Fünftes Kapitel.
Einige Reisetage.

[68] Es war um sechs Uhr früh, als sich der »James-Cook«, der alle seine Segel trug, in Bewegung setzte. Der Kapitän mußte das Schiff wiederholt wenden lassen, um aus der Bai zu kommen und die windungsreiche Ausfahrt zu passieren. Nachdem er auf diese Weise die Nicholsonspitze umschifft hatte, steuerte er in die eigentliche Meerenge ein, wo jetzt gerade ein ihm ungünstiger Nordwind wehte. Auf der Höhe von Orokiwa angelangt, konnte er jedoch schon den mehr aus Westen kommenden Seewind benutzen, dicht an diesem fahrend[68] die große Bucht zu kreuzen, die zwischen Wellington und New-Plymouth, jenseits des Kaps Egmont, tief in das Uferland von Ika-na-Maoui einschneidet.

Der »James-Cook«, der diese Bucht in schräger Richtung durchsegelte, hatte sich damit vom Lande entfernt, das er erst in der Nähe des genannten Kaps wiedersehen sollte.

Die längs der Westküste der Nordinsel zu durchmessende Strecke war etwa hundert Meilen lang. Blieb der Wind stetig, so konnte sie binnen drei Tagen zurückgelegt werden. Infolge der Windrichtung war es übrigens unmöglich, in Sicht der Küste zu bleiben, deren hydrographische Gliederung der Kapitän vollkommen kannte, so daß es für ihn keine Gefahr hatte, in jeder beliebigen Entfernung davon zu fahren.

Der erste Tag verlief unter den angenehmsten Umständen Neben dem Deckhause sitzend, überließen sich Hawkins und Nat Gibson dem bezaubernden Eindruck der glatten Segelfahrt. Ein wenig übergebeugt, gleitet das Schiff schnell durch die langen Wellenhügel der Dünung und läßt einen schäumenden Kielwasserstreifen hinter sich. Der Kapitän ging auf und ab, warf zuweilen einen Blick auf das Kompaßhäuschen vor dem Mann am Steuer, und wechselte dann wieder einige Worte mit seinen Passagieren. Die eine Hälfte der Mannschaft befand sich am Vorderdeck auf Wache, die andere ruhte im Volkslogis nach Einnahme des Frühstückes aus. Mehrere Angelschnüre wurden am Heck mitgeschleppt und lieferten für den Mittagstisch bald einige der schmackhaften Fische, die es hier in großer Menge gibt.

Es verdient auch Erwähnung, daß die Gewässer um Neuseeland vielfach von Walfischen besucht werden, deren Fang hier mit großem Erfolge betrieben wird. Auch in der Umgebung der Brigg tauchten in der ausgedehnten Bucht mehrere Spritzwale auf, die recht wohl hätten erlegt werden können.

Das veranlaßte Hawkins, während er und der Kapitän die mächtigen Säugetiere beobachteten, zu diesem zu sagen:

»Mich verlangt es eigentlich schon immer, den Walfang neben der Küstenfahrt zu betreiben, und ich glaube, Gibson, daß der eine leicht ebenso viel Nutzen abwerfen könnte wie die andere.

– Das mag wohl sein, antwortete der Kapitän. Die Walfänger, die diese Gegenden aufsuchen, füllen ja ohne Mühe ihren Frachtraum mit Tranfässern, mit Speck und Fischbein.[69]

– In Wellington, bemerkte Nat Gibson, behauptete man allgemein, daß die Walfische sich hier auch leichter als anderswo fangen ließen.

– Ja, das ist richtig, bestätigte der Kapitän, und kommt nämlich daher, daß die hier heimischen Wale ein weniger seines Gehör haben als die anderen Arten. Man kann ihnen deshalb mit der Harpune leichter auf Wurfweite nahe kommen. Eigentlich ist hier jeder Walfisch, den man sieht, so gut wie gefangen, wenn das nicht durch schlechtes Wetter verhindert wird. Leider sind in diesem Meeresteile sehr heftige Winde ebenso häufig wie gefährlich.

– Das mag ja sein, meinte der Reeder; über kurz oder lang richten wir uns aber doch auf den Walfang ein...

– Aber mit einem anderen Kapitän, alter Freund! Jeder bleibe bei seinem Berufe, und ich bin nun ein mal nicht Walfänger!

– Natürlich mit einem anderen Kapitän, Gibson, und auch mit einem anderen Schiffe, denn dann würde eine ganz andere Ausrüstung nötig, für die sich der ›James-Cook‹ gar nicht eignet.

– Gewiß, Hawkins; das verlangt ein Fahrzeug, das bei einer zweijährigen und noch längeren Reisedauer seine zweitausend Faß Tran unterbringen kann, das mehrere Boote zur Verfolgung der Tiere mitführt und an Harpunieren, Böttcher, Schmied, Zimmermann, an Matrosen und Jungmatrosen, nebst mindestens drei Offizieren und einem Arzte, so gegen dreißig bis vierzig Mann Besatzung hat...

– O, lieber Vater, fiel Nat Gibson ein, Herr Hawkins würde es gewiß an nichts fehlen lassen, was zu einer solchen Ausrüstung gehört.

– Dazu gehört sehr viel, mein Kind, antwortete der Kapitän, und meiner Ansicht nach bietet in diesen Meeresteilen die Küstenschiffahrt immerhin den zuverlässigsten Nutzen. Solche Walfischjagdzüge gehen nicht selten mit argen Verlusten aus, überdies ziehen sich die hier allzu eifrig verfolgten Wale jetzt mehr und mehr nach den Polargebieten zurück. Man ist deshalb genötigt, sie zwischen den Kurilen und der Behringstraße oder in den antarktischen Meeren aufzusuchen, und das erfordert lange und gefährliche Reisen, von denen so manches Schiff nicht zurückgekehrt ist.

– O, lieber Gibson, nahm da der Reeder das Wort, vorläufig ist die ganze Sache ja nur ein Projekt, das erst später einmal in Frage kommen kann Vorläufig bleiben wir bei der Küstenfahrt, die bisher immer nutzbringend gewesen ist, und zunächst wollen wir die Brigg mit einer guten Ladung im Raume nach Hobart-Town zurückführen.«[70]

Gegen sechs Uhr bekam der »James-Cook« gegenüber der Waimahbucht, in der Höhe der kleinen Häfen von Ohawe, die Küste wieder in Sicht. Da am Horizonte einige Wolken herauszogen, ließ der Kapitän die Bramsegel streichen und die Marssegel reffen... eine Vorsichtsmaßregel, die sich allen Schiffen in dieser Gegend aufnötigt, wo oft ebenso plötzliche wie heftige Böen auftreten und man deshalb jeden Abend die Segelfläche zu verkleinern pflegt.

Auch heute wurde die Brigg bis zum folgenden Morgen tüchtig abgeschüttelt. Sie mußte, nachdem das Leuchtfeuer des Kaps Egmont gepeilt war, einige Meilen nach der hohen See hinaus steuern. Als es wieder hell wurde, wendete das Schiff von neuem, da sich Gibson nicht zu weit vom Lande entfernen wollte, und kam bald an der Einfahrt nach New-Plymouth, einer der bedeutendsten Städte der Nordinsel, vorüber.

Die Brise hatte in der Nacht noch weiter zugenommen und jetzt wehte ein frischer Wind. Die am Abend vorher eingezogenen Bramsegel konnten noch nicht wieder gehißt werden, und Gibson mußte sich begnügen, die Reffe der Marssegel wieder losbinden zu lassen. Über Steuerbord geneigt und auf den langen Wasserbergen auf und ab schwankend, glitt die Brigg jetzt mit der Geschwindigkeit von zwölf Knoten in der Stunde dahin. Zuweilen brachen sich an ihrem Bug die Wellen und überschütteten das Vorderdeck mit einer Wolke aus Wasserstaub. Ja zuweilen tauchte sie bis über ihre Gallion ein, stieg dann aber gleich wieder mit dem Vordersteven in die Höhe.

Das Stampfen und Schlingern des Schiffes konnte Leute wie Hawkins und Nat Gibson aber nicht belästigen. Beide waren durch mehrfache Seefahrten an dergleichen gewöhnt und wurden von der Seekrankheit nicht mehr angefochten. Im Gegenteil atmeten sie mit Vergnügen die belebende, mit Salzdünsten geschwängerte Luft ein, die so wohltuend die Lunge füllte. Gleichzeitig betrachteten sie mit großem Interesse die an Abwechslung überreiche Linie der westlichen Küste.

Diese ist fast noch merkwürdiger als die Küste der Südinsel. Ika-na-Maoui – der Name bedeutet in der polynesischen Sprache: der Fisch des Maoui – zeigt sich reicher an Buchten, Baien und Häfen, als Tawai-Pounamon – ein Name, womit die Eingebornen ursprünglich nur einen See bezeichneten, wo grüner Nephrit gefunden wurde. Von der Seeseite aus reicht der Blick bis zu einer mit dichtem Grün bedeckten Bergkette, die früher noch tätige Vulkane enthielt.


Neuseeländische Kähne.
Neuseeländische Kähne.

Sie bildet das Skelett oder richtiger das Rückgrat der im Mittel etwa[71] dreißig Lieues breiten Insel. Im Ganzen ist die Bodenfläche Neuseelands nicht kleiner als die des britischen Inselreiches, und Großbritannien besitzt damit sozusagen ein zweites Vereinigtes Königreich bei seinen Antipoden im Großen Ozean. Während England von Schottland aber nur durch den Tweedfluß getrennt ist, ist hier die Nordinsel von der Südinsel durch einen Meeresarm geschieden.

Seitdem der »James-Cook« den Hafen von Wellington verlassen hatte. war die Aussicht, sich seiner bemächtigen zu können, offenbar vermindert. Flig Balt[72] und Vin Mod sprachen oft über die Sachlage, und heute, zur Frühstückstunde, wo Hawkins, Nat Gibson und der Kapitän im Deckhause bei einander saßen, bildete diese wieder den Gegenstand ihrer Unterhaltung. Vin Mod stand am Steuer und sie liefen deshalb keine Gefahr, von den Matrosen auf dem Vorderdeck gehört zu werden.

»O, dieser vermaledeite Aviso! wiederholte Vin Mod immer wieder, er hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht! Vierundzwanzig Stunden hat sich der verwünschte Kasten an unserer Seite gehalten! Wenn sein Kommandant jemals an einer Raa zu baumeln verurteilt wird, melde ich mich, den Strick anzuziehen, der ihm die Kehle zuschnürt!... Konnte er denn nicht seine Fahrt fortsetzen, statt neben der Brigg kleben zu bleiben?... Ohne ihn wäre der[73] »James-Cook« jetzt seines Kapitäns und seiner Mannschaft entledigt, und heute steuerte er schon lustig aufs Meer nach Osten hinaus... hinaus mit einer guten Ladung für die Tonga- oder die Fidschiinseln...


Der Maorikönig Tawhiao.
Der Maorikönig Tawhiao.

– Ach, das sind ja alles nur leere Worte! bemerkte Flig Balt.

– Nun ja, man erleichtert sich das Herz doch so gut man kann, antwortete Vin Mod.

– Vor allem haben wir zu überlegen, erwiderte der Bootsmann, ob die Anwesenheit des Reeders und Nat Gibsons uns nicht zwingt, auf unser Vorhaben zu verzichten.

– Nimmermehr! rief Vin Mod. Eine solche Melodie pfeifen die anderen nicht mit! Len Cannon und seinen Kameraden wäre es in Wellington recht gut möglich gewesen, zu desertieren, wenn sie geglaubt hätten, daß die Brigg ruhig nach Hobart-Town zurückkommen sollte. Sie wollen unbedingt nur noch für eigene Rechnung, nicht für die des Reeders Hawkins fahren!

– Das sind alles nur leere Worte, wiederhol' ich dir, sagte Flig Balt, mit den Achseln zuckend. Können wir denn hoffen, daß sich noch eine passende Gelegenheit finden wird?...

– Natürlich... natürlich! erklärte Vin Mod, der schon hitzig wurde, als er die Entmutigung des Bootsmannes sah, natürlich, und die soll nicht unbenützt bleiben. Ist es nicht heute, nun dann morgen... oder noch später... in den Gewässern von Papuasien... dort, zwischen den Inselgruppen, wo uns keine Polizei auf den Fersen sitzt! Denke dir doch einfach: der Reeder und ein paar andere erscheinen eines Morgens nicht wieder an Bord... kein Mensch weiß, was aus ihnen geworden ist... die Brigg segelt ab... fertig! Nicht wahr?«

Vin Mod, der mit gedämpfter Stimme sprach, zischte sozusagen diese verbrecherischen Pläne Flig Balt ins Ohr. Entschlossen, dabei zu verharren und es aufs äußerste ankommen zu lassen, konnte er einen schrecklichen Fluch nicht unterdrücken, als der Bootsmann ihm zum dritten Male die wenig ermutigende Antwort gab:

»Leere Worte... alles nur leere Worte!«

Vin Mod schleuderte ihm dafür nochmals einen greulichen Fluch ins Gesicht, der diesmal aber auch im Inneren des Deckhauses gehört wurde. Gibson erhob sich vom Tische und erschien in der nach dem Hinterdeck führenden Tür.

»Was gibt es denn hier?[74]

– Ach nichts, Herr Gibson, antwortete Flig Balt, Vin Mod wäre nur durch eine stärkere Schwankung des Schiffes beinahe zu Boden geworfen worden...

– Ich glaubte schon, über die Reling hinauszufliegen, setzte der Matrose hinzu.

– Nun ja, bei dem starken Winde steht eine grobe See, sagte Gibson, nachdem er mit flüchtigem Blicke die Besegelung der Brigg gemustert hatte.

– Die Brise läuft mehr nach Osten um, bemerkte Flig Balt.

– Jawohl, halten Sie etwas ab, Vin Mod. Wir können uns ohne Gefahr dem Lande etwas mehr nähern.«

Nach Ausführung dieses Befehles begab sich Gibson ins Deckhaus zurück.

»Ah, murmelte Vin Mod, wenn du jetzt den ›James-Cook‹ kommandiertest, würden wir eher anluven, statt abzuhalten.

– Ja, ich bin aber einmal nicht der Kapitän, antwortete Flig Balt und wendete sich dem Vorderdeck zu.

– Er wird's aber noch werden, sagte Vin Mod für sich, er muß es später sein und sollte ich deswegen gehängt werden!«

Im Laufe dieses Tages zeigten sich weniger Walfische als am Tage vorher, womit sich wohl auch die geringe Zahl der Walfänger in der hiesigen Gegend erklärte. Jetzt stellt man den Tieren mehr längs der Ostküste nach, vorzüglich bei Akaroa und seewärts von der Bai der Inseln von Tawai-Pounamou. Das Meer war aber keineswegs ganz verlassen. Unter dem Schutze des Landes segelte eine Anzahl Küstenfahrer durch die Taranakibai oder mehr draußen davon hin.

Am Nachmittage kam der »James-Cook«, noch immer von recht steifer Brise getrieben und nachdem er den zweitausend Fuß hohen Gipfel des Whare-Orino, der bis ans Meer heranreicht, aus dem Gesicht verloren hatte, vor den Häfen von Kawhia und Aotea vorüber, in die eben eine Flottille von Fischerfahrzeugen einsegelten, da sie sich bei dem starken Seegange draußen nicht mehr halten konnten.

Gibson mußte auch in die Focksegel Reffe einziehen lassen und behielt nur das Fock- und das Großsegel, sowie ein Klüversegel bei. Wurde das Meer noch aufgeregter und verwandelte sich der Wind zum Sturm, so konnte er für die Nacht noch immer Schutz suchen, da sich das Schiff gegen sechs Uhr Abends vor der Einfahrt nach Auckland befinden mußte. Er zog es also vor, jetzt nicht aus seinem Kurse abzuweichen.[75]

Mußte der »James-Cook« wirklich vor dem gar zu groben Seegange Zuflucht suchen, so fand er sie leicht bei Auckland. Die Bai, deren Hintergrund die Stadt einnimmt, ist eine der sichersten in dieser Gegend des Großen Ozeans. Hat ein Schiff hier einmal den etwas beschränkten Eingang zwischen den Klippen von Parera und dem sogenannten »Manukanhasen« hinter sich, so schwimmt es im Innern einer von allen Seiten trefflich geschützten Reede. In den eigentlichen Hafen braucht es da gar nicht einzulaufen; diese Reede genügt, und darauf liegen auch häufig zahlreiche Fahrzeuge ganz sicher vor Anker.

Bei den vielen Vorteilen, die die Stadt dem Handelsverkehr bietet, ist es nicht zu verwundern, daß sie sich in kurzer Zeit zu großer Bedeutung aufgeschwungen hat. Mit Einschluß ihrer angrenzenden Vororte zählt sie schon fast sechzigtausend Seelen. Ihre Lage – sie steigt auf den Hügeln der Südseite der Bai empor – ist überraschend schön. Durchsetzt von schönen Squares und Gärten mit den Kindern der Tropenflora, mit ihren breiten, sauberen Straßen, die mit Hotels und Läden vielfach besetzt sind, könnte sie den Neid Dunedins und Wellingtons herausfordern.

Hätte sich Gibson jetzt in ihren Hafen geflüchtet, so würde er hunderten von ein- und auslaufenden Schiffen begegnet sein. Hier im nördlichen Teile Neuseelands machte sich der Zug nach den Goldgruben weniger bemerkbar als im mittleren Teile von Ika-na-Maoui und vorzüglich in den Bezirken von Tawai-Pounamou. Hier hätte sich die Brigg auch leicht der in Dunedin angemusterten Leute entledigen und sie durch vier oder fünf Matrosen ersetzen können, da hier solche immer infolge des Aufliegens mancher Schiffe zu finden sind. Es war auch kaum zweifelhaft, daß der Kapitän, der Len Cannon und dessen Kameraden nur sehr gering schätzte, das tun würde, natürlich zum großen Bedauern Flig Balts und Vin Mods, wenn die Brigg überhaupt bei Auckland vor Anker ging. Zur Vermeidung jedes neuen Zeitverlustes hielt es Gibson jedoch für richtiger, die Nacht über bei verkleinerter Segelfläche weiter zu fahren. Zuweilen ließ er sogar soweit beidrehen, daß er den aus Westen heranstürmenden Wellen gerade entgegen lag und sich damit etwas von der Küste entfernte, deren Leuchtfeuer ihm zu nahe an Steuerbord zu sein schienen.

Kurz, der »James-Cook« hielt sich vorzüglich, dank dem geschickten Seemanne, der ihn führte. Weder am Rumpfe noch am Mastwerk erlitt er irgend eine ernsthaftere Beschädigung.[76]

Am nächsten Tage, am 2. November, wo der Wind mäßiger und das Meer etwas ruhiger wurde, kam die Brigg ziemlich weit draußen vor einer anderen Reede vorüber, die noch größer als die von Auckland war: an der Reede von Kaipara, in deren Hintergrunde der Port Albert angelegt ist.

Nach weiteren vierundzwanzig Stunden war die Brigg – der Wind war inzwischen fast gänzlich abgeflaut – an den Höhen des Manganni-Bluff, der Hokiangabucht, an der Beefspitze und dem Kap Van Diemen nach einer Fahrt von siebzig bis achtzig Seemeilen vorübergekommen. Von hier aus blieben die Klippen der Three-Kings zur Linken liegen, und nun lag vor dem Bug die weite Meeresfläche bis zu dem Gewirre der Tongainseln, der Hebriden und der Salomonsinseln, die zwischen dem Äquator und dem Wendekreis des Steinbocks verstreut liegen.

Jetzt mußte also ein nordöstlicher Kurs auf Neuguinea zu eingeschlagen werden, auf die große, noch neunzehnhundert Seemeilen entfernte Insel, um auf die Luisiaden zu treffen und jenseits dieser auf die Inselgruppen, die gegenwärtig dem deutschen Kolonialbesitz angegliedert sind.

Blieben ihm Wind und Wasser günstig, so hoffte Gibson, die bevorstehende Fahrt in kurzer Zeit zu vollenden. Mehr in der Nähe der Äquinoktiallinie (des Wendekreises) herrscht nicht so oft schlechtes Wetter und sind die Stürme nicht so heftig, wie in der Umgebung von Australien und Neuseeland. Anderseits ist ein Schiff dort eher Windstillen ausgesetzt, die eine Segelfahrt um viele Tage verzögern können, während sie den Dampfern eine ruhige und schnelle Fahrt ermöglichen. Die Dampfschiffahrt stellt sich aber zu teuer, wo es sich um die große und kleine Küstenfahrt in diesen entlegenen Meeresgebieten handelt, und deshalb zieht man es hier vor, sich auf den Wind zu verlassen, statt so viel Kohle zu verbrennen.

Jetzt drohte die schwache und zuweilen aussetzende Brise freilich, die Geschwindigkeit der Brigg auf zwei bis drei Seemeilen in der Stunde zu verringern, obwohl diese alle Leinwand bis auf die Stag- und die Leesegel trug. Wurde es jedoch ganz still, so daß kein Windhauch die Oberfläche des Wassers mehr kräuselte. wo dann die lange Dünung ein Schiff nur auf und ab wiegt, ohne es von der Stelle zu bewegen, dann nützte der Brigg natürlich auch die Entfaltung ihrer ganzen Segelfläche nichts mehr. Gibson konnte in einem solchen Falle nur noch die Meeresströmungen benützen, die in diesem Teile des Großen Ozeans nach Norden zu verlaufen.[77]

Der Wind legte sich jedoch nicht gänzlich. Glühend lag die Sonne auf dem Meere, das sie bis zu großer Tiefe hinunter erhitzte. Wenigstens die höheren Segel blieben gespannt und der »James-Cook« ließ ein leichtes Kielwasser hinter sich.

Am Morgen, als Hawkins, Nat Gibson und der Kapitän von dem plauderten, was sich auf einer Seefahrt als nächstliegender Unterhaltungsgegenstand bietet, von der Witterung, wie sie eben ist und wie sie sich voraussichtlich gestalten wird, sagte Gibson:

»Ich glaube nicht, daß das jetzige Wetter anhält.

– Und warum nicht? fragte der Reeder.

– Draußen am Horizonte sehe ich gewisse Wolken, die uns Wind bringen werden... ich müßte mich denn arg täuschen.

– Diese Wolken steigen aber nicht in die Höhe, bemerkte Hawkins, und wenn es doch ein wenig der Fall ist, lösen sie sich auf.

– Gleichviel, lieber Freund; sie werden sich schon noch verdichten, und solche Wolken sind so gut wie Wind.

– Der uns von Nutzen sein würde, setzte Nat Gibson hinzu.

– O, meinte der Kapitän, wir brauchen keine Dreiressbrise. Nur so viel, unsere Leesegel und die unteren Segel aufzublähen.

– Und was verspricht der Barometer? fragte Hawkins.

– Er ist im Fallen begriffen, antwortete Nat Gibson, nachdem er das im Deckhause hängende Instrument besichtigt hatte.

– Mag er immer fallen, sagte der Kapitän, doch nur langsam, und nicht tolle Sprünge machen, wie der Affe, der auf seine Palme klettert und zuletzt herunterpurzelt! Sind die Windstillen lästig, so werden die Sturmböen manchmal gefährlich, mir sind die zweiten aber doch lieber...

– Ich will dir sagen, was das Beste wäre, Gibson, unterbrach ihn Hawkins; wir sollten eine kleine Hilfsmaschine, so von fünfzehn bis zwanzig Pferdekraft, an Bord haben, damit käme man wenigstens ein Stück weiter, wenn sich gar kein Lüftchen mehr regen will. Auch zur Einfahrt in die Häfen und zum Auslaufen von da würde eine solche sich nützlich erweisen.

– O, man hat bisher keine gebraucht und wird auch noch lange Zeit ohne Hilfsmaschine auskommen, erwiderte der Kapitän.

– Das meinst du, lieber Freund, du bist eben der unveränderte Seemann der alten Handelsflotte geblieben..[78]

– Nein, Hawkins, doch ich bin einmal nicht für solche gemischte Schiffe. Sind sie gut geeignet zum Dampfen, so sind sie es nicht zum Segeln, und umgekehrt.

– Mag sein, Vater, fiel Nat Gibson ein; sieh aber einmal da draußen die Rauchsäule; wär' es nicht hübsch, wenn die jetzt von der Brigg aus aufwirbelte?«

Der junge Mann wies dabei mit der Hand nach einem langen, schwärzlichen Streifen, der über dem nordwestlichen Horizont aufgetaucht war. Mit einer Wolke konnte man ihn nicht verwechseln: es war bestimmt der Rauch von einem Dampfer, der in gleicher Richtung mit der Brigg schnell dahinglitt. Binnen einer Stunde mußten die beiden Fahrzeuge voraussichtlich nebeneinander liegen.

Die Begegnung mit einem Schiffe ist auf dem Meere stets ein interessantes Ereignis. Noch bevor es die Flagge zum Gruße gehißt hat, sucht man seine Nationalität aus der Gestalt des Rumpfes und der Anordnung des Takelwerkes zu erkennen. Henry Gibson sah deshalb mit dem Fernrohre hinaus, und kaum zwanzig Minuten nach dem ersten Sichtbarwerden des Dampfers glaubte er behaupten zu können, daß es ein französisches Schiff sei.

Er täuschte sich hierin auch nicht, denn als es nur noch zwei Meilen von »James-Cook« entfernt war, stieg die Trikolore nach der Gaffel des Briggsegels empor.

Die Brigg antwortete sofort durch Entfaltung der Flagge des Vereinigten Königreiches.

Es war ein Dampfer von acht- bis neunhundert Tonnen, dem Anscheine nach ein Kohlenschiff auf der Fahrt nach einem der Häfen Neuhollands.

Gegen halb zwölf Uhr befand er sich nur noch einige Kabellängen weit von der Brigg und näherte sich dieser noch mehr, als wollte er sie unmittelbar ansprechen. Das sehr ruhige Meer begünstigte dieses Manöver, das unter den obwaltenden Umständen keinerlei Gefahr bot. An Bord ging man auch schon daran, ein Boot aufs Meer zu setzen, so daß eine mündliche Verständigung ermöglicht wurde.


Waffen und Musikinstrumente der Neuseeländer.
Waffen und Musikinstrumente der Neuseeländer.

Zwischen dem Dampfer und der Brigg kam es nun zu folgendem Gespräch:

»Der Name eures Schiffes?...

– ›James-Cook‹ aus Hobart-Town.[79]

– Der des Kapitäns?...

– Kapitän Gibson.

– Verstanden.

– Und ihr?

– Die ›Assomption‹ aus Nantes, Kapitän Foucault.

– Ihr fahrt?...

– Nach Sydney, Australien.

– Verstanden.

– Und ihr?...[80]

– Nach Port-Praslin, Neuirland.

– Ihr kommt wohl von Auckland?

– Nein, von Wellington.

– Verstanden.

– Und ihr?...

– Von Amboine in den Molukken.

– Gute Reise gehabt?

– Sehr gute, doch eine Mitteilung: In Amboine ist man sehr beunruhigt wegen der Goëlette ›Wilhelmina‹ aus Rotterdam, die, von Auckland ausgesegelt, schon seit einem Monate angekommen sein müßte. Ihr habt wohl nichts von ihr gehört?

– Nein... gar nichts.


 »Glückliche Reise, Kapitän Foucault.« (S. 83.)
»Glückliche Reise, Kapitän Foucault.« (S. 83.)

– Ich bin ziemlich westlich durch das Korallenmeer gefahren, meldete der Kapitän Foucault weiter, bin ihr da aber nicht begegnet, und ihr habt sie doch wohl auch nicht gesehen?

– Nein, antwortete Gibson.

– Wollt ihr mit östlichem Kurse nach Neuirland segeln?

– Das ist unsere Absicht.

– Möglicherweise ist die ›Wilhelmina‹ nur durch einen Sturm weit aus ihrem Kurs verschlagen worden...

– Das könnte wohl sein.

– Wir ersuchen euch also, bei der weiteren Fahrt etwas acht darauf zu haben.

– Daran soll's nicht fehlen.

– Und nun, glückliche Reise, Kapitän Gibson.

– Glückliche Reise, Kapitän Foucault.«

Eine Stunde später steuerte der »James-Cook«, der den Dampfer aus dem Gesicht verloren hatte, nach Nordnordwesten auf die Insel Norfolk zu.[83]

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 68-81,83-84.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gebrüder Kip
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