob er gleich das Auge davon, als von einer Versündigung an seinem verunglückten Freunde, schnell weggezogen habe.

Tante Elisa hatte sich indessen mit der gutmüthigsten Theilnahme die Pflege ihrer Nichte angelegen seyn lassen, um welche Madame Rosamunde sich nur Wohlstandes halber, Laurette aber gar nicht bekümmerte, obschon diese jetzt ganz treffliche Sachen über Humanität, Freundschaft und Verwandtenliebe zu sagen wußte, welchen aber ihr Wassermann nur halbes Ohr lieh; denn sein kaltes Gemüth war eben damit beschäftiget, die Zinsen von Albertinens Kapital sammt den Vortheilen zu berechnen, die der Besitz einer so hübschen Frau einem Manne wohl verschaffen könne. Onkel Dämmrigs Mitleiden ging gewöhnlich in Verdruß und üble Laune über, weil er immer in seiner Art von Frohleben gestört zu werden besorgte.[128]

Albertine verfiel in ein hitziges Nervenfieber, in dessen guten Intervallen sie zu ihrem Bruder gebracht zu werden verlangte, indeß man es für rathsamer fand, sie, der bessern Hülfe wegen, in die Stadt zu bringen, wohin ihr die ganze Familie bald folgte, weil das abfallende Laub und die bereiften Morgenfluren den nahen Winter verkündeten.

Auch Albert verließ sein Gut, das ihm, ohne Albertinens Nähe, ein Exil zu seyn dünkte. So emsig er auch jeden Tag mehrere Male Nachrichten von ihr sich geben ließ, zögerte doch seine Delikatesse, sich ihr, auch da es schon schicklich gewesen wäre, vorzustellen. Er kannte die Zärtlichkeit ihres Gemüths, das aber dennoch, sich selber gelassen, jeder Einwirkung der Vernunft und einer gesetzten Fassung empfänglich war.

Wassermann, den alle zarteren Verhältnisse des Lebens leere Form und leidige Konvenienz dünkten, dachte jetzt auch: Nun, was ist's denn? Der erste Besitzer ist todt. Warum sollte ich seinen Nachlaß nicht sobald[129] als möglich erstehen? Mit diesem Vorsatze im Herzen, begann er Lauretten, der er fast erlaubt hatte, ihn nach ihrer Weise zu lieben, schnöde und äußerst grob zu begegnen. Er widersprach ihr, ehe er noch ihre Meinung recht wußte, glaubte, um recht verständlich zu seyn, ihr oft im Beiseyn eines Dritten ihre Neigung zu ihm vorrücken zu müssen, und äußerte mit höchster Unzartheit, daß er sie nicht erwiedern wolle.

In eben diesem Grade unfein waren seine Zuneigungs-Äußerungen gegen Albertinen, die ihm, wie er glaubte, nicht entgehen könne. Oft polterte er mit schweren, schmutzigen Stiefeln durch ihr Vorzimmer bis zu ihrem Bette hin, störte ihren seltnen heilsamen Schlummer, um ihr den Vorzug seiner Theilnahme angedeihen zu lassen; und nie verließ er sie, ohne sie auf die Ehre aufmerksam gemacht zu haben, welche er ihr durch seine Aufmerksamkeit zu erweisen glaubte.

Dieser, Albertinen so unwillkommnen[130] und von ihr unaufgeforderten Liebe wegen, entstand ein Mißverhältniß im Ganzen, das Albertinen in seinen Folgen sehr bedeutend wurde, und das sie bald ausgetrieben haben würde, hätte Tante Elisens fortdauernde Liebe und der vertraute Umgang mit ihrer Euler, ihm nicht das Gleichgewicht gehalten.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 124-131.
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