Siebentes Kapitel.
In Erwartung der Hinrichtung.

[301] Von der irdischen Gerechtigkeit hatten die Brüder also nichts mehr zu hoffen: sie hatte sich gegen sie ausgesprochen, sogar ohne Zubilligung mildernder Umstände bezüglich des Verbrechens, dessen man sie bezichtigte. Kein Einwurf des[301] Verteidigers war der Jury von Bedeutung erschienen. Weder die ebenso sichere wie würdige Haltung der Angeklagten bei der Verhandlung, noch der aufwallende Ingrimm Karl Kips, der sich zuweilen in Ausdrücken der Entrüstung Luft machte, oder die ruhigeren Erklärungen Pieter Kips hatten etwas auszurichten vermocht gegen die angeführten Tatsachen, gegen die so hinterlistig auf sie gehäuften Beschuldigungen, gegen die Aussagen des elenden Flig Balt, die zuletzt noch durch die Erklärung des Schiffsjungen Jim bestätigt wurden.

Bei der Versicherung Karl und Pieter Kips, das Mordinstrument nie wieder in ihren Händen gehabt zu haben, und gegenüber ihrer völlig begründeten Behauptung, daß ein solcher Kriß die gebräuchlichste Handwaffe bei den Eingebornen Melanesiens sei und daß der, an den die Zwinge paßte, jedenfalls einem Bewohner von Kerawara, der Insel York oder einer der Nachbarinseln gehören werde, war wohl zunächst ein gewisser Zweifel berechtigt. Die Aussage des Schiffsjungen, der den vorliegenden Dolch in der Kabine der Brüder liegen gesehen hatte, bewies aber – wenigstens für die Richter – doch, daß die Mordwaffe dieselbe sei, die sie von dem Wrack und an Bord des »James-Cook« mitgenommen hätten, ohne sie darauf jemand zu zeigen.

Die Verurteilung gewährte der Einwohnerschaft von Hobart-Town eine unverkennbare Befriedigung. In den begreiflichen Haß gegen die angeblichen Mörder des Kapitäns Harry Gibson mischte sich nicht wenig von der bei der angelsächsischen Rasse so hervortretenden Dünkelhaftigkeit, für die es ja keiner weiteren Beweise bedarf. Ein Engländer war es, der hier einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, und Holländer waren es, die ihn getötet hatten, wer hätte unter solchen Umständen das geringste Mitleid mit den Verurteilten empfinden können? – Kein Mensch in der Stadt, nicht eine einzige der zahlreichen Zeitungen Tasmaniens, wagte die Stimme zu erheben, um einer Umwandlung der Strafe das Wort zu reden.

Den Abscheu, der den Sohn des Opfers gegen die Gebrüder Kip erfüllte, darf man diesem ja nicht zum Vorwurf machen. Er glaubte an ihre Schuld so fest, wie er an Gott glaubte, an eine Schuld, deren Nachweis nicht auf schwanken Annahmen, sondern auf greifbaren Tatsachen beruhte. Ableugnungen, Verwahrungen... das war alles, was die Angeklagten übereinstimmenden und bestimmten Zeugnissen entgegensetzen konnten. Nachdem er schon fast daran verzweifelt hatte, die Mörder seines Vaters zu entdecken, hatte er sie jetzt in der Hand, die zwei Ungeheuer, die jenem ihre Rettung verdankten und doch seine[302] Güte, seinen Edelmut mit einer verruchten Mordtat vergolten hatten. Von irgend welchen mehr oder weniger anzuerkennenden Gründen und Einwänden, die zu ihren Gunsten gesprochen hätten, wollte er nichts wissen, wollte er nichts sehen durch den Schleier von Schmerz und Entrüstung, der ihn umhüllte.

Das zeigte sich auch, als er an dem Tage, wo der Kriminalgerichtshof das Urteil gefällt hatte, nach Hause gekommen war.

»Mutter, sagte er mit einer vor Erregung zitternden Stimme, sie werden die Untat mit ihrem Kopfe bezahlen... mein Vater wird gerächt werden!

– Gott habe Erbarmen... murmelte Frau Gibson.

– Mit diesen Elenden? rief Nat Gibson, der die Antwort seiner Mutter in diesem Sinne deutete.

– Nein, mit uns, mein Kind!« erwiderte Frau Gibson, indem sie ihren Sohn an sich zog und tränenden Auges ans Herz drückte.

Das waren die ersten Worte gewesen, die Nat Gibson nach dem Betreten des Vaterhauses geäußert hatte.

Anders klangen dagegen die, die der Reeder nach dem Schlusse der Verhandlung gebrauchte, als er seiner Gattin wieder gegenüberstand.

»Verurteilt! sagte er.

– Verurteilt?...

– Zum Tode... die Unglücklichen... nun gebe nur der Himmel, daß sich die menschliche Gerechtigkeit nicht geirrt hat!

– Du zweifelst noch immer, lieber Mann?

– Noch immer!«

Man sieht: mehr einem gewissen Gefühle, als Vernunftgründen gehorchend, weigerte sich Hawkins, die Schuld der Gebrüder Kip anzuerkennen. Nein, er konnte sie eines so häßlichen Verbrechens gegen ihren Wohltäter nicht für fähig halten, da sie diesem früher eine so aufrichtige Erkenntlichkeit bewiesen hatten. Ihm fehlte es an einem Beweggrunde, einem unbestreitbaren Beweggrunde zu einem solchen Verbrechen. Der Tod Gibsons hätte ihnen wohl ein paar tausend Piaster eingebracht, doch was die Hoffnung betraf, ihn als Befehlshaber der Brigg zu ersetzen, auf wie schwachen Füßen stand diese, da der Bootsmann, der schon die Stelle des Obersteuermannes vertrat, ja gleichsam vorherbestimmt schien, Kapitän zu werden?

Hawkins war durch die Aussage des Schiffsjungen Jim allerdings in große Unruhe versetzt worden. Es unterlag danach ja keinem Zweifel mehr, daß der[303] im Zimmer der beiden Brüder im Gasthofe zum Great Old Man gefundene Dolch von Jim in ihrer Kabine auf dem »James-Cook« gesehen worden war. Karl oder Pieter Kip hatte ihn von dem Besuche des Wracks der »Wilhelmina« mitgebracht, und wenn sie ihn niemand gezeigt hatten, war das geschehen, weil es so in ihre Pläne paßte. Die Anklage schloß aus diesem Umstande auch, daß sie schon lange den Vorsatz zu dem Verbrechen gehegt hätten.

Und doch: nein!... Trotz der fast erdrückenden Beweise, trotz des Ausspruches, den höchst ehrenwerte und völlig unabhängig urteilende Geschworene getan hatten... nein... Hawkins wollte sich nicht ergeben. Diese Verurteilung empörte ihn. Die Sache der Gebrüder Kip ging ihm zu tief zu Herzen, und wenn er gegen Nat Gibson, bei der Gemütsverfassung, worin dieser sich befand, niemals darüber sprach, so litt er doch nicht weniger daran, den jungen Mann in einer, der seinigen so widersprechenden Überzeugung zu wissen. Dennoch zweifelte er nicht, die Gerichte ihm einst noch Recht geben zu sehen.

Wenn unter ähnlichen Verhältnissen sonst oft verschiedene Meinungen herrschen, wobei die einen für die Schuld, die anderen für die Unschuld eines Angeklagten eintreten, so war dies weder in Hobart-Town noch in anderen Städten Tasmaniens der Fall. Wer hätte wohl angenommen, daß darin je ein Umschwung zu Gunsten der Gebrüder Kip eintreten könnte? Hawkins sagte sich recht wohl, daß alle gegen seine Überzeugung aufstehen würden... Das vermochte ihn aber nicht zu entmutigen. Er hielt an seinem Glauben fest, und was läßt sich denn nicht von der Zeit erhoffen, die sich so häufig als die Aufklärerin menschlicher Irrtümer erweist?

Freilich drohte es hier gerade an der nötigen Zeit zu fehlen. Der Einspruch, den die Gebrüder Kip gegen ihre Verurteilung erhoben hatten, wurde jedenfalls sehr bald zurückgewiesen Es lag ja kein Grund vor, das Urteil umzustoßen, und voraussichtlich erfolgte also die Hinrichtung in der zweiten Hälfte des März, einen Monat nach Fällung des Urteils.

Diese Vollziehung des Urteils erwartete man mit wilder Begierde in dem Teile der Bevölkerung, der an allen aufregenden Ereignissen Gefallen findet, zu den schlimmsten Ausschreitungen bereit ist und nur danach verlangt, selbst an Stelle der Richter zu treten, in der nicht so kleinen Volksmenge, die alle Schuldigen und auch die, die sie nur für solche hält, kurzer Hand lynchen möchte. Dazu wäre es vielleicht auch in Hobart-Town gekommen, wenn das Gericht nicht dem beklagenswerten Verlangen des Mobs der Stadt entsprochen und kein[304] Todesurteil gefällt hätte. Am Tage der Hinrichtung sah man die Menge dann gewiß das Schafott gröhlend umschwärmen.


»Glaubst du, daß unser Vater uns hätte für schuldig halten können?« (S. 307.)
»Glaubst du, daß unser Vater uns hätte für schuldig halten können?« (S. 307.)

In erster Reihe würden die elenden Schurken Flig Balt und Vin Mod dann natürlich auch zu finden sein. Sie mußten sich ja mit eigenen Augen überzeugen wollen, daß Karl und Pieter Kip die Freveltat, deren Urheber sie selbst waren, mit dem Leben gebüßt hätten. Dann erst konnten sie in voller Sicherheit weiter ziehen und sich – ohne Besorgnis vor der Zukunft – in neue Abenteuer stürzen.[305]

Nach der Verhandlung waren die beiden Brüder wieder ins Gefängnis abgeführt worden, und natürlich hatte sie die rohe Menge auf dem Wege dahin mit unflätigen Beschimpfungen überhäuft, und dabei eine so drohende Haltung angenommen, daß die Gerichtsdiener die Gefangenen beschützen mußten. Auf alle diese Anzapfungen antworteten die Brüder aber nur durch ein um so würdevolleres Auftreten und ein verächtliches Schweigen.

Als die Pforten des Gefängnisses sich hinter ihnen geschlossen hatten, führte der Oberwärter sie nicht wieder nach den Zellen, die sie bisher einzeln bewohnt hatten, sondern in die größere Zelle der zum Tode verurteilten Verbrecher. Inmitten dieses Abschaums der Menschheit genossen sie wenigstens den Trost, vereinigt zu sein. In den letzten Tagen ihres Lebens konnten sie sich da noch einmal gemeinsam der Erinnerung an die Vergangenheit hingeben – lebten sie noch einmal einer neben dem anderen bis zu den Stufen des Schafotts.

In dieser Zelle waren sie leider nicht zu zweien allein, wie sie es so sehnlich gewünscht hatten. Die Wächter durften sie Tag und Nacht nicht verlassen, mußten sie im Auge behalten, ihre Worte belauschen. Selbst wenn sie das Innerste ihres Herzens ausschütteten, waren die rohen Schergen in der Nähe, die für die Unglücklichen gewiß keine Spur von Mitleid empfanden.

Der unerhörten Ungerechtigkeit gegenüber, die zwei Schuldlose in den Tod schickte, machte Karl Kip seiner Empörung wiederholt in ungeschminkter, derber Sprache Luft, während sein Bruder, der ihn vergeblich zu besänftigen sachte, ruhiger blieb und seinem Schicksale gefaßter entgegenzusehen schien.

Auch Pieter Kip gab sich übrigens keinerlei Täuschung über den Erfolg der Berufung hin, die sie auf Anregung ihres Verteidigers unterzeichnet hatten. Ebenso hegte Karl nicht die geringste Hoffnung, daß die Berufung den Erfolg einer Wiederaufnahme des Verfahrens haben und daß die damit gewonnene Zeit hinreichend sein werde, die Wahrheit in vollem Glanze zutage treten zu lassen. Wenn sie sich die maßlosen Beschuldigungen vorstellten, die auf ihnen lasteten... von welcher Seite sollten sie dann noch Hilfe erwarten? Welches Eingreifen wäre mächtig genug gewesen, sie zu retten, wenn es nicht von der Vorsehung selbst kam?

Dann wendeten sich ihre Gedanken nach rückwärts, sie durchlebten alle die Kolbenschläge des Unglückes, die sie getroffen hatten, und vorzüglich gedachten sie des Schiffbruches der »Wilhelmina«, der Ursache so vielen Ungemaches, das sie endlich dahin gebracht hatte, wo sie jetzt waren. Ach, es wäre besser gewesen,[306] wenn der »James-Cook« sie nicht von der Insel Norfolk gerettet, besser, wenn der Kapitän Gibson ihre Notsignale nicht bemerkt hätte! Vielleicht wären sie dann auf der öden, menschenleeren Insel Hungers gestorben, dann wäre ihnen wenigstens der schimpfliche Tod am Galgen, der Tod gemeiner Mörder erspart geblieben.

»Pieter!... Pieter! rief Karl Kip, o, unser armer Vater... wenn er noch lebte... wenn er seinen Namen entehrt sähe... diese Schande würde ihn töten.

– Glaubst du denn. daß auch er uns hätte für schuldig halten können?

– Nein, Bruder... niemals... niemals!«

Dann sprachen sie von den Personen, mit denen sie einige Wochen zusammen verlebt hatten, von den edelmütigen Rettern, die ihnen damals eine so warme Teilnahme erwiesen und denen sie so großen Dank schuldig waren. Daß Nat Gibson in seinem Übermaß von Schmerz gegen sie eine so klägerische Haltung angenommen hatte, das begriffen sie recht wohl und hielten es seiner Lage, der des Sohnes des Opfers, zugute. Konnten sie es ihm aber wirklich ganz vergeben, daß er in ihnen die Mörder seines Vaters sehen wollte?

Was Herrn Hawkins betraf, so hatten sie schon aus dessen vorsichtig gehaltener Aussage erkannt, daß er wenigstens an ihrer Schuld noch Zweifel hegen mochte. Sie sagten sich, daß das Herz des vortrefflichen Mannes für sie noch nicht gänzlich verschlossen sein könnte. Hatte er den so bestimmt abgegebenen Zeugnissen des Bootsmannes und des Schiffsjungen Jim auch nur moralische Einwände entgegenstellen können, so hatte er damit vor der Jury, der Eingebung seines Gewissens folgend, doch in keiner Weise zurückgehalten.

Die übrigen Zeugen hatten ja gar keine anderen Angaben machen können, als es geschehen war. Was Flig Balt anging, sahen die Brüder in dem Verhalten dieses Elenden nur die Befriedigung seines Hasses, nur eine Tat der Rache gegen den neuen Befehlshaber des »James-Cook«, gegen den Kapitän, dessen Entschlossenheit die Meuterei unterdrückt und der deren Rädelsführer in den Frachtraum geschickt hatte. Wenn sich die Papiere Harry Gibsons samt dem ihnen gehörenden Dolche in ihrer Kabine befanden, waren diese heimlich von denen, die jene gestohlen hatten, dahin gebracht worden, um sie zu verderben!... Wie hätten sie aber mutmaßen können, daß einer der Mordgesellen von Kerawara gerade der Bootsmann der Brigg wäre?

Auch Hawkins, der immer nach neuen Spuren sachte, hatte keiner solchen Acht einiger Aussicht auf Erfolg weiter nachgehen können. Er glaubte noch immer[307] die Urheber der Freveltat könnten nur Eingeborne von der Insel York gewesen sein, und den deutschen Behörden werde es schon noch eines Tages gelingen, sie aufzuspüren.

Inzwischen nahte der Tag, nahte die Stunde heran, wo zwei Männer, zwei Verurteilte, zwei Brüder die schlimmste weltliche Strafe für ein Verbrechen erleiden sollten, das sie nicht begangen hatten, gar nicht hatten begehen können.

Hawkins, der mehr und mehr an der Überzeugung festhielt, daß Karl und Pieter Kip unschuldig seien, obwohl ihn die Beibringung von Beweisen dafür unmöglich war, hatte zu deren Gunsten schon verschiedene Schritte unternommen.

Der Reeder war mit Assy Carrigan, dem Gouverneur von Tasmanien, genau bekannt. Er hielt Se. Exzellenz für einen geradsinnigen Mann mit sicherem Urteilsvermögen. So beschloß er denn, diesen um eine Unterredung zu ersuchen, und am Morgen des 25. Februar wurde er im Gouvernementsgebäude zu diesem Zwecke empfangen.

Der Gouverneur war sich im voraus nicht unklar über den Beweggrund, der Herrn Hawkins zu ihm führte. Gleich aller Welt war er der Verhandlung in der Angelegenheit der Gebrüder Kip mit Spannung gefolgt und ebenso wie andere von der Schuld der Verurteilten überzeugt.

Trotzdem erstaunte Se. Exzellenz nicht besonders, als Hawkins ihm seine Anschauung auseinander gesetzt hatte.

Da er seinen Ausführungen aber aufmerksam Gehör schenkte, legte sich Hawkins keinerlei Zurückhaltung auf. Er sprach mit solcher Wärme von den beiden Opfern eines Justizirrtums, hob in so einwandfreier Logik alle die dunkeln, unentschiedenen oder mindestens noch unaufgeklärten Punkte in der Angelegenheit hervor, daß Se. Exzellenz in seinen Anschauungen darüber doch etwas schwankend wurde.

»Ich sehe, mein lieber Hawkins, erklärte der hohe Beamte, daß Sie während der Reise des ›James-Cook‹ Karl und Pieter Kip in höchstem Maße achten und schätzen gelernt, sowie daß diese sich dessen immer würdig erwiesen haben...

– Ich betrachtete sie, und betrachte sie noch heute als sehr ehrenwerte Männer, Herr Gouverneur, fiel Hawkins überzeugten Tones ein. Zur Bekräftigung meiner Überzeugung kann ich Ihnen zwar keine handgreiflichen Beweise liefern, da mir solche bisher noch fehlen und leider wohl auch immer fehlen werden... doch nichts von dem, was bei den Verhandlungen vorgebracht, nichts, was von den Zeugen ausgesagt worden ist, hat in mir die Gewißheit[308] abschwächen können, daß die beiden Unglücklichen unschuldig sind. Möge Eure Exzellenz auch nicht übersehen, daß sich jene Zeugenaussagen eigentlich auf eine einzige, auf die des Bootsmannes beschränken, und gerade diese erscheint mir jetzt mehr und mehr verdächtig. In ihm gärt der Haß; nur aus Rachsucht bezichtigt er die Gebrüder Kip eines Verbrechens dessen sie nicht schuldig sind, und das ich irgend einem Eingebornen von Kerawara zuschreibe.

– Es gibt aber auch noch ein anderes Zeugnis als das Flig Balts, lieber Herr Hawkins.

– Das des Schiffsjungen Jim, Herr Gouverneur, und das erkenn' ich ganz so an, wie es abgegeben worden ist, denn dieser junge Mensch ist unfähig zu lügen. Gewiß, Jim wird in der Kabine Karl und Pieter Kips jenen Dolch gesehen haben, der zwar ihr Eigentum war, von dem sie aber nicht wußten, daß er sich in ihrem Besitze befand. Ist das aber wirklich die Waffe, womit der Mord ausgeführt worden ist, und beruht der Umstand, daß die eingesendete Zwinge daran paßt, nicht auf einem reinen Zufall?

– Immerhin ist gerade das nicht ohne Bedeutung, oder meinen Sie, lieber Hawkins, daß ein so auffälliger Umstand hätte ganz unbeachtet bleiben sollen?

– O, gewiß nicht, Herr Gouverneur, er wird auch bei dem Wahrspruch der Geschworenen entscheidend gewesen sein. Und dennoch, ich wiederhole es, dennoch spricht die ganze Vergangenheit der Gebrüder Kip zu deren Gunsten. In dieser Weise zu Ihnen reden zu können, muß ich den Schmerz vergessen, den mir der Tod meines Freundes Harry Gibson bereitet hat, und der mir den klaren Blick wohl ganz ebenso hätte trüben können, wie seinem Sohne, den ich deswegen bedaure, doch auch entschuldige. Ich aber, ich erkenne, oder ich fühle die Wahrheit trotz des Dunkels, das über der Sache schwebt, die Wahrheit, von der ich überzeugt bin, daß sie einst an den Tag kommen wird!«

Der Gouverneur fühlte sich sehr ergriffen von den Darlegungen des Reeders, dessen rechtschaffenen, geraden Charakter er ja von lange her kannte. Seine Widersprüche gegen das Urteil beruhten zwar nur auf moralischen Gründen, doch sind ja in Fällen wie dem vorliegenden die materiellen Beweise noch nicht alles, sondern auch alle anderen dürfen daneben nicht unberücksichtigt bleiben.

»Ich verstehe, antwortete Assy Carrigan nach kurzem Überlegen, ich würdige das ganze Gewicht Ihrer Anschauung, mein lieber Hawkins. Doch muß ich Sie fragen, was erwarten Sie eigentlich von mir?[309]

– Daß Sie die Güte haben, hier einzuschreiten; wenigstens um jenen Unglücklichen das Leben zu retten.

– Einschreiten? entgegnete der Gouverneur. Wissen Sie denn nicht, daß der hier einzig mögliche Schritt die Einlegung der Berufung gegen das Endurteil ist? Diese Berufung ist, wie Ihnen ja bekannt sein muß, rechtzeitig angemeldet worden, nun können wir nur hoffen, daß sie, und zwar binnen kurzem, als begründet erkannt werde.«

Bei diesen Worten Sr. Exzellenz konnte Hawkins einige Zeichen seines Unglaubens nicht ganz unterdrücken.

»Herr Gouverneur, warf er deshalb ein, ich gebe mich über den Erfolg der Berufung keinerlei Täuschung hin. Den Vorschriften der Rechtspflege war bei dieser Angelegenheit nach allen Seiten Genüge getan; es liegt keine Veranlassung vor, das Urteil umzustoßen, und die Berufung wird also verworfen werden.«

Der Gouverneur schwieg; er wußte recht wohl, daß Hawkins recht hatte.

»Sie wird verworfen werden, fuhr dieser fort, ich versichere es Ihnen, und darum sind Sie, Herr Gouverneur, der einzige, der einen letzten Versuch unternehmen kann, den Kopf der Verurteilten zu retten.

– Wollen Sie, daß ich ein Gnadengesuch einreiche?

– Ja, ein Begnadigungsgesuch bei der Königin... dazu vielleicht eine Depesche von Ihnen an den Lord chief-justice um eine Strafumwandlung, die uns die Hoffnung auf die Zukunft nicht gänzlich raubt, oder mindestens um einen Aufschub der Strafvollziehung, der es mir ermöglichte, noch weitere Schritte zu tun. Ich würde, wenn nötig, nach Port-Praslin... nach Kerawara zurückkehren... würde Herrn Hamburg und Herrn Zieger unterstützen, dann dürfte es uns wohl gelingen, die wirklichen Schuldigen zu ermitteln, wenn wir weder Kosten noch Mühe schonen. Wenn ich hier so dringlich auftrete, Herr Gouverneur, kommt das daher, daß mich ein unwiderstehliches Etwas dazu treibt, damit nach Entschleierung der Wahrheit die Justiz sich später nicht den Tod zweier Unschuldigen vorzuwerfen habe.«

Hawkins verabschiedete sich hiermit von Assy Carrigan, und dieser ersuchte ihn, im Interesse der Sache im Gouvernementsgebäude wieder vorzusprechen; eine Einladung, der der vortreffliche Mann mit Freuden nachkam. Dank seiner Hingebung, gewann die Angelegenheit in den Augen des Gouverneurs schon ein anderes Aussehen, und dieser entschloß sich, mit dem Gewichte seiner Persönlichkeit[310] für eine Aufhebung des Todesurteils einzutreten. Die hierzu gewählten Schritte blieben vorläufig das Geheimnis des Gouverneurs und des Herrn Hawkins. Niemand wußte, daß der Gouverneur, ohne den Bescheid auf die Berufung abzuwarten, mittels amtlichen Telegramms in England bei Ihrer Majestät um die Begnadigung der Verurteilten nachgesucht hatte.

Am 7. März verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, daß die von den Gebrüdern Kip angemeldete Berufung verworfen worden sei. Diese Nachricht bestätigte sich auch in vollem Umfange; sie rief aber nirgends das Gefühl von Verwunderung hervor. Von der ersten Verhandlung in der Sache an hatte man eine Verurteilung, ja ein Todesurteil erwartet, und niemand zweifelte daran, daß diesem eine Hinrichtung folgen werde.

Kein Mensch dachte natürlich daran. daß der Gouverneur in der scheinbar so klar liegenden Angelegenheit an die Königin gehen, noch daran, daß Hawkins zu diesem Zwecke so drängende Schritte bei jenem getan haben könnte.

Die Einwohnerschaft Hobart-Towns rechnete also darauf, daß die Vollziehung des Urteils demnächst stattfinden werde, und es ist von der angelsächsischen, wie von der lateinischen Rasse bekannt, daß solch aufregende Ereignisse bei beiden eine unwiderstehliche, ungesunde Neugier entfesseln.

Erfolgt nach englischem Gesetze das Henken Verurteilter jetzt nicht mehr auf einem öffentlichen Platze, sondern nur in Gegenwart dazu berufener Zeugen, so ist das als ein Fortschritt zu bezeichnen. Die Menschenmenge sammelt sich bei solchen Gelegenheiten aber nichtsdestoweniger in der Nähe des betreffenden Gefängnisses.

So strömten auch vom 7. März an, noch vor dem Aufgange der Sonne, ja meist schon in den ersten Stunden nach Mitternacht, hier zahllose Neugierige zusammen, um die schwarze Flagge, das Zeichen einer vor sich gehenden Hinrichtung, hissen zu sehen.

Natürlich befanden sich darunter Flig Balt und Vin Mod, doch auch Len Cannon und seine Kameraden, die alle Hobart-Town noch nicht verlassen hatten. Der Bootsmann und sein Spießgeselle wollten die schwarze Flagge nach Vollstreckung des Urteils mit eigenen Augen niederholen sehen. Dann erst waren sie ja sicher, daß andere für ihr Verbrechen gebüßt hatten. Dann war an eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht mehr zu denken, und die Elenden kehrten mit ihren Gefährten nach der Schankstube in den »Fresh-Fishs« zurück, die gestohlenen Piaster in Whisky und Gin umzusetzen.[311]

Weder Frau Gibson noch deren Sohn wollte in dieser Zeit in Hobart-Town bleiben; beide gedachten erst nach dem traurigen Abschluß der Angelegenheit dahin zurückzukehren. Als Nat diese Absicht gegen Hawkins äußerte, begnügte sich der Reeder zu antworten.

»Du hast recht, Nat... es ist besser so!«

Seit der Urteilsverkündung war Hawkins wiederholt den Matrosen Hobbes, Wickley und Burnes, sowie dem Schiffsjungen Jim begegnet. Die wackeren Leute hatten sich noch nach keiner neuen Anmusterung umgesehen, und vielleicht wollten sie sogar warten, bis der »James-Cook« unter einem neuen Kapitän wieder auslaufen sollte.

Sie wußten übrigens, daß sie auf Herrn Hawkins rechnen konnten, wenn dieser für die Brigg oder ein anderes Schiff seines Hauses neue Mannschaft suchte. Es versteht sich von selbst, daß sie mit Flig Balt, Vin Mod und mit ihren anderen Genossen von der alten Besatzung der Brigg jeden Verkehr abgebrochen hatten.

Der 19. März war herangekommen; in der Stadt begann man sich zu wundern, daß der Befehl zur Hinrichtung noch immer nicht eingetroffen war, ein Umstand, der Flig Balt und Vin Mod in deren persönlichem Interesse natürlich beunruhigte. Übrigens hatten sie, wenn die Hinrichtung für längere Zeit aufgeschoben würde, den Entschluß gefaßt, Hobart-Town zu verlassen, und im Hinblick hierauf suchten sie schon nach einem bald zum Auslaufen fertigen Schiffe.

Da traf im Laufe des 25. eine vom Lord chief-justice abgesandte Depesche an Se. Exzellenz den Gouverneur von Tasmanien ein.

Dessen Gesuch hatte vor Ihrer Majestät der Königin von England und Kaiserin von Indien Gnade gefunden: die über die Gebrüder Kip verhängte Todesstrafe war in die zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verwandelt worden.[312]

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 301-313.
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