Fünfzehntes Capitel.
In Erwartung.

[179] Als ich wieder zu mir kam, sehe ich, daß ich auf der Lagerstatt in meiner Zelle ausgestreckt bin, wo ich, wie es scheint, seit dreißig Stunden gelegen habe.

Ich bin nicht allein. Der Ingenieur Serkö ist bei mir. Er hat mir alle mögliche Pflege angedeihen lassen... hat mich persönlich gepflegt, nicht als einen Freund, mein' ich, sondern als einen Mann, von dem man unentbehrliche Aufklärungen erwartet und dessen man sich ebenso leichten) Herzens entledigt, wenn das allgemeine Interesse es erfordert.

Noch sehr geschwächt, wär' es mir unmöglich, einen Schritt zu thun. Es hatte wenig gefehlt, so wär' ich in der engen Abtheilung des »Sword« erstickt, als dieser unter dem Wasser der Lagune lag. Doch wenn ich auch imstande bin, auf die Fragen zu antworten, die der Ingenieur Serkö gewiß brennt, über jenes Abenteuer an mich zu richten, jedenfalls werd' ich mir die äußerste Zurückhaltung auferlegen.

Zuerst frag' ich mich, wo der Lieutenant Davon und die Besatzung des »Sword« wohl sein mögen. Wären die muthigen Engländer bei der Collision umgekommen?... Sind sie ebenso heil und gesund wie wir?... denn ich nehme an daß Thomas Roch nach dem wiederholten Zusammenstoße des Tug und des »Sword« ebenfalls mit dem Leben davongekommen ist.

Da legt mir der Ingenieur Serkö schon eine erste Frage vor.

»Erklären Sie mir, was hier vorgegangen ist, Herr Hart!«

Statt zu antworten, kommt mir der Gedanke, ihn zu befragen.

»Und Thomas Roch?... stoß' ich hervor.[179]

– Befindet sich ganz wohl, Herr Hart. Doch was ist hier vorgefallen? wiederholt er gebieterischen Tones.

– Vor allem, lenke ich ab, sagen Sie mir, was aus den Andern geworden ist.

– Welchen Andern? erwidert Serkö, dessen Auge einen drohenden Glanz annimmt.

– Aus den Leuten, die mich und Thomas Roch überfallen, uns geknebelt... fortgeschleppt... eingeschlossen haben... Wo? das weiß ich freilich selbst nicht!«

Eine flüchtige Ueberlegung sagt mir, daß es am besten ist, mich so hinzustellen, als ob ich an jenem Abend das Opfer eines plötzlichen Ueberfalls geworden wäre, während dessen mir keine Zeit blieb, die Urheber dieses Angriffs zu erkennen.

»Wie die Sache für jene abgelaufen ist, antwortet der Ingenieur Serkö, das werden Sie schon noch erfahren. Zunächst sagen Sie mir, wie das Ganze sich zugetragen hat...«

Bei dem drohenden Tone, den seine Stimme angenommen hat, während er dieselbe Frage zum dritten Male wiederholt, erkenne ich, welcher Verdacht auf mich fallen mag. Und doch, um in der Lage zu sein, mich der Unterhaltung von Beziehungen zur Außenwelt anzuklagen, müßte ja die Tonne mit meiner Mittheilung in Ker Karraje's Hände gefallen sein. Das ist aber nicht so, da sie von den Behörden der Bermudas aufgefangen wurde. Nein, eine solche Anklage gegen mich würde auf sehr schwachen Füßen ruhen...

Ich begnüge mich also zu berichten, daß ich gestern Abend gegen acht Uhr am Ufer umhergegangen sei und gesehen habe, wie sich Thomas Roch nach seinem Laboratorium zu begab, als drei Männer mich von rückwärts ergriffen. Einen Knebel am Munde und mit verbundnen Augen fühlte ich nur, wie sie mich forttrugen und mit einer zweiten Person – aus deren Seufzen ich meinen alten Pflegebefohlnen zu erkennen glaubte – nach einer Art Loch hinunterließen. Natürlich kam mir der Gedanke, daß wir uns an Bord eines schwimmenden Bauwerks befänden, und das konnte meiner Ansicht nach nur der zurückgekehrte Tug sein. Dann schien es mir, als ob das Ganze versenkt würde, bis ich durch einen Stoß umgeworfen wurde. Bald mangelte es mir an Luft und schließlich verlor ich das Bewußtsein... weiter wußte ich nichts...

Der Ingenieur Serkö hört mir mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Sein Blick ist starr, die Stirn gerunzelt, und doch kann er keine Ursache haben zu glauben, daß ich ihm nicht die Wahrheit gesagt hätte.[180]

»Sie behaupten von drei Männern überfallen worden zu sein? fragt er mich.

– Gewiß. Ich glaubte, es wären einige von Ihren Leuten. Ich habe sie nicht herankommen sehen... Wer waren sie denn?...

– Fremde, die Sie an ihrer Sprache erkennen mußten.

– Sie haben kein Wort gesprochen.

– Sie hatten keine Vermuthung, welcher Nationalität sie angehörten?

– Nicht die geringste.

– Wissen auch nicht, welche Absicht sie bei ihrem Eindringen in unsre Höhle hatten...

– Wie sollt' ich das wissen?...

– Und was denken Sie von dem allen?

– Was ich davon denke, Herr Serkö?... Ich wiederhole Ihnen, daß ich glaubte, zwei oder drei von Ihren Raubgesellen wären beauftragt worden, mich auf Befehl des Grafen d'Artigas in die Lagune zu werfen... daß mit Thomas Roch dasselbe geschehen sollte... da Sie, jetzt im Besitz seiner Geheimnisse – wie Sie mir ja versichert haben – nichts mehr zu thun hatten, als sich seiner und meiner in einfachster Weise zu entledigen.

– Ja freilich, Herr Hart, dieser Gedanke konnte in Ihnen aufsteigen... antwortet der Ingenieur Serkö, ohne diesmal in seinen gewohnten spöttelnden Ton zurückzufallen.

– Ich gestehe jedoch, daß ich davon abkam, als ich, nachdem ich mir die Binde abgestreift hatte, erkannte, daß ich in einer Abtheilung des Tug untergebracht worden war.

– Das war nicht unser Tug, sondern ein ähnliches Fahrzeug, das durch den Tunnel gekommen war.

– Noch ein unterseeisches Schiff?... rief ich verwundert.

– Ja, und bemannt mit Leuten, die Sie und Thomas Roch entführen wollten...

– Uns entführen?... versetzte ich, die größte Ueberraschung heuchelnd.

– Und ich frage Sie nun, fuhr der Ingenieur Serkö fort, was Sie von der ganzen Sache denken.

– Nun, da erscheint mir nur eine einzige Erklärung annehmbar. Wenn das Geheimniß Ihres Schlupfwinkels nicht verrathen worden ist – und ich weiß weder, wie ein solcher Verrath möglich gewesen wäre, noch welche Unklugheit Sie oder die Andern hätten begehen können – so glaube ich, daß jenes[181] unterseeische Fahrzeug bei einer Untersuchung der benachbarten Meerestheile die Mündung des Tunnels zufällig entdeckt hat... nachher durch diese eingelaufen und in der Lagune aufgestiegen ist... daß seine Mannschaft, überrascht sich im Innern einer Höhle mit einer Anzahl Bewohnern zu sehen, die ersten, die ihnen in den Weg kamen, Thomas Roch... mich... vielleicht noch andre... was weiß ich?... aufgegriffen haben.«

Der Ingenieur Serkö ist sehr ernst geworden. Fühlt er die Haltlosigkeit der Hypothese, die ich ihm suggerieren will?... Glaubt er, daß ich mehr weiß, als ich aussprechen will?... Gleichviel, er scheint meine Antwort, so wie sie war, hinzunehmen, und fährt weiter fort:

»In der That, Herr Hart, in dieser Weise dürfte sich der Vorgang abgespielt haben, und als das fremde Schiff wieder durch den Tunnel einfahren wollte, grade als der Tug daraus hervorglitt, kam es zu einer Collision... einer Collision, der jenes Fahrzeug zum Opfer fiel. Wir sind aber nicht die Leute dazu, unsre Mitmenschen umkommen zu lassen. Uebrigens wurde Ihr und Thomas Roch's Verschwinden sehr bald ruchbar. Auf jeden Fall mußten zwei so kostbare Leben gerettet werden. Wir gingen sofort ans Werk. Unter unsern Leuten giebt es geschickte und erfahrne Taucher. Diese stiegen bis zum Grunde der Lagune hinab, befestigten Taue unter dem Rumpfe des »Sword«...

– Des »Sword«?... fiel ich ein.

– Ja, diesen Namen lasen wir am Vordertheile des Fahrzeugs, als es emporgehoben war... Welche Befriedigung, als wir Sie, freilich ganz bewußtlos, auffanden, und welches Glück, daß wir Sie ins Leben zurückrufen konnten!... Leider sind unsre Bemühungen hinsichtlich des Officiers vom »Sword« und seiner Mannschaft fruchtlos gewesen. Der Zusammenstoß hatte die Abtheilungen in der Mitte und im Hintertheile, wo diese sich befanden, durchbrochen, und sie haben den unglücklichen Zufall mit dem Leben gebüßt... nur den Zufall – wie Sie sagen – nach unserm geheimen Zufluchtsorte eingedrungen zu sein.«

Die Mittheilung von dem Tode des Lieutenants Davon und seiner Leute schnürte mir das Herz zusammen. Um meiner Rolle treu zu bleiben – da es ja Leute betraf, die ich meiner Aussage nach nicht kannte – mußte ich mich jedoch beherrschen. Es kam ja vor allem darauf an, den Verdacht zu vermeiden, daß zwischen dem Führer des »Sword« und mir irgendwelche Beziehungen bestanden hätten. Wer kann denn wissen, ob der Ingenieur Serkö jenes Erscheinen des »Sword« wirklich »dem Zufall allein« zuschreibt, wenn er nicht gewisse, wenigstens[182] für jetzt giltige Gründe hat, die von mir erdachte Erklärung ohne Widerspruch hinzunehmen?...

Alles in allem ist die unerwartete Gelegenheit, meine Freiheit wieder zu erlangen, unwiederbringlich verloren. Jedenfalls weiß man nun aber, woran man sich bezüglich des Seeräubers Ker Karraje zu halten hat, da meine Aufzeichnungen den englischen Behörden der Inselgruppe in die Hände gekommen sind Erscheint der »Sword« nicht wieder an den Bermudas, so wird ohne Zweifel eine neue Unternehmung gegen Back-Cup angeordnet werden, wo ich ohne jenes unselige Zusammentreffen – der Rückkehr des Tug in der Minute der Ausfahrt des »Sword« – nicht mehr als Gefangner schmachtete.

Ich habe meine gewöhnliche Lebensweise wieder aufgenommen, und da man kein Mißtrauen gegen mich hegt, ist es mir wie früher gestattet, in der Höhle nach Belieben umher zu gehen.

Das letzte Abenteuer hat für Thomas Roch offenbar keine übeln Folgen gehabt. Eine verständige Pflege hat ihn ebenso wie mich gerettet. Im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten setzt er seine Arbeiten fort und verweilt oft ganze Tage lang in seinem Laboratorium.

Was die »Ebba« betrifft, so hat diese von ihrer letzten Fahrt Ballen, Kisten und eine Menge Gegenstände von verschiedner Herkunft mitgebracht, woraus ich schließe, daß bei dem letzten Raubzuge wieder mehrere Schiffe geplündert worden sind.

Die Arbeit bezüglich der Vollendung der Bockgestelle wird mit andauerndem Eifer betrieben. Von den furchtbaren Kriegsmaschinen werden fünfzig Stück hergestellt.


Der Ingenieur Serkö hört mir mit gespannter Aufmerksamkeit zu. (S. 180.)
Der Ingenieur Serkö hört mir mit gespannter Aufmerksamkeit zu. (S. 180.)

Wenn Ker Karraje und der Ingenieur Serkö in die Lage kämen, Back-Cup vertheidigen zu müssen, so würden schon drei bis vier davon genügen, das Eiland vor jedem Ueberfall zu bewahren, da sie eine ausgedehnte Zone bestreichen, in die sich kein Schiff wagen könnte, ohne zerstört zu werden. Ich denke mir aber, sie wollen Back-Cup in Vertheidigungszustand setzen, nachdem sie folgende Möglichkeiten erwogen haben:

»War das Erscheinen des »Sword« in der Lagune wirklich nur ein Werk des Zufalls, so erleidet unsre Lage keine Aenderung, und keine Macht, nicht einmal England, wird auf den Gedanken kommen, den »Sword« unter dem Felsenpanzer des Eilands zu suchen. Ist dagegen auf vorläufig unbegreifliche Weise bekannt geworden, daß Back-Cup als Schlupfwinkel für Ker Karraje dient, und bildete die Aussendung des »Sword« eine erste feindliche Unternehmung[183] gegen das Eiland, so muß man auch eine zweite unter veränderten Bedingungen erwarten, entweder einen Angriff aus der Ferne oder eine erzwungne Landung. So lange wir also Back-Cup nicht verlassen und unsre Schätze anderswo in Sicherheit bringen können, müssen wir den Fulgurator zur Vertheidigung benutzen.«

Meiner Ansicht nach könnten diese Erwägungen noch weiter gegangen sein und die Verbrecher sich gesagt haben:

»Steht die erste Unternehmung gegen Back-Cup, sie mag nun wie immer gekommen sein, in einer Verbindung mit der zweifachen Entführung aus dem[184]

Healthful-House?... Weiß jemand, daß Thomas Roch und sein Wärter auf dem Eilande gefangen sind?...


Viele vor den Stürmen geflohne Seevögel suchen im Innern Schutz. (S. 188.)
Viele vor den Stürmen geflohne Seevögel suchen im Innern Schutz. (S. 188.)

Weiß jemand, daß deren Entführung zu Gunsten des Seeräubers Ker Karraje erfolgte?... Haben Amerikaner, Engländer, Franzosen, Deutsche, Russen und andre auch Ursache zu glauben, daß jeder offne gewaltsame Angriff gegen das Eiland erfolglos bleiben müßte?...«

Angenommen aber, daß das alles bekannt war, so mußte Ker Karraje doch voraussetzen, daß die Mächte trotz der schlimmsten Gefahren vor einem Angriffe nicht zurückschrecken würden. Ein Interesse ersten Ranges, eine Pflicht gegen das Allgemeinwohl und die Menschheit, erforderten die Zerstörung seines Schlupfwinkels. Nachdem sie früher die Meere des westpacifischen Oceans unsicher gemacht hatten, treiben der Pirat und seine Spießgesellen ihr lichtscheues Wesen jetzt auf dem Atlantischen Ocean. Sie müssen vernichtet werden, koste es, was es wolle!

In jedem Falle, und wenn man auch nur der letzten Annahme zuneigte, machte sich für die Insassen der Höhle von Back-Cup nun ein beständiger Wachdienst nöthig. Dieser wird vom ersten Tage ab auch unter den strengsten Vorschriften eingerichtet. Mit Hilfe des ausgebrochnen Ganges können die Piraten, ohne erst den Tunnel benutzen zu müssen, nach außen gelangen. Hinter den niedrigeren Felsen des Ufers versteckt, beobachten sie Tag und Nacht den gesammten Horizont, wozu sich des Abends und des Morgens je zwölf Mann ablösen. Jedes Auftauchen eines Schiffes auf hohem Meere, jede Annäherung irgendwelchen Bootes konnte so augenblicklich gemeldet werden.

An den nächsten Tagen ereignet sich nichts besondres; sie folgen einander in tödtlicher Eintönigkeit. Freilich hat man die Empfindung, daß sich Back-Cup nicht länger der frühern Sicherheit erfreut. Es herrscht eine unbestimmte und entmuthigende Unruhe. Jeden Augenblick fürchtet man von den Wächtern am Ufer den Ruf »Achtung! Achtung!« zu hören. Die Lage gleicht nicht mehr der, wie sie vor dem Erscheinen des »Sword« war. Wackrer Lieutenant Davon, brave Mannschaft, mögen England und alle civilisierten Staaten nie vergessen, daß Ihr Euer Leben im Dienste der Menschlichkeit geopfert habt!

Es ist nicht zu verkennen, daß Ker Karraje, der Ingenieur Serkö und der Kapitän Spade, so mächtig auch ihre Vertheidigungsmittel sind und so sehr diese eine ganze Flotte von Torpedos übertreffen, unter einer Besorgniß leiden, die sie vergeblich zu verhehlen suchen. Sie verhandeln und berathen auch häufig mit einander. Vielleicht erwägen sie die Frage, Back-Cup unter Mitnahme ihrer[187] Schätze zu verlassen, denn wenn dieser Zufluchtsort bekannt ist, wird man ihn schon, und sei es durch Aushungerung, zu bezwingen wissen.

Ich weiß nicht, was hiervon zutrifft, das wichtigste bleibt es doch, daß man mich nicht im Verdacht hat, jenes an den Bermudas so glücklich aufgefangne Tönnchen durch den Tunnel befördert zu haben. Der Ingenieur Serkö hat darüber wenigstens niemals eine Andeutung fallen lassen. Nein, ich bin nicht verdächtigt worden und erscheine auch nicht verdächtig. Wäre es anders, so kenne ich den Charakter des Grafen d'Artigas gut genug, um zu wissen, daß er mich schon dem Lieutenant Davon und der Mannschaft des »Sword« auf den Grund der Lagune nachgesendet hätte.

Das Meer hier wird von jetzt an täglich von schweren Winterstürmen heimgesucht. Am Gipfel des Eilands heult und braust es entsetzlich.

Die Luftwirbel, die sich im Pfeilerwalde fangen, bringen ein prächtiges Tönen hervor, als wenn unsre Höhle den Resonanzboden eines riesenhaften Instrumentes bildete. Das Heulen von draußen ist zuweilen so stark, daß es das Feuer eines ganzen Artilleriegeschwaders übertönen würde. Viele vor den Stürmen geflohne Seevögel suchen im Innern Schutz und betäuben uns, wenn der Sturm einmal schweigt, mit ihrem scharfen Geschrei.

Es ist anzunehmen, daß die Goelette bei so schlechtem Wetter sich nicht auf dem Meere halten könne. Das kommt jedoch gar nicht in Frage, da Back-Cup für den ganzen Winter mit Proviant versehen ist. Ich glaube auch, daß der Graf d'Artigas es in Zukunft minder eilig haben wird, seine »Ebba« an der amerikanischen Küste spazieren zu führen. Er dürfte dort Gefahr laufen, nicht mehr mit der einem reichen Jachtbesitzer schuldigen Rücksicht, sondern in der Art und Weise empfangen zu werden, wie es der Seeräuber Ker Karraje verdient.

Bedeutete nun das Erscheinen des »Sword« den Anfang des Feldzugs gegen das der öffentlichen Rache denuncierte Eiland, so drängt sich eine Frage hervor... eine Frage von höchster Wichtigkeit für die Zukunft von Back-Cup.

Sehr vorsichtig, um ja keinen Verdacht zu erwecken, wage ich es daher eines Tages, den Ingenieur Serkö über diesen Punkt auszuforschen.

Wir befanden uns eben in der Nähe des Laboratoriums Thomas Roch's und waren schon einige Zeit im Gespräch miteinander, als der Ingenieur Serkö noch einmal auf jenes merkwürdige Erscheinen eines unterseeischen Fahrzeugs englischer Nationalität im Gewässer der Lagune zu sprechen kam.[188]

Heute schien er mir mehr dem Glauben zuzuneigen, daß es sich dabei um einen überlegten Anschlag gegen die Bande Ker Karraje's gehandelt habe.

»Das ist meine Meinung nicht, hab' ich geantwortet, ehe ich auf die Frage, die ich an ihn stellen wollte, überging.

– Und warum nicht? fragte er weiter.

– Weil man, wenn Ihr Zufluchtsort bekannt geworden wäre, gewiß schon einen Versuch gemacht hätte, wenn auch nicht in die Höhle einzudringen, so doch wenigstens Back-Cup zu zerstören.

– Es zerstören, rief der Ingenieur Serkö, zerstören!... Das würde bei den Abwehrmitteln, die uns jetzt zu Gebote stehen, mindestens sehr gefährlich sein.

– Ja, davon weiß niemand etwas, Herr Serkö. Weder in der Alten, noch in der Neuen Welt hat man eine Ahnung davon, daß die Entführung aus dem Healthsul-House in Ihrem Interesse erfolgte, daß es Ihnen gelungen ist, mit Thomas Roch bezüglich seiner Erfindung handelseinig zu werden.«

Der Ingenieur Serkö antwortet nichts gegen diese Bemerkung, die ja übrigens keinen Einwurf zuläßt.

Ich nehme also wieder das Wort.

»Ein von den Seemächten, die an der Vernichtung dieses Eilands ein Interesse haben, ausgesendetes Geschwader würde demnach gar nicht zaudern, sich ihm zu nähern... es mit einem Hagelschauer von Geschossen zu überschütten... Da das noch nicht geschehen ist, wird es auch nicht dazu kommen, einfach weil jetzt kein Mensch etwas von Ker Karraje weiß. Sie werden zugeben, daß das für Sie ein sehr günstiger Sachverhalt ist.

– Mag sein, antwortet der Ingenieur Serkö, doch ändert das nichts an der Sachlage Ob man es nun weiß oder nicht – wenn sich Kriegsschiffe unserm Eiland auf vier bis fünf Seemeilen nähern, werden sie in den Grund gebohrt werden, ehe sie von ihren Geschützen Gebrauch machen können.

– Mag sein, sag' ich nun, doch nachher?...

– Nachher?... Da liegt doch die Wahrscheinlichkeit vor, daß andre sich nicht wieder heranwagen werden.

– Auch das zugegeben. Die Schiffe werden Sie aber außerhalb der gefährdeten Zone blokieren und die »Ebba« wird fernerhin nicht mehr nach den Häfen gelangen können, die sie mit dem Grafen d'Artigas sonst aufsuchte. Wie wird es dann um die nöthige Proviantzufuhr für die Insel bestellt sein?«

Der Ingenieur Serkö schwieg.[189]

Gewiß hat ihn diese Frage schon beschäftigt, doch ebenso gewiß hat er keine Lösung derselben gefunden. Ich meine, die Seeräuber denken bereits daran, Back-Cup zu verlassen.

Da sich der Ingenieur aber durch meine Bemerkungen nicht an die Wand drücken lassen will, sagt er nach einiger Ueberlegung:

– O, dann würde uns immer noch der Tug bleiben, und was die »Ebba« nicht vollbringen kann, das führt der Schlepper aus.

– Der Tug! rufe ich unwillkürlich lauter aus. Wenn man die Geheimnisse Ker Karraje's einmal kennt, ist dann anzunehmen, daß man nichts von dem Vorhandensein des unterseeischen Bootes des Grafen d'Artigas wüßte?«

Der Ingenieur Serkö wirft mir einen durchdringenden Blick zu.

»Herr Hart, sagt er, Sie gehen in Ihren Schlußfolgerungen etwas weit!

– Ich, Herr Serkö?...

– Ja, ich finde, Sie sprechen über alles das wie Einer, der davon mehr weiß, als es recht ist!«

Diese Bemerkung schneidet mir das Wort ab. Offenbar droht meine Argumentation ihm den Gedanken nahe zu legen, daß ich bei den letzten Ereignissen die Hand im Spiele gehabt haben könnte. Die Augen des Ingenieur Serkö sind unverwandt auf mich gerichtet, seine Blicke durchbohren mich... zerwühlen mir das Gehirn...

Mein kaltes Blut bewahrend, antworte ich aber in ruhigem Tone:

»Herr Serkö, Beruf und Neigung haben mich gewöhnt, über alle Sachen reiflich nachzudenken. Nur deshalb hab' ich Ihnen das Ergebniß meiner Ueberlegung mitgetheilt, von dem Sie soviel Gebrauch machen mögen, wie Ihnen beliebt.«

Damit trennen wir uns. Vielleicht hab' ich aber durch Nichtbeachtung hinreichender Zurückhaltung einen Verdacht erweckt, den wieder zu beseitigen mir schwer fallen dürfte.

Aus dem Zwiegespräch hab' ich indeß eine Sache von Wichtigkeit kennen gelernt, die Gewißheit, daß die Zone, die der Fulgurator gefährdet, zwischen vier bis fünf Seemeilen entfernt liegt. Vielleicht... bei der nächsten Aequinoctialebbe... eine Mittheilung in einer andern kleinen Tonne... Freilich, ich muß lange Monate warten, bis die obere Tunnelmündung bei Tiefwasser wieder freiliegt! Und dann, würde diese zweite Notiz ebenso an die richtige Stelle gelangen, wie meine erste?...[190]

Das schlechte Wetter dauert fort, die Windstöße sind furchtbarer als je – doch das ist an den Bermudas im Winter nichts Ungewöhnliches. Sollte es der Zustand des Meeres sein, der einen zweiten Vorstoß gegen Back-Cup verzögert?...

Der Lieutenant Davon hatte mir doch versichert, daß, im Fall sein Zug scheiterte und der »Sword« nach Saint-Georges nicht zurückkehrte, eine zweite Expedition unter andern Verhältnissen ausgerüstet werden sollte, um mit dem Schlupfwinkel der Seeräuber aufzuräumen. Es thut wahrlich noth, daß das Werk der Gerechtigkeit sich früher oder später vollende und die gänzliche Zerstörung Back-Cups herbeiführe... sollte ich diese Zerstörung auch selbst nicht überleben!

Ach könnt' ich nur, und wär's einen einzigen Augenblick, die belebende Luft der Außenwelt athmen!... Warum ist es mir verwehrt, einen Blick auf den fernen Horizont der Bermudas zu werfen!... Mein ganzes Leben drängt sich in diesem Wunsch zusammen... ich möchte den Gang durchschreiten, nach dem Ufer gelangen, mich zwischen den Felsblöcken verbergen... Und wer weiß, ob ich nicht der erste wäre, der die Rauchsäulen eines auf das Eiland zusteuernden Geschwaders erblickte?...

Leider war eine solche Absicht unausführbar, da beide Enden des Ganges Tag und Nacht von einigen Leuten bewacht wurden. Niemand darf diesen ohne eine Ermächtigung des Ingenieur Serkö betreten. Wagte ich es doch, so setzte ich mich nur der Gefahr aus, meine Bewegungsfreiheit innerhalb der Höhle zu verlieren... und vielleicht auch noch etwas Schlimmerm...

Es erscheint mir in der That so, als hätte der Ingenieur Serkö seit unserm letzten Gespräche sein Benehmen gegen mich verändert. Sein sonst spöttischer Blick ist mißtrauisch, fragend und forschend geworden, ebenso wie der Ker Karraje's.

Am 17. November. – Im Laufe des heutigen Nachmittags entstand in Bee-Hive eine lebhafte Bewegung. Alle stürzten aus den Zellen und laute Ausrufe schwirrten durcheinander.

Ich springe vom Lager auf und eile ebenfalls hinaus.

Die Seeräuber laufen nach der Seite des Ganges zu, an dessen Eingange sich Ker Karraje, der Ingenieur Serkö, der Kapitän Spade, der Obersteuermann Effrondat, der Maschinist Gibson und der Malaie, der im speciellen Dienste des Grafen d'Artigas steht, schon versammelt haben.[191]

Die Ursache dieser Aufregung sollte ich bald kennen lernen, denn die Wächter von draußen stürmen unter Alarmrufen herein.

Im Nordwesten sind mehrere Schiffe gesehen worden – Kriegsschiffe, die unter Volldampf auf Back-Cup zusteuern.

Quelle:
Jules Verne: Vor der Flagge des Vaterlands. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXIX, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 179-185,187-192.
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