[42] In wenigen Minuten hatte sich die vom Schäfer verkündete Neuigkeit im ganzen Dorfe verbreitet. Meister Koltz, der das kostbare Fernrohr in der Hand trug, war eben in sein Haus zurückgekehrt und ihm folgten Nic Deck und Miriota. Jetzt befanden sich auf der Terasse Frik und etwa zwanzig Personen, Männer, Frauen, Kinder, denen sich einige Zigeuner angeschlossen hatten, die sich nicht weniger erregt zeigten, als die übrigen Bewohner des Dorfes. Die Leute umringten Frik, bestürmten ihn mit allerlei Fragen, und der Schäfer antwortete darauf mit der stolzen Herablassung eines Mannes, der Augenzeuge eines ganz außerordentlichen Ereignisses gewesen ist.
»Ja, ja, wiederholte er, die Burg raucht, raucht noch und wird weiter rauchen, so lange davon noch ein Stein auf dem andern steht.
– Wer kann das Feuer aber angezündet haben? fragte eine alte Frau, die Hände zusammenschlagend.
– Der Chort, versicherte Frik, der hier dem Teufel den landesüblichen Namen gab; der Böse versteht sich ja besser darauf Feuer anzuzünden, als es zu löschen!«[42]
Auf diese Erklärung hin suchte Jedermann den Rauch an der Spitze des Wartthurms zu entdecken. Schließlich bestätigten die Meisten, daß sie diesen ganz deutlich gesehen hätten, obgleich er bei der weiten Entfernung unbedingt nicht wahrzunehmen war.
Die Wirkung dieser merkwürdigen Erscheinung überstieg Alles, was man sich nur denken konnte. Wir müssen hierbei noch ein wenig verweilen. Der Leser versuche gefälligst, sich in die Geistesverfassung zu versetzen, wie sie sich bei den Bewohnern von Werst vorfindet, dann wird er nicht mehr über das erstaunen, was im weiteren Verlaufe dieser Erzählung berichtet wird. Er soll selbstverständlich nicht an Uebernatürliches glauben lernen, sich aber daran erinnern, daß die hiesige unwissende Bevölkerung daran glaubte. An das Mißtrauen, mit dem das Karpathenschloß bisher betrachtet worden war, so lange es noch als gänzlich verlassen galt, knüpfte sich nun, da es bewohnt und – großer Gott! – von welcher Art Wesen bewohnt war, noch der blasse Schrecken.
In Werst gab es einen Versammlungsort, den durstige Seelen gern aufsuchten, wo jedoch auch Andere, die gar nichts tranken, nach gethanem Tagewerk gern ein Weilchen von ihren Angelegenheiten plauderten. Die Letztgenannten waren natürlich in geringerer Zahl vertreten. Dieses Allen offenstehende Local war der Haupt- oder richtiger, der einzige Gasthof des Dorfes.
Als Eigenthümer bewirthschaftete denselben ein Jude, Namens Jonas, ein wackerer Mann von etwa sechzig Jahren, mit freundlichem Gesicht, das aber an den schwarzen Augen, der Adlernase, den vorstehenden Lippen, den schlichten Haaren und dem hergebrachten Spitzbart auf den ersten Blick den Semiten erkennen ließ. Unterwürfig und gefällig, lieh er an Diesen und Jenen willig kleinere Summen aus, ohne dafür Wucherzinsen zu nehmen, wenn er auch etwas streng darauf sah, zum festgesetzten Termine sein Geld von dem Entleiher zurückzubekommen. Gebe der Himmel, daß die im transsylvanischen Lande ansässigen Juden alle so ehrenhaft und wohlwollend wären, wie der Gastwirth zu Werst!
Leider bildet dieser vortreffliche Jonas eine Ausnahme. Seine Glaubensgenossen und seine Geschäftscollegen – denn diese sind alle Gast- und Schankwirthe, die Getränke und Specereien verkaufen – betreiben das Nebengeschäft als Geldverleiher mit einer, für die Zukunft des rumänischen Bauers beunruhigenden Härte, so daß man gewiß noch Grund und Boden aus den Händen der[43] Einheimischen in die der eingewanderten Rasse wird übergehen sehen. Da sie ihre gemachten Vorschüsse so gut wie niemals zurückerhalten, werden die Juden eben zu Eigenthümern der Schänken oder der von Hypotheken erstickten Culturen, und wenn das gelobte Land nicht mehr Judäa ist, so kann es eines Tages wohl auf den Landkarten von Siebenbürgen verzeichnet stehen.
Der Gasthof zum »König Mathias« – so nennt sich das Haus – nahm auch eine Ecke der die Dorfstraße von Werst durchschneidenden Terrasse, dem Hause des Biró gegenüber ein. Es war ein altes, halb hölzernes, halb steinernes Bauwerk, das an vielen Stellen ausgeflickt, aber von reichem Grün überzogen und im Ganzen recht anheimelnd anzusehen war. Es bestand aus einem Erdgeschoß mit einer nach der Terrasse führenden Glasthür. Im Innern gelangte man erst in einen geräumigen Saal, der mit Tischen für die Gläser und mit Schemeln für die Gäste versehen war, außerdem einen Schanktisch aus wurmzerfressenem Holze, auf dem Töpfe, Schüsseln und sonstiges Geschirr standen, und eine Schranke aus schwarzem Holz enthielt, hinter der Jonas zur Verfügung seiner Gäste stand.
Die nöthige Beleuchtung erhielt die große Gaststube durch zwei Fenster, die an der Vorderwand nach der Terrasse hinausgingen, und durch zwei andere diesen gegenüber an der Hinterwand. Von diesen beiden war das eine äußerlich durch einen dichten Vorhang von Schling- und Hängepflanzen verschlossen, so daß es nur ein wenig gebrochenes Licht eindringen ließ. Das andere bot, wenn man es öffnete, einen herrlichen Ausblick über das ganze untere Thal des Vulcan. Ein wenig unterhalb des Thaleinschnittes schossen die polternden Wellen eines Bergbaches, des Nyad, daher; auf der einen Seite stürzte dieser Bach den Abhang des Mittelberges hinunter, da seine Quelle auf der Höhe des Plateaus von Orgall lag, das die Gebäude der Burg krönten; auf der andern rauschte er, stets, selbst in der heißen Sommerszeit, von vielen Zuflüssen aus dem Berge reichlich gespeist, dem Bette der walachischen Sil zu, die ihn im Vorüberfließen verschluckte.
Rechter Hand im Gasthause und gleich an die Gaststube anstoßend, befand sich ein halbes Dutzend kleiner Zimmer – eine hinreichende Zahl für die wenigen Reisenden, die vor Ueberschreitung der Grenze im »König Mathias« einmal Nachtquartier machten. Sie waren hier einer guten Aufnahme sicher und zahlten auch nur mäßige Preise bei dem aufmerksamen, diensteifrigen Wirthe, der obendrein recht guten Tabak zu verkaufen hatte, welchen er sich aus den besten[44] »Trafiks« der Umgebung beschaffte. Jonas selbst benutzte zum Schlafen eine schmale Dachkammer mit kleinen Fensterluken, die nach der Terrasse zu lagen.
In diesem Gasthause also hatten sich am Abend des 29. Mai alle »Häupter« von Werst zusammengefunden: Meister Koltz, Magister Hermod, der Forstwächter Nic Deck, ein Dutzend der angesehensten Bewohner des Dorfes und auch der Schäfer Frik, der hier nicht die unbedeutendste Rolle spielte. Der Doctor Patak fehlte bei dieser Vereinigung der Notablen. Er war eiligst zu einem seiner Kunden gerufen worden, der nur noch auf ihn wartete, um in die andere Welt überzusiedeln; doch hatte der Arzt versprochen zu erscheinen, sobald er sich seiner Pflichten im Sterbehause entledigt haben würde.
In Erwartung des Exkrankenwärters schwatzte man von dem höchst ernsthaften Tagesereignisse, doch nicht, ohne dabei tüchtig zu essen und zu trinken. Den Hungrigen bot Jonas eine Art Backwerk oder Maiskuchen, hier unter dem Namen »Mamaliga« bekannt, der wirklich gar nicht so übel schmeckt, wenn man ihn in frischer Milch aufweicht. Den Anderen brachte er ungezählte kleine Gläser mit jenem starken Branntwein, der wie Wasser durch die rumänischen Kehlen rinnt, dem gewöhnlichen spritreichen Schnaps, der nur einen einzigen Kreuzer das Glas kostet, noch mehr aber von dem »Rakion«, d. i. ein sehr alkoholhaltiger Pflaumenbranntwein, von dem im Lande der Karpathen sehr viel umgesetzt wird.
Wir müssen hier einflechten, daß der Gastwirth Jonas – es war einmal so Sitte im Hause – nur »auf dem Teller« servirte, das heißt den Leuten, die an einem Tische Platz genommen hatten, da es ihm nicht entgangen war, daß die sitzenden Kunden allemal mehr verzehrten als die stehenbleibenden. Heute Abend schien das Geschäft blühen zu sollen, denn alle Schemel und Bänke waren von bekannten Gästen besetzt. So mußte Jonas immer mit Kannen in der Hand von einem Tisch zum andern gehen, nur um die sich immer wieder leerenden Becher zu füllen.
Es war jetzt halb neun Uhr Abends. Man verhandelte schon seit der Dämmerung, ohne sich darüber zu verständigen, was wohl zu thun sei. In einem Punkte stimmten die wackeren Leute jedoch alle überein, darin nämlich, daß das Karpathenschloß von Unbekannten bewohnt sei und für die Dorfschaft Werst eine ebenso große Gefahr bilde, wie etwa eine Pulvermühle am Eingange einer Stadt.
»Die Sache ist sehr ernst! meinte Meister Koltz.[45]
– Sehr ernst! wiederholte der Magister zwischen zwei tüchtigen Rauchwolken aus der von ihm unzertrennlichen Pfeife.
– Ungemein ernst! ließen alle Uebrigen sich vernehmen.
– Vorzüglich steht Eines fest, nahm da Jonas das Wort, daß der üble Ruf der Burg unserem Lande schon viel geschadet hat....
– Und jetzt wird das nur umsomehr der Fall sein, rief der Magister Hermod.
– Fremde kamen ohnehin nur selten hierher... stieß Meister Koltz mit einem Seufzer hervor.
– Und nun wird sich gar keiner mehr sehen lassen! fügte Jonas, ebenso seufzend wie der Biró, hinzu.
– Eine Menge Einwohner denken schon daran, die Gegend zu verlassen! bemerkte einer der Trinkenden.
– Und ich zwar zuerst, meldete sich ein Bauer aus der Nachbarschaft; ich ziehe von hier fort, sobald ich meine Weinberge verkauft habe....
– Nun, Käufer dafür werdet Ihr schwerlich finden, alter Freund!« versetzte der Gastwirth.
Der Leser erkennt hier, um was das Gespräch der Leute sich drehte. Zu dem Schrecken, den ihnen das Karpathenschloß selbst einflößte, gesellte sich noch die drohende Verletzung ihrer geschäftlichen Interessen. Blieben die Reisenden aus, so hatte Jonas in seinem Gewerbe davon den Nachtheil, so hinkte es bei Meister Koltz mit den Einnahmen von Weggeldern, deren Ertrag sicherlich zusammenschmolz; fehlte es an Kaufliebhabern für die Ländereien in Vulcan, so konnten die jetzigen Besitzer diese also nicht, selbst zu niedrigem Preise, los werden. Wenn das schon mehrere Jahre lang andauerte, so drohte diese beklagenswerthe Lage der Dinge sich jetzt noch fühlbarer zu verschlechtern.
Natürlich, wenn die Geister der Burg sich früher so still verhielten, daß sie nicht das Geringste von sich sehen ließen, wie sollte es jetzt werden, wo sie ihre Anwesenheit durch greifbare Thatsachen zu erkennen gaben?
Da glaubte der Schäfer Frik sein Licht leuchten lassen zu sollen, und er sagte, wenn auch mit zaghafter Stimme:
»Vielleicht sollte man doch...
– Was? fragte Meister Koltz.
– Einmal hingehen und selbst nachsehen, Herr Richter.«[46]
Alle starrten einander an, senkten dann die Augen, und jene Frage blieb ohne Antwort.
Da nahm Jonas, sich an Meister Koltz wendend, wieder das Wort.
»Euer Schäfer, sagte er, hat doch am Ende den einzigen richtigen Vorschlag gemacht, der über die Sache Klarheit verschaffen könnte.
– Nach der Burg zu gehen...
– Ja wohl, lieber Freund, antwortete der Gastwirth. Steigt eine Rauchsäule aus dem Schornstein des Wartthurms, so hat man darin Feuer gemacht, und wenn man Feuer gemacht hat, so muß es doch eine Hand angezündet haben....
– Eine Hand!... Wenn's nur keine Kralle gewesen ist! warf der alte Bauer kopfschüttelnd ein.
– Hand oder Kralle, meinte der Wirth, darauf kommt wenig an. Wir müssen wissen, was die Geschichte bedeutet. Es ist das erstemal, daß eine Rauchsäule aus dem Schornsteine des Schlosses aufsteigt, seitdem es der Baron Rudolph von Gortz verlassen hat.
– Immerhin wäre es nicht ausgeschlossen, daß es dort schon öfter geraucht hätte, ohne daß es Jemand gewahr wurde, bemerkte Meister Koltz.
– Das glaub' ich nun und nimmermehr!, rief Magister Hermod lebhaft.
– Im Gegentheil, es ist sehr wohl möglich, entgegnete der Biró, da wir bisher kein Fernrohr besaßen, um zu beobachten, was auf der Burg etwa vorging.«
Dieser Einwurf schien gerechtfertigt. Dieselbe Erscheinung konnte ja schon lange bestanden haben und selbst dem Schäfer Frik trotz seiner vorzüglichen Augen entgangen sein. Doch einerlei, ob die genannte Erscheinung nun neueren Datums war oder nicht, so unterlag es doch keinem Zweifel, daß jetzt menschliche Wesen im Karpathenschlosse hausten. Diese Thatsache allein bildete aber schon eine Quelle der Beunruhigung für die Einwohner von Vulcan und Werst.
Magister Hermod glaubte bei seinem Aberglauben hiergegen Einspruch erheben zu müssen.
»Menschliche Wesen, meine Freunde?... Ihr werdet mir gestatten, daß ich daran nicht glaube. Wie sollten menschliche Wesen auf den Einfall kommen, sich in die Burg zu flüchten; was bezweckten sie da und wie wären sie hineingelangt?...[47]
– Und wofür haltet Ihr denn jene Eindringlinge? fragte Meister Koltz.
– Für übernatürliche Wesen, erwiderte Magister Hermod in einem Tone, der allgemeinen Eindruck machte. Warum sollten es denn keine Geister sein, Gnomen, meinetwegen Berggeister, vielleicht auch gar einige der höchst gefährlichen Lamies, die in der Form schöner Frauen erscheinen....«
Während dieser Aufzählung hatten sich alle Blicke nach der Thür, den Fenstern oder dem Kamine der Gaststube des »König Mathias« gerichtet.
Jeder der Anwesenden fürchtete schon, eins oder das andere jener Gespenstergebilde zu sehen, die der Schulmeister durch seine Worte erst recht heraufbeschwören konnte.
»Na, na, lieber Freund, wagte da Jonas einzuwenden, wenn jene Wesen Geister wären, so kann ich mir doch nicht erklären, weshalb sie ein Feuer angezündet haben sollten, da sie doch offenbar nichts zu kochen hätten....
– Nun, ihre Hexentränke? fiel der Hirt ein. Habt Ihr denn ganz vergessen, daß Feuer dazu gehört, diese zu brauen?
– Natürlich,« bestätigte der Schulmeister in einem Tone, der jeden Widerspruch abschnitt.
Diese Ansicht fand also allgemeine Zustimmung, und nach der Ueberzeugung Aller waren es unzweifelhaft übernatürliche Wesen, nicht menschliche Geschöpfe, die das Karpathenschloß zum Schauplatz ihrer Ränke und Schliche erwählt hatten.
Bisher hatte sich Nic Deck an dem Gespräche noch gar nicht betheiligt. Der Forstwächter begnügte sich, aufmerksam anzuhören, was die Einen oder die Anderen sagten. Die alte Burg mit ihren geheimnißvollen Mauern, mit ihrem weit zurückliegenden Ursprung und ihrem feudalen Aussehen hatte ihm immer ebenso viel Neugier wie Respect eingeflößt. Da er aber kein Feigling war, hatte er trotz des Aberglaubens, der ihn nicht weniger erfüllte, als jeden anderen Bewohner von Werst, doch wiederholt Lust verspürt, jene Mauer zu übersteigen.
Natürlicherweise hatte ihn Miriota von einem so gefährlichen Vorhaben hartnäckig zurückzuhalten gesucht. Solche Gedanken mochte er nach Gefallen hegen, so lange er noch frei war; ein Verlobter gehört sich aber nicht mehr selbst an, und wenn er sich in solche Abenteuer einließ, so wäre das die That eines Narren oder eines gegen seine heiligsten Pflichten gleichgiltigen Menschen gewesen. Und doch fürchtete das hübsche Mädchen immer, daß der Waldwächter einmal seine Absicht ausführen könnte. Nur das Eine beruhigte sie ein wenig, daß Nic Deck nicht ausdrücklich erklärt hatte, sich nach der Burg begeben zu wollen, denn kein Mensch – selbst sie nicht – hätte dann Macht genug über den jungen Mann gehabt, ihn zurückzuhalten. Sie wußte, daß er ein worthaltender Bursche war, der auch that, was er thun zu wollen gesagt hatte. Miriota hätte gewiß die schwerste Beklemmung empfunden, wenn sie nur ahnte, welchem Gedankengange der junge Mann sich in diesem Augenblicke hingab.[51]
Da Nic Deck indeß schwieg, wurde der Vorschlag des Schäfers von Niemand weiter aufgenommen. Wer hätte es auch jetzt, wo das Karpathenschloß entschieden verhext war, wagen sollen, dieses zu besuchen, wenn er nicht schon vorher den Kopf verloren hatte? Jeder sachte also die geeignetsten »Gründe« hervor, sich davon loszukaufen. Der Biró war nicht mehr in dem Alter, so etwas zu unternehmen. Der Lehrer hatte seine Schule zu besorgen, Jonas seinen Gasthof zu führen; Frik hatte seine Schafe zu hüten und die anderen Bauern hatten sich mit ihrem Vieh oder Heu zu beschäftigen.
Nein! Kein Einziger wollte das Opfer einer solchen Unbesonnenheit werden, und wiederholte für sich:
»Wer so kühn wäre nach der Burg zu gehen, dürfte von dort wohl niemals wieder heimkehren!«
Da öffnete sich rasch die Thür der Gaststube... Alle schracken zusammen.
Es war aber nur der Doctor Patak, und es wäre denn doch schwierig gewesen, ihn für eine jener bezaubernden Lamies anzusehen, von denen Magister Hermod gesprochen hatte.
Da sein Patient todt war – was seinem medicinischen Scharfsinn alle Ehre machte – hatte sich Doctor Patak beeilt, in die Versammlung im »König Mathias« zu kommen.
»Da seid Ihr endlich!« rief Meister Koltz.
Doctor Patak wechselte erst mit jedem einen kräftigen Händedruck, als wenn er Arzneien ausgetheilt hätte, und rief dann in halb spöttischem Tone:
»Nun, Ihr Leute, immer ist's die Burg, das Teufelsnest, das Euch beschäftigt! – O, Ihr Hasenfüße! Wenn das alte Schloß qualmen will, so laßt's doch ruhig qualmen! Raucht denn Euer gelehrter Hermod nicht, und noch dazu den ganzen langen Tag?... Wahrlich, das ganze Dorf ist bleich vor Schrecken! Ich habe bei meinen Krankenbesuchen von gar nichts Anderem reden hören! Die Geister haben da draußen ein Feuer angezündet. Warum denn nicht? Wenn sie sich nun den Schädel erkältet haben?... Vielleicht frieren sie auch in den Zimmern des Wartthurms – oder sie mußten dort gerade Brot für jene Welt backen! Man muß sich da oben doch am Ende auch ernähren, wenn es wahr ist, daß Jeder dereinst wieder aufersteht!... Vielleicht sind es Bäckergesellen aus dem Himmel, die dort ihren Backofen eingerichtet haben.«[52]
So platzte der Mann mit einem Scherze nach dem andern heraus – freilich nicht nach dem Geschmacke der Bewohner von Werst, die solchen Spott ernsthaft verabscheuten.
Man ließ den Doctor reden.
Dann aber fragte ihn der Biró:
»Sie schreiben also dem, was auf der Burg vor sich geht, keinerlei Bedeutung zu, Doctor?...
– Nicht die geringste, Meister Koltz.
– Sagten Sie nicht früher einmal, Sie wären gleich bereit dorthin zu gehen, wenn man Ihnen das nicht zutrauen sollte?...
– Ich?... erwiderte etwas stotternd der alte Krankenwärter, den es doch unangenehm berührte, daß man ihn jetzt an seine Worte erinnerte.
– Nun freilich! Haben Sie das nicht wiederholt geäußert? fuhr der Beamte unbeirrt fort.
– Gesagt hab' ich es wohl... ganz sicher, und wahrhaftig... wenn es sich nur darum handelt, es zu wiederholen...
– Es handelt sich darum, es zu thun.
– Es zu thun?...
– Ja, und statt, daß wir es Ihnen nicht zutrauen... begnügen wir uns, Sie darum zu ersuchen, setzte Meister Koltz hinzu.
– Ja, Ihr begreift, meine Freunde... natürlich... ein derartiger Vorschlag...
– Nun also, da Ihr zögert, Doctor, ließ der Wirth sich vernehmen, so ersuchen wir Euch darum nicht, sondern trauen es Euch einfach nicht zu...
– Ihr traut mir es nicht zu?...
– Ja, Doctor!
– Ihr geht gleich zu weit, Jonas, mischte sich da der Biró ein. Man darf so etwas von Patak nicht behaupten. Wir wissen, daß er ein Mann von Wort ist; was er gesagt hat, daß er thun werde, das wird er auch thun, und wär's auch nur um dem Dorfe, nein, dem ganzen Lande einen wichtigen Dienst zu erweisen.
– 'S ist also Ernst?... Ihr wollt, daß ich nach dem Schlosse gehe? rief der Doctor, dessen kupferiges Gesicht ganz blaß wurde.
– Davon werdet Ihr nun nicht loskommen, erklärte Meister Koltz entschieden.[53]
– Ich bitte Euch aber, bester Freund... ich bitte Euch... das wollen wir uns doch erst überlegen!...
– Ueberlegt ist schon Alles, ließ Jonas sich vernehmen.
– Seid einmal gerecht... Wozu würde es nützen, wenn ich nun wirklich dahin ginge... und was könnte ich besten Falls finden?... Einige wackere Leute, die in der Burg ein Unterkommen gesucht haben und die keinen Menschen belästigen...
– Desto besser, meinte Magister Hermod, wenn so dort wackere Leute sind, habt Ihr ja gar nichts zu fürchten. und findet vielmehr Gelegenheit ihnen Eure Dienste anzubieten.
– Wenn sie meiner bedürfen, erwiderte Doctor Patak, werden sie mich rufen lassen, dann werd' ich, das könnt Ihr mir glauben, keinen Augenblick zögern, mich nach dem Schosse zu begeben. Ohne verlangt worden zu sein, laufe ich aber nicht nach auswärts, und für nichts und wieder nichts mache ich auch keine Besuche.
– Nun, Eure Mühewaltung wird natürlich bezahlt werden, versicherte Meister Koltz, ohne daß Ihr auf's Honorar zu warten braucht.
– Wer soll mich denn bezahlen?...
– Ich... wir Alle... so viel Ihr fordert!« antworteten die meisten Stammgäste Jonas'.
Trotz seiner fortwährenden Prahlereien war der gute Doctor offenbar ganz derselbe Hasenfuß wie die übrigen Bewohner von Werst. Nachdem er sich so oft als Freigeist aufgespielt und die Legenden des Landes bespöttelt hatte, brachte es ihn jetzt in schwere Verlegenheit, das an ihn gerichtete Gesuch abzuschlagen.
Doch selbst wenn man ihn freigebig honorirte, war die Aufgabe, nach dem Karpathenschlosse zu gehen, gar nicht nach seinem Sinne. Er sachte also durch alle erdenklichen Gründe nachzuweisen, daß dieser Besuch keinen Zweck haben könne, daß das ganze Dorf sich der Lächerlichkeit aussetze, wenn er entsendet würde, die Burg zu durchsuchen. Seine Beweise brannten ihm jedoch sozusagen von der Pfanne.
»Hört einmal, Doctor, wendete Magister Hermod dagegen ein, mir scheint, Ihr habt doch dabei gar nichts zu riskieren, da Ihr ja ohnehin nicht an Geister glaubt...
– Nein, daran glaube ich nicht.[54]
– Nun also, sind es keine Geister, die dort im Schlosse ihr Wesen treiben, so sind es menschliche Geschöpfe, die sich daselbst befinden, und Ihr könnt bei dieser Gelegenheit bequem Bekanntschaft mit ihnen machen.«
Diese Einrede des Lehrers entbehrte ja nicht der Logik, und es war gewiß nicht leicht, sie zu widerlegen.
»Zugegeben, Hermod, antwortete der Doctor, ich könnte aber auf der Burg zurückgehalten werden...
– Das wäre doch ein Beweis, daß Ihr wohl aufgenommen wurdet, versetzte Jonas.
– Gewiß; doch wenn meine Anwesenheit nun länger dauerte und wenn dann Jemand im Dorfe meiner Hilfe bedürfte...
– Keine Angst! Wir befinden uns Alle vortrefflich, versicherte Meister Koltz, und seit Euer letzter Patient sich das Billet nach jener Welt gelöst hat, giebt es in Werst keinen einzigen Kranken.
– Nun gerade heraus mit der Sprache, drängte der Gastwirth, wollt Ihr gehen oder nicht?
– Meiner Treu, nein! gab der Doctor zur Antwort. Aus Furcht weigere ich mich wahrlich nicht.... Ihr wißt ja, daß ich an Hexereien überhaupt nicht glaube. Nein, die ganze Geschichte erscheint mir aber höchst thöricht und, das wiederhole ich Euch, einfach lächerlich. Weil da aus einem Thurmschornsteine etwas Rauch aufgestiegen sein soll – ein Rauch, der noch gar kein solcher gewesen zu sein braucht... Nein, ein-für allemal, ich schlag's ab, ich gehe nicht nach dem Karpathenschlosse.
– Ich werde aber gehen!«
Der Forstwächter Nic Deck war es, der jetzt diese Worte in das Gespräch geworfen hatte.
»Du... Nic! rief Meister Koltz.
– Jawohl, ich; doch unter der Bedingung, daß Patak mich begleitet.«
Diese direct an die Adresse des Doctors gerichtete Aufforderung veranlaßte den armen Kerl aufzuspringen, wie um sich zu wehren.
»Meint Ihr wirklich, Forstwächter? erwiderte er. Ich... Euch begleiten?... Natürlich. Das wäre ja ein hübscher Spaziergang... wir Beide zusammen... wenn ich nur einen Nutzen davon sähe... und wenn man die Sache auch wagen darf... Ihr wißt selbst, Nic, daß es nicht einmal einen Weg giebt, nach der Burg zu gelangen... wir können also einfach gar nicht hin....[55]
– Ich habe erklärt, nach der Burg zu gehen, fiel ihm Nic ins Wort, und da ich das gesagt habe, werde ich eben hingehen.
– Schön; doch ich... ich hab' es nicht gesagt! rief der Doctor mit Armen und Beinen strampelnd, als ob ihn Einer am Kragen gepackt hätte.
– Doch... Ihr habt das gesagt... erklärte Jonas.
– Ja!... Ja wohl!« riefen die Anderen wie aus einem Munde.
Von der ganzen Gesellschaft bedrängt, wußte der alte Krankenwärter nicht mehr, wie er sich aus der Schlinge ziehen sollte. O, wie bedauerte er jetzt seine frühere Großsprecherei! Freilich hätte er sich niemals eingebildet, daß man ihn beim Worte nehmen und verlangen würde, mit eigner Person für seine Aussagen einzutreten. Jetzt gab's für ihn leider keine Ausflucht mehr, wollte er nicht zum Gelächter von ganz Werst werden und vor dem ganzen Lande Spießruthen laufen. Er beschloß also, gute Miene zum bösen Spiele zu machen.
»Nun denn, da Ihr es wünscht, sagte er, werd' ich Nic begleiten, obwohl das nutzlos sein wird.
– Schön... Doctor Patak, das ist doch wenigstens ein Wort! riefen die Männer an den Schänktischen.
– Und wann machen wir uns auf den Weg, Forstwächter? fragte Doctor Patak in zwar möglichst gleichgiltigem Tone, der seine Scheu vor der ganzen Geschichte jedoch nur schlecht verhehlte.
– Morgen in der Frühe,« antwortete Nic Deck.
Nach den letzten Worten wurde es ganz still rings umher, ein Beweis, daß die Angelegenheit Meister Koltz wie die Uebrigen wirklich tief erregte. Gläser und Flaschen waren geleert, und doch stand Keiner auf, machte Keiner Anstalt, die Gaststube zu verlassen, obgleich es spät genug war, um nach Hause zu gehen. Jonas hielt es also für angezeigt, noch einmal mit Schnaps und Rakion aufzuwarten.
Plötzlich ließ sich inmitten des allgemeinen Schweigens deutlich eine Stimme vernehmen, die langsam folgende Worte sprach:
»Nic Deck, geh' nicht nach der Burg!... Geh' nicht dahin!... Es droht Dir Unheil!«
Wer hatte diese Warnung ausgesprochen? Woher kam die Stimme, die Keiner erkannt und die aus unsichtbarem Munde zu tönen schien? Das konnte nur die Stimme eines Gespenstes sein, eine übernatürliche, eine Stimme aus der andern Welt...
Jetzt erreichte das Entsetzen seinen Höhepunkt. Keiner wagte den Andern anzusehen, Keiner brachte[56] eine Silbe über die Lippen.
Der Muthigste in der ganzen Gesellschaft – offenbar der junge Nic – wollte indeß wissen, woran er hiermit sei. Es unterlag keinem Zweifel, daß jene Worte hier in der Gaststube selbst ausgesprochen worden waren.
So näherte sich denn der Forstwächter zuerst einer großen Truhe, die er öffnete...
Niemand![57]
Er untersuchte die an die Gaststube stoßenden Fremdenzimmer...
Niemand!
Er stieß die Thür des Wirthshauses auf, trat hinaus und ging über die Terrasse bis zur Landstraße von Werst...
Niemand!
Wenige Minuten nachher hatten Meister Koltz, der Magister Hermod, Doctor Patak, Nic Deck, der Schäfer Frik und die Andern das Wirthshaus verlassen, so daß nur dessen Inhaber, Jonas, allein zurückblieb, der den Schlüssel in der Hausthüre heute zweimal umdrehte.
In derselben Nacht verbarrikadirten die Bewohner von Werst, als ob ihnen das wilde Heer schon auf dem Nacken säße, jeden Zugang zu ihren Häusern, so gut sie das konnten.
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