Vierzehntes Capitel.
Die Insel Browse.

[143] Die Strecke zwischen der nordwestlichen Küste von Australien und dem westlichen Theile der See von Timor enthält keine wichtigen Inseln und man findet dort nur jene eigenthümlichen Formationen von Korallenbänken, die »Felsen, Schalen oder Bänke« genannt werden. Da diese sich oft unter der Oberfläche des Meeres befinden, so ist die Fahrt in diesem Gebiete mit großen Gefahren verbunden.

Das Wetter war schön, das Meer ziemlich ruhig und die ausgezeichnete Maschine des »Dolly-Hope« hatte seit der Abfahrt von San-Diego noch gar nicht gelitten. So kam Alles zusammen, um eine günstige Fahrt zwischen dem Cap Lévêque und der Insel Java zu erwarten. Aber in Wirklichkeit war dies schon die Heimkehr, und der Capitän wollte gerade nur noch die kleinen Sundainseln durchsuchen.

In den ersten Tagen nach der Abfahrt auf der Höhe von Lévêque ereignete sich nichts Besonderes. Den Wachen wurde die strengste Aufmerksamkeit anempfohlen, und sie mußten aus den Mastkörben herab schon von weitem die Risse und Bänke und Schalen signalisiren, die sich oft kaum über die Oberfläche des Meeres erheben.

Am 7. Februar, gegen neun Uhr Morgens, rief ein Matrose von den Raaen herab:

»Riff in Sicht! Backbordseite!«


... so stieg Zach Fren selbst die Wanten hinauf. (S. 143.)
... so stieg Zach Fren selbst die Wanten hinauf. (S. 143.)

Da dasselbe von der Brücke aus nicht gesehen werden konnte, so stieg Zach Fren selbst an den Wanten hinauf und bemerkte ziemlich deutlich ein felsiges Plateau in einer Entfernung von ungefähr sechs Meilen. In Wirklichkeit war es weder ein Felsen noch ein Riff, sondern eine kleine Insel, welche die Form[143] eines Eselrückens hatte, so daß sie vielleicht noch größer war, als sie sich auf diese Entfernung ausnahm.

Nach einigen Minuten stieg Zach Fren wieder hinab und meldete dies dem Capitän, der sofort den Befehl gab, um ein Quart anzuluven, um sich der Insel zu nähern. Sie befanden sich jetzt 14 Grad 7 Minuten südlicher Breite und 133 Grad 13 Minuten östlicher Länge, und diese kleine Insel hieß auf den neuesten Karten Browse und lag ungefähr zweihundertfünfzig Meilen vom Yorksund der australischen Küste entfernt.[144]

Da diese Insel fast in seiner Route lag, so beschloß der Capitän, sie zu umfahren, ohne sich aber dort aufzuhalten. Nach einer Stunde lag die Insel Browse nur noch eine Meile entfernt, und das Meer brach sich an einem Vorgebirge im Nordwesten mit donnerndem Geräusch. Da sie schief vor den Blicken lag, konnte man sich von ihrer Größe keinen Begriff machen.

Unterdessen war keine Zeit zu verlieren, und der Capitän, der bisher etwas langsamer fahren ließ, rief in den Heizraum den Befehl hinab, wieder schneller zu fahren, als Zach Fren seine Aufmerksamkeit erweckte, indem er sagte:
[145]

Die Einschiffung erfolgte über die Durchfahrt hinüber. (S. 148.)
Die Einschiffung erfolgte über die Durchfahrt hinüber. (S. 148.)

»Herr Capitän... Sehen Sie... dort... unten... Steht dort nicht ein Mast auf dem Cap?«

Dabei zeigte er nach Nordosten hin.

»Ein Mast?... Nein!... Es scheint nur ein Baum zu sein,« erwiderte Ellis.

Er nahm dann das Fernrohr und sah aufmerksam hin.

»Es ist richtig, sagte er, Sie täuschen sich nicht, Hochbootsmann!... Es ist ein Mast... und ich glaube, es hängt auch der Fetzen einer Fahne daran... Ja!... Ja!... Das muß ein Signal sein!...

– Da wäre es vielleicht besser, wir fahren hin.

– Das ist auch meine Meinung,« erwiderte der Capitän.

Sofort gab er den Befehl, auf die Insel zuzuhalten. Der »Dolly-Hope« näherte sich nun vorsichtig den Rissen, welche die Insel wie einen Gürtel umgaben, an dem sich das Meer donnernd brach.

Bald konnte man die Küste mit freiem Auge wahrnehmen. Sie sah wild und öde aus, ohne das geringste Grün, und war ziemlich zerklüftet; an manchen Stellen durchschnitt ein Vorsprung die Felsenreihen, über denen Scharen von Seevögeln flogen.

Auf dieser Seite sah man keine Schiffstrümmer. Der Mast, welcher auf der äußersten Spitze des Vorgebirges stand, mußte von einem Bugspriet herstammen, aber aus dem Fetzen, der sich am Ende desselben befand, konnte man nicht mehr die Farben der Fahne erkennen.

»Dort sind Schiffbrüchige... rief Zach Fren.

– Oder gewesen! erwiderte der zweite Officier.

– Es läßt sich nicht bezweifeln, daß hier ein Schiff gescheitert ist.

– Ebenso bestimmt ist es, daß die Schiffbrüchigen dort einen Zufluchtsort gefunden haben; vielleicht haben sie die Insel noch nicht verlassen, weil die nach Indien oder Australien fahrenden Schiffe selten hier vorüberkommen.

– Wollen Sie diese Insel durchsuchen, Herr Capitän? fragte Zach Fren.

– Gewiß, aber bis jetzt habe ich noch keine Stelle gefunden, wo wir landen könnten. Fahren wir also zuerst herum. Wenn sie noch von den unglücklichen Schiffbrüchigen bewohnt ist, so müssen sie uns ja bemerken und ein Zeichen geben.

– Und wenn wir Niemand sehen, was wollen Sie dann thun? fragte Zach Fren.[146]

– Wir werden landen. Wenn diese Insel nicht bewohnt ist, so können sich doch Spuren eines Schiffbruches vorfinden, was für uns von gleichem Interesse ist.

– Und wer weiß?...

– Wer weiß? Wollen Sie damit sagen, daß der »Franklin« hier an der Insel Browse gescheitert ist, die doch gar nicht auf seiner Route lag?

– Warum nicht?

– Obgleich das sehr unwahrscheinlich ist, so werden wir doch landen.«

Man fuhr also um die Insel herum, die auf allen Seiten gleich felsig und zerklüftet war. Im Hintergrunde standen auf einem Plateau, das weiter keine Spuren von Cultur zeigte, einige Gruppen von Cocosbäumen. Von Bewohnern keine Spur. Keine Schaluppe, kein Fischerboot. So öde wie das Meer, so war es auch die Insel.

Wenn diese Insel Schiffbrüchigen auch keinen genügenden Lebensunterhalt bieten konnte, so doch wenigstens einen Zufluchtsort.

Die Insel Browse hat einen Umfang von etwa sieben bis acht Meilen, was durch den »Dolly-Hope« constatirt wurde, als er um dieselbe herumfuhr. Vergebens spähten die Matrosen nach einem Hafen oder wenigstens einem Einschnitt in die Felsen aus, wo der Dampfer einige Stunden geschützt sein könnte. Sie sahen bald ein, daß eine Landung unmöglich war, und daß sie nur mit den Booten eine Durchfahrt suchen konnten.

Es war ungefähr ein Uhr Nachmittags, als der »Dolly-Hope« sich unter der Windseite der Insel befand. Da der Wind von Nordwesten kam, schlugen die Wogen weniger heftig an die Felsen. Weil die Küste hier einen großen Bogen bildete, wo ein Schiff mit weniger Gefahr hätte vor Anker gehen können, sollte der Dampfer, wenn auch nicht Anker werfen, so doch mit geringerer Geschwindigkeit fahren, während die Dampfschaluppe ans Land ging.

Als Ellis mit dem Fernrohre die Küste untersuchte, entdeckte er schließlich eine Art Kluft in den Felsen, aus der sich ein Bach ins Meer ergoß. Zach Fren glaubte, nachdem er diese Stelle ins Auge gefaßt hatte, daß dort eine passende Landungsstelle wäre.

Der Capitän befahl also, die Dampfschaluppe in Bereitschaft zu setzen, was in einer halben Stunde geschehen war. Dann schiffte er sich mit Zach Fren und vier anderen Matrosen ein, indem sie aus Vorsicht zwei Gewehre, zwei Hacken und mehrere Revolver mitnahmen. Während der Abwesenheit des[147] Capitäns übernahm der Obersteuermann den Befehl des Schiffes, indem er langsam hin- und herfahren und auf etwaige Signale achten sollte.

Um halb zwei fuhr die Schaluppe ab und landete in einigen Minuten an einem sandigen, da und dort von Felskanten durchbrochenen Strande. Ellis, Zach Fren und zwei Matrosen stiegen sofort aus, während die zwei anderen als Wache in der Schaluppe blieben. Die Vier kletterten nun den Felseneinschnitt hinauf und erreichten das Plateau.

Da sich in einer Entfernung von ungefähr hundert Metern ein sonderbar geformter Felsen erhob und dessen Gipfel einen Ausblick zu gewähren schien, so stiegen sie, nicht ohne Schwierigkeiten, hinauf, von wo sie die Insel in ihrer ganzen Ausdehnung überblicken konnten. Sie hatte eine ovale Gestalt, die einer Schildkröte nicht unähnlich aussah, deren Schweif das Vorgebirge bildete. Theilweise von fruchtbarer Erde bedeckt, hatte sie keine madreporische Formation wie die Koralleninseln in der Meerenge von Torres. Hier und da leuchtete das Grün zwischen den Granitfelsen, das aber mehr von Moos als von Gras, mehr von Steinen als Wurzeln, mehr von Gestrüpp als Strauchwerk herrührte. Woher kam denn dieser Bach? Wurde er vielleicht durch eine unterirdische Quelle gespeist? Das war nicht leicht zu erkennen, obwohl sie bis zu dem Mastsignale blicken konnten.

Von dem Felsen sahen sie nun nach allen Richtungen hin, ob sie nicht einen aufsteigenden Rauch oder ein menschliches Wesen erblicken könnten. Vergebens! Die Insel konnte wohl einmal bewohnt gewesen sein, aber sie war es nicht mehr.

»Ein trauriger Zufluchtsort für Schiffbrüchige! sagte der Capitän Ellis. Wenn sie sich hier haben lange aufhalten müssen, so möchte ich wohl wissen, wovon sie gelebt haben!

– Ja, erwiderte Zach Fren, es ist nur ein ödes Plateau. Hier und da einige Bäume... Der Felsen ist kaum mit fruchtbarer Erde bedeckt... Aber es ist doch nicht zu verschmähen, wenn man Schiffbruch gelitten hat!... Ein Stück Felsen unter den Füßen ist immer noch besser als zu ertrinken!

– Für den ersten Augenblick schon, erwiderte der Capitän, später dann...

– Uebrigens ist es möglich, daß die Schiffbrüchigen, die sich auf diese Insel gerettet hatten, von irgend einem Schiffe aufgenommen worden sind...

– Wie es auch möglich ist, daß sie den Entbehrungen unterlegen sind...

– Was bringt Sie auf diesen Gedanken, Herr Capitän?[148]

– Weil sie doch sicher das Mastsignal entfernt hätten, wenn sie auf diese oder jene Weise die Insel verlassen haben würden. Es ist auch zu befürchten, daß der letzte dieser Unglücklichen gestorben ist, bevor man ihm Hilfe bringen konnte. Nun, gehen wir auf diesen Mast zu; vielleicht finden wir ein Anzeichen über die Nationalität des Schiffes, das in diesen Graden gescheitert ist.«

Die Seeleute stiegen nun den Felsen wieder hinab und gingen auf das Vorgebirge zu, das sich gegen Norden ausdehnte. Aber kaum waren sie weiter gegangen, als einer von ihnen mit dem Fuße an einen Gegenstand stieß.

»Da... was ist denn das?... rief er.

– Gieb her!« erwiderte Zach Fren.

Es war eine Messerklinge nach Art jener, welche die Matrosen in ihrem Gürtel in einem ledernen Futteral tragen. Diese Klinge mochte vom Griff abgebrochen und als unnütz weggeworfen worden sein.

»Nun? fragte der Capitän.

– Ich suchte nach einer Fabriksmarke,« erwiderte Zach Fren.

Die Klinge mochte auch eine solche Marke haben, aber sie war so verrostet, daß sie zuerst abgekratzt werden mußte. Dies that nun Zach Fren und er konnte, wenn auch mit Mühe, die Worte »Sheffield – England« lesen.

So war also die Klinge englisches Fabrikat, aber daraus zu schließen, daß die Schiffbrüchigen der Insel Browse Engländer waren, wäre zu gewagt gewesen. Warum hätte dieses Instrument nicht auch einem Matrosen einer anderen Nationalität gehören können, da die Erzeugnisse von Sheffield ja in der ganzen Welt verbreitet sind? Nur wenn man noch andere Gegenstände fände, konnte diese Hypothese zur Gewißheit werden.

Die Seeleute setzten nun ihren Weg gegen das Vorgebirge fort, der aus Mangel eines jeden Pfades ziemlich beschwerlich war. Nach einem Marsche von ungefähr zwei Meilen blieb der Capitän Ellis bei einer Gruppe von Cocosbäumen stehen, deren Nüsse vor langer Zeit herabgefallen und nur noch Staub und Moder waren. Bis jetzt war noch nichts weiter gefunden worden, aber einige Schritte von diesen Bäumen entfernt, konnte man deutlich einige Spuren von Bebauung in den mit Gestrüpp ausgefüllten Furchen bemerken. Unter dem dichten Gestrüpp fand ein Matrose eine Hacke, die nach der Bearbeitung des Eisens, das mit dickem Roste überzogen war, wohl amerikanisches Fabrikat sein konnte.

»Was denken Sie davon, Capitän? fragte Zach Fren.[149]

– Ich denke, daß sich jetzt gar nichts darüber sagen läßt, erwiderte dieser.

– Gut, gehen wir weiter,« versetzte Zach Fren, indem er den übrigen Matrosen ein Zeichen gab.

Sie stiegen nun die Abhänge des Plateaus hinab und kamen auf eine Ebene, an der sich nördlich das Vorgebirge anschloß. Dieser Platz war ungefähr einen Acker groß, sandig und von Felsen umgeben. Hier lagen nun verschiedene Gegenstände herum, ein Zeichen, daß Menschen sich daselbst länger aufgehalten hatten, so Glas- und Thonstücke, Conservenbüchsen, deren amerikanisches Fabrikat nicht bezweifelt werden konnte, dann verschiedene andere Werkzeuge, die bei der Marine verwendet wurden: Stücke von Ketten, gebrochene Ringe, eine Spritzenspitze, Eisenblechstücke, über deren Herkunft die Matrosen sich kaum mehr täuschen konnten.

»Das ist kein englisches Schiff, welches hier gescheitert ist, sagte der Capitän Ellis, das ist ein Schiff der Vereinigten Staaten...

– Und man könnte behaupten, daß es in einem unserer Häfen des Stillen Oceans erbaut worden ist,« antwortete Zach Fren, dessen Meinung auch die anderen beiden Matrosen theilten.

Aber nichts konnte noch zu dem Glauben führen, daß dieses Schiff der »Franklin« gewesen war.

In jedem Falle drängte sich die Frage auf, ob dieses Schiff auf hoher See gescheitert wäre, da sich keine Trümmer von demselben vorfanden, und ob die Bemannung sich auf Booten auf diese Insel retten konnte.

Nein! Der Capitän fand bald den Beweis, daß das Schiff an den Klippen der Insel selbst gescheitert war. In einer kleinen Bucht, umgeben von spitzigen Felsen und Korallenriffen, erblickte man den Rumpf eines Schiffes, an welches die Wogen mit furchtbarer Gewalt anschlugen. Nicht ohne tiefe Bewegung sahen die Seeleute auf diese Reste hin. Es war nicht ein Stück mehr ganz und man konnte sich leicht vorstellen, daß das Schiff an diese Felsen geworfen worden war.

»Suchen wir, sagte der Capitän, vielleicht finden wir einen Namen, einen Buchstaben, ein Zeichen, welches uns die Nationalität des Schiffes erkennen läßt.

– Ja, und gebe Gott, daß es nicht der »Franklin« ist, der so furchtbar zugerichtet erscheint,« erwiderte Zach Fren.[150]

Aber existirte wirklich ein solches Zeichen? Angenommen, der Theil der Schiffswand, worauf gewöhnlich der Name des Schiffes steht, war erhalten, konnten nicht die Buchstaben durch Regen und Meereswogen ganz verwischt sein?

Es zeigte sich jedoch nichts, und die Nachforschungen blieben erfolglos. Wenn wirklich einige von den gefundenen Gegenständen am Strande amerikanisches Fabrikat waren, konnte man da behaupten, daß sie dem »Franklin« gehörten?

Zugegeben, die Schiffbrüchigen hatten auf dieser Insel eine Zufluchtsstätte gefunden – was der aufgestellte Mast deutlich bewies – zugegeben, daß sie während einer unbestimmbaren Zeit dort gelebt hatten, so mußten sie sicher in einer Felsenhöhle, wahrscheinlich in der Nähe des Strandes, Schutz gesucht haben, um die Trümmer des Schiffes, die sich zwischen den Felsen aufgespeichert hatten, benutzen zu können.

Einer der Matrosen entdeckte auch bald diese Höhle, welche sich in einem ungeheuren Felsen befand. Der Capitän und Zach Fren wurden von dem Matrosen gerufen. Vielleicht enthielt diese Höhle das Geheimniß? Vielleicht enthüllte sie den Namen des Schiffes?

Vor dem schmalen Eingang erblickten sie die Ueberreste eines Feuers, dessen Rauch die Felsenwand geschwärzt hatte. Die Höhle selbst war ungefähr zehn Fuß hoch, zwanzig Fuß tief und fünfzehn Fuß breit, so daß bequem ein Dutzend Menschen darin wohnen konnten. Die Einrichtungsstücke bestanden aus einer Streu von trockenem Grase, bedeckt mit einem Stück Segel, einer Bank, die aus Schiffstrümmern gebaut zu sein schien, einem Tisch und mehreren Stühlen; außerdem aus einigen Tellern und blechernen Schüsseln, drei Gabeln, zwei Löffeln, einem Messer, drei Bechern; in einer Ecke ein Wasserbehälter; auf dem Tische stand eine Schiffslampe. Sonst lagen verschiedene Küchengegenstände umher, auf der Streu mehrere Kleider.

»Die Unglücklichen, rief Zach Fren aus, was müssen Sie auf dieser Insel gelitten haben?

– Sie konnten kaum etwas von ihrem Schiffe retten, erwiderte der Capitän, woraus man ersieht, mit welcher Heftigkeit das Schiff an die Küste geschleudert wurde. Alles wurde vernichtet. Wie konnten diese Armen leben?

– Ohne Zweifel säeten sie ein wenig Korn, hatten ein bischen gesalzenes Fleisch und Conserven, die sie bis auf die letzte Büchse geleert haben... Aber welches Leben, welche Leiden![151]

– Höchstens durch den Fischfang konnten sie ihren Bedürfnissen noch genügen.«

Was nun die Frage anbelangt, ob diese Leute noch auf der Insel wären, so mußte sie wohl verneint werden; übrigens würde man ja die Ueberreste des letzten Ueberlebenden finden... Man durchsuchte sorgfältig die ganze Höhle, aber ohne Erfolg.


Sie stiegen nun die Abhänge des Plateaus hinab. (S. 150.)
Sie stiegen nun die Abhänge des Plateaus hinab. (S. 150.)

»Das bringt mich zu dem Glauben, bemerkte Zach Fren, daß die Schiffbrüchigen heimgekehrt sind.

– Und auf welche Weise? fragte der Capitän. Konnten sie sich denn aus den Trümmern ihres Schiffes ein seetüchtiges Boot bauen?


 »Die Unglücklichen!« rief Zach Fren aus. (S. 151.)
»Die Unglücklichen!« rief Zach Fren aus. (S. 151.)

– Nein, denn sie hatten nicht einmal genug Holz für einen Kahn. Ich glaube eher, daß ihre Signale von einem vorüberfahrenden Schiffe bemerkt worden sind.

– Das glaube ich nicht.

– Und warum nicht, Herr Capitän?

– Weil, wenn sie ein Schiff aufgenommen haben[152] würde, sich dies in der ganzen Welt verbreitet hätte, vorausgesetzt, daß dieses Schiff nicht mit Mann und Maus untergegangen ist. Ich bezweifle daher, daß diese Schiffbrüchigen auf solche Weise gerettet worden sind.[153]

– Gut, sagte Zach Fren, der sich nicht leicht von seiner Meinung abbringen ließ, wenn es ihnen unmöglich war, eine Schaluppe zu bauen, so kann ihnen doch aus dem Schiffbruche ein Boot übrig geblieben sein und in diesem Falle...

– Nun, selbst in diesem Falle, erwiderte der Capitän, glaube ich, da man seit Jahren nichts gehört hat, daß in diesen Gegenden Schiffbrüchige aufgenommen worden wären, daß dieses Boot während seiner Fahrt von mehreren hundert Meilen zwischen der Insel Browse und der Küste Australiens zu Grunde gegangen ist.«

Es wäre schwer gewesen, darauf etwas zu erwidern. Zach Fren sah es ein, aber er wollte doch gern wissen, was aus den Schiffbrüchigen geworden sei, und er sagte:

»Herr Capitän, Sie haben doch die Absicht, alle Theile der Insel zu durchsuchen?

– Ja... um mir keine Gewissensbisse zu machen. Aber zuerst wollen wir diesen Signalmast niederlegen, damit er nicht mehr die vorüberfahrenden Schiffe herbeilockt, da doch Niemand zu retten ist.«

Die Seeleute verließen die Höhle und untersuchten noch einmal den Strand, dann gingen sie dem Vorgebirge zu. Sie mußten ein tiefes Becken, eine Art steinernen Teiches umgehen, in welchem sich das Regenwasser sammelte und dann weiter floß. Plötzlich blieb der Capitän stehen. An dieser Stelle zeigte der Boden vier Erhöhungen, und wahrscheinlich hätten diese keine Aufmerksamkeit erregt, wenn auf denselben nicht kleine hölzerne Kreuze, halb verfault, gestanden hätten. Das waren Gräber. Hier war der Friedhof der Schiffbrüchigen.

»Nun endlich, rief der Capitän aus, werden wir vielleicht etwas erfahren können!«

Es war sicher nicht Mangel an Achtung vor den Todten, als man beschloß, die Gräber zu öffnen, um vielleicht ein Anzeichen ihrer Nationalität zu finden.

Die zwei Matrosen machten sich sofort an die Arbeit. Aber es mußten seit der Bestattung dieser Leichen Jahre verflossen sein, denn die Gräber enthielten nur Knochen. Der Capitän ließ sie wieder zumachen und die Kreuze daraufsetzen.

Wenn die vier Menschen hier begraben wurden, was war denn aus dem geworden, der ihnen den letzten Liebesdienst erwiesen hatte? Und als ihn der[154] Tod erreichte, wo mag er zusammengebrochen sein? Würde man sein Skelet nicht auf einem andern Punkte der Insel finden?

Der Capitän hoffte es nicht.

»Es wird uns nicht gelingen, rief er aus, den Namen des Schiffes kennen zu lernen... Sollen wir denn nach San-Diego zurückkehren, ohne die Trümmer des »Franklin« gefunden zu haben, ohne zu wissen, was aus John Branican und seinen Gefährten geworden ist?

– Warum könnte das Schiff hier nicht der »Franklin« sein? fragte ein Matrose.

– Und warum könnte er es sein?« erwiderte Zach Feen.

In der That konnte nichts die Annahme rechtfertigen, daß die Schiffstrümmer an dieser Insel dem »Franklin« angehörten, und so schien denn auch die zweite Expedition keinen besseren Erfolg zu haben als die erste.

Der Capitän blickte schweigend auf die Gräber, wo die Armen mit dem Ende des Lebens auch das ihrer Leiden gefunden hatten. Waren das Landsleute, Amerikaner, wie er?... Waren das Diejenigen, welche sie suchten?

»Nach dem Signalmaste!« sagte er.

Zach Fren und seine Matrosen folgten ihm. Die halbe Meile, welche sie von diesem trennte, wurde in zwanzig Minuten zurückgelegt, denn der Boden war felsig. Als sie neben dem Maste standen, sahen sie, daß er tief in den Felsen eingerammt war. Nur deshalb konnte er so lange stehen. Wie man schon durch das Fernrohr erkannt hatte, rührte dieser Mast – die äußerste Spitze des Bugspriets – von den Trümmern des Schiffes her. Der Fetzen, der an demselben hing, war nur ein Stück Segeltuch, ohne jedes Anzeichen der Nationalität. Auf Befehl des Capitäns schickten sich die beiden Matrosen an, den Mast zu fällen, als Zach Fren plötzlich ausrief: »Herr Capitän... Da... da sehen Sie!

– Was denn?

– Diese Glocke!«

An einem noch ziemlich festen Gerüste hing eine Glocke, deren Metall ganz mit Rost überzogen war. So hatten sich die Schiffbrüchigen nicht allein damit begnügt, den Mast zu errichten und die Fahne daran zu befestigen, sondern sie hatten an diesen Ort auch die Schiffsglocke gebracht, da sie hofften, sie könnte von einem vorüberfahrenden Schiffe gehört werden. Doch trug denn diese Glocke nach dem allgemeinen Gebrauche nicht den Namen des Schiffes?[155]

Der Capitän trat auf das Gerüst zu, als er plötzlich erstarrt stehen blieb. Am Fuße desselben lagen die Reste eines Skelettes, oder, um besser zu sagen, ein Hause von Knochen, an denen nur noch einige Lumpen klebten. So waren also fünf Schiffbrüchige dagewesen. Vier waren gestorben und der fünfte war allein zurückgeblieben...

Dann hatte er eines Tages die Grotte verlassen, sich zur äußersten Spitze des Vorgebirges geschleppt, die Glocke geläutet, um sich einem Schiffe in der Ferne bemerkbar zu machen... er fiel aber wohl an diesem Platze nieder, um nicht mehr aufzustehen... Nachdem der Capitän den Matrosen befohlen hatte, ein Grab für die Gebeine auszuheben, gab er Zach Fren ein Zeichen, ihm zu folgen, um die Glocke zu prüfen..

Auf dem Metalle las man deutlich folgenden Namen und folgende Ziffern:


Franklin

1875.

Quelle:
Jules Verne: Mistreß Branican. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LIX–LX, Wien, Pest, Leipzig 1893, S. 143-156.
Lizenz:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon