Ein Witwer spricht:

[105] Ich seh eine Gruppe auf dem Meer,

Welch Meer? Dem Meer meiner Tränen!

Meine Augen, vom Salzwind feucht und schwer

In der Nacht voll Sturm und Sehnen,

Sind zwei Sterne über dem Meer!


Eine junge Frau seh ich nahen

Mit ihrem Kind, das schon gross,

In einem Schiff ohne Rahen,

Ohne Ruder und Segel im Flutgetos',

Ein Kind, eine Frau seh ich nahen.


Im Flutentosen, im Sturmgebraus

Umklammert die Mutter der Kleine,

Die nicht mehr weiss wo ein noch aus

Und doch hofft, dass Rettung erscheine

Im Flutentosen, im Sturmgebraus.


Ja, hoff auf Gott, arme Törin,

Zu dem Vater flehe, Kind,

Rast auch der Sturm übers Meer hin,

Mein Herz weissagt euch, dass der Wind

Bald schweigt, o Kind, arme Törin.


Und still die Gruppe auf dem Meer,

Diesem Meer der guten Tränen.

Meine Augen im Himmel, der wolkenleer

In der Nacht ohne Sturm und Sehnen,

Sind zwei Engel über dem Meer.

Quelle:
Verlaine, Paul: Ausgewählte Gedichte. Leipzig 1983, S. 105.
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