Zwölftes Capitel.
Drei Wochen auf Pomoton.

[164] Das Quartett würde fürwahr eine empörende Undankbarkeit beweisen, wenn es sich Calistus Munbar nicht dafür verpflichtet fühlte, es, wenn auch etwas verrätherischer Weise, nach Standard-Island gebracht zu haben. Die Pariser Künstler werden hier ja hochgeehrt, fast angebetet und von Milliard-City mehr als freigebig bezahlt. Sebastian Zorn brummt zwar unablässig weiter, denn ein Stacheligel wird sich niemals in eine Katze mit sammetweichem Fell verwandeln; jedoch Yvernes, Pinchinat und Frascolin selbst hätten sich nie ein herrlicheres Leben träumen lassen. Eine Reise ohne Gefahren und Beschwerden über den wundervollen Stillen Ocean! Ein heilsames und wegen der zweckmäßigen Ortsveränderung stets gleichbleibendes Klima. Konnten die vier Franzosen, so fragen wir jeden vernünftigen Menschen, sich wohl nach der Zeit zurücksehnen, wo sie die Städte der großen Republik bereisten, jetzt, wo sie hier, an den Eifersüchteleien der beiden Feldlager unbetheiligt, gleichsam die tönende Seele der Schraubeninsel bildeten, wo sie bei der Familie Tankerdon, der ersten auf der Backbordhälfte, ebenso freundliche Aufnahme fanden, wie bei der Familie Coverley, der ersten auf der Steuerbordseite, wo sie vom Gouverneur und dessen Adjuncten im Stadthause, vom Commodore Simcoë und seinen Officieren im Observatorium, vom Colonel Stewart und dessen Miliz so hochgeehrt wurden, wo sie die Feierlichkeiten[164] im Tempel ebenso wie die Ceremonien in der Saint-Mary Church unterstützten und sie ihnen wohlgewogne Leute in beiden Häfen, in den öffentlichen Werken, wie unter allen Beamten und Angestellten fanden? Wer könnte so sehr sein eigner Feind sein, daß er sie nicht darum beneidet hätte?

»Sie werden mir noch die Hände küssen!« hatte der Oberintendant bei ihrem ersten Gespräche mit diesem geäußert.

Und wenn sie es noch nicht gethan hatten und auch jetzt nicht thaten, so liegt das nur daran, daß man eine Männerhand überhaupt nicht küßt.

Eines Tages sagte Anastase Dorémus, in seiner Art der Glücklichste der Sterblichen, zu ihnen:

»Ich lebe nun fast zwei Jahre auf Standard-Island und würde es bedauern, daß es deren nicht schon sechzig wären, auch wenn man mir versicherte, daß ich nach sechzig Jahren noch hier weilte...

– O, Sie haben ja, fiel Pinchinat ein, allen Anspruch auf wenigstens hundert Jahre!

– Glauben Sie ja, Herr Pinchinat, daß ich diese Zeit gern abwarten werde. Warum sollte man auf Standard-Island sterben?

– Weil man am Ende überall einmal stirbt...

– Doch nicht hier, bester Herr; eben so wenig wie im himmlischen Paradiese!«

Was sollte man hiergegen sagen? Immerhin kam es von Zeit zu Zeit vor, daß selbst auf dieser reizenden Insel Einer die Augen schloß. Dann beförderten die Dampfer seine Ueberreste nach den fernen Friedhöfen der Madeleinebay. Entschieden soll man in dieser Welt nie ganz glücklich sein.

Immerhin schweben einige dunkle Punkte am Horizonte, ja sie nehmen nach und nach die Form mit Elektricität überladner Wolken an, die über kurz oder lang Unwetter und Stürme bringen können. Die beklagenswerthe Rivalität zwischen den Tankerdon's und den Coverley's, eine Rivalität, die sich immer mehr zuspitzt, wirkt allmählich beunruhigend. Ihre Parteigänger machen mit ihnen gemeinschaftliche Sache. Werden beide Theile einmal an einander gerathen? Ist Milliard-City von Unruhen und Aufruhr bedroht? Wird der Arm der Verwaltung kräftig und die Hand Cyrus Bikerstaff's fest genug sein, den Frieden zwischen diesen Monteccchi und Capuletti zu erzwingen? Wer konnte das wissen? Bei den beiden Rivalen, deren Eigenliebe ohne Grenzen zu sein schien, mußte man sich auf alles gefaßt machen.[165]

Seit dem Auftritte, zu dem es bei der Passage der Linie kam, sind die beiden Milliardäre erklärte Feinde. Ihre Freunde halten zu ihnen. Zwischen den beiden Inselhälften hat jeder Verkehr aufgehört. Schon von ferne weicht man einander aus und bei keiner Begegnung geht es ohne drohende Gesten und wilde Blicke ab. Es verbreitet sich sogar das Gerücht, daß der frühere Händler von Chicago und einige Backbordstädter ein großes Handelshaus zu gründen beabsichtigten, daß sie von der Compagnie die Genehmigung verlangt hätten, ungeheure Anlagen zu errichten, daß sie hunderttausend Schweine einführen und sie hier schlachten und pökeln und auf den verschiednen Archipelen des Großen Oceans verkaufen wollten...

Hiernach kann man sich wohl vorstellen, daß das Haus Tankerdon's und das Coverley's zu zwei Pulverkammern wurden, bei denen ein Fünkchen genügte, sie und Standard-Island mit ihnen in die Luft zu sprengen. Man darf ja nicht vergessen, daß es sich um ein über den Tiefen des Meeres schwimmendes Bauwerk handelte. Eine solche Explosion konnte freilich nur eine – wenn der Ausdruck erlaubt ist – »geistige« sein, sie legte dann aber doch noch die Gefahr nahe, daß die Notabeln bald daran denken würden, von hier wegzuziehen. Das wäre aber ein Entschluß, der die ganze Zukunft und jedenfalls die finanzielle Lage der Standard-Island Company schwer in Frage stellte.

Ueberall siedet und gährt es also und es drohen auch materielle Katastrophen. Wer weiß, ob die letzteren nicht unerwartet kommen werden!

Die Behörden hätten sich auch etwas weniger in Sicherheit einwiegen und den Kapitän Sarol mit seinen Malayen, die hier so gastliche Aufnahme gefunden hatten, etwas schärfer im Auge behalten sollen. Diese Leute benehmen sich nicht etwa verfänglich, sie sind mundfaul, halten sich beiseite und drängen nicht, Verbindungen anzuknüpfen, sondern genießen das Wohlergehen, dessen sie sich auf ihren wilden Neuen Hebriden mit Bedauern erinnern werden. Sie scheinen demnach zu keinem Verdachte Ursache zu geben? Und doch! Jeder aufmerksame Beobachter würde bemerkt haben, daß sie ohne Unterlaß Standard-Island durchstreifen, Milliard-City aufs genaueste kennen zu lernen sachen, so als wollten sie einen ausführlichen Plan davon aufnehmen. Man trifft sie im Park und auf dem Lande. Sie erscheinen oft im Backbord- wie im Steuerbordhafen und beobachten das Ein- und Auslaufen der Schiffe. Man sieht sie auf weiten Spaziergängen das Ufer aufmerksam betrachten, wo die Zollbeamten Tag und Nacht scharf aufpassen, und die Batterien besuchen, die die Insel am Vorder- und[166] am Hintertheile vertheidigen. Da die Malayen gar nichts zu thun hatten, erschien das alles ja ganz natürlich und veranlaßte niemand, gegen ihr Thun und Treiben Verdacht zu schöpfen.

Bei nur langsamer Fahrt gelangt der Commodore Simcoë allmählich weiter nach Süden. Yvernes, der sich ganz verändert hat, seitdem er ein »schwimmender Insulaner« geworden ist, überläßt sich ganz dem Genusse dieser Fahrt, dem sich auch Frascolin und Pinchinat nicht entziehen können. Sie verleben herrliche Stunden im Casino, wo man ihre vierzehntägigen Concerte mit Strömen von Gold honoriert. Jeden Morgen unterrichten sie sich aus den Zeitungen von Milliard-City, denen die neuesten Nachrichten durch die Kabel zugehen, über alle Vorkommnisse in der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Kunst und der Politik. Bezüglich der letzteren ist vorzüglich zu bemerken, daß die englische Presse nie aufhört, sich über diese bewegliche Insel zu beklagen, die den Stillen Ocean als Gebiet für ihre Fahrten benützt. Auf Standard-Island, wie in der Madeleinebay legt man auf solche Nörgeleien freilich keinen Werth.

Wir erwähnen hier auch, daß Sebastian Zorn und seine Kameraden in den Nachrichten aus der Fremde schon seit mehreren Wochen lesen konnten, daß die amerikanischen Zeitungen ihr plötzliches Verschwinden meldeten, was bei dem Rufe, den das berühmte Concert-Quartett überall genoß, natürlich großes Aufsehen erregen mußte. San Diego hatte es am bestimmten Tage nicht zu sehen bekommen, und von San Diego war auch der erste Alarmruf ausgegangen. Eifrige Nachforschungen ergaben schließlich, daß die Künstler sich an Bord der Schraubeninsel befanden, wohin sie von der Küste Niedercalifornicus durch eine listige Ueberrumpelung verlockt worden waren. Da sie gegen diese Entführung aber keinen officiellen Widerspruch erhoben, kam es nicht zu einem diplomatischen Notenwechsel zwischen der Compagnie und der Bundesregierung. Das Quartett mochte ja wissen, daß es allemal willkommen war, wenn es ihm zurückzukehren beliebte.

Freilich mußten die beiden Violinen und die Bratsche dem Violoncell Schweigen gebieten, der nicht bös darüber gewesen wäre, wenn der Zwischenfall zu einer Kriegserklärung zwischen der Neuen Welt und dem Juwel des Stillen Oceans geführt hätte. Die Künstler hatten übrigens seit ihrer unfreiwilligen Einschiffung wiederholt nach Frankreich geschrieben, auch von ihren dadurch beruhigten Familien erhielten sie wiederholt Nachricht, denn alle Correspondenz wurde hier ebenso regelmäßig und sicher besorgt, wie etwa zwischen Hamburg und New-York.[167]

Eines Morgens – am 17. September – empfindet Frascolin, als er sich in der Bibliothek des Casinos befindet, das sehr natürliche Verlangen, die Karte des Pomotou-Archipels, dem sie zusteuern, zu studieren. Kaum hat er den Atlas aufgeschlagen und einen Blick auf diesen Theil des Großen Oceans geworfen, da ruft er ganz verblüfft:


Die Malayen beobachten alle Vorgänge auf der Propeller-Insel. (S 166.)
Die Malayen beobachten alle Vorgänge auf der Propeller-Insel. (S 166.)

»Sapperment, wie wird es Ethel Simcoë anfangen, sich durch dieses Chaos hindurchzuwinden? Durch diesen Haufen von Inseln und Eilanden kann es für ihn kaum einen Weg geben... Das sind ja viele Hunderte!... Ein richtiger Haufen[168] von Kieselsteinen inmitten eines Sumpfes!... Er wird anstoßen, scheitern oder hier oder da sitzen bleiben Dann werden wir zu ansässigen Leuten in dieser Gruppe, die noch mehrgliedriger ist, als unser Morbihan der Bretagne!«


Die Insel Amann, deren Lagune mit dem Meere in Verbindung steht. (S. 171.)
Die Insel Amann, deren Lagune mit dem Meere in Verbindung steht. (S. 171.)

Frascolin hat damit nicht Unrecht. Das Departement Morbihan zählt nur dreihundertfünfundsechzig Inseln – gerade so viel wie das Jahr Tage – der Archipel von Pomotou hat davon aber gut die doppelte Menge. Das sie umgebende Meer enthält freilich einen Gürtel von Korallenriffen, der – nach Elisée Reclus – wohl sechsundfünfzig Lieues Umfang hat.[169]

Bei Betrachtung der Karte wird aber jeder erstaunen, daß ein Schiff und noch weitmehr ein Bauwerk wie Standard-Island in diesen Archipel einzudringen wagt, denn er besteht zwischen dem siebzehnten und achtundzwanzigsten Grade südlicher Breite und dem hundertvierunddreißigsten und hundertsiebenundvierzigsten Grade westlicher Länge aus mindestens siebenhundert Inseln und Eilanden nur zwischen Mata-Hiva und der Insel Pitcairn.

Da ist es kein Wunder, daß diese Gruppen verschiedne Bezeichnungen erhalten haben, unter andern die des »Gefährlichen Archipels« oder des »Schlimmen Meeres«. Daneben führen sie aber noch den Namen der »Niedrigen Inseln«, der »Tuamotou-Inseln« (Entfernten Inseln), ferner der »Südlichen Inseln« und der »Der Nacht«, sowie den der »Geheimnißvollen Länder«. Was den Namen Pomotou oder Pamautou betrifft, der die »Unterworfnen Inseln« bedeutet, so hat eine 1850 in Papaëte, der Hauptstadt von Tahiti, zusammengetretene Versammlung dagegen Einspruch erhoben. Doch obwohl die französische Regierung dem 1852 Rechnung trug und unter vorgenannten Namen den Namen Tuamotou wählte, so dürfte es sich hier doch mehr empfehlen, die allgemeine bekannte Bezeichnung »Pomotou« beizubehalten.

So gefährlich die Schiffahrt hier auch sein mag, schreckt der Commodore Simcoë davor doch keinen Augenblick zurück. Er kennt diese Meere so genau, daß man sich auf ihn verlassen kann. Er steuert seine Insel so leicht wie ein Boot. Frascolin kann sich wegen Standard-Islands beruhigen; die Landspitzen von Pomotou werden den eisernen Rumpf desselben nicht einmal berühren.

Am Nachmittag des 19. melden die Wachen des Observatoriums das erste Auftauchen einer Gruppe in etwa zwölf Meilen Entfernung. Die Inseln hier sind nämlich auffallend niedrig. Ueberragen auch einige von ihnen das Meer um etwa vierzig Meter, so erheben sich vierundsiebenzig davon kaum eine halbe Toise und würden aller vierundzwanzig Stunden zweimal überfluthet werden, wenn die Gezeiten – Ebbe und Fluth – hier nicht gleich Null wären. Die übrigen sind bloße, von starker Brandung umtoste Atolls, Korallenbänke ohne jede Vegetation, einfache Klippen, die sich in derselben Richtung wie der Archipel fortsetzen.

Standard-Island kommt von Osten her nach der Gruppe, um die Insel Anaa anzulaufen, die als wichtigster Platz jetzt von Fakarava ersetzt ist, seitdem Anaa 1878 durch einen furchtbaren Cyclon zum Theil zerstört worden ist, wobei sehr viele Menschen umkamen und Verwüstungen bis zur Insel Kaukura hin angerichtet wurden.[170]

Zunächst bemerkt man aus drei Meilen Entfernung Vahitahi. Wegen der Strömungen und der weit nach Osten hinausreichenden Klippen gilt es in diesem gefährlichsten Theile des Archipels die größte Vorsicht zu beobachten. Vahitahi besteht eigentlich nur aus einer Anhäufung von Korallen mit drei bewaldeten Eilanden in der Umgebung, deren Hauptdorf auf dem nördlichsten liegt.

Am nächsten Morgen erblickt man die Insel Akiti, deren Klippen mit Bryonia, Purpurpfirsichen, einem gelblichen Grase und mit welligem Borretsch bedeckt sind. Sie unterscheidet sich von den andern Inseln dadurch, daß sie keine innere Lagune hat. Dadurch, daß sie die Durchschnittshöhe der übrigen übertrifft, ist sie schon aus etwas größrer Entfernung sichtbar.

Am nächsten Tage zeigt sich eine andre unbedeutende Insel, Amanu, deren Lagune mittelst zweier Durchbrüche mit dem Meere in Verbindung steht.

Während die Bevölkerung von Milliard-City nichts anders verlangt, als ungestört durch den Archipel hinzugleiten, den sie schon im Vorjahre besucht hat, und zufrieden ist, dessen Wunder im Vorüberfahren zu genießen, hätten sich Pinchinat, Yvernes und Frascolin gewünscht, daß hier einmal angehalten würde, was ihnen Gelegenheit gegeben hätte, die durch die Arbeit der Polypen entstandnen, also wie Standard-Island künstlichen Inseln näher zu besichtigen.

»Die unsrige, bemerkt dazu der Commodore Simcoë, hat nur die Fähigkeit der freien Fortbewegung...

– Leider gar zu sehr, erwiderte Pinchinat, weil sie niemals anhält.

– Sie wird bei den Inseln Hao, Anaa und Fakarava Halt machen, und Sie, meine Herren, werden Muße haben, diese zu durchstreifen.«

Auf die Frage nach der Art der Entstehung dieser Inseln, entwickelt Ethel Simcoë die fast allgemein angenommene Theorie, nach der sich der Boden dieses Theiles des Stillen Oceans um etwa dreißig Meter gesenkt habe. Auf dessen wasserüberdeckten Gipfeln hätten die Zoophyten, die Polypen eine feste Basis gefunden um ihre Korallenbauten aufzurichten. Nach und nach wären diese Bauten in Folge der Thätigkeit von Infusorien, die in größrer Tiefe nicht gedeihen konnten, bis über die Oberfläche emporgewachsen und hätten diesen Archipel gebildet, dessen Inseln in Barren und kleinere oder größere Atolls zerfallen. Unter letzteren versteht man alle, die noch eine innere Lagune aufweisen. Durch Sturm und Wellen wurden dann Pflanzenbestandtheile darauf geworfen, die schließlich eine Humusschicht bildeten. Als die Winde derselben hierauf auch Samenkörner zuführten, erhob sich die Vegetation auf den Korallenringen.[171] Der kalkhaltige Boden bedeckte sich mit Gräsern und Pflanzen, mit Büschen und Bäumen, wozu das warme Klima nicht wenig beitrug.

»Und wer weiß, rief Yvernes in einem Ausbruch von prophetischem Enthusiasmus, ob der vom Großen Ocean verschlungne Continent nicht einmal wieder zur Oberfläche heraufsteigt. Dann werden hier, wo Dampfer und Segler verkehren, vielleicht Schnellzüge dahineilen, die die Alte und die Neue Welt verbinden....

– Abwarten... abwarten, alter Jesaias!« ruft ihm Pinchinat respectlos zu.

Wie der Commodore Simcoë gesagt hatte, hielt Standard-Island am 23. September vor der Insel Hao an, der es sich bei der großen Wassertiefe sehr weit nähern konnte. Seine Boote bringen einige Besucher durch die rechte, von Cocosbäumen besetzte Einfahrt nach dem Lande. Hier muß man noch fünf Meilen zurücklegen, um nach dem größten, auf einem Hügel gelegnen Dorfe zu gelangen. Auch dieses zählt nur zwei- bis dreihundert Einwohner, meist Perlmutterfischer, die für tahitische Handelshäuser thätig sind. Hier giebt es in Ueberfluß jene Pandanus und Mikimikis-Myrthen, die ersten Bäume eines Bodens, auf dem jetzt das Zuckerrohr, die Ananas, der Taro, die Bryonia, der Tabak und vorzüglich die Cocospalme gedeihen, von welch' letzterer die Insel über vierzigtausend Exemplare enthält.

Dieser »Baum der Vorsehung« gedeiht fast ohne jede Pflege. Seine schwarze Nuß dient den Eingebornen als Nahrung und übertrifft als solche weit die Früchte des Pandanus. Mit ihr füttern sie ihre Schweine, ihr Geflügel und selbst ihre Hunde, die man wieder mit Vorliebe verspeist. Daneben liefert die Cocosnuß auch ein vortreffliches Oel, wenn sie, zerrieben und an der Sonne gedörrt, nur einem mäßigen Drucke ausgesetzt wird. Die Schiffe führen von hier ganze Ladungen jener Koprah nach dem Continente aus, wo man sie weit besser auszunützen versteht.

In Hao darf man sich über die Bevölkerung Pomotous kein Urtheil bilden wollen, dazu sind hier der Eingebornen zu wenige. Dagegen hat das Quartett jene besser auf Anaa beobachten können, vor dem Standard-Island am Morgen des 27. September eintrifft.

Anaa mit seinen prächtigen Wäldern erblickt man erst aus geringer Entfernung. Als eine der größten Inseln des Archipels hat es fünfzehn Meilen Länge und, an seiner madreporischen Basis gemessen, nenn Meilen Breite.

Wir erwähnten schon, daß es 1878 durch einen Cyclon verheert wurde, der es nöthig machte, den Hauptort des Archipels nach Fakarava zu verlegen.[172]

Bei dem so mächtigen Klima der Tropenzone hätte man freilich erwarten können, daß die angerichteten Schäden sich nach wenigen Jahren wieder ausglichen. In der That hat sich Anaa auch soweit erholt, daß es zur Zeit fünfzehnhundert Einwohner zählt.

Gegen Fakarava bleibt es indeß immer darum im Nachtheil, daß hier die Verbindung mit dem Meere nur durch eine enge Wasserstraße mit starker Strömung nach außen möglich ist, während die Lagune von Fakarava zwei breite Durchgänge, im Norden und im Süden, besitzt. Doch wenn sich der Hauptmarkt für Cocosöl auch nach letzterer Insel gewendet hat, so lockt das malerische Anaa doch noch alle Besucher an.

Nachdem Standard-Island sich unter den günstigsten Verhältnissen festgelegt hat, lassen sich viele Milliardeser nach dem Lande befördern. Sebastian Zorn und seine Kameraden sind unter den ersten, denn auch der Violoncellist hat sich bewegen lassen, an dem Ausfluge theilzunehmen.

Nachdem sie sich unterrichtet hatten, auf welche Weise diese Insel einst entstand – übrigens war das ganz ebenso, wie bei den übrigen zugegangen – wenden sie sich zuerst nach dem Dorfe Tuahora. Der Kalkrand oder der Korallenring hat hier eine Breite von vier bis fünf Metern, erhebt sich nach dem Meere zu ziemlich steil, fällt aber nach der Lagune zu, die wie in Rairoa und Fakarava etwa hundert Seemeilen Umfang hat, ziemlich sanft ab. Auf diesem Ring stehen tausende von Cocosbäumen, die den hauptsächlichsten, um nicht zu sagen, den einzigen Reichthum der Insel bilden.

Tuahora wird von einer sandigen, durch ihr glänzendes Weiß auffallenden Straße durchschnitten. Der französische Resident wohnt nicht mehr hier, seit Anaa seine Rolle als Hauptort ausgespielt hat. Die von einer schwachen Umwaltung geschützte Wohnung besteht aber noch heute, und über der Kaserne der kleinen Besatzung, die unter dem Befehl eines Marine-Sergeanten steht, weht die dreifarbige Fahne.

Die übrigen Wohnungen von Tuahora sind auch keine eigentlichen Hütten, sondern bequeme, gesunde, ziemlich gut ausgestattete Häuschen, die der Mehrzahl nach auf Korallengrund errichtet wurden. Pandanusblätter bilden ihre Bedachung, und das Holz dieses kostbaren Baumes diente zur Herstellung von Thüren und Fenstern. Da und dort sind sie von Gemüsegärten umgeben, für die die nöthige Erde erst weit herbeigeschafft werden mußte und die im allgemeinen einen reizenden Anblick gewähren.[173]

Vertreten die Eingebornen hier mit einer mehr schwärzlichen Haut auch keinen so ausgesprochnen Typus und ist ihre Physiognomie weniger ausdrucksvoll, ihr Charakter minder liebenswürdig als der der Bewohner der Marquisen, so dürfen sie doch als gute Muster der Bevölkerung im äquatorialen Ocean betrachtet werden. Intelligente und fleißige Arbeiter, wie sie es sind, leisten sie der physischen Degeneration, die die Eingebornen des Stillen Oceans bedroht, voraussichtlich auch bessern Widerstand.

Ihre Hauptindustrie besteht, wie Frascolin sich überzeugen konnte, in der Gewinnung des Cocosöls, woraus sich auch die überraschende Menge von Cocospalmen in den Pflanzungen des Archipels erklärt. Diese Bäume entwickeln sich hier ebenso leicht, wie die Korallenbildungen auf der Oberfläche der Atolle.

Sie haben aber einen Feind, den die Pariser Ausflügler auch kennen lernen sollten, als sie sich eines Tages auf dem Strand des innern Sees gelagert hatten, dessen grünes Wasser so auffallend gegen das Blau des Himmels absticht.

Da wird plötzlich erst ihre Verwunderung und dann ihr Entsetzen durch ein rasselndes Geräusch im Buschwerk erregt.

Was zeigt sich ihren Blicken? – Eine Crustacee von ungeheurer Größe.

Sofort springen sie auf die Füße und starren das Unthier an.

»Pfui, die häßliche Bestie! ruft Yvernes.

– Das ist eine Krabbe!« antwortet Frascolin.

In der That war es eine Krabbe (Taschenkrebs), und zwar der sogenannte Birgo der Eingebornen, von denen es auf der Insel so viele giebt. Ihre Vorderfüße bilden zwei kräftige Scheeren, womit sie die ihnen zur Nahrung dienenden Nüsse zu öffnen vermögen. Diese Birgos leben auf dem Lande in einer Art Dachsbauten, die sie zwischen den Baumwurzeln aushöhlen und mit Cocosfasern tapezieren.

Meist in der Nacht suchen sie die heruntergefallenen Nüsse, klettern jedoch im Nothfall auch auf die Bäume und werfen die Cocosnüsse selbst hinunter. Die Krabbe hier muß, wie Pinchinat sagt, furchtbar vom Hunger geplagt worden sein, da sie ihr dunkles Versteck am hellen Tage verlassen hatte.

Man läßt das Thier ungestört, um es bei seinem Thun und Treiben beobachten zu können. Dieses bemerkt eine große Nuß zwischen dem Gesträuch; von derselben entfernt es zunächst mit den Scheeren die Fasern der Schaale und schlägt und hämmert dann tüchtig auf die nackte Hülle. Nachdem die Nuß geöffnet ist, zieht der Birgo den Inhalt mit seinen sehr scharf zulaufenden Hinterfüßen heraus.[174]

»Offenbar, meint Yvernes, hat die Natur den Birgo zum Oeffnen der Cocusnüsse geschaffen.

– Ja, und die Cocosnuß, um dem Birgo als Nahrung zu dienen, setzt Frascolin hinzu.

– Und wenn wir nun die Absicht der Natur vereitelten, indem wir die Krabbe hindern, diese Nuß zu verzehren und diese Nuß von der Krabbe verzehren zu lassen? fällt Pinchinat ein.

– Ich bitte Euch, sie nicht zu belästigen, sagt Yvernes. Wir wollen auch bei Landkrabben keine schlechte Vorstellung von Parisern, die sich auf Reisen befinden, erwecken!«

Alle stimmten dem zu, und die Krabbe, die erst einen grimmigen Blick auf »Seine Hoheit« geworfen hat, belohnt mit einem dankbaren Blicke die erste Geige des Concert-Quartetts.

Nach sechsstündigem Aufenthalt vor Anaa steuert Standard-Island nach Norden weiter und durch das Gewirr von Inseln und Eilanden, durch die es der Commodore Simcoë mit kundiger Hand hindurchführt. Milliard-City ist während der Fahrt zu Gunsten der Küste und vorzüglich der Nachbarschaft der Rammspornbatterie ziemlich entvölkert. Immer sind Inseln in Sicht oder richtiger herrliche Blumenkörbe, die auf dem Wasser schwimmen, so daß man einen Blumenmarkt auf einem holländischen Canal vor Augen zu haben glaubt. Zahlreiche Piroguen tummeln sich in der Nähe der beiden Häfen umher, doch verwehren ihnen die Hafenbeamten nach strengem, darüber erhaltenem Befehl die Einfahrt. Viele eingeborne Frauen kommen sogar schwimmend herbei, wenn die bewegliche Insel nahe dem madreporischen Ufer dahingleitet. Daß sie die Männer nicht in den Booten begleiten, rührt daher, daß diese Fahrzeuge für das schönere Geschlecht von Pomotou unter Tabu stehen, so daß sie darin also nicht Platz nehmen dürfen.

Am 4. October hielt Standard-Island vor Fakarava, am südlichen Eingange zu demselben, an. Bevor die Boote zur Ueberführung von Besuchern abstoßen, erscheint der französische Resident im Steuerbordhafen, von wo aus der Gouverneur Befehl giebt, ihn nach dem Stadthause zu geleiten.

Die Zusammenkunft gestaltet sich sehr herzlich. Cyrus Bikerstaff hat das officielle Aussehen, das er bei Ceremonien dieser Art anzunehmen pflegt. Der Resident, ein alter Officier von der Marine-Infanterie, giebt ihm darin nichts nach, man kann sich unmöglich ein Paar ernstere, würdigere und höflichere Leute[175] als die beiden Herren vorstellen. Nach dem Empfang besichtigt der Resident Milliard-City, wobei ihn Calistus Munbar begleitet. In ihrer Eigenschaft als Franzosen schließen sich unsre Pariser mit Athanase Dorémus dem Oberintendanten an, und dem Residenten macht es eine wahre Freude, hier mit Landsleuten zusammenzutreffen.

Am nächsten Tag erwidert der Gouverneur dem alten Officier in Fakarava seinen Besuch und Beide nehmen wieder die officiellen Gesichter von gestern an. Ans Land gekommen, begiebt sich das Quartett nach der Residenz... eine sehr einfache Wohnstätte mit einer Garnison von einem Dutzend alter Seesoldaten. Ueber dem Laufe flattert die französische Flagge im warmen Winde.

Obwohl Fakarava die Hauptstadt des Archipels geworden ist, kann es sich, wie gesagt, mit Anaa doch nicht vergleichen. Das Dorf – denn den Namen einer Stadt verdient es nicht – liegt nicht so malerisch unter dem Grün der Bäume, und auch seine Bewohner sind minder seßhafter Natur. Abgesehen von der Fabrikation von Cocosöl, die in Fakarava selbst betrieben wird, beschäftigt sich die Einwohnerschaft mit dem Einsammeln von Perlenmuscheln. Der Vertrieb der Perlmutter, die sie dabei gewinnen, zwingt sie zu häufigem Besuche der Nachbarinsel Toau, wo die Bearbeitung derselben erfolgt. Als kühne Taucher zögern die Eingebornen nicht, bis zur Tiefe von zwanzig bis dreißig Metern hinabzugehen und sind nicht nur an den starken Druck, dem sie dabei unterliegen, sondern auch daran gewöhnt, den Athem länger als eine Minute anzuhalten.

Einzelnen Fischersleuten wurde es gestattet, ihre Beute von dem Fange, Perlmutter oder Perlen, selbst den Notabeln von Milliard-City anzubieten. An dergleichen Schmucksachen fehlt es den reichen Damen der Stadt zwar gewiß nicht, da es jedoch überaus schwierig ist, sich diese Naturproducte in rohem Zustande zu verschaffen und sich hier Gelegenheit dazu bietet, kaufen sie von den Fischern alles zu unglaublich hohen Preisen. Wenn Mrs. Tankerdon eine kostbare Perle erwirbt, muß Mrs. Coverley natürlich ihrem Beispiele folgen.


Eine Crustacee von ungeheurer Größe zeigte sich vor ihnen. (S. 174.)
Eine Crustacee von ungeheurer Größe zeigte sich vor ihnen. (S. 174.)

Zum Glück kam es nicht zum gegenseitigen Ueberbieten auf ein- und denselben Gegenstand, denn niemand weiß, wie weit das gegangen wäre. Andre Familien lassen es sich auch nicht nehmen, es ihren Freunden nachzuthun, und heute hatten, wie man in der Seemannssprache zu sagen pflegt, die Fakaravier »eine vortreffliche Fluth«.

Nach zehn Tagen, am 13. October, setzt sich das Juwel des Stillen Oceans in früher Morgenstunde wieder in Bewegung. Von dem Hauptorte Pomotous[176] aus gelangt es nun nach der westlichen Grenze des Archipels. Dem Commodore Ethel Simcoë vermag die fast unglückliche Anhäufung von Inseln und Eilanden, Klippen und Atolls in keiner Weise in Verlegenheit zu bringen.

Er windet sich, ohne den geringsten Stoß erlitten zu haben, aus dem »Schlimmen Meere« heraus, und vor ihm liegt nun der Theil des Großen Oceans der durch einen Zwischenraum von vier Graden, den Archipel von Pomotou von dem der Gesellschaftsinseln trennt. Hier schwenkt das von[177] zehn Millionen Pferdekräften getriebene Standard-Island etwas nach Südwesten ab und steuert nun dem von Bougainville so begeistert gepriesenen, zauberhaft schönen Tahiti zu.

Quelle:
Jules Verne: Die Propeller-Insel. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXVII–LXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 164-178.
Lizenz:

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon