[330] Der Abbé Joann verließ das Zimmer des Majors Sinclair gefaßter, als er es betreten hatte. Der Donnerschlag der so nahe bevorstehenden Hinrichtung vermochte ihn nicht zu erschüttern. Gott hatte ihm eben einen Gedanken gegeben – dieser Gedanke mußte zu gutem Ende führen.
Johann wußte noch nicht, daß jener Befehl in dieser Minute von Montreal eingetroffen war, und Joann fiel die schmerzliche Aufgabe zu, ihn davon zu unterrichten.
Doch nein, das wollte er nicht. Er wollte ihm verhehlen, daß der schreckliche Urtheilsspruch binnen zwei Stunden vollzogen werden sollte. Johann durfte davon nichts erfahren, wenn Joann auf das Gelingen seiner Pläne rechnen sollte.
An eine von langer Hand vorbereitete Flucht war offenbar ebensowenig zu denken, wie an einen Angriff gegen das Fort Frontenac. Der Verurtheilte konnte dem drohenden Tode nur durch sofortige Flucht entgehen. Befand er sich nach Verlauf von zwei Stunden noch in seiner Zelle, so würde er diese nur verlassen, um mitten in der Nacht am Fuße der Palissade durch die Kugeln zu fallen.
Wenn der Bruder des Abbé Joann des Letzteren Plan zustimmte, erschien dieser recht wohl durchführbar, und jedenfalls bot er das letzte Mittel, auf welches man unter den gegebenen Umständen zurückkommen konnte. Allerdings durfte Johann nichts davon wissen, daß der Major Sinclair eben den Befehl erhalten hatte, die Hinrichtung vollziehen zu lassen.[330]
Von dem Sergeanten geleitet, stieg der Abbé Joann die Treppe wieder hinab. Die Zelle des Gefangenen lag an einer Ecke des Erdgeschosses in demselben Blockhause und am Ende eines Verbindungsganges, der längs des Hofes hinlief. Diesen finsteren Corridor mit seiner Fackel erleuchtend, hielt der Sergeant da vor einer niedrigen, von außen mit zwei Riegeln verschlossenen Thür an.
Als der Soldat diese öffnen wollte, trat er erst noch an den jungen Priester heran und sagte zu diesem mit gedämpfter Stimme:
»Sie wissen, daß ich Sie aus dem Fort zu führen habe, wenn Sie den Gefangenen wieder verlassen?
– Das weiß ich, antwortete der Abbé Joann. Warten Sie in diesem Gange und ich werde nach Ihnen rufen.«
Die Thür der Zelle öffnete sich.
Im Innern derselben und völlig im Dunklen, lag Johann auf einer Art Feldbett und schlief; er erwachte auch noch nicht von dem Geräusche, welches der Sergeant verursachte.
Dieser wollte ihn schon an der Schulter schütteln, als der Abbé Joann ihn mit einem Wink bat, davon abzulassen.
Der Sergeant befestigte die Fackel auf einem Tischchen, ging hinaus und schloß hinter sich leise die Thür.
Die beiden Brüder waren allein, der eine schlummernd, der andere auf den Knien liegend und betend.
Dann erhob sich Joann, betrachtete noch zum letzten Male dieses sein Ebenbild, dessen Leben ebensogut wie das seinige das Verbrechen des eigenen Vaters zu einer Kette von Elend und Trauer gemacht hatte.
Dann murmelte er die Worte.
»Herr, Herr mein Gott, steh' mir bei!«
Die Zeit war ihm viel zu knapp zugemessen, um sie, und wäre es nur wenige Minuten, vergeuden zu dürfen. So legte er die Hand auf die Schulter Johanns. Dieser erwachte, öffnete die Augen, richtete sich auf und rief, als er seinen Bruder erkannte:
»Du, Joann!...
– Leiser, Johann, sprich leiser! antwortete Joann; man könnte uns hören!«
Mit der Hand machte er ihm gleichzeitig ein Zeichen, daß die Thür von außen überwacht werde.[331]
Abwechselnd näherten und entfernten sich im Vorgange die Schritte des Sergeanten.
Halb mit großer Wollendecke bekleidet, die ihn nur sehr nothdürftig gegen die Kälte schützte, erhob sich Johann jetzt geräuschlos.
Die beiden Brüder lagen in langer Umarmung.
Dann sagte Johann:
»Unsere Mutter?
– Ist nicht mehr im geschlossenen Hause!
– Sie ist nicht mehr da?...
– Nein!
– Und Herr de Vaudreuil nebst seiner Tochter, denen unser Haus Obdach geboten hatte?
– Das Haus stand völlig leer, als ich zum letzten Male nach St. Charles kam!
– Wann war das?
– Vor acht Tagen.
– Und seitdem weißt Du nichts von unserer Mutter, von unseren Freunden?
– Gar nichts!«
Was mochte denn geschehen sein? Hatte eine wiederholte Haussuchung doch zur Verhaftung Bridgets, des Herrn de Vaudreuil und seiner Tochter geführt? Oder hatte Clary, welche ihren Vater vielleicht nicht einen Tag länger unter dem Dache der Familie Morgaz lassen wollte, diesen trotz seiner Schwäche, trotz der Gefahren, die sie bedrohten, veranlaßt, von dort wegzugehen? War Bridget wohl auch selbst aus St. Charles entflohen, wo die Schande, die auf ihrem Namen lastete, jetzt bekannt geworden war?
Alles das ging Johann gleich einem Blitze durch den Kopf, und er wollte den Abbé Joann schon von den Vorfällen erzählen, die sich gelegentlich seines letzten Besuches im geschlossenen Hause zugetragen hatten, als dieser sich an sein Ohr neigend sagte:
»Höre mich an, Johann. Nicht als Bruder bin ich hier bei Dir, sondern nur als Priester, der seines Amtes bei einem Verurtheilten walten will. Nur unter dieser Bedingung hat mir der Commandant des Forts Zutritt in Deine Zelle gestattet. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren... Du mußt auf der Stelle fliehen!...[332]
– Auf der Stelle, Joann? Aber wie?
– Du legst meine Kleidung an und gehst in der Priestertracht hinaus. Wir sind einander ähnlich genug, als daß Jemand diese Verwechslung bemerken könnte. Uebrigens ist es ja Nacht, und Du wirst beim Ueberschreiten des Ganges und des innern Hofes schwerlich von einer Fackel so deutlich beleuchtet werden. Verbirgst Du das Gesicht ein wenig unter diesem Hute, so ist es unmöglich, daß Dich Jemand erkennt. Wenn wir die Kleidung gewechselt haben, halte ich mich ein wenig im Hintergrunde der Zelle und rufe nach dem Sergeanten. Dieser wird, wie verabredet, öffnen. Er hat Befehl, mich nach dem Ausfallsthore zu begleiten... Nun führt er eben Dich dorthin...
– Joann, erwiderte der Gefangene, hast Du wirklich glauben können, daß ich ein solches Opfer Deinerseits annehmen würde?
– Du mußt, Johann! Deine Anwesenheit bei den Patrioten ist jetzt mehr als je von Nöthen.
– Haben sie denn nach der erlittenen schweren Niederlage noch nicht an dem Erfolge unserer nationalen Sache verzweifelt?
– Nein! Sie sammeln sich eben am Niagara, auf der Insel Navy, und rüsten sich, den Kampf von neuem zu beginnen.
– So mögen sie es ohne mich thun, lieber Bruder! Der Erfolg unserer Sache hängt nicht von einem einzelnen Manne ab!... Ich werde Dich nicht das Leben daran wagen lassen, um das meinige zu retten!
– Ist's denn nicht meine Pflicht, Johann?... Du kennst doch unser Ziel?... Haben wir das schon erreicht?... Nein! Wir haben noch nicht einmal sterben können, um den Schaden wieder gut zu machen, den...«
Die Worte Joanns gingen seinem Bruder tief zu Herzen, er ergab sich aber deshalb noch nicht.
Joann fuhr fort:
»Bitte, höre auf mich!... Sieh, Du fürchtest für mich, Johann; doch, was habe ich eigentlich zu fürchten? Was kann mir geschehen, wenn man mich morgen in dieser Zelle findet? Nichts!... Es wäre dann etwa nur ein armer Priester an Stelle eines Verurtheilten hier, und was könnte man diesem anhaben, als daß man ihn laufen ließe?...
– Nein!... Nein!... erklärte Johann, der ebenso gegen sich selbst, wie gegen die Bitten seines Bruders ankämpfte.[333]
– Genug der Worte! sagte Joann. Du mußt fort von hier, und wirst also gehen! Thue Deine Pflicht, wie ich die meinige gethan! Nur Du allein bist volksthümlich genug, um einen allgemeinen Aufstand zum Ausbruch zu bringen...
– Und wenn man Dich für die Mithilfe zu meiner Flucht verantwortlich machen will?
– Man kann und wird mich nicht ohne Untersuchung verurtheilen, antwortete Joann, nicht ohne directen Befehl von Quebec, und da gehen immer noch einige Tage darüber hin!
– Einige Tage, Bruder?
– Gewiß, und Du gewinnst indessen die Zeit, Deine Waffengefährten auf der Insel Navy aufzusuchen und diese nach dem Fort Frontenac zu führen, um mich zu befreien...
– Es sind gut zwanzig Meilen vom Fort Frontenac bis nach der Insel Navy, Joann! Die Zeit wird mir mangeln...
– Du weigerst Dich also, Johann? Nun wohl, bis jetzt hab' ich gebeten... jetzt muß ich befehlen! Es ist nicht mehr der Bruder, der zu Dir spricht, sondern der Diener unseres Gottes! Wenn Du sterben mußt, so geschehe es im Kampfe für unsere gute Sache – sonst hast Du nichts erfüllt von der Lebensaufgabe, die Dir zufiel. Schlägst Du es dennoch ab, nun zu gehorchen, so werd' ich auch mich zu erkennen geben, und der Abbé Joann wird an der Seite Johanns ohne Namen unter den Kugeln fallen!
– Bruder!
– Geh', Johann!... Geh' fort von hier, ich will es!... Unsere Mutter will es!... Unser Vaterland verlangt es!«
Besiegt von den herzenswarmen Worten Joanns blieb Johann nichts Anderes übrig als zu gehorchen. Die Möglichkeit, binnen zwei Tagen mit einigen Hundert Patrioten im Fort Frontenac zurück zu sein, überwand auch seine letzten Bedenken.
»Ich bin bereit!« sagte er.
Der Austausch der Kleider ging schnell von statten. Unter der Priestertracht Joanns war es schwierig zu erkennen, daß jetzt sein Bruder dessen Stelle einnahm.
Darauf unterhielten sich Beide noch einige Augenblicke über die politische Lage und über die Stimmung im Lande seit den letzten Ereignissen. Endlich sagte der Abbé Joann:[334]
»Jetzt werd' ich den Sergeanten herbeirufen. Wenn er die Thür der Zelle geöffnet hat, trittst Du hinaus und wirst ihm ganz einfach längs des Ganges, den er mit seiner Fackel beleuchtet, folgen. Einmal aus dem Blockhause, hast Du nur noch den inneren Hof zu durchschreiten... eine Strecke von etwa fünfzig Schritten. Du kommst da an einem Wachposten zur Rechten an der Palissade vorüber... da wende den Kopf ein wenig seitwärts; dann stehst Du gleich am Thore. Außerhalb desselben gehe längs des Flusses hin, bis Du in der Entfernung einer halben Meile den Saum eines Waldes erreichst. Dort wirst Du Lionel finden...
– Lionel?... Den jungen Schreiber?...
– Ja, er hat mich begleitet und wird Dich bis zur Insel Navy begleiten. Nun, komm noch ein letztes Mal in meine Arme!
– Bruder! Liebster Bruder!« murmelte Johann, der sich Joann aus Herz warf.
Der Augenblick der Trennung war da; Joann rief mit lauter Stimme und zog sich nach dem Hintergrunde der Zelle zurück.
Der Sergeant öffnete die Thür und wendete sich an Johann, dessen Kopf unter dem breitkrämpigen Hute des Geistlichen fast verschwand.
»Sind Sie bereit?« fragte er.
Johann antwortete nur durch ein bejahendes Zeichen.
»So kommen Sie!«
Der Sergeant ergriff die Fackel, ließ Johann hinaustreten und verriegelte die Thür der Zelle.
In welcher Angst verbrachte Joann die nächstfolgenden Minuten! Was würde geschehen, wenn sich der Major Sinclair zufällig in dem Gange befand, während Johann diesen durchschritt, wenn er ihn aufhielt, ihn über den Zustand des Gefangenen ausfragte? Wurde die Unterschiebung entdeckt, so führte man den Gefangenen gewiß unverzüglich zum Tode. Ebenso konnten die Vorbereitungen zur Hinrichtung schon getroffen sein und die Mannschaft des Forts bereits die Befehle des Commandanten erhalten haben, so daß der Sergeant, in der Meinung, einen Priester vor sich zu haben, ihm davon auf dem Rückweg über den Hof zu sprechen anfing. Hörte Johann aber, daß die Execution so unmittelbar bevorstand, so würde dieser nach der Zelle zurückkehren wollen, da er sicherlich nie zugestimmt hätte, seinen Bruder an seiner Statt sterben zu lassen. Der Abbé Joann lauschte mit an die Thür gelegtem Ohre, und doch verhinderte ihn fast das laute Klopfen seines Herzens, von einem Geräusche draußen etwas zu vernehmen.[335]
Endlich drangen von weither unbestimmte Laute bis zu ihm. Mit heißem Danke gegen Gott sank Joann in die Knie.
Das Ausfallsthor war wieder geschlossen worden
»Frei!« murmelte Joann.
In der That war Johann nicht erkannt worden. Mit der Fackel in der Hand ihm vorausgehend, hatte der Sergeant ihn, ohne ein Wort zu sprechen, über den innern Hof bis zum Thore des Forts geführt. Officiere und Soldaten wußten noch nicht, daß die Hinrichtung in einer Stunde stattfinden sollte. Bei dem Wachposten angelangt, wo auch nur spärliches Licht brannte, hatte er den Kopf abgewendet, wie sein Bruder ihm empfohlen. Erst in dem Augenblick, wo er durch das Thor gehen wollte, hatte der Sergeant ihn gefragt:
»Werden Sie wiederkommen, dem Verurtheilten Ihren Beistand zu gewähren?...
– Ja!« hatte Johann durch Nicken mit dem Kopfe geantwortet.
Einen Moment darauf hatte er das Thor hinter sich.
Nichtsdestoweniger entfernte sich Johann nur langsamen Schrittes von dem Fort Frontenac, als ob noch eine Fessel ihn mit seinem Gefängnisse verknüpfte – eine Fessel, die er nicht zu brechen wagte. Er machte sich Vorwürfe, den Bitten seines Bruders nachgegeben zu haben und an seiner Stelle fortgegangen zu sein. Alle Gefahren mit dieser Verwechslung traten ihm jetzt mit der erschreckendsten Deutlichkeit vor Augen. Er sagte sich, daß man wenige Stunden später, wenn es wieder Tag geworden, in die Zelle kom men und seine Entweichung entdecken werde; dann war sein Bruder Joann den rohesten Mißhandlungen ausgesetzt, wenn er für seine heldenmüthige Aufopferung nicht vielleicht gar mit dem Tode büßen mußte.
Bei diesem Gedanken fühlte sich Johann fast gedrängt, umzukehren. Doch nein! Er mußte ja eiligst bei den Patrioten auf der Insel Navy eintreffen und die aufständische Bewegung damit eröffnen, daß er sich auf das Fort Frontenac warf, um seinen Bruder zu befreien. Da galt es also keinen Augenblick zu verlieren.
Johann ging in schräger Richtung über das Uferland, und dann noch am Fuße der Palissadenumwallung am See nach dem Walde zu, wo Lionel ihn erwarten sollte.
Das Schneegestöber wüthete noch ungeschwächt weiter. Die Eisschollen am Ufer des Ontario krachten gegeneinander wie die Eisberge eines arktischen[336] Meeres. In dichten Wirbeln jagte der Schnee dahin, so daß er das Sehen fast zur Unmöglichkeit machte.
Durch die Flockenhausen, die jeder Windstoß vor sich hertrieb, fast begraben, und unsicher darüber, ob er sich auf der erstarrten Fläche des Sees oder noch auf dem Uferlande befinde, sachte Johann sich zu orientiren, indem er geraden Wegs auf den Wald zuging, von dem er bei der herrschenden Finsterniß kaum etwas wahrnehmen konnte. Nachdem er fast eine halbe Stunde gebraucht, um eine halbe Meile zurück zulegen, gelangte er dorthin.
Offenbar hatte Lionel seine Annäherung nicht bemerken können, denn sonst wäre ihm dieser sicher entgegengegangen.
Johann schlüpfte unter die Bäume mit größter Unruhe, den jungen Schreiber an dem verabredeten Orte[337] nicht aufzufinden, und wollte dessen Namen nicht rufen, um sich keiner Gefahr auszusetzen, im Falle er von einem verspätet heimkehrenden Fischer gehört würde.
Da erinnerte er sich der beiden letzten Zeilen aus der Ballade des jungen Dichters, derselben, welche er auf der Farm von Chipogan recitirt hatte! Und etwas weiter in den Wald eindringend, wiederholte er mit halblauter Stimme:
Mit Dir entstehn, Du Wandelflamme,
Mit Dir vergehn, Du irrend Licht!
Sofort tauchte Lionel aus einem Dickicht in der Nähe auf und lief auf ihn zu mit den Worten:
»Sie, Herr Johann... Sie?
– Ja, Lionel.
– Und der Abbé Joann?...
– In meiner Zelle! – Doch jetzt schnell, nach der Insel Navy! Binnen achtundvierzig Stunden müssen wir mit unseren Genossen im Fort Frontenac zurück sein!«
Johann und Lionel traten eiligst wieder aus dem Walde heraus und schlugen eine Richtung nach Süden ein, um am Ufer des Ontario bis zu den Gebieten des Niagara hinunter zu gehen.
Das war der kürzeste und gleichzeitig derjenige Weg, welcher die geringsten Gefahren bot. Schon fünf Meilen von hier mußten sie, nach Ueberschreitung der amerikanischen Grenze, gegen jede Verfolgung gesichert sein und konnten die Insel Navy dann unaufgehalten erreichen.
Um dieser Richtung zu folgen, sahen sich Johann und Lionel freilich genöthigt, noch einmal am Fort vorüberzugehen. In dieser schrecklichen Nacht und inmitten des ungestümen Schneegestöbers liefen sie indeß wenig Gefahr, von einem Wachthabenden bemerkt zu werden, selbst wenn Beide zusammen das schmale Uferland überschritten. Wäre die Fläche des Ontario nicht durch jene Anhäufung von Eismassen an seinen Ufern unzugänglich und der See schiffbar gewesen, so hätte es sich gewiß empfohlen, einen Fischer aufzusuchen, der die Flüchtlinge dann schnell bis zur Einmündung des Niagara hätte bringen können. Doch daran war jetzt nicht zu denken.[338]
Johann und Lionel gingen so eilig dahin, wie es der heulende Sturm irgend zuließ. Sie befanden sich nur noch in geringer Entfernung vom Fort, als das scharfe Knattern einer Gewehrsalve die Luft zerriß.
Eine Täuschung war nicht möglich; das war ein Pelotonfeuer im Innern der Umplankung.
»Joann!«... stieß Johann hervor.
Als wäre er selbst von den Kugeln der Soldaten im Fort Frontenac getroffen gewesen, stürzte er zusammen.
Joann war für seinen Bruder, für sein Vaterland gestorben.
Kaum eine halbe Stunde nach dem Weggange Johanns hatte der Major Sinclair Befehl zur Vollziehung der Hinrichtung gegeben, wie das die von Quebec eingetroffenen Anordnungen verlangten.
Joann war aus der Zelle und nach dem Hofe geschleppt worden, wo er den Tod finden sollte.
Der Major hatte dem Gefangenen das Urtheil vorgelesen.
Joann gab darauf keine Antwort.
In diesem Augenblicke hätte er ja rufen können:
»Ich bin gar nicht Johann ohne Namen!... Ich bin der Priester, der an seine Stelle getreten ist, um Jenen zu retten!«
Der Major wäre damit gezwungen gewesen, die Execution aufzuschieben und neue Verhaltungsmaßregeln vom General-Gouverneur einzuholen.
Johann mußte indeß noch zu sehr in der Nähe des Fort Frontenac sein. Die Soldaten wären zu seiner Verfolgung entsendet worden und hätten ihn ohne Zweifel auch gefunden. Dann wurde dieser doch erschossen – Johann ohne Namen durfte aber nicht anders als auf dem Schlachtfelde sterben!
Joann schwieg, er lehnte sich ein wenig an die Wand und mit den Worten : »Mutter!... Bruder!... Vaterland!« stürzte er von vielen Kugeln durchbohrt zusammen.
Die Soldaten hatten ihn lebend nicht erkannt und erkannten ihn auch jetzt im Tode nicht. In einem außerhalb der Umplankung ausgehobenen Grabe wurde er sofort verscharrt. Die Regierung mußte annehmen, mit ihm den gefährlichsten Helden der Unabhängigkeitsbestrebungen unschädlich gemacht zu haben. Das war das erste Opfer dieser Sühne für das Verbrechen eines Simon Morgaz![339]
Buchempfehlung
Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro