[31] Max Huber, Llanga und Khamis durchflogen in zehn Minuten die fünfzehnhundert Meter, die sie vom Lagerplatze trennten. Nicht ein einziges Mal hatten sie sich dabei umgesehen, unbekümmert darum, ob die Eingebornen, die ihre Fackeln gelöscht hatten, sie verfolgten oder nicht. Auf der Seite nach diesen hin herrschte übrigens vollkommene Ruhe, während von der entgegengesetzten her ein wüster Lärm mit erschreckenden Tönen dazwischen auf der Ebene hörbar war.
Als die beiden Männer und der Knabe im Lager anlangten, war hier alles eine Beute des Schreckens... eines Schreckens, der gerechtfertigt erschien durch das Drohen einer Gefahr, gegen die Muth und Klugheit so gut wie nichts vermochten. Ihr zu trotzen... unmöglich!... Ihr zu entfliehen?... Das war vielleicht zu spät.[31]
Max Haber und Khamis hatten sich sofort John Cort und Urdax angeschlossen, die etwa fünfzig Schritt weit vor dem Hügel standen.
»Eine Herde Elefanten! rief der Foreloper.
– Ja, bestätigte der Portugiese, und vor Ablauf einer Viertelstunde werden sie über uns gekommen sein.
– Wir sollten im Walde Schutz suchen, meinte John Cort.
– Der Wald wird sie auch nicht aufhalten, wendete Khamis dagegen ein.
– Wie steht es denn mit den Eingebornen? erkundigte sich John Cort.
– Wir haben keinen einzigen davon sehen können, antwortete Max Huber.
– Sie können doch den Wald unmöglich verlassen haben.
– Nein, gewiß nicht!«
In der Entfernung etwa einer halben Lieue bemerkte man jetzt eine große Menge schwankender Schattengestalten, die sich in einer Ausdehnung von hundert Toisen heranwälzte, ähnlich einer mächtigen Fluth, deren Wellen donnernd über die Ebene hereinbrachen. Der Erdboden erzitterte schwach unter einem schweren Stampfen, eine Erschütterung, die sich bis zu den Wurzeln der Tamarinden fühlbar machte. Das verwirrte Geräusch nahm schnell in beängstigender Weise zu. Gellende Laute, untermischt mit metallenen Tönen, drangen aus Hunderten von Rüsseln... wie von ebensoviel scharf angeblasenen Trompeten.
Die Reisenden in Afrika haben das schauerliche Concert ganz treffend mit dem Getöse verglichen, das auf dem Schlachtfelde eine mit größter Schnelligkeit dahinziehende Artillerieabtheilung hervorbringt. Das stimmt wenigstens unter der Voraussetzung, daß dazu Trompeten ihre ohrzerreißenden Töne in die Luft schmettern. Das Entsetzen des Personals der Karawane bei dem Gedanken. bald von einer Herde Elefanten elend zertreten zu werden, kann man sich dann wohl leicht vorstellen.
Eine Jagd auf die mächtigen Thierkolosse ist allemal mit ernster Gefahr verknüpft. Diese vermindert sich nur, wenn es gelingt, sie zu überraschen, ein einzelnes der Pachydermen von der Herde, wozu es gehört, zu trennen und auf dieses unter Verhältnissen zu schießen, die einen Erfolg erwarten lassen. denn nur, wenn den Elefanten eine Kugel zwischen Auge und Ohr trifft wird das große Thier fast auf der Stelle getödtet. Selbst wenn eine Herde gelegentlich nur aus einem halben Dutzend der mächtigen Rüsselthiere besteht, ist die allergrößte Vorsicht nöthig. Fünf bis sechs Paaren wüthender Elefanten gegenüber, ist schon an keinen Widerstand mehr zu denken, da ihre Waffe[32] – würde ein Mathematiker sagen – sich im Verhältniß des Quadrats ihrer Geschwindigkeit vergrößert.
Stürzen sich die furchtbaren Thiere gar zu Hunderten auf ein Lager, so kann man ihren Ansturm ebensowenig aufhalten, wie eine Lawine oder wie eine Springfluth, die die Schiffe kilometerweit vom Ufer aufs Land schleudert.
So zahlreich diese Thierart jetzt noch ist, wird sie doch endlich verschwinden. Da ein Elefant wenigstens für tausend Francs Elfenbein liefert, stellt man ihm mit zähester Hartnäckigkeit nach.
[33] Nach der Berechnung Foa's werden – meist im Herzen Afrikas jährlich nicht weniger als vierzigtausend Elefanten erlegt. Diese liefern etwas siebenhundertfünfzigtausend Kilogramm Elfenbein, das nach England verschiffen wird. Nach einem halben Jahrhundert dürfte es, trotz der Langlebigkeit diese Thiere, kein einziges davon mehr geben. Wäre es nicht empfehlenswerther, aus der Züchtung und Zähmung der kostbaren Thiere Nutzen zu ziehen, da ein Elefant dieselbe Last tragen kann, wie zweiunddreißig Menschen, und einen viermal längeren Weg zurückzulegen vermag, als ein Fußgänger? Gezähmt würden sie auch, wie in Indien, reichlich doppelt so viel werth sein, als der Ertrag, der man durch ihre Abschlachtung gewinnt.
Der afrikanische Elefant bildet mit dem asiatischen die zwei einzigen noch vorkommenden Arten, die sich mehrfach unterscheiden. Die ersten sind kleinen, haben eine braunere Haut, eine mehr vorgewölbte Stirn, dazu größere Ohren und längere Stoßzähne, als ihre asiatischen Genossen, sie sind auch weit wilde als diese und kaum einigermaßen zu zähmen.
Während seines jetzigen Jagdzuges war der Portugiese entschieden von Glücke begünstigt worden, und auch die beiden Liebhaber dieses Sports konnten sich wohl für befriedigt erklären. In Lybien sind die Dickhäuter, wie erwähnt noch in großer Zahl zu finden. Die Gebiete von Ubanghi bieten ihnen, was sie suchen: Wälder und bei ihnen vorzüglich beliebte sumpfige Ebenen. Hier leben sie truppweise, gewöhnlich angeführt von einem alten männlichen Thiere. Inder Urdax und seine Begleiter sie auf fest umplankte Plätze lockten, ihnen Falle stellten oder vereinzelt angetroffene unmittelbar angriffen, hatten sie, ohne Unfälle wenn auch nicht ohne Gefahren und Mühseligkeiten, eine reiche Beute zusammen gebracht. Jetzt auf dem Rückwege schien es freilich, als ob die ganze Karawane von der aufgeregten Horde, die dahertrabend die Luft mit ihrem Getöse erfüllte mit Stumpf und Stiel vernichtet werden sollte.
Hatte der Portugiese noch Zeit genug gehabt, Vertheidigungsmaßregel gegen den vermutheten Angriff der am Rande des Waldes umherschwärmende Eingebornen zu treffen, so war gegen den jetzt drohenden Ueberfall so gut wie nichts zu thun. Von dem ganzen Lager würden bald nur Trümmer und Staub übrig sein. Nur eine einzige Frage galt es noch: die, ob es dem Personen gelingen werde, sich zu retten, indem es sich auf der Ebene zerstreute. Man vergesse hierbei nicht, daß die Geschwindigkeit des Elefanten eine wunderbar ist und ein Pferd im Galopp ihn nicht zu überholen vermag.[34]
»Wir müssen fliehen... augenblicklich fliehen! rief Khamis dem Portugiesen zu.
– Fliehen... das geht nicht!« antwortete Urdax halb von Sinnen.
Der unglückliche Händler begriff recht wohl, daß er damit sein Material, den ganzen Gewinn seines Zuges einbüßen werde.
Blieb er im Lager zurück, so konnte er freilich auch nichts davon retten, und es war ja überhaupt eine Tollheit, an einen, hier unmöglichen Widerstand zu denken.
Max Huber und John Cort warteten auf eine Entscheidung, der sie sich auf jeden Fall unterwerfen wollten.
Inzwischen wälzte sich die furchtbare Masse weiter heran, und das mit einem solchen Lärm, daß man kaum noch sein eigenes Wort verstand.
Der Foreloper wiederholte, daß man schleunigst hinwegeilen müsse.
»In welcher Richtung? fragte Max Huber.
– Nach dem Walde zu.
– Und die Eingebornen?...
– Von denen droht uns weniger Gefahr als hier,« erklärte Khamis.
Ob das so sicher war, konnte freilich niemand wissen. Auf keinen Fall konnte man jedoch hier auf der Stelle bleiben. Um dem Untergange zu entgehen, gab es nur ein Mittel: die Flucht in den Wald.
Ob es dazu aber noch Zeit war?... Zwei Kilometer zurücklegen, wo die Horde kaum noch halb so weit von ihnen entfernt war?
Alle harrten auf einen Befehl von Urdax, der sich zu einem solchen doch nicht ermannen konnte.
Endlich rief er:
»Den Wagen... den Wagen! Bringt ihn schnell hinter den Hügel, vielleicht bleibt er da unversehrt!
– Zu spät! antwortete der Foreloper.
– Thue, was ich Dir sage! stieß der Portugiese hervor.
– Ja... doch wie?« versetzte Khamis.
Nach Sprengung ihrer Fesseln waren die Zugochsen nämlich, ohne daß jemand sie aufhalten konnte, davon gestürmt und liefen jetzt in ihrer Verwirrung unmittelbar vor der gewaltigen Herde her, die sie bald wie Fliegen zerstampfen mußte.
Da wollte Urdax die Begleitmannschaft der Karawane zu Hilfe ziehen.[35]
»Hierher... die Träger hierher! rief er aus Leibeskräften.
– Die Träger? antwortete Khamis. Holen Sie die Kerle nur, die längst entflohen sind.
– Diese elenden Schurken!« stieß John Cort hervor.
Die Schwarzen waren in der That in westlicher Richtung vom Lager nicht nur davongelaufen, sondern hatten dabei auch noch kleinere Waarenballen und verschiedene Vertheidigungsmittel mitgenommen. Sie ließen ihren Herrn gewissenlos als Feiglinge und als Diebe einfach im Stiche.
Auf diese Leute war also nicht zu rechnen, denn zurück kamen sie sicherlich nicht. Wahrscheinlich fanden sie sogar Unterschlupf in Dörfern von Eingebornen. Von der Karawane waren nun blos noch der Portugiese und der Foreloper, der Franzose, der Amerikaner und der kleine Knabe übrig.
»Den Wagen... den Wagen!« schrie Urdax, der sich darauf versteifte, ihn hinter dem Hügel in Sicherheit zu bringen.
Khamis konnte nicht umhin, mit den Schultern zu zucken. Er gehorchte jedoch, und dank der Unterstützung Max Huber's und John Cort's wurde das Gefährt bis an die Bäume herangeschleppt. Vielleicht blieb es hier verschont, wenn die Herde, bei den Tamarinden angelangt, sich theilte.
Die Sache hatte immerhin einige Zeit gekostet, und als sie abgethan war, lag es auf der Hand, daß es für den Portugiesen und seine Begleiter zu spät war, den Wald noch erreichen zu können.
Khamis sah das zuerst ein und brach nur in die drei Worte aus:
»Auf die Bäume!«
Nur ein Ausweg bot sich jetzt noch: zwischen die Aeste der Tamarinden zu klettern, um wenigstens dem ersten Anprall der Dickhäuter auszuweichen.
Max Huber und John Cort waren noch einmal in den Wagen gestürmt. Sich hier mit Patronenpacketen zu beladen, um wenigstens Munition für die Gewehre zu haben, wenn sie sich dieser gegen die Elefanten bedienen müßten, und nach der früheren Stelle zurückzueilen, das war das Werk eines Augenblickes. Der Foreloper hatte sich nur noch eine Axt und seine Feldflasche geholt. Wenn sie die unteren Gebiete von Ubanghi durchwanderten, konnte er mit den übrigen doch vielleicht noch die Factoreien an der Küste erreichen.
Welche Zeit war es denn jetzt?... Genau siebzehn Minuten nach elf, wie John Cort angab, der seine Uhr mit einem angezündeten Streichhölzchen beleuchtet hatte. Seine Kaltblütigkeit war ihm geblieben, und das ermöglichte ihm,[36] die Sachlage zu beurtheilen, die seiner Ansicht nach schon höchst gefährlich war, aber ganz aussichtslos wurde, wenn die Elefanten am Hügel Halt machten und nicht nach der Ost- oder Westseite der Ebene weiter trabten.
Der nervöse und sich der Gefahr ganz ebenso bewußte Max Huber lief neben dem Wagen hier und dort hin und beobachtete die ungeheure wogende Masse, die, noch dunkler als der Himmel sich von diesem abhob.
»Da müßte man freilich Kanonen zur Hand haben!« murmelte er.
Khamis ließ nichts von dem merken, was er etwa empfand. Er hatte die erstaunliche Ruhe des Afrikaners mit arabischem Blute, dem Blute, das dicker ist als das des Weißen, das auch weniger roth ist, die Empfindung abzustumpfen scheint und auch den physischen Schmerz weniger fühlen läßt. So stand er wartend da mit zwei Revolvern im Gürtel und hielt das Gewehr immer im Anschlag.
Der Portugiese, der seine Verzweiflung nicht verhehlen konnte, dachte offenbar mehr an den unersetzlichen Verlust, den er erleiden sollte, als an die Gefahren dieses Ueberfalles. Er wetterte, seufzte und stieß die gräßlichsten Flüche in seiner Muttersprache hervor.
Llanga hielt sich neben John Cort und sah Max Huber dabei an. Er verrieth keine Furcht, denn er hatte keine, so lange er sich bei seinen beiden Freunden befand.
Je mehr sich die entsetzliche Dickhäuterschaar näherte, desto betäubender wurde der Höllenlärm, der von ihr ausging. Das Trompeten der mächtigen Rüsselthiere verdoppelte sich. Man fühlte ihren Athem schon wie einen Wind, der über die Erde strich. Bei der jetzigen Entfernung von vier- bis fünfhundert Schritten gewannen die Pachydermen im Dunkel der Nacht scheinbar eine unheimliche Größe. Man hätte von einer Apokalypse furchtbarer Ungeheuer reden können, deren Rüssel, gleich Tausenden von Schlangen, sinnlos durcheinander fuchtelten.
Nun war es die höchste Zeit, in die Aeste der Tamarinden zu flüchten. Vielleicht stürmte die feindliche Horde vorbei, ohne den Portugiesen und seine Gefährten zu bemerken.
Der Gipfel dieser Bäume ragte wohl um sechzig Fuß in die Luft empor. Sehr ähnlich den Nußbäumen, doch gekennzeichnet durch die regellose Verschlingung ihres Geästes, sind die Tamarinden, eine Dattelart, in verschiedenen Zonen Afrikas außerordentlich verbreitet. Außer daß die Neger aus dem schleimigen Theile ihrer Früchte ein erquickendes Getränk zu bereiten verstehen, pflegen sie die Schoten[37] des Baumes dem Reis zuzusetzen, mit dem sie sich, vorzüglich in den Küstenländern, vorwiegend ernähren.
Die Tamarinden hier standen so dicht bei einander, daß ihre tieferen Zweige sich untereinander verschlangen, so daß man von einem Baume zum andern gelangen konnte. Ihre Stämme hatten unten einen Umfang von sechs bis acht und am Anfange der Verästelung noch reichlich von vier bis fünf Fuß. Immerhin war damit noch nicht gesagt, daß sie hinreichend widerstandsfähig wären, wenn die Thiere den Hügel stürmten.
Bis an die ersten Aeste hinauf, die sich etwa dreißig Fuß über dem Erdboden abzweigten, boten die Stämme nur eine ganz glatte Oberfläche. Bei der Dicke dieser Schäfte wäre es sehr schwierig gewesen, bis zu ihrer Gabelung hinauf zu gelangen, wenn Khamis nicht einige »Chamboks« zur Hand gehabt hätte. Das sind sehr geschmeidige lange Riemen aus Rhinozeroshaut, deren sich die Forelopers bedienen, die Ochsengespanne zu lenken.
Mittels eines solchen Riemens, der über die Gabelung der Bäume hinweggeworfen wurde, konnten Urdax und Khamis eine der Tamarinden erklimmen Mit Hilfe eines zweiten Riemens gelang es Max Huber und John Cort in gleicher Weise. Sobald diese dann rittlings auf einem Aste saßen, warfen sie das freie Ende ihres Chambok dem jungen Llanga zu, den sie im Handumdrehen zu sich hinauszogen.
Die Herde war jetzt nur noch höchstens dreihundert Meter weit entfernt; binnen zwei bis drei Minuten mußten sie den Hügel erreicht haben.
»Na, lieber Freund, bist Du denn nun zufriedengestellt? fragte John Cort ironisch seinen Kameraden.
– Bah, das ist noch immer weiter nichts, als etwas Unerwartetes, John.
– Ja freilich, Max; etwas Außerordentliches würde es aber sein, wenn wir aus dieser Geschichte mit heiler Haut davonkämen.
– Alles in allem hast Du recht, John. Besser wär' es unbedingt, von diesem Ueberfalle durch Elefanten, die sich gewöhnlich recht brutal benehmen sollen, ganz verschont zu bleiben.
– Nein, das ist unglaublich, lieber Max, daß wir einmal ein und derselben Ansicht sind!« begnügte sich John Cort zu antworten.
Was Huber noch darauf erwiderte, konnte sein Freund nicht verstehen. Gerade jetzt ertönte nämlich ein furchtbares Gebrüll, dann hörte man Schmerzenslaute, bei denen auch die Muthigsten gebebt hätten.[38]
Als sie das Laubwerk auseinander bogen, sahen Urdax und Khamis, was etwa hundert Schritte vom Hügel vorging.
Nachdem die Zugochsen sich losgerissen hatten, konnten sie nur noch nach dem Walde zu fliehen. Leider war kaum zu erwarten, daß die nicht gerade schnellfüßigen Thiere diesen erreichten, ehe sie überfallen wurden. Wirklich wurden sie auch bald zurückgedrängt, und obwohl sie sich mit Füßen und Hörnern verzweifelt wehrten, unterlagen sie doch sehr bald den grimmigen Feinden. Von dem ganzen Gespann blieb vorderhand nur ein Ochse übrig, der sich unglücklicherweise unter die Kronen der Tamarinden flüchtete.
Ja, zum Unglück, denn die Elefanten verfolgten und umringten ihn, als hätten sie das verabredet. Nach wenigen Sekunden war der Wiederkäuer weiter nichts mehr, als ein formloser Haufen zerrissener Fleischtheile, zerbrochener Knochen und blutender Ueberreste, den die knorpelharten Füße der Dickhäuter noch weiter zerstampften.
Nun war der ganze Hügel umringt und jede Aussicht, daß sich die wüthenden Thiere weiter trollen würden, gänzlich verschwunden.
In einem Augenblicke wurde der Wagen gestürmt, aus der Lage gebracht, umgestoßen und unter der schweren Last der Elefanten, die sich um den Hügel gesammelt hatten, bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert.
Zwar fluchte und wetterte der Portugiese aus Leibeskräften aufs neue, darum kümmerten sich aber die Hunderte von Elefanten ebensowenig, wie um einen Flintenschuß, den Urdax auf einen der nächsten, der den Stamm mit seinem Rüssel gepackt hatte, abfeuerte. Die Kugel prallte einfach am Rücken des Ungeheuers ab, ohne bis auf dessen Fleisch einzudringen.
Max Huber und John Cort gaben sich keiner Täuschung hin. Unter der Voraussetzung, daß kein Schuß verloren ging, daß jede Kugel ihr Opfer niederstreckte, hätte man sich wohl der schrecklichen Angreifer erwehren, sie bis zum letzten vernichten können, wenn ihrer nur eine geringe Menge gewesen wären. Der junge Tag hätte dann nur einen Haufen mächtiger Cadaver am Fuße der Tamarinden beleuchtet... doch dreihundert... fünfhundert... vielleicht tausend dieser Thiere!... Es ist ja keine Seltenheit, so große Herden von ihnen im Aequatorialgebiete Centralafrikas zu treffen, und Reisende und Händler berichten übereinstimmend von ungeheueren Ebenen, die über Sehweite hinaus von Thieren dieser und anderer Art bedeckt gefunden wurden.
»Die Geschichte wird ungemüthlich, bemerkte John Cort.[39]
– Man könnte sogar meinen, das dickere Ende käme noch nach,« sagte Max Huber. Dann wendete er sich an den jungen Eingebornen, der neben ihm saß.
»Du hast doch keine Furcht? fragte er.
– Nein, lieber Herr Max, mit Ihnen und bei Ihnen fürchtet sich Llanga niemals!«
Und doch wäre einem Kinde, ja nicht einmal einem Erwachsenen, ein Vorwurf zu machen gewesen, wenn sein Herz jetzt vor Schrecken erzitterte.
Ohne Zweifel hatten die Elefanten nämlich inzwischen bemerkt, was von dem Personal der Karawane noch übrig war.
Da sich jetzt die hinteren Reihen der Thiere an die vorderen herandrängten, wurde deren Kreis um den Hügel immer enger und enger. Ein Dutzend davon versuchte sogar, auf den Hinterbeinen stehend, mit dem Rüssel die tieferen Aeste zu erreichen, was ihnen aber mißlang, da diese gegen dreißig Fuß über der Erde lagen.
Vier Gewehrschüsse krachten jetzt gleichzeitig... vier Schüsse aufs Gerathewohl, denn ein genaues Zielen war unter dem dunkeln Laubwerk der Tamarinden unmöglich.
Laute Schreie und noch wüthenderes Heulen gaben darauf Antwort. Es schien jedoch nicht so, als ob ein Elefant von den Kugeln tödtlich verwundet worden wäre. Vier weniger... das hätte schließlich auch nichts bedeutet.
Die unteren Aeste suchten die Rüssel jetzt gar nicht mehr zu packen. Sie umklammerten vielmehr den Stamm der Bäume, die gleichzeitig unter dem Anprall der gewaltigen Leiber erzitterten. Denn so dick die Tamarinden auch am Fuße waren, so fest sie im Erdboden wurzelten, einem so übermächtigen Andrange mußten sie doch am Ende nachgeben.
Noch einmal blitzte ein Feuerschein auf, diesmal von zwei Schüssen, die der Portugiese und der Foreloper abgegeben hatten. Gerade der Baum, worauf diese beiden saßen, schwankte schon dermaßen, daß er bald umzusinken drohte.
Der Franzose und sein Freund hatten ihre Gewehre noch nicht abgefeuert, sondern hielten sie nur jeden Augenblick schußbereit.
»Wozu sollten wir jetzt schießen? hatte John Cort geäußert.
– Ganz recht, sparen wir lieber unsere Munition, hatte Max Huber darauf geantwortet, später könnten wir's vielleicht bereuen, unsere letzten Patronen schon verplatzt zu haben.«[40]
Die Tamarinde, auf der Urdax und Khamis sich anklammerten, wurde inzwischen so heftig erschüttert, daß man sie in ihrer ganzen Länge knarren und knacken hörte.
Wenn sie nicht entwurzelt wurde, mußte sie jeden falls bald brechen. Die Thiere rannten mit den Stoßzähnen dagegen an, wuchteten daran mit den Rüsseln und lockerten die Wurzeln des Baumes immer mehr.
Noch länger darauf auszuhalten, und wär's nur noch eine Minute gewesen, hieß Gefahr laufen, mit der Tamarinde zu Boden geschleudert zu werden.[41]
»Kommen Sie!« rief der Foreloper dem Portugiesen zu, während er schon versuchte, sich nach dem nächsten Baume zu retten.
Urdax hatte offenbar schon den Kopf verloren. Unausgesetzt schoß er sein Gewehr und seinen Revolver ab, deren Kugeln doch von der rauhen Haut der Pachydermen wie vom Panzer eines Alligators abprallten.
»Kommen Sie! Schnell, schnell!« wiederholte Khamis.
Noch in dem Augenblicke, wo die Tamarinde gerade am heftigsten geschüttelt wurde, gelang es dem Foreloper, einen starken Zweig des Baumes zu packen, worauf Max Huber, John Cort und Llanga Zuflucht gefunden hatten. Dieser Baum war vorläufig weniger bedroht als der andere, gegen den sich die Wuth der Thiere richtete.
»Und Urdax? fragte John Cort besorgt.
– Er wollte mir nicht nachfolgen, erklärte der Foreloper, er weiß nicht mehr, was er thut...
– Der Unglückliche wird hinunterstürzen!
– Wir dürfen ihn nicht da drüben lassen, sagte Max Huber.
– Müssen ihn auch wider seinen Willen zu uns herüberziehen, setzte John Cort hinzu.
– Zu spät!« rief Khamis.
In der That war es schon zu spät. Noch einmal krachte der andere Baum von der Wurzel bis zum Wipfel, dann senkte er sich ächzend zur Erde.
Was dabei aus dem Portugiesen wurde, konnten seine Gefährten nicht sehen; sein Schmerzgeschrei verrieth, daß er unter die Füße der Elefanten gekommen war, und da es sehr bald verstummte, ließ sich vermuthen, daß es mit ihm zu Ende sei.
»Der unglückliche, arme Mann! murmelte John Cort.
– Nun kommt die Reihe gleich an uns, sagte Khamis.
– Das wäre recht bedauerlich! bemerkte Max Huber sehr kühl.
– Noch einmal, lieber Freund, auch hierin bin ich Deiner Ansicht,« erklärte John Cort.
Was nun?... Die den Hügel bestürmenden Elefanten rüttelten jetzt auch an den anderen Bäumen, die sich wie vor einem Sturmwinde bewegten. War Urdaxens schreckliches Ende nicht auch den anderen bescheert, die ihn vielleicht nur um wenige Minuten überlebten?... Gab es für sie eine Möglichkeit, von der Tamarinde zu entkommen, bevor diese umstürzte?... Und wenn sie es[42] wagten, hinabzuklimmen und nach der Ebene hinaus zu entfliehen, würden sie der Verfolgung der wüthenden Herde entgehen... den Wald noch rechtzeitig erreichen?... Bot ihnen dieser dann hinreichende Sicherheit?... Und wenn die Elefanten sie wirklich nicht verfolgten, wären sie diesen dann nicht nur entgangen, um den nicht minder wilden Eingebornen in die Hände zu fallen?...
War aber überhaupt noch die Möglichkeit gegeben, hinter dem Waldrande Schutz zu finden, so mußte sie wenigstens ohne Zögern ausgenutzt werden. Die vernünftige Ueberlegung verlangte, eine ungewisse Gefahr der gewissen vorzuziehen.
Der Baum schwankte immer heftiger, und bei einer solchen Schwankung konnten sogar mehrere Rüssel die tieferen Aeste packen. Der Foreloper und die anderen waren nahe daran, ihren Halt zu verlieren, so furchtbar wurden die Stöße. In seiner Sorge um Llanga legte Max Huber seinen linken Arm um diesen und hielt sich nur noch mit der Rechten fest. In der nächsten Minute schon mußten jetzt die Wurzeln des Baumes nachgeben oder dessen Stamm brechen. Der Sturz der Tamarinde bedeutete aber den Tod derer, die sich in ihre Krone geflüchtet hatten, und bedrohte sie, ebenso wie Urdax zertreten zu werden.
Unter den gewaltsamen, häufigen Stößen gaben endlich die Wurzeln nach, der Erdboden darüber hob sich und der Baum legte sich mehr langsam auf die Erde, als daß er plötzlich umstürzte.
»Nach dem Walde!... Nach dem Walde!« rief Khamis.
An der Seite, wo das Geäst der Tamarinde den Boden berührt hatte, waren die Elefanten ein wenig zurückgewichen und hatten damit das Feld freigegeben. Sofort war der Foreloper auf dem Boden, und die anderen, die seinen Ruf vernommen hatten, folgten ihm auf dem Fuße nach. Alle drei wandten sich eiligst zur Flucht.
Zu Anfang hatten die Thiere, die in ihrer Wuth die noch stehenden Bäume angriffen, die Flüchtlinge nicht bemerkt. Max Huber lief, Llanga unter dem Arme haltend, was ihm die Kräfte gestatteten. John Cort hielt sich ihm zur Seite, bereit, ihm seine Last abzunehmen, doch auch bereit, den ersten von der Herde, der ihm in Schußweite käme, mit einer Kugel zu begrüßen.
Der Foreloper, John Cort und Max Huber hatten kaum einen halben Kilometer zurückgelegt, als etwa zehn Elefanten, die sich von der Herde getrennt hatten, ihre Verfolgung aufnahmen.
»Muth... Muth! ermahnte Khamis. Suchen wir unseren Vorsprung zu behalten – wir kommen noch an's Ziel!«[43]
Ja, vielleicht, dann durfte aber niemand im Laufe nachlassen. Llanga mochte es wohl fühlen, daß Max Huber die Kräfte allmählich schwanden.
»Mich loslassen... Freund Max... mich loslassen!... Ich gute Beine haben! Mich loslassen!«
Max Huber hörte jedoch nicht darauf und strengte sich nur noch mehr an, um nicht zurückzubleiben.
Ein Kilometer war bereits durcheilt, ohne daß die Elefanten merkbar näher gekommen wären. Leider verminderte sich nun aber die Schnelligkeit des Forelopers und seiner Gefährten; von dem überhasteten Laufe drohte ihnen der Athem auszugehen.
Der Waldsaum war jetzt indeß nur noch einige hundert Schritte entfernt, und hinter dem dichten Baumwalle winkte die wahrscheinliche, wenn nicht gewisse Rettung. denn diesen Wall konnten die Thiere schwerlich durchdringen.
»Schnell... schnell! drängte Khamis. Geben Sie Llanga jetzt mir!
– Nein, Khamis... ich trage ihn bis zuletzt!«
Einer der Elefanten befand sich jetzt nur noch ein Dutzend Meter hinter ihnen. Man hörte schon seine Trompetentöne und fühlte bereits die Wärme seines Athems. Der Boden erzitterte unter den gewichtigen Füßen, die einen schnellen Galopp einhielten. Nach einer Minute mußte er Max Huber eingeholt haben, der mit den anderen kaum noch Schritt halten konnte.
Da blieb John Cort stehen, wandte sich um, erhob das Gewehr und zielte einen Augenblick. Der Schuß krachte und traf den Elefanten allem Anscheine nach an richtiger Stelle. Die Kugel hatte ihm das Herz durchbohrt und der Koloß brach beim nächsten Schritte zusammen.
»Das hat gesessen!« murmelte John, als er die Flucht wieder aufnahm.
Die übrigen Thiere, die in kurzen Abständen von einander nachkamen, sammelten sich für kurze Zeit um die daliegende Masse. Das gewährte den Flüchtigen eine gewisse Frist, die sie schleunigst ausnutzen mußten.
Nachdem sie die letzten Bäume des Hügels umgestürzt hatten, stürmte jedenfalls die ganze Herde dem Walde zu.
Weder nahe dem Erdboden, noch in den Wipfeln der Bäume war jetzt noch ein Feuerschein zu bemerken gewesen. Im ganzen Kreise des Horizonts lag alles in tiefer Finsterniß.
Sollten die erschöpften athemlosen Flüchtlinge wirklich noch die Kraft haben, das rettende Ziel zu erreichen?...[44]
»Immer weiter! Schnell weiter!« mahnte Khamis.
Jetzt, wo sie noch gegen hundert Schritt weit zu laufen hatten, waren die Elefanten nur noch etwa vierzig Schritt hinter ihnen zurück.
Mit der äußersten Kraftanstrengung, die ihnen der Trieb der Selbsterhaltung ermöglichte, flogen Khamis, John Cort und Max Huber fast zwischen die ersten Bäume, fielen hier aber zu Tode erschöpft lang nieder.
Vergebens versuchte die Herde durch den Wald einzudringen. Die Bäume standen so dicht, daß sie sich nicht dazwischen hindurchzwängen konnten, und ihre Stämme waren auch so dick, daß die Thiere sie nicht niederzubrechen vermochten. Vergeblich wühlten die Rüssel in den Spalten zwischen diesen, vergeblich drängten die nachkommenden Elefanten die vorderen...
Die Flüchtlinge hatten von den mächtigen Thieren nichts mehr zu fürchten... der große Wald von Ubanghi stellte diesen ein unüberwindliches Hinderniß entgegen.
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