Vier und zwanzigstes Kapitel

[258] Lindenhain machte zuerst die Bemerkung, daß es Zeit werde, an einen bestimmten Lebensplan zu denken, und er schlug Albertinen vor: sie wollten mit dem kleinen Kreis der Freunde gemeinschaftlich darüber zu Rathe gehen. »Aber – wie ist's mir denn? Albert hat sich ja in einigen Tagen nicht sehen lassen; er wird doch nicht krank seyn?« Die Weiber begreifen mit ihrem richtigen Takte sehr schnell. Albertine fühlte, daß etwas vor sei, wobei sie einbüßen würden. Sie redete Lindenhain zu, Albert um sein Ausbleiben zu befragen.


»Wo steckst du Albert? Stelle dich ein; du sollst der Konferenz beiwohnen, die wir halten wollen, unsern gemeinschaftlichen Lebensplan zu entwerfen; denn daß unser Bleiben nicht hier ist und seyn kann, weißt du. Wir wollen fort, Dich aber, der Du uns unentbehrlich bist, nicht zurücklassen. Siehe zu, wie Du das einrichtest.[258] Es hoffet auf Dich und harret Dein

der Deine

Lindenhain«


An Lindenhain!


»O, daß Du so gut bist, daß Albertine so gut ist, daß ihr alle so vortrefflich seid! und ich doch einen Lebensplan entwerfen muß, der mich weit aus Eurem Kreise rückt!

Höre mich an, Lindenhain, zürne mir nicht, und gieb mir Freundesrath! Durch Henrietten weiß ich, daß Albertine Dir alle Folgen Deines vermeinten Todes mitgetheilt hat. Ich lernte sie kennen und hielt sie für ein Mädchen der Familie, bei der sie lebte. Mein Loos war mit dem ersten Worte, das sie sprach, geworfen. Sie wird Dir's gesagt haben, daß mein Betragen ihr die Geheimnisse meines Herzens auch nicht von fern ahnen ließ. Es war nachher, als ich in ihr Deine Wittwe erkannte, nicht strafbar, sie[259] zu lieben. Strafbar aber wäre es, die Gattin meines Freundes zu lieben; und würd' ich, müßt' ich das nicht, wenn ich mit jedem Tage neue Blüthen dieses trefflichen Geistes, dieser herrlichen Natur sich vor mir entwickeln sähe. Lindenhain, ich war berechtigt zu hoffen; sie war die Meine, erschienst Du nicht. Fühlst Du die Glut, zu der diese Hoffnung meine Liebe anfachte? Freilich habe ich sie tief in mein innerstes Herz zurückgedrängt; aber wird sie in jeder Minute sich nicht vordrängen wollen? Soll ich den Kampf in jeder Minute neu beginnen müssen? Werde ich in jedem Augenblick, indeß so viel Liebenswürdigkeit vor mir her waltet, die Kraft haben, meine Gefühle mit Erfolg zu bekämpfen? Ich kenne mich selbst nicht genug; ich weiß nicht, was noch aus mir werden kann, darum laß mich Euch fliehen, wenigstens auf einige Jahre, weil ich Eurer Achtung noch werth bin, während es noch in meiner Gewalt steht; im kurzen würde es[260] vielleicht nicht mehr. Wer aufhören könnte, Albertinen zu lieben, hat nie die Liebe gekannt. Gehab Dich wohl!

Dein

Albert.«


»An Albert!«


»Sei nicht wunderlich, du Guter! Ich weiß alles; und eben, weil ich alles weiß, mußt Du, sollst Du bleiben. Ich kenne Dich und kenne Albertinen; und eben weil ich Euch Beide kenne, sollst Du und mußt Du bleiben, und mit uns leben, wie immer. Ich sage Dir, so wenig das den Verliebten eingeht; durch täglichen Gebrauch stumpft sich der Stachel ab, den die Abwesenheit und die, über die Verliebten waltende, Phantasie bis zum Unleidlichen schärft. Ich sage Dir, bleib bei uns! Du bist keines schlechten Streiches fähig und Albertine eben so wenig. Die feine Grenzlinie, welche ihr feiner Sinn zwischen dem Gatten und dem Freunde zieht, wird Dir einleuchten und[261] Dich streng in Deinen Gränzen beschränken. Albertinens unverhaltene Äußerung ihrer herzlichen Zuneigung zu Deinem Freunde, wird Dir keinen Augenblick der Verirrung gestatten. Wenn Albertinens lieblicher Reiz Dich entzückt, wirst Du daneben auch ihre kleinen Fehler bemerken; sie ist ein lieber Engel, der bestimmt ist, meinem Leben Glanz zu geben und Klarheit; aber sie ist auch ein Weib. Dessen wird Dich der tägliche Umgang belehren. Albert, so wie ich Euch kenne, wäre es Neid, erbärmliche Mißgunst, wenn ich das schöne, freundliche Verhältniß, darin ihr ohne mich standet, zerreißen sollte. Lerne Dich selbst kennen und schätzen; Du bist nicht der, der in der Flucht seine Sicherheit suchen müßte. Denke Dir meinen Freund so, wie ich ihn mir denke. Unzerreißbar sei der Bund der Freundschaft mit Deinem

Lindenhain.«


Albert gab sich nur nach langem Kampfe. Er wollte immer nicht zugeben, daß die[262] Abwesenheit der Liebe günstiger, als das Beieinanderleben sei. Madame Euler sagte, als sie gefragt wurde, lächelnd: so viel sie davon erfahren, glaubte sie, der Hauptmann habe Recht. –

Jetzt machten die Freunde ernstliche Anstalt, über einen haltbaren Lebensplan übereinzukommen; und bald kam Folgendes zu Stande.

Ulmenhorst bezog sein Gut; Lindenhain kaufte eins in der Nachbarschaft, und erstand zugleich den Landsitz, welchen der Onkel in seinem Wohlstande besessen hatte, worauf er ihn auch wieder einsetzte. Madame Euler, an die Adelaide sich unzertrennlich gekettet hatte, wohnte mit derselben in einem sehr eleganten Pavillon auf Lindenhains Gute; und Rehthal, der sich von seiner Frau schied, die er wegen des schlechten Streiches mit den untergeschlagenen Briefen, nicht wieder an seiner Seite leiden konnte, so viel Albertine die Strafbare auch entschuldigte und für sie bat, verkaufte sein Gut und wohnte bei Ulmenhorst. Da[263] war denn immer Einer in und durch den Andern glücklich, und nur Laurette säete zuweilen Unkraut unter den Weizen.

Onkel Dämmrig fand den Plan so deliziös, lebte wieder von Neuem auf, und verjüngte sich ganz so an dem reinen Feuer aus Adelaidens Augen, daß er oft in der Freude seines aufgewärmten Herzens sein altes: »Damötas war schon lange Zeit« mit heiserer Stimme anstimmte, und sich freute, wenn er es den Damen nach dreierlei Kompositionen, mit altväterischen Manieren verbrämt, vorsingen konnte.

Musik, Mahlerei, worin auch nun Albertine anfing vortrefflich zu werden, ernste Wissenschaft, leichter Scherz, kleine dramatische Übungen, landwirthschaftliches Treiben gaben dem, ohne den Umgang der Musen so einförmig häuslichen Landleben Mannichfaltigkeit und reichen Genuß. Eintracht pflanzte über all die Friedenspalmen hin, und selbst Laurettens Geist schien unter der Milde dieses Himmels von seiner Schärfe zu verlieren, obschon dem ungeachtet[264] Onkel sie oft seinen Pfahl im Fleisch und den Klotz an seinen Beinen nannte, und von Herzen wünschte, daß ein von Gott und allen Weibern Verlassener sich doch erbarmen und sie ihm abnehmen möchte. Ob irgend eine Hoffnung dazu für ihn und die arme Hartsinnige grünte, werden wir im folgenden Kapitel erfahren.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 258-265.
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