[175] Am folgenden Tage begannen die Feierlichkeiten von Neuem. Wiederum begab sich, schon in früher Stunde, ein Zug nach dem Kirchlein, der auf dem Hin- wie auf dem Rückwege sich des gleichen Empfanges erfreute.
Die jungen Leute, Clemens und Cäcilie Harcher, der Erstere im schwarzen Rocke, in dem er wie ein kleiner Herr aussah, die Andere in dem weißen Kleide, das sie wie eine Braut schmückte, standen in erster Reihe der aus den benachbarten Farmen herbeigeströmten Communicanten. Wenn die anderen »Bewohner« auch nicht so reich an Nachkommenschaft waren, wie Thomas Harcher und Catherine, so hatten sie doch Alle eine recht ansehnliche Zahl Sprößlinge. Die Grafschaft Laprairie schien offenbar von dem Segen des Herrn überhäuft, und in dieser Beziehung konnte sie sich zweifellos mit den fruchtbarsten Gegenden von Neu-Schottland messen.
An diesem Tage sah Pierre den Fremden nicht wieder, dessen Anwesenheit ihn gestern einigermaßen beunruhigte. Der Agent war wirklich wieder fort. Ob er etwas bezüglich Johanns ohne Namen entdeckt hatte, und deshalb nach Montreal gegangen war, um dem Polizeichef Bericht zu erstatten, das wird der Leser bald erfahren.
Nach der Farm heimgekehrt, hatte die Familie sich nur noch zum Frühstück niederzusetzen. Dank der vielfachen Ermahnungen, welche Thomas Harcher von Catherine zu Theil geworden waren, stand Alles in bester Bereitschaft. Der folgsame Mann hatte sich nacheinander mit der Tafel, mit der Speisekammer, dem Keller und der Küche beschäftigen müssen, natürlich unterstützt von seinen Söhnen, die von den mütterlichen Befehlen ihren guten Theil erhalten hatten.
»Es ist ganz gut, sie daran zu gewöhnen, wiederholte Catherine gern. Dann wird es ihnen selbstverständlich vorkommen, wenn sie einmal eine Frau haben.«
In der That machten die jungen Leute hier eine vortreffliche Lehrzeit durch.[175]
Doch wenn es schon so vieler Vorbereitungen für das Frühstück bedurfte, wie mußte das erst beim Hochzeitsschmause am nächsten Tage werden! Eine Tafel, die dann für hundert Theilnehmer eingerichtet werden mußte! – Ja, auf so viel war zu rechnen, wenn man die Verwandten des jungen Ehemanns und dessen Freunde aus der Nachbarschaft mitzählte. Daneben ist auch Meister Nick und sein Schreiber nicht zu vergessen, die man an diesem Tage zur Unterzeichnung des Ehecontracts erwartete. – Mit einem Worte, das mußte eine Hochzeit ohne Gleichen werden, bei der der Farmer Harcher mit dem Pächter Gamache cervantischen Andenkens wetteiferte.
Doch, das sollte ja erst am nächstfolgenden Tage vor sich gehen. Heute handelte es sich nur darum, dem Notar einen guten Empfang zu bereiten. Einer der Söhne des Hauses sollte denselben mit dem Planwagen um drei Uhr in Laprairie abholen.
Meister Nick angehend, glaubte Catherine ihrem Gatten in Erinnerung bringen zu sollen, daß der vortreffliche Mann ein sehr starker Esser und dabei ein Feinschmecker erster Sorte sei, und sie würde es nimmer dulden – das war ihre Art und Weise, den Leuten ihren Willen aufzuzwingen – würde es nimmer dulden, daß der ehrenwerthe Tabellione nicht nach Wunsch bedient werde.
»Wird schon geschehen, versicherte der Farmer. Du kannst darüber ruhig sein, meine gute Catherine!
– Ich bin es aber nicht, und werde es nie sein, ehe nicht Alles vorüber ist. Im letzten Augenblick fehlt immer noch das oder jenes, und das dulde ich nicht!«
Thomas Harcher verschwand, um seine Aufträge auszuführen, während er mehrfach wiederholte:
»Eine ausgezeichnete Frau! Vielleicht etwas gar zu vorsorglich! Sie duldet nicht die kleinsten Mängel!... Sie duldet so etwas nicht!... Und ich bitte Sie zu glauben, daß sie sonst so manches schon erduldet hat!«
Seit dem Vorabend hatten sich Herr de Vaudreuil und Clary mit Johann über seine Wanderungen durch die Grafschaften Unter-Canadas ausführlich unterhalten können. Seinerseits erfuhr der junge Patriot dabei, was das Comité von Montcalm in der Zeit nach seinem Aufbruche von da gethan. André Farran, William Clerc und Vincent Hodge waren zu wiederholten Malen nach der Villa gekommen, wo Herr de Vaudreuil gleichzeitig den Besuch des Advocaten[176] Sebastian Grammont empfing. Dann war dieser nach Quebec zurückgereist, woselbst er mit den hervorragendsten Führern der Opposition zusammenzutreffen gedachte.
Nach dem Frühstück, welches nach der Rückkehr aus der Kirche aufgetragen worden war, wollte Herr de Vaudreuil den Planwagen benutzen, um sich nach dem Bezirksstädtchen zu begeben. Heute fehlte es ihm nicht an Zeit, um mit dem Präsidenten des Comités von Laprairie sich auszusprechen, und er konnte auch noch zur Stunde zurück sein, bevor der Notar den Ehecontract zur Unterzeichnung fertig haben würde.[177]
Fräulein de Vaudreuil und Johann begleiteten ihn auf der hübschen, von großen Ulmen beschatteten Straße von Chipogan, welche sich längs eines kleinen Wasserlaufes, eines Zuflusses des St. Lorenzo, hinzieht. Sie waren mit ihm schon vorausgegangen und wurden von dem Wagen erst eine halbe Lieue von der Farm eingeholt. Herr de Vaudreuil nahm nun neben Pierre Harcher Platz, und bald waren sie bei dem scharfen Trabe des Gespanns verschwunden.
Johann und Clary schlugen den Rückweg ein, der durch das schattige, stille Gehölz am Rande des Flüßchens hinführte. Nichts hinderte ihren Schritt, weder Gesträuch, noch die Zweige der Bäume, welche in den canadischen Wäldern emporstreben, statt sich zum Erdboden hinabzusenken. Von Zeit zu Zeit ertönte die Axt eines Lumberman, wenn sie auf die uralten Stämme der Bäume niederfiel. In der Ferne hörte man auch gelegentlich einige Flintenschüsse, und zuweilen erschien ein gehetztes Rudel Damwild auf den Waldblößen, welche die Thiere eilig übersprangen. Weder Jäger noch Holzfäller wurden aber in dem Dickicht sichtbar, und in völliger Einsamkeit gingen Fräulein de Vaudreuil und Johann in der Richtung nach der Farm hin.
Bald sollten sich Beide wieder trennen!... Wann und wo sollten sie sich wiedersehen?... Ihr Herz krampfte sich bei der nahe bevorstehenden Trennung schmerzhaft zusammen.
»Denken Sie nicht bald einmal nach der Villa Montcalm zurückzukehren? fragte Clary.
– Gerade das Haus Ihres Herrn Vaters dürfte besonders scharf überwacht sein, antwortete Johann, und in seinem Interesse erscheint es rathsamer, daß Niemand seine Beziehungen zu Anderen kennen lernt.
– Sie können doch aber kaum daran denken, in Montreal Unterkommen zu suchen?
– Nein, obwohl es leichter sein dürfte, einer etwaigen Verfolgung inmitten einer großen Stadt zu entschlüpfen. Ich bin mehr in Sicherheit in der Wohnung des Herrn Vincent Hodge, der Herren Farran oder Clerc, als in der Villa Montcalm...
– Doch keines freundschaftlicheren Empfangs versichert! antwortete das junge Mädchen.
– Das weiß ich, und werde niemals vergessen, daß Sie und Ihr Herr Vater mich während der wenigen Stunden meines Verweilens bei Ihnen wie einen Sohn, wie einen Bruder behandelt haben.[178]
– Wie es unsere Pflicht war, erwiderte Clary. Durch dasselbe Vaterlandsgefühl verbunden zu sein, ist doch wohl ebensoviel werth, wie Bande des Bluts! – Mir kommt es stets so vor, als hätten Sie von jeher unserer Familie angehört. Und da Sie nun gar so allein in der Welt dastehen...
– Allein in der Welt, wiederholte Johann gesenkten Kopfes. Ja, allein... allein!
– O, mit dem Siege unserer Sache wird dieses Haus auch das Ihrige sein. Bis dahin begreife ich, daß Sie ein sichereres Obdach suchen als die Villa Montcalm. Sie werden ein solches auch finden; denn welche canadische Wohnung würde sich vor einem Verfolgten verschließen?...
– Nein, gewiß nicht... ich weiß es, unterbrach sie Johann, und Keiner wird schamlos genug sein, mich zu verrathen...
– Sie verrathen! rief Fräulein de Vaudreuil... Nein!... Die Zeit der Verräther ist vorüber. In ganz Canada würde man man keinen Black und keinen Simon Morgaz mehr finden!«
Bei diesem mit dem Ausdrucke von Abscheu genannten Namen stieg dem jungen Manne die Schamröthe ins Gesicht, und er mußte sich abwenden, um seine Erregung zu verbergen. Clary de Vaudreuil hatte es nicht gleich bemerkt, doch als Johann sich ihr wieder zuwandte, zeigte sein Gesicht so deutlich den Stempel tiefen Seelenleidens, daß sie geängstigt ausrief:.
»Mein Gott! – Was ist Ihnen denn?...
– Nichts!... Es ist nichts! versicherte Johann. Etwas Herzklopfen, woran ich zuweilen leide!... Mir ist's dann, als sollte mein Herz zerspringen; jetzt ist schon Alles vorbei!«
Clary sah ihn mit langem Blicke an, als wollte sie in der Tiefe seiner Seele lesen.
Hierauf begann er, um diesem für ihn so peinlichen Gespräche eine andere Wendung zu geben:
»Am rathsamsten wird es sein, ich ziehe mich nach einem Dorfe der benachbarten Grafschaften zurück, wo ich in Verbindung mit Herrn de Vaudreuil bleiben kann!
– Ohne daß Sie sich jedoch aus Montreal entfernen, bemerkte Clary.
– Nein, antwortete Johann, denn in den nächstgelegenen Kirchspielen wird der Aufstand jedenfalls zuerst ausbrechen. Uebrigens kommt nicht so viel darauf an, wohin ich gehe.[179]
– Vielleicht, fuhr Clary fort, böte Ihnen die Farm von Chipogan noch das sicherste Obdach?
– Ja... vielleicht!...
– Es wäre doch schwierig, Sie unter der zahlreichen Familie unseres Pächters herauszufinden.
– Gewiß, doch wenn das geschähe, so könnte es für Thomas Harcher sehr unangenehme Folgen haben. Er weiß ja nicht, daß ich Johann ohne Namen bin, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt ist...
– Glauben Sie etwa, bemerkte Clary lebhaft, er würde, wenn er das heute noch erführe, sich überlegen...
– Nein, gewiß nicht, bestätigte Johann. Seine Söhne, wie er selbst, sind die besten Patrioten. Ich habe davon so manche Beweise gehabt, als wir unsere Agitationsreise zusammen machten. Ich möchte aber nicht, daß Thomas Harcher das Opfer seiner Zuneigung zu mir würde; und fände mich die Polizei bei ihm, so würde man auch ihn verhaften... Nein, nein!... Eher lieferte ich mich selbst aus!
– Sie sich ausliefern!« flüsterte Clary mit einer Stimme, welche ihre schmerzlichen Empfindungen deutlich genug verrieth.
Johann ließ den Kopf herabsinken. Er verstand recht wohl, welcher Art das Gefühl war, dem er sich gegen seinen Willen hingab; er empfand es, welches Band ihn mehr und mehr an Clary de Vaudreuil fesselte. Die Liebe eines Sohnes Simon Morgaz'!... Welche Schmach!... Und welche Falschheit, daß er ihr nicht gesagt hatte, aus welcher Familie er stammte... Nein, er mußte sie fliehen, durfte sie niemals wiedersehen... Und als er seiner wieder mehr Herr geworden, fuhr er fort:
»Morgen in der Nacht werd' ich die Farm von Chipogan verlassen, und kehre nicht eher zurück, als bis die Stunde des Kampfes schlägt... Dann werd' ich mich nicht mehr zu verbergen brauchen.«
Das Gesicht Johanns ohne Namen, in dem eine augenblickliche Begeisterung aufleuchtete, nahm sofort wieder die gewohnte Ruhe an.
Clary blickte ihn mit unbeschreiblichem Ausdrucke von Traurigkeit an. Sie wäre gern tiefer in das Leben dieses jungen Patrioten eingedrungen. Doch wie sollte sie ihn fragen, ohne ihn durch indiscrete Zudringlichkeit zu verletzen?
Nachdem sie ihm jedoch die Hand gereicht, die er kaum berührte, sagte sie:[180]
»Johann, verzeihen Sie, wenn meine Theilnahme für Sie mich aus der Zurückhaltung heraustreten läßt, die ich eigentlich bewahren sollte... In Ihrem Leben gibt es ein Geheimniß... eine unglückliche Vergangenheit!... Johann, Sie haben wohl viel gelitten?...
– Sehr viel,« bestätigte Johann.
Und als ob dieses Zugeständniß ihm wider Willen entschlüpft wäre, setzte er sofort hinzu:
»Ja, viel gelitten... weil ich meinem Vaterlande das noch nicht habe darbringen können, was es von mir zu erwarten ein Recht hat.
– Ein Recht, etwas zu erwarten... wiederholte Fräulein de Vaudreuil, ein Recht, etwas von Ihnen zu erwarten?...
– Ja, von mir, antwortete Johann, wie von allen Canadiern, deren heilige Pflicht es ist, sich zum Opfer zu bringen, um ihrem Lande die Unabhängigkeit wieder zu geben.«
Das junge Mädchen hatte durchschaut, daß sich unter diesem Ausbruche von Patriotismus noch andere Qualen verbargen. Sie hätte seine Schmerzen so gern kennen gelernt, um sie zu theilen, vielleicht zu mildern... Doch was konnte Clary thun, da Johann sich nur auf ausweichende Antworten beschränkte? Immerhin glaubte Clary, ohne die Zurückhaltung, welche ihr die Lage des jungen Mannes auferlegte, aus den Augen zu setzen, noch hinzufügen zu sollen:
»Ich habe die beste Hoffnung, Johann, daß die nationale Sache bald siegen werde!... Diesen Sieg wird sie vor Allem Ihrer Opferfreudigkeit, Ihrem Muthe und dem Feuereifer verdanken, den Sie den Anhängern derselben eingehaucht haben. Dann haben Sie das Recht auf deren Erkenntlichkeit...
– Auf ihre Erkenntlichkeit, Clary de Vaudreuil? antwortete Johann, der mit rascher Bewegung von ihrer Seite weg trat. Nein... Nimmermehr!
– Niemals?... Wenn die französischen Canadier, welche Sie, nur Sie, wieder befreit haben, von Ihnen erwarten, daß Sie an ihrer Spitze bleiben...
– So würde ich das abschlagen.
– Das werden Sie nicht können!...
– Ich würde es abschlagen, sage ich Ihnen!« wiederholte Johann in so bestimmtem Tone, daß Clary nichts mehr darauf zu erwidern wagte. Dann fuhr er mit weicherer Stimme fort:
»Clary de Vaudreuil, wir können die Zukunft nicht voraussehen; ich hoffe jedoch, daß die Ereignisse sich zum Vortheile unserer Sache wenden werden.[181]
Für mich aber wäre es das Beste, ich fiele bei der Vertheidigung derselben auf dem Schlachtfelde...
– Fallen... Sie!... rief das junge Mädchen, dem die schönen Augen feucht wurden. Fallen auf dem Schlachtfelde, Johann!... Und Ihre Freunde?...
– Freunde!... Ich... und Freunde!« stieß Johann hervor.
Seine Haltung und Erscheinung war dabei ganz die eines Unglücklichen, den ein ganzes Leben voll Schmach in den Bann der Menschheit gethan hat.
»Johann, nahm Fräulein de Vaudreuil wieder das Wort, Sie haben einst entsetzlich gelitten und leiden noch immer sehr schwer. Und was Ihre Lage noch schmerzlicher macht, ist, daß Sie sich Niemand anvertrauen können... nein, nicht anvertrauen wollen... Nicht einmal mir, die so gern an Ihren Schmerzen Antheil nähme!... Nun wohl, ich werde zu warten wissen und verlange von Ihnen nichts weiter als das Eine... an meine Freundschaft zu glauben...
– Ihre Freundschaft!«... murmelte Johann.
Er wich dabei einige Schritte zurück, als ob schon seine Freundschaft allein dieses reine junge Mädchen hätte beflecken müssen.
Und doch der einzige Trost, der ihm geholfen hatte, diese schreckliche Existenz zu ertragen, war es nicht der, den ihm die schöne Vertraulichkeit Clarys de Vaudreuil gewährte? Während jenes kurzen Aufenthaltes in der Villa Montcalm hatte er es ja gefühlt, wie die warme Theilnahme, die er ihr einflößte und für sie selbst empfand, sein ganzes Herz erfüllte... Doch nein! Es war unmöglich!... Der Unglückselige!... Wenn Clary jemals erfuhr, wessen Sohn er war, so mußte sie ihn entsetzt von sich stoßen... Ein Morgaz!... Wie er seiner Mutter schon gesagt, wollten sie ja, wenn Joann und er diesen letzten Versuch überlebt, auch verschwinden... Ja! Hatte sie nur erst ihre Pflicht erfüllt, so wollte die unglückliche Familie sich so weit zurückziehen, daß man nie wieder von ihr konnte sprechen hören.
Schweigend und in trauriger Stimmung kamen Clary und Johann nach der Farm zurück.
Gegen vier Uhr entstand vor dem großen Thore lautes Lärmen. Der Planwagen fuhr ein. Schon von fern von den Freudenrufen der Gäste begrüßt, brachte derselbe gleichzeitig mit Herrn de Vaudreuil auch den Meister Nick und seinen jungen Schreiber nach der Farm.[182]
Ah, welcher Empfang ward da dem liebenswürdigen Notar von Montreal – ein Empfang, den er übrigens vollkommen verdiente – zu Theil! Wie schätzte man sich glücklich über seinen Besuch auf der Farm zu Chipogan!
»Herr Nick... guten Tag, Herr Nick! riefen die Aelteren, während die Jüngeren ihn umringten und die Kleinsten ihm an den Beinen hinaufkletterten.
– Ja, liebe Freunde, ich bin's! erwiderte er lächelnd. Ich bin es leibhaftig und kein Anderer! Aber ruhig, ruhig! Es ist doch nicht nöthig, meinen Rock zu zerreißen, um Ihnen das zu beweisen.
– 's ist gut nun, Kinder! rief Catherine.
– Wahrhaftig, fuhr der Notar fort, ich bin entzückt, Sie Alle und ebenso mich bei meinem werthen Kunden, Thomas Harcher, zu sehen.
– Lieber Herr Nick, antwortete der Farmer, wie liebenswürdig von Ihnen, sich so belästigt zu haben!
– O, ich wäre auch noch von weiter her gekommen, wenn's nöthig war, vom Ende der Welt, von der Sonne, den Sternen... ja, ja, Thomas, sogar von den Sternen.
– Eine zu große Ehre für uns, Herr Nick, ließ Catherine sich vernehmen, während sie ihren elf Töchtern ein Zeichen gab, dem Gaste ihre Reverenz zu machen...
– Und für mich das größte Vergnügen!... Ah, wie vortrefflich Sie sich conserviren, Frau Catherine!... Nein, das seh' nur Einer!... Wann werden Sie denn aufhören immer jünger zu werden, wie?...
– Niemals! Niemals! riefen gleichzeitig die vierzehn Stammhalter der Farmerin.
– Ich kann nicht umhin, ich muß Sie umarmen, Frau Catherine, fuhr Meister Nick fort. – Sie erlauben, wendete er sich erst dann an den Farmer, als er die Wangen seiner kräftigen Nachbarin schon herzhaft geküßt hatte.
– So viel es Ihnen Spaß macht, erwiderte Thomas Harcher, und auch noch etwas länger, wenn es Ihnen gefällt.
– Vorwärts, nun bist Du an der Reihe, Lionel, sagte der Notar zu seinem jungen Schreiber. Jetzt umarmst Du Frau Catherine...
– Herzlich gern! versicherte Lionel, der im Austausch auf seinen Kuß gleich deren zwei wiederbekam.
– Und jetzt, nahm Meister Nick wieder das Wort, hoff' ich, daß die Hochzeit der reizenden Rose recht heiter werden wird, der lieblichen Rose, die[183] ich, als sie noch klein war, so oft auf meinen Knien wiegte. – Ja, wo ist sie denn?
– Hier, Herr Nick, meldete sich Rose, blühend vor Gesundheit und froher Hoffnung.
– Ja, reizend, wahrhaftig, wiederholte der Notar, zu reizend, als daß ich sie nicht auf beide Wangen, die ihres Namens so würdig sind, küssen sollte.«
Das führte er denn auch in bester Form aus. Dieses Mal aber wurde Lionel zu dessen großem Leidwesen nicht eingeladen, ihm Folge zu leisten.
»Wo ist der Bräutigam? sagte da Meister Nick. Sollte er es zufällig vergessen haben, daß heute der Tag ist, wo wir den Heiratscontract unterzeichnen wollen?... Wo steckt er denn, der glückliche Bräutigam?
– Hier, hier bin ich, ertönte Bernard Miquelon's Stimme.
– Ah, der hübsche Bursche!... Der liebenswürdige junge Mann! rief Meister Nick. Ich muß ihm auch noch zu guter Letzt einen geben...
– Nach Belieben, Herr Nick, antwortete der junge Mann die Arme öffnend.
– Schön, schön, stichelte Meister Nick, den Kopf einziehend. Ich denke aber doch, Bernard Miquelon würde sich lieber einen Kuß von Rose gefallen lassen als von mir. Auf denn, Rose, umarme Du den zukünftigen Gatten an meiner Stelle – gleich!... nicht geziert!«
Etwas verlegen that Rose, unter dem Beifall der ganzen Familie, was er verlangte.
»Ei, da fällt mir ein, Herr Nick, Sie müssen doch wohl Durst haben, sagte Catherine, und Ihr Schreiber gewiß auch?...
– Großen Durst, meine liebe Catherine.
– Sehr viel Durst, setzte Lionel hinzu.
– Nun, Thomas, was guckst Du uns denn an? Geh' doch nach der Speisekammer. Einen guten Toddy für unseren Herrn Nick, Sapperment! Und einen nicht minder guten für seinen Schreiber. Muß ich denn Alles zehnmal sagen?«
Nein, es genügte schon ein einziges Mal, und der Farmer beeilte sich, begleitet von dreien seiner Töchter, nach der Speisekammer zu laufen.
Inzwischen hatte sich Meister Nick, als er Clarys de Vaudreuil ansichtig wurde, dieser genähert.
»Ah, mein liebes Fräulein, begrüßte er sie, bei meinem letzten Besuche in der Villa Montcalm hatten wir ein Rendez-vous in der Farm zu Chipogan verabredet, und ich schätze mich glücklich...«
Da wurden die Worte des Notars durch einen Ausruf Lionels unterbrochen, der alle Ursache hatte, verwundert zu sein; sah er sich doch plötzlich gegenüber dem jungen Unbekannten, der einige Wochen früher seine dichterischen Versuche so wohlwollend beurtheilt hatte.[184]
»Da... dieser Herr... Herr...« rief er wiederholt.
Von lebhafter Unruhe ergriffen, sahen Herr de Vaudreuil und Clary einander an. Wie kam es, daß Lionel Johann kannte? Und wenn er ihn kannte, wußte er auch, was die Familie Harcher noch nicht wußte, das heißt, daß die[185] Farm Johann ohne Namen, den die Beamten Gilbert Argall's im ganzen Lande suchten, Obdach gab?
»Ja, wahrhaftig, sagte jetzt auch der Notar, der sich nach dem jungen Manne umwandte; ich erkenne Sie wieder, mein Herr!... Sie waren ja unser Gesellschafter bei jener Fahrt, wo ich mit meinem Schreiber den Omnibus benützte – es war gegen Anfang September – um nach der Villa Montcalm zu gehen.
– Gewiß bin ich das, Herr Nick, antwortete Johann, und Sie dürfen glauben, daß ich Sie, ebenso wie unseren jungen Poeten, auf der Farm von Chipogan mit größtem Vergnügen wiederfinde...
– Ah, mit einem jungen Poeten, dessen Gedicht in der Freundes-Lyra durch ehrenvolle Erwähnung ausgezeichnet wurde. Entschieden ist es ein Schoßkind der Musen, den ich die Ehre habe, in meiner Expedition sitzen zu sehen, um Acten zu kritzeln.
– Nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch, junger Freund, sagte Johann. Ich habe Ihre reizenden Schlußworte:
Mit Dir entstehn, Du Wandelflamme,
Mit Dir vergehn, Du irrend Licht!
keineswegs vergessen.
– O, Sie sind zu gütig!« antwortete Lionel sehr stolz wegen der Lobsprüche, die seine noch im Gedächtnisse eines wirklichen Kenners verbliebenen Verse ihm einbrachten.
Mit der Wahrnehmung dieses Austausches von Höflichkeiten fühlten sich Herr und Fräulein de Vaudreuil wegen des jungen Proscribirten völlig beruhigt. Meister Nick erzählte ihnen dann noch, unter welchen Umständen sie sich auf dem Wege von Montreal nach der Insel Jesus getroffen, und Johann wurde ihm wieder als Adoptivsohn der Familie Harcher vorgestellt. Diese gegenseitigen Erklärungen endigten mit den gewohnten Händedrücken.
Inzwischen rief Catherine mit befehlerischem Tone:
»Nur schnell, Thomas!... Schnell!... Ihr werdet auch niemals fertig!... Die beiden Toddys! Willst Du denn Herrn Nick und Herrn Lionel gar vor Durst sterben lassen?...
– Ist schon Alles bereit, Catherine, Alles fix und fertig. Mach' Dir nur keine Sorge!...«
Und auf der Schwelle erscheinend, lud Thomas Harcher den Notar ein, ihm ins Eßzimmer zu folgen.[186]
Wenn Meister Nick sich hierzu nicht bitten ließ, so galt das bezüglich Lionels noch viel weniger.
Im Eßzimmer nahmen sie Einer neben dem Anderen Platz an einem großen Tische mit vielen buntfarbigen Tassen darauf, neben welchen schöne weiße Servietten lagen, und stärkten sich mit dem bewußten Toddy – ein sehr angenehmes Getränk, das aus Wachholder, Zucker und Zimmt besteht und dem gewöhnlich ein appetitlicher Imbiß beigegeben wird. Diese Zulage versprach denn zu erlauben, daß Beide die Essensstunde, ohne Gefahr schwach zu werden, abwarten konnten.
Hierauf beschäftigte sich Jedermann mit den letzten Vorbereitungen zu dem großen Feste des nächsten Tages, von dem in der Farm zu Chipogan gewiß sehr lange gesprochen werden sollte.
Meister Nick ging unablässig von Einem zum Andern. Er hatte ein freundliches Wort für Jeden, während Herr de Vaudreuil, Clary und Johann sich, unter den Bäumen des Gartens lustwandelnd, von ernsten Dingen unterhielten.
Gegen fünf Uhr versammelten sich Alle, Anverwandte und Gäste, im großen Saale zur Unterzeichnung des Heiratscontractes. Selbstverständlich mußte Meister Nick bei dieser wichtigen Feierlichkeit den Vorsitz führen, und es läßt sich gar nicht wiedergeben, mit welcher Würde und tabellionistischen Grazie er sich dieser Aufgabe entledigte.
Bei dieser Gelegenheit wurden dem Brautpaare auch verschiedene Hochzeitsgeschenke dargebracht. Keinen der Brüder und Schwäger und keine der Schwestern und Schwägerinnen gab es, welche nicht für Rose Harcher und Bernard Miquelon einen kleinen Einkauf gemacht hätten. An werthvollen Schmuckgegenständen wie an verschiedenen, für den wirklichen Bedarf nützlichen Geräthen waren so viele vorhanden, wie die jungen Leute zur Einrichtung ihrer Wirthschaft nur irgend gebrauchen konnten. Rose dachte übrigens auch, nachdem sie Frau Miquelon geworden, nicht im Geringsten daran, Chipogan zu verlassen. Bernard und die Kinder, die ihnen doch sicherlich bescheert wurden, bildeten einen Zuwachs an Personal, der auf der Farm Thomas Harcher's wie immer willkommen geheißen wurde.
Wir brauchen nicht zu betonen, daß die kostbarsten Geschenke von Herrn und Fräulein de Vaudreuil herrührten. Da gab es für Bernard Miquelon eine ausgezeichnete Jagdflinte, welche mit der Lieblingswaffe Lederstrumpfs[187] hätte wetteifern können; für Rose einen Halsschmuck, der sie noch reizender erscheinen ließ als sonst. Johann widmete der Schwester seiner wackeren Genossen ein zierliches Köfferchen mit Allem, was zum Nähen, zum Sticken und Stricken nöthig, ausgestattet war, ein Geschenk, welches jeder braven Hausfrau große Freude bereiten muß.
Bei jeder Gabe machten sich die Beifallsäußerungen der Anderen laut und Freudenrufe begleiteten wieder diesen Beifall. Diese verdoppelten sich aber, wie man leicht glauben wird, als Meister Nick mit feierlichster Miene den Verlobten die Trauringe ansteckte, welche er bei dem besten Juwelier in Montreal gekauft, und deren goldener Doppelreif schon ihre Namen eingravirt enthielt.
Hierauf wurde der Contract vorgelesen – mit lauter und verständlicher Stimme, wie es in der Amtssprache der Notare heißt. Eine gewisse Rührung erregte es allgemein, als Meister Nick verkündete, daß Herr de Vaudreuil, aus Freundschaft für seinen Abpächter Thomas Harcher und um dessen vortreffliche Verwaltung der Farm zu belohnen, der Mitgift der Braut die Summe von fünfhundert Piastern hinzugefügt habe.
Fünfhundert Piaster! Und vor einem halben Jahrhundert galt eine Braut, welche eine Mitgift von fünfzig Piastern besaß, schon für eine reiche Partie in ganz Canada.
»Jetzt, liebe Freunde, sagte Meister Nick, verschreiten wir zur Unterzeichnung des Ehecontracts – zuerst die Verlobten selbst, dann Vater und Mutter der Braut, hierauf Herr und Fräulein de Vaudreuil, und dann...
– Dann unterschreiben wir Alle!« erklang es so stürmisch, daß der Notar davon halb taub wurde.
So drängten sich denn auch bald Große und Kleine, Freunde und Verwandte heran, um Jeder seine Unterschrift unter das Actenstück, welches die Zukunft des jungen Ehepaares bestimmte, mit fester Hand zu geben.
Das kostete aber nicht wenig Zeit. Durch die freudige Aufregung im Pachthofe angelockt, traten auch zufällig Vorübergehende mit ein. Auch diese setzten ihre Unterschrift unter den Contract, dem noch Blatt für Blatt angeheftet werden mußte, wenn das so weiter ging. Es war auch kein besonderes Wunder, daß das ganze Dorf und selbst die halbe Grafschaft hier zusammenströmte, denn Thomas Harcher bewirthete ja seine Gäste nach deren Belieben mit den ausgezeichnetsten Getränken in reichlichem Maße, vorzüglich gleich mit ganzen[188] Pinten eines vorzüglichen Whisky, der ebenso hurtig durch canadische Kehlen läuft, wie der St. Lorenzo ins Weltmeer.
Meister Nick fragte sich bald, ob diese Ceremonie denn gar kein Ende nehmen wollte. Und doch machte ihm die Sache Spaß, so daß er für Jeden ein Scherzwort hatte, während Lionel, der die Feder von dem Einen immer den Anderen reichte, die Bemerkung fallen ließ, man werde bald eine andere nehmen müssen, denn sie sei bei der unbegrenzten Reihe von Unterzeichnern nahezu unbrauchbar geworden.
»Nun, ists endlich vorbei? fragte Meister Nick nach einstündiger Mühewaltung.
– Noch nicht, rief Pierre Harcher, der in die Oeffnung des großen Thores getreten war, um zu sehen, ob Niemand mehr auf dem Wege wäre.
– Und wer kommt denn? fragte Meister Nick.
– Eine Anzahl Huronen!
– Lassen Sie die Leute eintreten, gleich, gleich! erwiderte der Notar erfreut. Ihre Unterschriften werden den Verlobten nicht minder zur Ehre gereichen. O, welch' ein Contract, liebe Freunde, welch' ein Contract! Ich habe gewiß schon hunderte in meinem Leben vollziehen lassen, doch keiner hat noch die Namen so vieler wackerer Leute auf seiner letzten Seite aufgewiesen!«
Da wurden die Wilden schon sichtbar und mit lautem Jubel willkommen geheißen. Es wäre übrigens gar nicht nöthig gewesen, sie zum Eintritt in die Farm einzuladen, denn sie kamen dahin schon allein, fünfzig Köpfe stark, Männer und Frauen. Unter denselben erkannte Thomas Harcher auch den Huronen wieder, der erst am vergangenen Tage dagewesen war, um sich zu erkundigen, ob Meister Nick nicht in der Farm von Chipogan verweile.
Warum hatte diese Truppe Huronen aber ihre Ansiedlung im Dorfe Walhatta verlassen? Warum erschienen die Mahogannis jetzt in feierlichem Aufzuge, um dem Notar aus Montreal ihren Besuch abzustatten?
Der Leser wird bald erfahren, daß sie hierfür einen sehr wichtigen Beweggrund hatten.
Die Huronen erschienen – und das thun sie im Frieden nur bei besonders feierlichen Gelegenheiten – in ihrer Kriegertracht und den Kopf mit vielfarbigen Federn geschmückt, die langen, vollen Haare bis auf die Schultern herabhängend, über welche eine Art Mantel aus gestreiftem Wollengewebe geworfen war, den Oberkörper bedeckt mit kurzem Rocke aus Damwildfell, die Füße in[189] Mocassins aus rohem Leder; sie waren Alle mit jenen langen Flinten bewaffnet, welche bei den Indianerstämmen schon seit vielen Jahren an Stelle der Bogen und Pfeile ihrer Vorfahren getreten sind. Die altherkömmliche Streitaxt, der Kriegs-Tomahawk, hing bei Jedem an dem Riemen, den sie um die Taille trugen.
Außerdem – eine Einzelheit, welche noch weiter den Ernst der Veranlassung ihres Zuges nach der Farm von Chipogan erkennen ließ – bedeckte eine noch ganz frische Malerei das Gesicht der Leute. Das Himmelblau, Rauchgrau und der Zinnober hoben ihre Adlernase mit den weiten Nasenlöchern und die kleinen lebhaften Augen, aus deren dunkler Höhle es wie ein Feuerbrand leuchtete, nur noch mehr hervor.
Der Abordnung des Stammes hatten sich auch einige Frauen aus Walhatta – ohne Zweifel die jüngsten und schönsten der Mahogannierinnen – angeschlossen. Diese Squaws trugen ein Leibchen aus gesticktem Stoffe, dessen Aermel die Vorderarme bedeckten, einen Rock in leuchtenden Farben, dazu »Mitasses«, das sind eine Art Schuhstrümpfe aus Caribuleder, die, mit Stacheln und Dornen verziert, bis zu den Füßen herabreichten, während letztere endlich von geschmeidigen Mocassins mit aufgestickten Glasperlen verhüllt waren. Die Füße der Frauen erschienen übrigens so zierlich, daß sich keine Europäerin derselben hätte zu schämen brauchen.
Die Indianer hatten, wenn das überhaupt möglich war, das gewohnte würdige Aussehen heute noch verdoppelt. Sie bewegten sich feierlich bis zur Schwelle des großen Saales, an der Herr und Fräulein de Vaudreuil, der Notar, Thomas und Catherine Harcher standen, während die übrigen Anwesenden den Hof erfüllten.
Da begann Einer, der der Anführer der Truppe zu sein schien, ein hochgewachsener Hurone von etwa fünfzig Jahren, der einen Mantel wie sie die Indianer selbst anfertigen, in der Hand trug, mit ernster Stimme eine Anrede, zunächst an den Farmer:
»Ist Nicolas Sagamore jetzt auf der Farm?
– Ja, der ist hier, antwortete Thomas Harcher.
– Und ich füge hinzu, daß er hier zur Stelle ist!« rief der Notar höchst verwundert, daß dieser Besuch allem Anscheine nach seiner Person gelten sollte.
Der Hurone trat zu ihm heran, erhob stolz den Kopf und sagte mit noch feierlicherer Stimme:[190]
»Der Häuptling unseres Stammes ist von dem großen Wacondah, dem Mitsimanitu unserer Väter, abgerufen worden. Fünf Monate sind bereits vergangen, seit er die seligen Jagdgefilde durchstreift. Sein unmittelbarer Blutserbe ist Nicolas, der Letzte der Sagamores. Ihm kommt es fürder zu, den Friedens-Tomahawk zu begraben oder die Kriegsaxt ausgraben zu lassen!«
Ein tiefes Stillschweigen der Verwunderung empfing diese so unerwartete Erklärung. Im Lande wußte man es sehr wohl, daß Meister Nick von Huronenursprung war, daß er von den großen Häuptlingen der Mahogannis abstammte; Niemand aber hätte je daran gedacht – er selbst noch weniger als jeder Andere – daß er in Folge einer Erbordnung berufen werden sollte, an die Spitze einer indianischen Völkerschaft zu treten.
Nach minutenlanger Pause, welche Niemand zu unterbrechen wagte, nahm der Hurone wieder das Wort:
»Zu welcher Zeit würde mein Bruder nun kommen, sich zum Feuer des großen Rathes seines Stammes zu setzen, angethan mit dem üblichen Mantel seiner Vorfahren?«
Der Wortführer der Abordnung hielt es gar nicht für zweifelhaft, daß der Notar von Montreal dieser Aufforderung Folge geben werde, und so hielt er ihm schon den Mahoganni-Mantel entgegen.
Und da der seiner Sprache fast beraubte Meister Nick sich noch immer nicht anschickte, eine Antwort zu geben, ertönte plötzlich ein Ruf, dem sich Andere sofort anschlossen:
»Hoch! hoch! Unsere Ehrerbietung für Nicolas Sagamore!«
Lionel war es, der in seiner Begeisterung jenen ersten Ruf ausgestoßen hatte. Wenn er stolz war auf das große Glück, das seinem Brotherrn widerfuhr, so dachte er gleichzeitig, daß ein Widerschein von diesem Glanze auch auf die Angestellten seines Bureaus und vor Allem auf ihn selbst zurückfallen müsse, und jubelte er schon bei dem Gedanken, später an der Seite des großen Häuptlings der Mahogannis dahinzuwandern – so brauchen wir den Leser hiermit wohl nicht aufzuhalten.
Herr und Fräulein de Vaudreuil konnten sich indeß des Lächelns nicht erwehren, als sie das verblüffte Gesicht des Meister Nick sahen. Der arme Mann! Während der Farmer, seine Frau und seine Kinder, ebenso wie dessen Freunde, ihm ihre Glückwünsche darbrachten, wußte er nicht im Geringsten, was er beginnen sollte.[191]
Da wiederholte der Indianer seine Frage so, daß eine ausweichende Antwort nicht gut möglich war.
»Stimmt Nicolas Sagamore zu, seinen Brüdern nach dem Wigwam von Walhatta zu folgen?«
Noch immer stand Meister Nick mit weit offenem Munde da. Wohl selbstverständlich würde er nimmermehr zugestimmt haben, seine bisherige Thätigkeit aufzugeben, um dafür einen Huronenstamm zu regieren; andererseits aber wollte er die Indianer seiner Race, die ihn, gemäß dem Rechte der Erbfolge, zu einem solchen Ehrenposten beriefen, doch auch nicht gern verletzen.
»Mahogannis, begann er endlich, ich erwartete so etwas nicht... Ich bin wirklich unwürdig dieser Ehre... Ihr begreift... meine Freunde... ich befinde mich hier doch nur in der Eigenschaft eines Notars!...«
Er stammelte, er rang nach Worten und fand doch keine bündige Antwort.
Thomas Harcher kam ihm zu Hilfe.
»Huronen, sagte er, Meister Nick ist eben Meister Nick, mindestens bis die Hochzeitsfeierlichkeit vorüber ist. Nachher, wenn es ihm gefällt, mag er die Farm von Chipogan verlassen und wird er erfreut sein, mit seinen Brüdern nach Walhatta zurückzukehren.
– Ja, ja, nach der Hochzeit!« rief die ganze Gesellschaft, welche sich ihren Notar nicht rauben lassen wollte.
Der Hurone bewegte langsam den Kopf, und nach dem er sich über die unter der Abordnung herrschende Stimmung unterrichtet zu haben glaubte, sagte er:
»Mein Bruder kann nicht zögern; das Blut der Mahogannis rollt in seinen Adern und legt ihm Rechte und Pflichten auf, denen er sich nicht wird entziehen wollen...
– Rechte!... Rechte!... Ja, murmelte Meister Nick; aber Pflichten...
– Nimmt er an? fragte der Hurone.
– Ob er annimmt!... rief Lionel, das will ich glauben! Und um seinen Gefühlen Ausdruck zu geben, muß er sofort den Königsmantel der Sagamores anlegen!....
– Ob der unverschämte Bengel wohl einmal schweigen wird!« grollte Meister Nick zwischen den Zähnen.
Gern hätte der friedliebende Notar dem ungestümen Enthusiasmus seines Schreibers mit einer Backpfeife einen Dämpfer aufgesetzt.[192]
Herr de Vaudreuil sah wohl ein, daß Meister Nick zunächst nur Zeit zu gewinnen wünschte.
So trat er an den Indianer heran und erklärte diesem, daß der Abkömmling der Sagamores gewiß nicht daran denke, sich den Pflichten, die seine Geburt ihm auferlegte, zu entziehen. Einige Tage, vielleicht einige Wochen, wären aber doch nöthig, damit er seine Angelegenheiten in Montreal regeln könne. Es schien also angezeigt, ihm einige Zeit zu gönnen, um seine Geschäfte in Ruhe abzuwickeln.
»Das ist weise, antwortete der Indianer, und da mein Bruder annimmt, so empfange er als Ehrenzeichen seiner Würde den Tomahawk des großen Häuptlings, der von Wacondah abgerufen wurde, in den glücklichen Gründen zu jagen – und diesen stecke er in seinen Gürtel!«
Meister Nick mußte wohl oder übel die Lieblingswaffe der Indianer annehmen, und da er keinen Gürtel hatte, legte er dieselbe in seiner Verwirrung jämmerlich auf die Schulter.
Die Abordnung ließ darauf das »Hugh« ertönen, das den Wäldern des Fernen Westen eigenthümlich und eine Art Beifallsruf der Indianersprache ist.
Was Lionel betrifft, so konnte er sich vor Freude kaum halten, obwohl sein Herr ganz besonders verlegen schien gegenüber einer Nothlage, die in der ganzen Collegenschaft der canadischen Notare das tollste Lachen hervorrufen mußte. Bei seiner poetisch veranlagten Natur sah er schon ihm Voraus, daß es ihm nun zufallen würde, die Großthaten der Mahogannis zu feiern, den Kriegsgesang der Sagamores in elegische Verse umzugießen – doch immer mit der Angst, daß er auf das Wort Tomahawk keinen Reim finden könnte.
Die Huronen wollten sich schon zurückziehen unter dem Bedauern, daß Meister Nick durch seine Obliegenheiten verhindert sei, die Farm zu verlassen, um ihnen zu folgen, als Catherine einen Einfall hatte, für den ihr der Notar keinen Dank wußte.
»Mahogannis, sagte sie, ein Hochzeitsfest ist es, das uns heute in der Farm von Chipogan vereinigt. Wollt Ihr in Gesellschaft Eures neuen Häuptlings mit dabei bleiben? Wir bieten Euch Gastfreundschaft, und morgen nehmt Ihr theil an dem Schmause, bei dem Nicolas Sagamore den Ehrenplatz einnehmen wird!«
Ein donnernder Beifall brach los, als Catherine diesen verbindlichen Vorschlag gemacht, und dieser dauerte nur noch länger an, als die Mahogannis[195] jene Einladung angenommen hatten, die in so freundlicher Weise an sie gerichtet worden war.
Thomas Harcher hatte nun die Tafel auf fünfzig Gedecke mehr einzurichten, was ihn nicht besonders in Verlegenheit setzte, denn der Saal war groß und mehr als ausreichend für diesen Zuwachs an Tischgästen.
Meister Nick mußte sich zunächst ergeben, da er doch nichts Anderes machen konnte, und er empfing den Bruderkuß der Krieger seines Stammes, die er lieber zum Teufel gewünscht hätte.
Im Laufe des Abends tanzten die jungen Leute und gaben sich diesem Vergnügen, mit allen Beinen«, wie man in Canada sagte, hin, vorzüglich bei den französischen Rundtänzen, welche ein Liedchen mit dem Refrain:
Tanzen wir im Kreise –
Lustig unsere Weise
Tanzen wir im Kreise!
begleitete, doch auch bei dem raschen Schottisch, dessen Name sein Ursprungsland verräth und der zu Anfang dieses Jahrhunderts so allgemein beliebt war.
So ging der zweite Festtag in der Farm zu Chipogan zu Ende.
Buchempfehlung
Karls gealterte Jugendfreundin Helene, die zwischenzeitlich steinreich verwitwet ist, schreibt ihm vom Tod des gemeinsamen Jugendfreundes Velten. Sie treffen sich und erinnern sich - auf auf Veltens Sterbebett sitzend - lange vergangener Tage.
150 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro