Dreizehntes Kapitel

[164] Wenn in den längeren Abenden Madame Rosamunde mit Albertinen und Lauretten, die sie scherzweise ihre Hofdamen nannte, außer dem Hause ihr Wesen hatte, pflegte Onkel Dämmrig zuweilen mit Schwester Elisen im Brette irgend eines der kinderleichten Spiele, die den Kopf nicht angreifen, zu spielen. Sie machte jetzt, bei ihrer belle passion für Albert, die Zerstreute, so daß der Bruder das Spielen satt hatte, und eine Unterredung anfing, von der wir jetzt Folgendes erfahren haben.

»Ich denke immer, ehe wir's uns versehen, führt der Ulmenhorst uns Nichte Albertinen davon!« – »Wie so?« – »Weil[164] er rasend in sie geschossen ist.« – »Meinst du? Ich könnte dir die Sache ganz anders erklären.« – »Wie das, Schwester?« – »Ulmenhorst hat sein Herz einer ganz Andern zugewendet.« – »Das wäre! Also nicht Albertinen?« – »Nein! Davon bin ich überzeugt.« – »Ich sage dir aber, ich verstehe mich auf solche Affairen; er ist sterblich in sie verliebt.« – »Possen! Das ist ein bloßer, sinnreicher Schleier, den er einer weit ernstlichern Leidenschaft leihet.« – »Nun, so möchte ich doch wissen, in wen er hier, außer diesem allerliebsten Weibchen, verliebt seyn könnte!« – »Du möchtest es gern wissen?« – »Freilich!« – »In mich!« – »In dich?« – »In Niemand anders.« – »Potz, über die alte Närrin!« – »Herr Bruder!« – – Elise war allemal, wenn sie Herr, oder bei Frauenzimmern ein Ehrenwort hinzusetzte, auf dem höchsten Grad ihrer Empfindlichkeit, und weiter verstieg sich die gute arme Tante in den Regionen des Zornes auch nie. Also: »Herr Bruder! was soll der beleidigende[165] Ausruf? Man ist doch noch nicht veraltert, und manche Jugend würde auf dieses Auge (sie ließ es lieblich schmachten) und diesen Teint eitel seyn. Und Doormann, Emmerich, Rothfelß und Feldhain möchten doch wohl den Beweis liefern, daß andere Leute nicht so geringe von der Macht dieser Reize denken, als der gütige Herr Bruder.« – »Diese Leute wären in dich verliebt?« – »Ja; ganz unsterblich.« – »Und haben es dir gesagt?« – »So verwegen war keiner; aber die Liebe hat eine stumme Sprache.« – »Sie lassen sich aber von keinem Auge im Hause sehen?« – »Dank sei es ihrer diskreten Leidenschaft!« – »Und der Rothfelß vollends macht sich über dich lustig, wo er nur weiß und kann.« – »Ha! Wer kennt nicht die Rasereien der Eifersucht?« – »Emmerich und Feldhain haben Weiber genommen.« – »Ach! der Depit fehlgeschlagener Hoffnung.« – »Schwester! du bist rein toll.« – »Herr Bruder! Sie sind sehr unartig!« – Elise packte ihr Arbeitskörbchen zusammen, begab sich[166] unmuthig auf ihr Zimmer, und seit diesem Abend blieben die Parthieen im Damenbrette auf lange Zeit ausgesetzt.

Mit dem Tod im Herzen, wie sie sagte, wartete sie auf Albertinens Zuhausekunft, und wie sie den leisen Fußtritt dieser Lieben über sich hörte, ging sie, ihr Herzeleid zu klagen. Aber wie vernichtet wurde sie, als Albertine ihr wehmüthig antwortete: »Ach, der Onkel wird wohl mehr denn zu recht haben; lesen Sie diesen Brief, liebe Tante!« Elise vermochte es kaum; doch faßte sie mit zitternder Hand das Blatt und las mit von Thränen verdunkeltem Blicke:


»An Albertine von Lindenhain!

Seit dem glücklichen Augenblick, der mich in Ihre Nähe brachte, liebenswürdigste Freundin! habe ich Sie keinen Augenblick aus meinem Herzen gelassen. Ich wußte nicht, daß Sie meinem Freunde gehörten; unter der einfachen Benennung Albertine, wodurch Ihre Gesellschaft[167] Sie bezeichnete, ahnete ich nicht die Gattin eines Mannes von Stande. Ich schwieg, weil ich Ihre Achtung verdienen, Ihre Zuneigung gewinnen wollte, ehe ich ein Geständniß wagte, das ich jetzt mit der schweren Besorgniß, Ihnen zu mißfallen, ablege. Verehrteste Freundin! es hat mir oft, besonders in den letzten Zeiten geschienen, als bemerkten Sie meine innige Verehrung, meine so herzliche Zuneigung wenigstens nicht so wohlgefällig, als das Glück meines Lebens es heischt; und deshalb bitte ich jetzt um Ihre theure Hand, um Ihre Liebe, mit einem Grade von Schüchternheit, die kein redlicher Mann je fühlen sollte! – Albertine, verwirft mich Ihr Herz als unwürdig, der Nachfolger des Liebenswürdigsten der Männer zu seyn, so geben Sie mir es wenigstens nicht in harten Worten zu erkennen, und verweisen mich dann nicht aus dem Kreise Ihrer Freunde.

Meine äußern Glücksumstände sind nicht unwerth, Ihnen angeboten zu werden;[168] und ich darf es Ihrem schönen Herzen, wenn es das Glück des meinen will, vorschlagen, über Ihr künftiges ansehnliches Vermögen, zu Gunsten irgend einer von Ihnen geliebten Person, zu disponiren. Das meinige ist durch die Erbschaft einer Tante zu einer mir beinahe lästigen Stärke angewachsen. –

Albertine, Sie kennen mich; ich werde nicht den Tod suchen, verwerfen Sie mich: Aber durch Ihr ›Nein!‹ scheitert jeder frohe Lebens-Plan, verdüstert sich meine ganze Zukunft. Denn Sie sind die Erste, die ich liebe, und ich fühle, daß dieses Herz nie einer Andern gehören kann. Ewig

Ihr

Albert von Ulmenhorst.«


Als die arme Elise vor lauter Wehmuth dazu kommen konnte, fragte sie mit gebrochener Stimme: »Und haben Sie schon einen Entschluß gefaßt, Nichte?« – Albertine sagte, sie sei, ihrem Gefühle nach, erst so kurze Zeit Wittwe, daß sie, selbst Wohlstandes[169] wegen, noch an keine zweite Ehe denken könne; überdem sei sie ja noch so jung und denke ihre Unabhängigkeit noch angenehm zu genießen. »Ach!« seufzte Elise tief; »er liebt Sie darum um nichts desto weniger, der Falsche! O Gott! ich habe ihn so treu, so einzig geliebt. Ich habe ihm mit der ganzen Kraft meines Gemüthes gehuldigt. Albertine, Sie sind meine bitterste Feindin, Sie rauben ihn mir!« – »Liebe Tante, ich bin unschuldig, bin, weiß es Gott, ganz unschuldig; denn ich suche seine Liebe nicht!« – Elise ging schmerzlich weinend von ihr.

Am andern Morgen fuhr Elise, nachdem sie viel geräumt und gewirthschaftet hatte, mit ihrer Kammerjungfer aus. Mittags wurde sie vergebens erwartet; so den Abend, und da sie die Nacht ausblieb, suchte man in ihrem Zimmer nach, ob sie vielleicht eine Weisung hinterlassen habe, wo sie hingekommen sei? – Auf ihrem Arbeitstische lag folgender offner Zettel:[170]


»Ihr alle habt mir das Herz gebrochen. Mein unfreundlicher Bruder und meine gute, schuldlose Nichte am meisten. Ich kann hinfort nicht mehr unter euch wallen. Ich gehe hin, wo mir nur wohl seyn kann. Keiner trage Sorge um die verstoßene Elise; denn sie wird selig, selig, überselig seyn. Künftig mehr!

Elise Dämmrig.«


Keiner entzifferte diesen räthselhaften Brief, außer Albert, der zu diskret war, der zärtlichen Elegie, die er zum Abschiede erhalten hatte, zu erwähnen. Die Familie war höchst bestürzt. Frau Rosamunde hatte wirklich eine und eine halbe Ohnmacht zu Stande gebracht; Albertine, die sich alle Schuld beilegte, war untröstlich; und wenn der Onkel Dämmrig unter Thränen, die er hinter einem läppischen Lachen zu verbergen glaubte, ausrief: »Wo nur in aller Welt, ma soeur! oder auch, welches bei ihm gleichgeltende Ausdrücke waren, die alte Närrin, Ende genommen haben muß?«[171] sagte Laurette immer mit angenommener Traurigkeit: »Wer weiß, in welchem Wasser die liegt! Mein Trost ist, daß sie den neunten Tag dann doch wieder zum Vorschein kommt, wie man sagt.« – Indeß musterte sie in der Stille den Nachlaß der armen Tante, worunter sie manches fand, was ihrer Habsucht schmeichelte.

Erst nach vierzehn Tagen, als sie alle Vermuthungen erschöpft hatten, erhielten sie folgendes Schreiben.


»Der Jammer hatte mein Herz gebrochen; denn Er füllte meine ganze Seele. Ihr hattet mich getödtet. Jetzt bin ich zum seligen Leben hervorgesproßt. Ich bin in dem Himmel, in der Nähe der Götter, die meine Seele anbetete. Ja, Albertine, du Einzige, die du mich begreifst: ich sahe ihn! ich sprach ihn! Denke dir diese Seeligkeit des Himmels: ich sprach ihn! Ewigkeiten möcht' ich so ihn sehen; Ewigkeiten da wie angewurzelt stehen! Wie ich mich ihm entgegenrankte, dem hehren Dichter der Iphigenia! Wie da alles andere vor[172] meiner Seele schwand!!! – Jetzt, Albertine, du geliebte Verwandtin meiner Seele, genieße des Vorzuges, von dem Goldlockigen geliebt zu werden, unbeneidet; noch einmal, ich bin in dem Himmel, in meinem Weimar. Lebt wohl!

Elise Dämmrig.«


Jetzt ward allen wieder wohl, als sie nur wußten, wo die gute Schwärmerin hingekommen war, obschon die arme Albertine in die Erde sinken zu müssen glaubte, als der Onkel den Brief ohne alle Schonung in aller Gegenwart laut vorlas, wobei er lachte, daß er hätte ersticken mögen, und von Zeit zu Zeit Albertinen und Alberten mit dem undelikaten Ausruf: »Ha! Ha! da kommt's heraus!« ansah. Durch dieses Ereigniß wurde Albertine bewogen, früher, als sie es wohl sonst gethan hätte, Alberten ein Körbchen zu flechten, das so zart, so fein, so mit Blumen umwunden war, wie es der feine weibliche Takt nur immer ersinnen konnte. Ihr Herz, ihr jetzt leider eingenommenes Herz wollte den Liebhaber[173] entfernen und sich den Freund erhalten; ein Plan, der achtungswerthen Weibern sehr sicher zu gelingen pflegt und auch hier gelang.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 164-174.
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