[163] Beim Erwachen am nächsten Morgen bemerkten der Foreloper und seine Gefährten zu ihrer größten Verwunderung, daß die Dunkelheit in diesem Theile des Waldes eher noch ärger war als vorher. – Ob es wohl Tag war?... Keiner hätte es sagen können. Merkwürdigerweise tauchte aber auch der Lichtschein nicht wieder auf, der ihnen seit sechzig Stunden den Weg gewiesen hatte. Die drei Männer sahen sich also gezwungen, zu warten, bis dieser sich aufs neue zeigte.
Da machte John Cort noch eine Bemerkung, aus der seine Gefährten und er sofort gewisse Schlüsse zogen.
»Mir fällt besonders auf, sagte er, daß wir heute Morgen keine glimmende Feuerstätte vorfanden, und in der Nacht auch jedenfalls niemand hierher gekommen ist, um uns mit dem nöthigen Mundvorrath zu versorgen.
– Das ist um so schlimmer, setzte Max Huber hinzu, da wir nichts mehr übrig haben.
– Vielleicht, meinte der Foreloper, ist das ein Zeichen, daß wir angekommen sind...
– Wo denn? fragte John Cort.
– Da, wohin wer weiß wer uns geführt hat, lieber John!«
Das war freilich eine Antwort so gut wie keine, doch wer hätte eine bessere ertheilen können?
Ferner: War der Wald auch jetzt noch dunkler, so schien er doch keineswegs schweigsamer zu sein. Man hörte eine Art Summen in der Luft, ein wirres Getöse, das aus den Aesten oben herabdrang. Als sie in die Höhe sahen, erkannten Khamis, John Cort und Max Huber, wenn auch nur unklar, eine Art von großer Holzdecke etwa hundert Fuß über dem Erdboden.
Zweifellos dehnte sich da oben eine erstaunliche Menge durcheinander gewachsener Aeste und Zweige aus, ohne jeden Zwischenraum, durch den das Tageslicht hätte herunterleuchten können. Ein dickes Strohdach wäre für Lichtstrahlen[163] nicht undurchdringlicher gewesen. Das erklärte wenigstens die Dunkelheit, die unter den Bäumen herrschte.
An der Stelle, wo die drei Männer die Nacht verbracht hatten, zeigte sich auch die Natur des Erdbodens auffallend verändert. Hier stand kein ineinander verwirrtes Gesträuch, keine der stachlichen Sisiphusarten, die früher den Pfad auf beiden Seiten begrenzten. Ueberall ein fast glatter Rasen, auf dem kein Wiederkäuer hätte weiden können. Er glich mehr einer Wiese, die niemals von einem Tropfen Regen oder einer Quelle benetzt würde.
Die Bäume, die hier in Zwischenräumen von zwan zig bis dreißig Fuß standen, ähnelten eigentlich den Grundpfeilern eines riesigen Bauwerks und ihre Kronen mußten wohl eine Fläche von mehreren tausend Quadratmetern bedecken.
Hier erhoben sich in Gruppen afrikanische Sykomoren, deren Stamm aus mehreren, mit einander verbundenen Schäften besteht, Bombaxbäume mit glattem, rundem Stamm und riesigen Wurzeln, die in der Größe die aller anderen übertreffen; ferner Baobabs, erkennbar an der bauchigen Flaschenform am unteren Theile, wo sie einen Umfang von zwanzig bis dreißig Metern haben, und über den eine ungeheuere Laube von Zweigen herabhängt; weiter noch »Dumpalmen« mit gegabeltem Stamme, »Delebpalmen«, die einen höckerigen Schaft haben, Wollbäume, deren Stamm eine Reihe so großer Aushöhlungen aufweist, daß sich ein Mensch bequem darin bewegen kann, Acajons mit Wurzelschößlingen von anderthalb Meter Durchmesser, aus denen man wohl fünfzehn bis achtzehn Meter lange, drei bis vier Tonnen große Boote herstellt, endlich Bauhinias, die unter anderen Breiten nur als Büsche vorkommen, hier aber die Riesen aus der Familie der Leguminosen darstellen. Man kann sich wohl denken, welch ungeheuere Ausbreitung die Kronen dieser Bäume in der Höhe von einigen hundert Fuß haben mochten.
Eine Stunde verstrich ohne Aenderung der Sachlage. Khamis ging unausgesetzt nach allen Seiten hin und her und spähte nach der früher führenden Fackel. Warum hätte er dem unbekannten Führer auch nicht noch weiter folgen sollen? Sein Instinct in Verbindung mit gelegentlichen Beobachtungen sagte ihm freilich, daß er immer nach Osten zu gegangen sei. Das war aber nicht die Seite, wo der Ubanghi verlief, nicht der Weg, der ihn zurückführte. Wohin mochte er sich unter Leitung jenes Lichtscheines verirrt haben?
Was war zu thun, da dieser nicht wieder sichtbar wurde?... Von hier weggehen?... Doch wohin?... Hier bleiben?... Sich ernähren, so gut es[164] anging?... Schon meldeten sich der Hunger und der Durst wieder recht bedenklich.
»Wir werden aber, begann John Cort, trotz alledem gezwungen sein, aufzubrechen, und ich frage mich, ob es nicht das rathsamste ist, sofort weiter zu wandern.
– Nach welcher Seite denn?« warf Max Huber ein.
Das war freilich eine wichtige Frage, zu deren Beantwortung es an jeglicher Handhabe fehlte.
»Kurz und gut, fuhr John Cort ungeduldig fort, so viel ich weiß, sind wir hier doch nicht festgewurzelt. Der Weg zwischen den Bäumen steht ja offen und es ist nicht mehr so dunkel, daß man sich nicht zurechtfinden könnte.
– So kommen Sie!« rief Khamis.
Alle drei gingen etwa einen Kilometer vorsichtig weiter. Der Weg führte unverändert über einen strauch- und buschlosen Boden, über einen nackten und so trockenen Teppich, als läge er unter einem für Regen und Sonnenstrahlen ganz undurchdringlichen Dache.
Ueberall dieselben Bäume, von denen nur die untersten Aeste zu sehen waren. Und noch immer der konfuse Lärm, der von oben herabzuschalten schien und dessen Ursprung ganz unerklärbar blieb.
Der Wald schien unter dem Laubdache nicht gänzlich öde und verlassen zu sein. Wiederholt glaubte Khamis Schattengestalten zwischen den Bäumen hinschlüpfen zu sehen, ohne sich klar zu werden, ob er sich täusche oder nicht. Nach einer halben Stunde erfolgloser Umschau setzten sich seine Gefährten und er nahe am Stamme einer Bauhinia nieder.
Ihre Augen hatten sich an die, übrigens langsam abnehmende Dunkelheit schon etwas gewöhnt. Infolge des Aufsteigens der Sonne wurde es unter der den Erdboden überspannenden Decke ein wenig heller. Schon konnte man auf zwanzig Schritte alles deutlicher erkennen.
Da flüsterte der Foreloper den anderen zu;
»Dort unten bewegt sich etwas...
– Ein Thier oder ein Mensch? fragte John Cort, während er nach der bezeichneten Richtung hinausblickte.
– Jedenfalls könnte es nur ein Kind sein, sagte der Foreloper. Der kleinen Gestalt nach...
– Sapperment, das ist ein Affe!« unterbrach ihn Max Huber.[165]
Unbeweglich starrten alle hinaus, um den vermuthlichen Vierhänder nicht zu verscheuchen. Gelang es, sich seiner zu bemächtigen... nun... trotz des von Max Huber und John Cort geäußerten Widerwillens gegen Affenfleisch... freilich, wie hätte das ohne Feuer geröstet oder gebraten werden sollen?
Das seltsame Wesen kam näher heran, verrieth aber keinerlei Erstaunen. Es ging auf den Hinterbeinen und blieb wenige Schritte vor den Männern stehen.
Wie verblüfft waren aber John Cort und Max Huber, als sie jetzt das merkwürdige Geschöpf erkannten, das Llanga gerettet hatte, jenen Schützling des jungen Eingebornen.
Da schwirrten plötzlich die Worte durcheinander:
»Er... das ist er!
– Unzweifelhaft!
– Doch da dieser Kleine hier erscheint, warum sollte Llanga nicht ebenfalls hier sein?
– Sind Sie sicher, daß Sie sich nicht täuschen? fragte der Foreloper.
– Ganz sicher, erklärte John Cort, übrigens werden wir davon sogleich einen Beweis haben!«
Damit zog er die von dem Halse des Kleinen genommene Denkmünze aus der Tasche und ließ sie, die Schnur in der Hand haltend, hin und her pendeln wie ein Spielzeug, das man einem Kinde bietet, um es heranzulocken.
Kaum hatte der Kleine die Denkmünze bemerkt, als er schon mit einem Satze darauf zu sprang. Jetzt war er nicht mehr krank! In den verflossenen drei Tagen hatte er seine Gesundheit und auch seine Gelenkigkeit wieder erlangt. Er stürzte auf John Cort zu mit der deutlichen Absicht, sein Eigenthum wieder in Empfang zu nehmen.
Khamis ergriff ihn bei dieser Bewegung; jetzt entschlüpfte dem Munde des Kleinen aber nicht das Wort »Ngora«, sondern er rief deutlich:
»Li-Maï!... Ngala... Ngala!«
Was diese Wörter einer selbst Khamis völlig unbekannten Sprache wohl bedeuten könnten, darüber nachzudenken hatten die drei Männer jetzt keine Zeit. Plötzlich tauchten nämlich weitere Vertreter derselben Rasse auf, aber lauter Erwachsene, die vom Kopf bis zu den Füßen mindestens fünfundeinhalb Fuß maßen.
Khamis, John Cort und Max Huber hatten noch nicht bestimmt erkennen können, ob sie es hier mit Menschen oder mit Vierhändern zu thun hätten.[166]
Dem reichlichen Dutzend von Bewohnern des großen Waldes Widerstand leisten zu wollen, wäre ganz nutzlos gewesen. Der Foreloper, Max Huber und John Cort wurden an den Armen gepackt, vorwärts gedrängt und gezwungen, zwischen den Bäumen hin zu gehen, und von der Bande umringt, kamen sie erst nach einem Wege von fünf- bis sechshundert Metern zum Stillstehen.
An dieser Stelle hatten es zwei nahe bei einander und schräg stehende Bäume ermöglicht, dazwischen dünne Aeste wie eine Art Stufen zu befestigen. Wenn auch keine Treppe, war das doch besser als eine Leiter. Fünf oder sechs Individuen kletterten darauf voraus, während die übrigen ihre Gefangenen, ohne sie übrigens zu mißhandeln, zwangen, jenen auf dem nämlichen Wege zu folgen.
Je höher man hinauskam, desto heller glänzte das Licht durch das Laubwerk. Da und dort blitzten sogar einzelne Sonnenstrahlen hindurch, deren Khamis und seine Gefährten seit dem Aufbruche vom Rio Johausen beraubt gewesen waren.
Max Huber hätte ein arger Zweifler sein müssen, nicht zuzugestehen, daß das, was er hier erlebte, zur Kategorie des ganz außergewöhnlichen gehörte.
Als der Aufstieg etwa hundert Fuß über der Erde ein Ende nahm, welche Ueberraschung harrte ihrer da! Vor sich sahen sie eine hell vom Himmelslicht beleuchtete Plattform liegen. Darüber wölbten sich die üppiggrünen Gipfel der Bäume. Darauf aber standen in leidlicher Ordnung aus gestampfter Erde und Laub erbaute Hütten, die wirkliche Straßen bildeten. Das Ganze stellte also ein in dieser Höhe errichtetes Dorf dar, dessen Grenzen sich vorläufig dem Blicke entzogen.
Hier schwärmten eine Menge Eingeborner umher, Leute mit ähnlichem Typus, wie dem des Schützlings Llanga's. Ihre mit der des Menschen übereinstimmende Haltung ließ erkennen, daß sie aufrecht zu gehen gewöhnt waren, sie hatten also das Recht zur Bezeichnung als Erectus – die der Doctor Eugène Dubois den in den Wäldern Javas aufgefundenen Pitheranthropen beigelegt hatte – womit er einen anthropogenischen Charakter andeuten wollte, den der genannte Gelehrte, unter Anlehnung an die Lehre Darwin's als das wichtigste Mittelglied zwischen dem Menschen und dem Affen betrachtete.1[167]
Wenn die Anthropologen behaupten, daß auch die am höchsten entwickelten Vierhänder unter dem Affengeschlechte, die, die sich ihrer Körpergestalt nach dem Menschen am meisten nähern, sich von diesem durch die Eigenthümlichkeit unterscheiden, daß sie sich ihrer vier Gliedmaßen bedienen, wenn sie fliehen, so schien es doch, daß diese Bemerkung für die Bewohner des Dorfes in den Lüften nicht zutreffen könne.
Khamis, Max Huber und John Cort mußten es jedoch auf spätere Zeit verschieben, hierüber weitere Beobachtungen zu sammeln. Ob diese Wesen nun wirklich zwischen Thier und Mensch standen oder nicht, jedenfalls trieb die Rotte, die in einem ganz unverständlichen Idiome eifrig hin und her sprach, die drei Männer einer Hütte zu, ohne daß die übrigen Dorfbewohner darüber besonders erstaunt zu sein schienen. Die Thür der Hütte wurde hinter ihnen zugeschlagen und sie sahen sich darin auf Gnade und Ungnade gefangen gesetzt.
»Das ist ja recht hübsch! begann Max Huber. Was mich am meisten wundert, ist, daß diese originellen Kerle uns gar keine Aufmerksamkeit zu schenken scheinen. Sollten sie schon früher Menschen zu Gesicht bekommen haben?...
– Das ist ja möglich, antwortete John Cort. Mich verlangt nur zu wissen, ob sie ihre Gefangenen auch zu ernähren gewohnt sind...
– Oder ob sie sich nicht vielmehr selbst von diesen nähren!« setzte Max Huber hinzu.
In der That, wenn unter den Volksstämmen Afrikas die Munbuttus und auch andere noch heute der Menschenfresserei huldigen, warum sollten die Waldmenschen hier, die auf noch tieferer Stufe standen als jene, ihresgleichen nicht ebenfalls – wenigstens gelegentlich – zu verzehren pflegen?
Jedenfalls bilden diese Wesen Anthropoïden, aber eine höher stehende Art, als etwa die Orangs auf Borneo, die Schimpansen Guineas und die Gorillas von Gabon, die äußerlich dem Menschen so nahe stehen.
Sie verstanden ja, Feuer zu machen und es zu mancherlei häuslichen Zwecken zu verwenden, das bewies die Feuerstätte bei dem ersten Nachtlager und ebenso die Fackel, die der Führer durch die Finsterniß des Waldes getragenhatte. Da tauchte auch der Gedanke auf, daß die am Waldessaume früher beobachteten, beweglichen Fackeln von diesen seltsamen Bewohnern des großen Waldes angezündet gewesen sein möchten.
In Wahrheit darf man glauben, daß gewisse Vierhänder sich des Feuers bedienen. So berichtet z. B. Emir Pascha, daß in den Waldungen von Msokgonien in warmen Sommernächten große Banden von Schimpansen ihr Unwesen treiben, daß sie brennende Fackeln benutzen und damit Raubzüge durch die Pflanzungen unternehmen.
Im vorliegenden Falle verdient es ferner Beachtung, daß diese Wesen von unbekannter Art bezüglich der Haltung und des Ganges dem Menschen völlig gleich erschienen. Kein anderer Vierhänder wäre würdiger des Namens »Orang« gewesen, der ja genau mit »Waldmensch« zu übersetzen ist.
»Und obendrein können sie sprechen, bemerkte John Cort, als die drei Männer ihre vorläufigen Wahrnehmungen bezüglich der Insassen dieses Dorfes in den Lüften austauschten.
– Na schön, rief Max Huber, wenn sie sprechen können, müssen sie auch Wörter haben, allerlei ausdrücken zu können, und ich wäre gar nicht böse, davon die zu kennen, mit denen man »Ich sterbe vor Hunger!« sagen kann.«
Von den drei Gefangenen erschien Khamis der am meisten betroffene zu sein. Ihm wollte es nicht in den Kopf. – der anthropologischen Erörterungen überhaupt abhold war – daß diese Thiere keine Affen wären. Es wären Affen, die aufrecht gehen, sprechen und Feuer anzünden könnten, die in wirklichen Dörfern wohnten, doch schließlich immer nichts als Affen. Er empfand es schon als etwas ganz außerordentliches, daß der Wald derartige Wesen beherberge, Geschöpfe, von denen er noch nie etwas gehört hatte.
Seine Würde als Eingeborner des Schwarzen Erdtheils litt darunter, daß diese Thiere »ihrer natürlichen Begabung nach seinen eigenen Landsleuten so nahe ständen«.
Es giebt Gefangene, die sich ruhig in ihr Schicksal begeben, und andere, die das nicht thun. John Cort und der Foreloper, vorzüglich aber der ungeduldige Max Huber, gehörten zu der ersten Art nicht. Außer der Unbehaglichkeit, in dieser Hütte eingesperrt zu sein und nichts von der Außenwelt sehen zu können, beunruhigte sie nicht wenig die Unsicherheit bezüglich der Zukunft, die Ungewißheit des Ausgangs dieses Abenteuers. Dazu quälte sie obendrein der Hunger, denn seit fünfzehn Stunden hatten sie keinen Bissen gegessen.[171]
Einen Umstand gab es jedoch, auf den sie eine, wenn auch schwache Hoffnung gründen konnten, nämlich den, daß ja der Schützling Llangas in diesem Dorfe, wahrscheinlich seiner Heimat, bei seiner Familie wohnte, vorausgesetzt, daß es das, was man eine Familie nennt, bei den Waldmenschen von Ubanghi überhaupt gäbe.
»Da nun, wie John Cort sagte, der Kleine aus dem Strudel gerettet worden ist, dürfen wir dasselbe wohl auch bezüglich Llangas annehmen. Die beiden werden sich nicht getrennt haben, und wenn Llanga hört, daß drei Männer ins Dorf eingebracht worden sind, wie sollte er nicht darauf kommen, daß wir diese wären?... Uns hat man bis jetzt kein Uebel angethan, und wahrscheinlich dem Llanga doch auch nicht.
– Wer weiß? Der Schützling ist heil und gesund, meinte Max Huber, doch ob sein Beschützer und Pfleger auch?... Es liegt kein Beweis dafür vor, daß der arme Llanga nicht im Rio ertrunken wäre.«
In der That gab es dafür keinen.
In diesem Augenblick aber öffnete sich die von zwei kräftigen Burschen bewachte Thür der Hütte, in der der junge Eingeborne erschien.
»Llanga!... Llanga! riefen die beiden jungen Männer wie aus einem Munde.
– Guter Freund Max... lieber Freund John! antwortete Llanga, der diesen in die Arme fiel.
– Seit wann bist Du hier? fragte der Foreloper.
– Seit gestern Morgen.
– Und wie bist Du hierher gekommen?
– Sie haben mich durch den Wald getragen.
– Nun, die Dich getragen haben, müssen schneller gegangen sein, als wir, Llanga.
– Ja, sehr schnell.
– Wer hat Dich denn getragen?
– Einer von denen, die mich, die auch Sie alle gerettet hatten.
– Menschen? Wirklich Männer?
– Ja wohl, Menschen... nein, keine Affen.«
Der junge Eingeborne blieb immer bei seiner Anschauung. Jedenfalls waren es aber Zugehörige einer untergeordneten Rasse, die gegenüber der Menschheit das Prädicat »minderwerthig« verdiente, eine besondere Rasse von Urgeschöpfen,[172] vielleicht des Geschlechtes der Anthropopitheken, die der Stufenleiter des Thierreiches bisher fehlten.
Mit kurzen Worten erzählte nun Llanga seine Geschichte, wobei er wiederholt dem Franzosen und dem Amerikaner die Hand küßte, den beiden Freunden, die wie er aus dem Wasser gezogen worden waren, als die Stromschnelle sie verschlang, und die er nie wiederzusehen gefürchtet hatte.
Als das Floß an die Felsblöcke anprallte, waren er und Li-Mar in den Strudel geschleudert worden.
»Li-Maï? rief Max Huber.
– Ja, Li-Maï, so heißt er. Er hat seinen Namen, indem er auf sich zeigte, wiederholt vor mir ausgesprochen.
– Er hat also einen Namen? fragte John Cort.
– Unzweifelhaft, John!... Wenn man sprechen kann, ist es doch ganz natürlich, auch einen Namen zu haben..
– Und hat diese Sippe, diese Völkerschaft, oder was sie sonst sein mag, ebenfalls einen Namen? fragte John Cort.
– Ja... die Wagddis heißen sie, antwortete Llanga. Ich habe Li-Maï sie Wagddis nennen hören.«
Der congolesischen Sprache gehört dieses Wort nicht an. Doch, ob Wagddis oder nicht, jedenfalls hatten sich Eingeborne am linken Ufer des Rio Johausen befunden, als der Unfall sich ereignete. Die einen sprangen da auf die Barre, um Khamis, John Cort und Max Huber zu helfen, wozu sie sich ohne Zögern ins Wasser stürzten, die anderen retteten auf gleiche Weise Llanga und den kleinen Li-Maï. Llanga hatte bereits das Bewußtsein verloren gehabt; er erinnerte sich nicht mehr, was später geschehen wäre, und glaubte, seine Freunde müßten in dem tosenden Wasser umgekommen sein.
Als Llanga wieder zu sich kam, sah er sich in den Armen eines Wagddi, des Vaters Li-Maïs, während dieser in den Armen seiner »Ngora«, seiner Mutter, lag. Hier ließ sich nur annehmen, daß der Kleine, einige Tage, bevor Llanga ihn »auffischte«, sich im Walde verirrt haben mochte, und daß seine Eltern sich aufgemacht hatten, nach ihm zu suchen. Der Leser weiß, wie Llanga das Kind gerettet hatte, und daß dieses ohne seine muthige Hilfe umgekommen wäre.
Wohl verwahrt und gepflegt war Llanga dann nach dem Wagddidorfe gebracht worden. Li-Maï kam sehr bald wieder zu Kräften, da er nur vor Hunger und Erschöpfung krank gewesen war. Erst der Schützling Llanga's,[173] wurde er nun dessen Beschützer. Der Vater und die Mutter Li-Maï's hatten sich gegen den jungen Eingebornen sehr dankbar erwiesen. Eine gewisse Dankbarkeit erkennt man ja auch an Thieren für diesen geleistete Dienste, und warum sollte sie nicht bei Wesen anzutreffen sein, die über diesen stehen?
Kurz, am heutigen Morgen war Llanga nach der Hütte hier geführt worden. Aus welchem Grunde, wußte jener zunächst natürlich nicht. Da vernahm er aber Stimmen, und bei aufmerksamerem Lauschen erkannte er die John Cort's und Max Huber's.
Das war es also, was seit dem unglücklichen Vorfalle auf dem Rio geschehen war.
»Gut, Llanga, gut! sagte Max Huber, doch wir sterben vor Hunger und bevor wir Deinen weiteren Bericht anhören... wenn es Dir bei Deinen ernsten Protectionen möglich wäre....
Llanga lief hinaus und kam sehr bald mit einigem Mundvorrath zurück, mit einem großen Stück gerösteten und gesalzenen Büffelfleisches, einem halben Dutzend Früchten der Acacia adansonia, gewöhnlich »Affenbrod« genannt, mit frischen Bananen und einer Art Kürbisflasche mit klarem Wasser, dem etwas Lutex-Milchsaft zugesetzt war, ein Saft, der aus einer Kautschukliane von der Art der Landolphia africana quillt.
Das Gespräch wurde jetzt selbstverständlich unterbrochen. John Cort, Max Huber und Khamis hatten ein so starkes Bedürfniß nach Nahrung, daß sie nicht im geringsten wählerisch waren. Von dem Büffelstücke, dem Brode und den Bananen ließen sie nur die Knochen und die häutigen Schalen übrig.
Darauf fragte John Cort den jungen Eingebornen, ob die Wagddis ein sehr volkreicher Stamm wären.
»O, es sind viele... sehr viele! Ich habe ihrer eine große Zahl in den Straßen und den Hütten gesehen, antwortete Llanga.
– Ebenso viele Leute, wie in den Dörfern von Burnu oder Baghirmi?
– Jawohl!
– Und sie begeben sich niemals auf die Erde hinunter?...
– O doch; um zu jagen, oder um Wurzeln und Früchte oder auch Wasser zu holen.
– Und sie sprechen auch?
– Gewiß, ich verstehe sie nur nicht. Und doch... zuweilen einzelne Wörter... Wörter, die mir bekannt sind... wie wenn Li-Maï spricht.[174]
– Und der Vater, die Mutter des Kleinen?
– Die sind sehr gut gegen mich. Was ich hier gebracht hatte, kam von ihnen.
– Ich wünsche herzlich, den Leuten dafür danken zu können, sagte Max Huber.
– Wie heißt denn das Dorf in den Bäumen?
– Ngala.
– Giebt es in dem Dorfe auch einen Häuptling? fragte John Cort.
– Ja.
– Hast Du ihn schon gesehen?
– Nein, das nicht. Ich habe aber gehört, daß sie ihn Mselo-Tala-Tala nannten.
– Das sind Worte der Eingebornen! rief Khamis.
– Und was bedeuten sie?
– Der »Vater Spiegel«, antwortete der Foreloper.
So bezeichnen die Congolesen in der That einen Mann, der eine Brille trägt.
1 In den unteren Quaternärschichten Sumatras hat M. E. Dubois, ein holländischer Militärarzt in Batavia, einen Schädel, einen Oberschenkelknochen und einen Zahn in gut erhaltenem Zustande gefunden. Der Rauminhalt der Schädelhöhle war bedeutend größer als bei den größten Gorillas, doch kleiner als beim Menschen. Dieses Wesen scheint also thatsächlich ein Mittelglied zwischen dem Anthropoïden und dem Menschen gebildet zu haben. Um den wissenschaftlichen Werth dieser Entdeckung noch weiter zu ergründen und klarzulegen, spricht man jetzt von einer Forschungsreise, die ein junger amerikanischer Gelehrter, der Doctor Walters, nach Java unternehmen soll, und zu der der Milliardär Vanderbilt die nöthigen Geldmittel zur Verfügung gestellt hat.
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